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Im Jahr 2008 stürzten internationale Investmentbanken die Welt in eine Finanzkrise, mit deren Folgen wir bis heute kämpfen. Die versteckte Bündelung fauler US-Immobilienkredite in Wertpapiere mit übertriebenen Renditen führte zu einer Blase, in deren Platzen ein Crash auf den nächsten folgte. Staaten waren gezwungen, Banken mit öffentlichen Geldern zu retten, was den Beginn der europäischen Schuldenkrise darstellte. Allein in Hamburg kostete die Rettung der HSH Nordbank in Summe 14 Milliarden, davon hätte man 1000 mal eine Schach-WM ausrichten oder 18 Elbphilharmonien bauen können. Die wirtschaftlichen Konsequenzen waren erheblich. In den Ländern des globalen Südens wuchs existentielle Armut, im Laufe des Jahres 2008 stieg die Zahl hungernder Menschen um 75 Millionen.
Für eine kleine Gruppe hochbegabter Entwickler wurde diese Kehrseite einer schlecht regulierten Bankenwelt die Motivation für ein kühnes wie geniales Projekt. Sie entwarfen das Konzept einer unabhängigen digitalen Währung, die ein Gegengewicht zur Macht institutioneller Großfinanz werden sollte. Nicht Notenbanken, Staaten oder einzelne Konzerne sollten diese Währung tragen, sondern ein weltweit verteiltes Netz von sich gegenseitig überwachenden Rechnern. „Dezentral“ war Schlüsselbegriff für eine nicht fälschbare Buchhaltung, in der niemand Entscheidungsgewalt besitzt, sondern festgelegte Algorithmen für berechenbare Sicherheit sorgen. Sie nannten die Währung „Bitcoin“ und die dezentrale Buchhaltung „Blockchain“.
Der führende Kopf hinter Bitcoin war Satoshi Nakamoto. Er veröffentlichte am 31. Oktober 2008 das legendäre „Bitcoin Whitepaper“ in dem bereits die technischen Grundlagen skizziert waren. Bis heute ist unklar, wer hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto steckt. Es gilt als wahrscheinlich, dass er nicht mehr lebt und sein immenses Vermögen an Bitcoin auf immer verloren ist.
Gedenkstatue für Satoshi Yakamoto in Budapest.
By Elekes Andor - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=112023036
Unser aktuelles Zahlungssystems funktioniert so: Eine Zahlung mit klassischem Bargeld stellt eine vertrauensfreie Transaktion („trustless transaction“) dar. Die Bonität des Käufers ist irrelevant. Die Transaktion ist vollzogen, wenn das Geld die Hände wechselt. Unser gesamtes Wirtschaftssystem beruht auf Transaktionen. Doch jede nichtbare Zahlung braucht einen Mittelsmann, z.B. eine Bank oder einen Notar. Das erzeugt Kosten, frisst Zeit und birgt Vertrauensprobleme, falls der Mittler sich als unzuverlässig erweist. Der Grundgedanke von Bitcoin sind hingegen vertrauensfreie Transaktionen beliebiger Höhe ohne zwischengeschaltete Bank, die absolut fälschungssicher in Minuten vollzogen werden.
Technisch wird diese Transaktion durch die sogenannte Blockchain realisiert. Die Blockchain ist eine Datenbank, die aus verketteten Blöcken besteht. Dabei enthält jeder Block vereinfacht gesagt eine Zahl, die sich aus dem Inhalt aller ihm vorhergegangenen Blöcke aufbauend errechnet. Würde man nun einen Eintrag in einem beliebigen früheren Block fälschen, wäre diese aktuelle Zahl nicht mehr gültig und damit die Kette inkonsistent. Die Daten der Blockchain verteilen sich auf mehrere tausend Rechner („Knoten“), die sich gegenseitig überwachen und damit die Integrität der Kette praktisch unzerstörbar sichern. Diese dezentrale Organisation macht die gespeicherte Information für alle Zeiten robust.
