In Erinnerung an Gösta Stoltz

von André Schulz
09.05.2019 – Der schwedische Spitzenspieler Gösta Stolz ist heute fast vergessen, obwohl er zeitweise zur erweiterten Weltspitze gehörte. Beim Europaturnier 1941 gelang ihm ein sensationeller Erfolg vor Alexander Aljechin. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 115ten Mal.

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Der schwedische Schachgroßmeister Gösta Stoltz wurde heute vor 115 Jahren, am 9. Mai 1904 in Stockholm geboren. Sein Vater war Axel Svensson Immelquist de la Nietze (1878-1956), ein Fabrikarbeiter und späterer Weltenbummler, der zum Schriftsteller wurde und seine Werke in verschiedenen Ländern der Welt unter unterschiedlichen Pseudonymen veröffentlichte. Er verließ Gösta Stoltz' Mutter Signe Hallgren zwei Monate vor der Geburt seines zweiten Sohnes. Gösta wuchs zusammen mit seinem ein Jahr älteren Bruder Axel unter schwierigen Bedingungen bei seiner Mutter und deren zweitem Ehemann Vilhard Stoltz, auf. Beide Kinder waren eine Zeit lang auch in Pflegeheimen untergebracht.

Nach der Schule arbeitete Gösta Stoltz zunächst in einem Fahrradverleih, dann als Automechaniker. Mit 15 Jahren lernte er Schach und ging regelmäßig in die Schachcafés von Stockholm. 1921 spielt er seine erste Turnierpartie für einen Schachverein. 1923 nahm er zum ersten Mal an der Schwedischen Landesmeisterschaft in Uppsala teil, allerdings nicht in der Meisterklasse.

Aus dem Jahr 1926 sind zwei Partie aus einem Städtewettkampf gegen Leningrad überliefert, bei dem Stoltz gegen den damals 15-jährigen Mikhail Botwinnik einmal remis spielte und einmal verlor.

Im Präsidenten des schwedischen Schachverbandes (von 1917-1939) Ludvig Collijn (1878-1939) fand Stoltz einen Mentor, der sein Talent erkannte und ihn finanziell unterstütze. 1926 und 1927 gewann Stoltz die Meisterschaft von Stockholm. 1927 gewann er dann auch zusammen mit Gideon Stahlberg die Meisterklasse der Schwedischen Landesmeisterschaft. Stoltz wurde in die schwedische Nationalmannschaft berufen und nahm an der ersten Schacholympiade der Geschichte 1927 in London teil. Schweden wurde Elfter von 16 Teams. Für Gösta Stoltz war es die erste von insgesamt neun Teilnahmen an Schacholympiaden.

1928 hatte Stoltz Gelegenheit, bei einer Simultanveranstaltung gegen Capablanca zu spielen, verlor aber.

Mit Hilfe von Collijn kam Stoltz 1928 in den Genuss eines Trainings mit Efim Bogoljubow zur Vorbereitung seiner Teilnahme am Jubiläumsturnier der Berliner SG. Stoltz wurde bei 14 Teilnehmern dort allerdings "nur" 11ter bis 13ter. Für die Schacholympiade 1928 in Den Haag hatte die FIDE beschlossen, dass dort keine Schachprofis teilnehmen sollten. Stahlberg und Stoltz bildeten als "Verbandsamateure" das Rückgrat der schwedischen Nationalmannschaft. Schweden landete bei 17 Teilnehmern auf Platz 13. Bei der Schacholympiade 1930 in Hamburg waren die Profis wieder zugelassen, und Stoltz, der sich inzwischen spielerisch verbessert hatte und seine Stärken im taktischen Bereich besaß, erzielte mit zehn Punkten aus 17 Partien ein sehr gutes Ergebnis.

1930 hatte Gösta Stoltz in Stockholm Gelegenheit zusammen mit Erik Lundin ein Uhrensimultan gegen Alexander Aljechin zu spielen und konnte den Weltmeister dabei besiegen. Lundin spielte remis.

