Immer am Brett
Sieben Punkte aus acht Partien, Meister mit dem AX Gaia, Eloperformance 2742. Sportlich hätte es für Vassyl Ivanchuk bei seinem ersten Besuch in Portugal kaum besser laufen können. Obwohl er schon 55 ist, würde er gerne wieder auf 2700 Elo kommen, sagt er. Zehn von sechzig fehlenden Elopunkten hat er nun aufgeholt.
Man könne sich auf Ivanchuk nicht vorbereiten, weil er so verschiedene Eröffnungen spielt, jammert mein Mannschaftskamerad Leonardo Costa. Die Klage kommt mir vertraut vor. Einmal sah ich Ivanchuk sogar Aljechin-Verteidigung spielen.
Nach jeder Partie setzt er sich mit seinem Gegner hin und analysiert. Auch wenn der Gegner 600 Elopunkte weniger hat, auch wenn die Besprechung der Partie zwei Stunden dauert. Und wenn seine eigene Analyse fertig ist, setzt er sich an einem anderen Brett dazu. Wie sehr er Schach lieben muss.
Foto: Stefan Löffler
Das erste Mal hatte ich ihn 1991 spielen sehen. Es war im spanischen Städtchen Linares, das sich damals als „Wimbledon des Schachs“ feiern ließ. Ivanchuk gewann vor Kasparow, den er sehenswert schlug. Er galt als möglicher Weltmeister. Wiederholt war er Weltranglistenzweiter. Zwei Schacholympiaden hat er mit der Sowjetunion gewonnen und zwei mit der Ukraine, 2010 sogar mit der besten Performance am ersten Brett, doch zu einem echten WM-Kampf hat es nie gereicht. Das höchste war das Finale der FIDE-WM, das er 2002 gegen seinen Landsmann Ruslan Ponomarjow verlor.
Manchmal gibt er jetzt Training. Schach erklären bereite ihm Freude, sagte Ivanchuk der spanischen Zeitung El Mundo. Aber wer ihn als Trainer verpflichten will, müsse es über Freunde einfädeln. Im Netz findet man ihn nicht. Natürlich analysiere er auch mit dem Computer, aber er mag es nicht besonders, kenne sich nicht so gut damit aus wie jüngere Spieler.
Seit 1988 hat er nur zwei Schacholympiaden ausgelassen, 2016 und 2022. In Budapest wird er zum sechzehnten Mal dabei sein. Alexander Beljavsky hat die Auswahl nominiert. Der siebzigjährige ist der neue ukrainische Nationaltrainer. Natürlich kennen sie einander seit langem, aber miteinander trainiert haben sie noch nie. Das also ist neu. Wolokitin, Ponomarjow, Korobow und Kowalenko heißen seine Mitspieler. Ein erfahrenes Team, aber keines, dem die Zukunft gehört. Hätte Beljawski nicht vielleicht Ihor Samunenkow aufstellen können? Immerhin wohnt der 15jährige jüngste ukrainische Großmeister in Budapest. Ein talentierter Junge, findet Ivanchuk, aber kein außergewöhnliches Talent.
Warum kam er eigentlich nicht schon früher nach Portugal? Er habe immer geglaubt, das Land sei sehr arm, hat Ivanchuk seinem Fahrer auf dem Weg vom Flughafen zur Liga in einem Hotel bei Soure erzählt. Dominic Cross vom portugiesischen Verband will ihn zur Senioren-WM im November auf die Badeinsel Porto Santo einladen. Ivanchuk hört es sich an, klingt interessiert. Dann fällt ihm ein, dass sich die Daten mit der Europameisterschaft in Montenegro überschneiden.
In Spanien war er Dutzende Male. Wegen des Kriegs in der Heimat, auch weil er in der nervösen Atmosphäre nicht gut an seinem Schach arbeiten kann, verbringt er jetzt viel Zeit bei Freunden in Spanien.
Bis zu seinem nächsten Turnier, vielleicht Abu Dhabi Mitte August, will er bleiben. Er spricht auch schon gut Spanisch. Am übernächsten Tag lese ich auf X, dass Ivanchuk bei seiner Ankunft am Flughafen in Madrid dem spanischen Großmeister Miguel Illescas und dessen ukrainischer Frau Olga Alexandrova begegnet ist.
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