Die Bitcoin-Blockchain hat in diesem Moment 713251 Blöcke (8. Dezember, 19:15 Uhr) und ist etwa 380 GB schwer, d.h. kann noch auf einer normalen Festplatte gespeichert werden.
In den einzelnen Blöcken stehen die Transaktionen, also die Überweisungen zwischen zwei Adressen. Etwa alle zehn Minuten wird ein neuer Block an die Kette angehängt. Das Erzeugen von neuen Blöcken ist ein Rechenwettstreit mit riesigen Zahlen zwischen den sogenannten „Minern“. Wer als Erster aus den bestehenden Transaktionsdaten nach vorgegebener Formel einen bestimmten, vorher unbekannten Wert („Hash“) errechnet, hängt den Block an die Kette an und wird durch den "Mining Reward", einen Betrag von derzeit 6,25 neu geschaffenen Bitcoin und die Gebühren für jede einzelne im Block gespeicherte Transaktion entlohnt.
Eine der technischen Feinheiten von Bitcoin liegt darin, dass der Schwierigkeitsgrad des Rechenwettkampfes automatisch so angepasst wird, dass die Lösung im Mittel immer zehn Minuten dauert. Je mehr „Miner“ mit immer schnellerer Hardware neue Blöcke berechnen, desto schwieriger wird es. In der Anfangszeit von Bitcoin konnte man auf dem eigenen Rechner neue Blöcke finden und damit Kryptogeld gewinnen. Bitcoin war zu dieser Zeit allerdings nur wenige Cent wert. Später brauchte das mindestens eine gute Grafikkarte. Heute sind es ASICs, also speziell für diesen Zweck gebaute Hardware. Ein Miner kann Hunderte von solchen ASICs betreiben und damit die Wahrscheinlichkeit vervielfachen, erfolgreich einen Block zu erzeugen. Die Belohnung beträgt nach aktuellem Kurs immerhin grob €300.000,-. In diesem gewaltigen Rechenaufwand liegt Fluch und Segen von Bitcoin. Auf der einen Seite ist der Energieverbrauch enorm hoch. Auf der anderen Seite wird das System dadurch so sicher, dass es heute selbst von Staaten nicht mehr angegriffen werden kann.
Kryptowährungen wie Bitcoin haben aus der Pionierzeit zu Recht mit einem miesen Image zu kämpfen. Als den Strafverfolgungsbehörden noch Werkzeuge und Knowhow fehlten, Transaktionen auf der Blockchain nachzuspüren, war Bitcoin die Währung des Darknet und damit Zahlungsmittel für Drogen, Waffen, Geldwäsche und Erpressung. Befürworter weisen allerdings darauf hin, dass der Anteil illegaler Transaktionen seit Jahren sinkt. Das hat zwei Gründe:
1. Es gibt spezielle „On-Chain-Analysis“-Firmen, die sich auf Überwachung der Blockchains spezialisieren und den Polizeibehörden als Dienstleister zuarbeiten. Die Blockchain mag vordergründig anonym sein, doch jede Transaktion bleibt dort für alle Zeiten offen gespeichert. Wenn man die richtigen Zuordnungen findet, werden die Geldströme auch nach Jahren noch nachvollziehbar.
2. Die Regulierungsbehörden der meisten Staaten fordern von den Krypto-Handelsplätzen eine scharfe „Know-Your-Customer“-Politik, sonst droht ihnen der Verlust der Zulassung. Das bedeutet in der Praxis, dass man nur nach Identitätsprüfung größere Beträge handeln darf.
Die rechenaufwändige Speicherung von neuen Transaktionen und das Schürfen von Bitcoin verbraucht so viel Energie, dass Kryptowährungen der ersten Generation etwa 0,2% der weltweiten CO2-Emissionen ausmachen. Das ist ein ernster Einwand, und häufig zu hörende Gegenargumente wirken schwach:
1. Das Bankensystem oder die Goldminen erzeugen je für sich mehr CO2 als Bitcoin.
2. Der zivilisatorische Wert eines harten, hochfunktionalen und nicht durch autoritäre Regimes kontrollierbaren Geldes ist so hoch, dass man das in Kauf nehmen kann, weil gerade im hohen Rechenaufwand die Sicherheit des Systems liegt.