 

Bei einem von Collijn in 1930 Stockholm organisierten Turnier erreichte Gösta Stoltz hinter Isaac Kashdan und zusammen mit Efim Bogoljubow den geteilten zweiten Platz. Im Anschluss gewann er noch einen Wettkampf gegen Rudolf Spielmann mit 3,5:2,5. Auch beim Turnier in Göteborg 1931 wurde Stoltz hinter Erik Lundin Zweiter, zusammen mit Salo Flohr. Einen Wettkampf in langen Partien gegen Flohr verlor Stoltz, gewann aber einen Schnellschachwettkampf. Bei der Schacholympiade in Prag war Gösta Stoltz einer der Leistungsträger der schwedischen Nationalmannschaft, die auch dank seiner 13,5 aus 18 den siebten Platz belegte.

Mit etwas Glück wurde Gösta Stoltz als Nachrücker zum Turnier nach Bled 1931 eingeladen. Eigentlich hatte Akiba Rubinstein dort spielen sollen, doch der Pole zögerte und schickte seine Zusage zu spät und so kam Gösta Stoltz in das von Hans Kmoch organisierte Turnier. Im Weltklassefeld belegte der Schwede in dem doppelrundig gespielten Turnier zusammen mit Kashdan, Vidmar und Flor einen ausgezeichneten geteilten 4. Platz. Alexander Aljechin gewann das Turnier auf mehr als überlegene Weise, mit 20,5 Punkten und 5,5 Punkten Vorsprung vor Nimzowitsch.

 

Anfang der 1930er Jahre zeigten sich bereits die ersten Folgen der ungesunden Lebensweise von Gösta Stoltz. Als starker Raucher bekam er 1932 eine Nikotinvergiftung. Außerdem sorgte sein regelmäßiger Alkoholkonsum für negative Auswirkungen auf seinen körperlichen Zustand. Trotzdem erzielte er gute Ergebnisse, landete im Mittelfeld beim Turnier in Hastings und gewann ein Turnier in Swinemünde deutlich vor Spielern wie Fritz Sämisch, Kurt Richter und Ludwig Rellstab.

Als Folge der Weltwirtschaftskrise wurden ab 1932 die Preisgelder im Schach immer geringer und Gösta Stoltz war schließlich gezwungen eine Arbeit anzunehmen, um sich und seine Familie über die Runden zu bringen. Er arbeitete nun für einige Zeit als Schlosser bei der Firma Atlas Copco in Norwegen und schickte Geld nach Hause. Als seine Frau krank wurde, musste Stoltz seinen Sohn in Pflege geben.

Die Turnierpause nutzte Stoltz zur Analyse verschiedener Eröffnungen und fand in der Tarraschvariante des Damengambits einige interessante neue Ideen, verbunden mit dem Vorstoß c5-c4. Tarrasch selber veröffentlichte zwar eine "Widerlegung" dieser Spielweise, die allerdings fehlerhaft war. Bei der Schacholympiaden in Folkstone 1933 konnten die Schweden Stoltz, Stahlberg und Lundin mit der neuen Variante dann gegen die überraschte Konkurrenz reihenweise punkten. Schweden erreichte hinter den USA und der Tschechoslowakei dank der besten Zweitwertung den dritten Platz.

1935 besuchte Alexander Aljechin erneut Schweden und spielte das Turnier in Örebro mit, bei dem er die besten schwedischen Spieler allesamt hinter sich ließ. Gösta Stoltz nächste Einsatz war auf der Schacholympiade in Warschau. Die spielstarke schwedische Mannschaft lag lange in Führung, wurde zum Schluss aber noch von den USA überholt. Schweden wurde Zweiter. Im Anschluss gewann Schweden in Sopot bei Danzig einen Länderkampf gegen die deutsche Nationalmannschaft mit 17:15. Schweden gehörte im folgenden Jahr zu den 20 Verbänden, die 1936 an der von der FIDE nicht anerkannten Schacholympiade in München teilnahmen. Die Schweden wurden dort Achte.

 

Bei der Schacholympiade im eigenen Land, 1937 in Stockholm, galten die Schweden schon als Favorit, belegten schließlich aber nur den enttäuschenden zehnten Platz. Die Goldmedaille ging wieder an die USA. Während des Turniers kam es innerhalb der schwedischen Mannschaft zu einem Eklat. Nach einem Ruhetag mit einem gemeinsamen Ausflug der Mannschaft wurde Stoltz, der auf dem Ausflug offenbar reichlich getrunken hatte, für den Wettkampf gegen Island vom Mannschaftskapitän nicht aufgestellt, um ihm Zeit zur Erholung zu geben. Stoltz war beleidigt und verließ das Team, worauf der Verband ihn für ein Jahr für alle offiziellen Turniere sperrte. Während seiner Sperre arbeitete Gösta Stoltz als Bauarbeiter, kümmerte sich aber nach Feierabend intensiv um sein Schachtraining. Nach Ende der Sperre spielte er das Collijn-Turnier in Stockholm 1938 mit und gewann es souverän.