Stichhaltiger scheint folgende Argumentation: Bitcoin Miner arbeiten profitorientiert. Die Energiekosten sind ihr größter Aufwand. Energie aus Wasser, Wind oder Sonne ist die billigste und damit profitabelste Energiequelle für das Schürfen von Kryptowerten. Es liegt im Wesen regenerativer Energieerzeugung, dass die erzeugte Leistung immer schlecht mit dem aktuellen Verbrauch übereinstimmt. Energie geht verloren. Jeder Besitzer eines Solardachs kennt das: an einem sonnigen Mittag fallen 5000 Watt Leistung an, doch ziehen Wohnung oder Haus gerade mal 200-300 Watt, wenn man still am Rechner tippt. Also kann man über vier kW einspeisen. Leider braucht die jetzt niemand, weil alle Leute erst abends kochen und waschen, und die E-Autos in dunkler Nacht geladen werden.
Hier kann das Schürfen von Bitcoin zum Katalysator für Investitionen in regenerative Kraftwerke werden: Kombiniert man das Mining so mit der Stromerzeugung, dass es die erzeugten Überschüsse verbraucht, stünde eine signifikante zusätzliche Einnahmequelle zur Verfügung, mit der Energie besser als Wert gespeichert und über lange Strecken transportiert werden kann als mit jedem physikalischen Mittel.
Die Blockchain der zweitgrößten Kryptowährung Ethereum, auf der ein Großteil des gesamten NFT-Handelsvolumens und auch unsere Chess World Champions abgewickelt werden, geht jedoch künftig einen ganz anderen Weg: Sie will sich vom dezentralen Wettrechnen („Proof of Work“) abwenden und das Netzwerk so umbauen, dass Transaktionen über Netzknoten mit verbindlich gebundenem Kapital validiert werden („Proof of Stake“). Das verbraucht nur wenig Energie, ist allerdings theoretisch anfälliger gegenüber Manipulationen durch sehr reiche Player, die viele Knoten in ihre Hand bringen. Außerdem haben finanzstarke Teilnehmer des Netzes mehr Einfluss auf Regeländerungen ("Governance").
Als China das Bitcoin Mining noch erlaubte, beeinflussten Überschwemmungen im Umfeld des chinesischen Wasserkraftwerks Dreischluchtendamm die Rechenleistung des Netzwerks.
Christoph Filnkößl, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons
Der interessanteste Einwand gegen Kryptowährungen zielt auf einen erwarteten langfristigen Erfolg. Im Augenblick schaffen alle Kryptowährungen zusammen eine Marktkapitalisierung von knapp drei Billionen Dollar. Das sind selbstverständlich Peanuts, kommt doch allein Gold schon auf zehn Billionen.
Doch je höher ihr Anteil an gespeicherten Werten und Finanztransaktionen, desto größer wird die Bedeutung von Bitcoin und Co gegenüber herkömmlichen Währungen. Das bringt zwei Probleme mit sich: Wenn erstens eine Währung wie der Dollar weltweit als Reservewährung und Standardzahlungsmittel funktioniert, hat das geostrategische Bedeutung, die nicht leichten Herzens aufgegeben werden wird. So überrascht es nicht, dass sich sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton in diesem Sinne gerade scharf gegen Kryptowährungen aussprechen.
Bitcoin ist nicht kontrollierbar. Es gibt keinen Chef, keine Verwaltung, keine Zentrale. Die Menge an Bitcoin ist für alle Zeiten auf 21 Millionen begrenzt. Das macht ihn gerade bei Inflationsgefahr zu hartem Geld, doch sein möglicher Erfolg schränkt zweitens den Handlungsspielraum der Notenbanken ein. In der Weltfinanzkrise von 2008 und in der Coronakrise hat sich gezeigt, dass konzertiertes Handeln von Regierungen wirtschaftliche Verwerfungen abfedern kann. Die Welt hat aus den Fehlern der Deflationspolitik in der großen Depression von 1929 gelernt. Verlieren die Staaten damit einen Teil ihrer geldpolitischen Souveränität, so kann z.B. die Expansion der Geldmenge nicht mehr als Instrument zur Bekämpfung von Wirtschaftskrisen wirken.
Befürworter sehen genau darin die Kraft einer unabhängigen dezentralen Währung: Die Ausweitung der Geldmenge führt zu Inflation. Inflation bringt eine Umverteilung von unten nach oben. Kleine Sparguthaben werden aufgefressen, während eine reiche Oberschicht in Sachwerte wie Aktien, Immobilien, Kunst, etc. investiert, die sich der Inflation entziehen, weil ihr Preis einfach mit steigt.
Wenn die vorstehenden Einwände Sie nicht abschrecken, dann interessiert es Sie vielleicht, mehr über den „Crypto Space“ zu erfahren. Dieser Begriff meint die Gesamtheit aller Märkte, Investoren, Produkte und Medien, die sich mit Kryptowährungen befassen. Hier gibt es einen Jargon, dessen Beherrschung den Einstieg erleichtert und der typische Phänomene treffend beschreibt.
FOMO |
„Fear Of Missing Out“. Gefährliche Emotion. Ein Kurs schießt exponentiell in die Höhe und es entsteht das Gefühl: Alle werden reich, nur ich nicht. Die damit einhergehende Gier geht oft schief. Ursprüngliche Bedeutung als Nebenwirkung der sozialen Medien: Alle erleben tolle Dinge, nur ich nicht. |
HODL | Legendärer Tippfehler von „Holding“ und beliebte Anlagestrategie: Möglichst wenig handeln. Dahinter steht die Erwartung, dass bislang immer noch jede Technologie mit der Zeit an Akzeptanz und Verbreitung gewonnen hat. Damit würde sich der Wert marktführender Kryptowährungen immer weiter steigern. |
DYOR | „Do Your Own Research“. Das Gegenteil von kursfixierter Zockerei. Man soll sich möglichst detailliert über die technischen und wirtschaftlichen Aspekte einer Kryptowährung informieren. Wenn man diese so zu verstehen glaubt, dass sie langfristig überzeugen, kann man kaufen. Immunisiert gegen Emotionen bei der üblichen heftigen Volatilität. |
FUD | „Fear Uncertainty Doubt“. Alle Nachrichten und Theorien, die die Erwartung schnellen Reichtums im Crypto Space stören. Häufige und durchaus relevante Beispiele: „Krypto hat keinen immanenten Wert und wird auf Null fallen“. „Die Staaten werden Kryptowährungen verbieten“. „Die Währung Tether ist betrügerisch, und ihr Auffliegen wird den gesamten Markt in den Abgrund reißen“. |
KYC | “Know Your Customer”. Regel für alle Handelsplätze, die Identifikation per Ausweisdokument fordert. Schafft auch fiskalische Transparenz. |
FIAT Geld | “Es werde Geld” (lateinisch). Klassisches legales Zahlungsmittel eines Landes, dessen Menge durch die Notenbanken beeinflusst werden kann. |
GAS | Die Kosten für eine Transaktion auf der Ethereum Blockchain. Fällt leider beim Ersteigern von NFTs an und ist derzeit teuer. |
WALLET | „Geldbörse“. Software (oder Hardware) in der NFTs und Krypto-Guthaben per Public und Private Key gespeichert werden. Verliert man das Passwort, ist alles weg. |
EL SALVADOR | Das einzige Land der Welt, in dem Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel gilt und überdies die Energie eines aktiven Vulkans fürs Mining genutzt wird (kein Quatsch). |
GERMANY | Eines der wenigen Länder der Welt, in denen Kryptogewinne nach einer Haltefrist von einem Jahr noch steuerfrei sind. Derzeit keine aktiven Vulkane. |
Disclaimer: Dieser Text versucht Charakter, Stärken und Schwächen digitaler Währungen anzureißen und stellt keine Anlage- oder Steuerberatung dar.