 

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An der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires nahm Stotz nicht teil. Sein Mannschaftskollege Gideon Stahlberg war einer der Spieler, die nach dem Ende des Turniers wegen des Beginns des Zweiten Weltkrieges in Argentinien blieben.

Stoltz beteiligte sich an der 1941 in München organisierten inoffiziellen Europameisterschaft und siegte sensationell vor Alexander Aljechin. Als Preisgeld erhielt Gösta Stoltz 1000 Reichsmark und vom Bayrischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert eine Trophäe aus Meißner Porzellan im Wert von 1000 USD.

Stoltz, Rabar

 

Während des Turniers wurde auf Initiative des Großdeutschen Schachbundes ein Europaschachbund gegründet, der 1942 an gleicher Stelle eine weitere Europameisterschaft austrug. Diesmal konnte sich Weltmeister Alexander Aljechin durchsetzten. Auch beim Sechsmeisterturnier in Salzburg hatte Aljechin gewonnen, während Stotz hinter dem Sieger, Paul Keres, Klaus Junge, Pausl Felix Schmidt und Efim Bogoljubow nur Letzter wurde.

Stoltz-Junge

In den späteren Kriegsjahren hatte Stoltz kaum Gelegenheit zum Schach, wurde aber nach Ende des Krieges um so aktiver. 1946 nahm er an einer ganzen Reihe von Turnieren teil. Beim Treybal-Gedenkturnier in Prag belegte er hinter Miguel Najdorf zusammen mit mit Petar Trifunovic den zweiten Platz. In Beverwijk wurde er hinter Alberic O'Kelly de Galway ebenfalls Zweiter. Beim Staunton Memorial in Groningen erreichte er gegen starke Konkurrenz einen guten Platz im Mittelfeld.

Gösta Stoltz

Allerdings kam Gösta Stoltz auch bei einigen kleineren Turnieren in den Niederlanden nicht über Mittelfeldplätze hinaus. Mangelnde Konstanz war sicher eine der Schwächen des schwedischen Meisterspielers und seine Nähe zu den geistigen Getränken wird dabei eine Rolle gespielt haben. Sein regelmäßiger starker Alkoholkonsum macht aus Gösta Stoltz im Laufe der Zeit ein körperliches Wrack, was spätestens in den späten 1940er Jahren allgemein sichtbar wurde.

Stoltz konnte sich für die Interzonenturnieren in Saltsjöbaden 1948 und Stockholm 1952 qualifizieren, landete aber im hinteren Bereich der Tabelle, ebenso beim internationalen Turnier in Bukarest. 1951, 1952 und 1953 gewann Stotz trotz angeschlagener Gesundheit noch die schwedischen Landesmeisterschaften. 1952 spielte er die Schacholympiade in Helsinki mit und holte 50%. Auch 1954 gehörte er bei der Schacholympiade in Amsterdam zur schwedischen Mannschaft, spielte aber wegen Krankheit nur zwei Partien und musste während des Turniers in ein Krankenhaus gebracht werden. Er erholte sich nie mehr richtig und nahm nun an keinen Turnieren mehr teil. Auf ihrem Kongress 1954 verlieh die FIDE dem schwedischen Spitzenspieler den Titel eines Großmeisters.

Stoltz' letzte überlieferte Partie stammte aus einem Telegrafenwettkampf von 1960 gegen Mihail Tal.

Zeitgenossen beschreiben Gösta Stoltz als angenehme Persönlichkeit mit einem guten Sinn für Humor. Auch nach seinen großen Erfolgen entwickelte er keine Allüren und bleib bescheiden. Schach war sein Lebensinhalt.

Seine letzten Lebensjahre waren durch Krankheit und materielle Not geprägt. Stoltz wohnte bei seiner Mutter, so lange diese noch lebte, später in Männerwohnheimen. Seine Meisterschaftsmedaillen und die Trophäe, die er 1941 in München erhalten hatte, musste er verpfänden.

Gösta Stotz starb am 25. Juni 1963 in Stockholm.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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