In Gedenken an Miguel Najdorf

von André Schulz
15.04.2020 – Der argentinische Großmeister Miguel Najdorf war einer der weltbesten Spieler nach dem Zweiten Weltkrieg, eine große Persönlichkeit und zudem ein erfolgreicher Unternehmer. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 110ten Mal. | Foto: Durch National Archive

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Den Namen von Miguel Najdorf kennt jeder ernsthafte Schachspieler, denn die populärste Variante der Sizilianischen Verteidigung ist nach ihm benannt: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6. Legt man die Mega Database zugrunde, dann spielte Najdorf "seine" Variante zum ersten Mal bei der Schacholympiade in Buenos Aires gegen Christian Poulsen im Match Dänemark gegen Polen, am 18. September 1939.

 

Die Idee 5...a6 zur Vorbereitung von e7-e5 stammt wohl von Karel Opocensky, aber Najdorf machte die Variante berühmt und feierte damit zahlreiche Erfolge.

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Die Schacholympiade 1939, die erste, die außerhalb von Europa stattfand, war für Najdorf eine einschneidender Wendepunkt in seinem Leben.

Najdorf kam als Mieczyslaw Najdorf am 15. April 1910 in einer jüdischen Familie in Warschau zur Welt. Mit dem Schachspiel hatte er als 12-Jähriger begonnen. Savielly (Ksawery) Tartakower war seiner erster Lehrer. Als 22-Jähriger bewies Najdorf sein großes Talent, als er zwei Partien gegen Alexander Aljechin remis halten konnte.

1935 spielte Najdorf hinter Tartakower und Paulin Frydman am 3. Brett bei der Schacholympiade in Warschau und holte mit der Mannschaft die Bronzemedaille. Najdorf holte 12 aus 17 und war fünftbester Spieler an seinem Brett.

Die polnische Mannschaft 1935, Najdorf ist Zweiter von rechts 

1936 war Polen eine der Föderationen, die an der Schacholympiade in München teilnahmen. Diese Olympiade wurde mit 21 Mannschaften an acht Brettern im Modus jeder gegen jeden gespielt. Najdorf spielte hinter Frydman an Brett zwei und gewann mit 16 Punkten in 20 Partien die Goldmedaille an seinem Brett. Die Mannschaft gewann Silber hinter Ungarn und vor Deutschland. Wegen der rassistischen Politik der regierenden Nationalsozialistischen Partei in Deutschland erkannt die FIDE diese Olympiade nicht als offiziell an, stellten den Föderationen aber frei dort teilzunehmen. Bei der Schacholympiade in Stockholm 1937 gewann Polen mit Naidorf an Brett zwei Silber.

Während der Schacholympiade in Buenos Aires begann der Zweite Weltkrieg. Am 1. September 1939 war die deutsche Reichswehr in Polen eingefallen. Das Turnier wurde noch zu Ende gespielt. Danach bleiben viele der europäischen Spieler in Südamerika, einige für die Kriegszeit, einige für immer. Für Najdorf als Jude war eine Rückkehr in seine Heimat unmöglich. Er blieb in Argentinien. Najdorf selbst überlebte so den Holocaust, verlor aber seine Frau, sein Kind, Vater, Mutter und vier Brüder in den Konzentrationslagern der Nazis. Während des Krieges, 1940, gab er in Argentinien eine Aufsehen erregende Blindsimultanveranstaltung. Er spielte gegen 45 Gegner gleichzeitig, gewann 39 Partien, verlor 2 und spielte 4 remis. Später, in einem Interview im Jahr 1972, erzählte er, dass er die Veranstaltung in der Hoffnung unternommen habe, dass man auch in Deutschland, Polen und Russland darüber berichten würde, damit seine Familie von ihm erführe und mit ihm Kontakt aufnehmen könnte. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht.

1944 nahm Najdorf die argentinische Staatsbürgerschaft an. Aus Mieczyslaw wurde Miguel Najdorf. Zwischen 1949 und 1975 gewann er sieben Mal die argentinische Landesmeisterschaft und vertrat von nun an Argentinien bei den Schacholympiaden am Spitzenbrett. Zwischen 1950 und 1954 gewann die argentinische Mannschaft, die mit den Immigranten nun eine der besten der Welt war, dreimal Silber hinter der übermächtigen UdSSR. Najdorf (1), Bolbochan (2) und der gebürtige Deutsche Herman Pilnik (Res.) holten an ihren Brettern bei der ersten Nachkriegsolympiade in Dubrovnik 1950 die Goldmedaille. Najdorf wiederholte diesen Erfolg in Helsinki 1952. Auch bei der Schacholympiade 1939 war Najdorf schon bester Spieler an seinem Brett gewesen, damals für sein Heimatland Polen.

Zu Najdorfs Einzelerfolgen zählen Turniersiege bei den Turnieren in Prag 1946, Venedig 1948, Bled 1950, Amsterdam 1950, Mar del Plata 1959 und Havanna 1961. 1950 ernannte die FIDE ihn zum Großmeister.

Najdorf (mitte), beim Turnier in Amsterdam 1950

Der Statistiker Jeff Sonas sieht Miguel Najdorf in seiner rückwirkend ausgerechneten Weltrangliste als zweitbesten Spieler der Welt in den ersten Nachkriegjahren zwischen 1946 bis 1948, hinter Michail Botwinnik. Aber als der Wettkampf UdSSR gegen den Rest der Welt ausgetragen wurde, 1970 in Belgrad, war Najdorf als einer der weltbesten Spieler immer noch dabei und gestaltet seinen Wettkampf gegen Tal unentschieden. Najdorf war inzwischen immerhin schon 60 Jahre alt. Vlastimil Hort hat in einer seiner zahllosen Anekdoten kürzlich von einer durchspielten Blitznacht in einem Zimmer im Belgrader Hotel berichtet, in der sich neben den Giganten Fischer und Najdorf in seinem Schachverständnis sehr klein vorkam - und Hort war in dieser Zeit selbst einer der weltbesten Spieler!

Bei Turnieren hatte Najdorf die Angewohnheit, andere Spieler in Bezug auf seine eigene Partie anzusprechen: "Wie stehe ich?", lautete die Frage. So ging er bei einem Turnier wieder einmal auf einen Spieler zu, der in der Nähe stand: "Wie stehe ich?", doch sein Ansprechpartner blieb stumm: Najdorf hatte geistesabwesend seinen Gegner der laufenden Partie angesprochen, Isaak Boleslavsky.

Najdorf und Polugajevsky, vermutlich 1994

1962 spielte Najdorf in Havanna. Zu den täglichen Besuchern gehörten Fidel Castro und Che Guevara, beide große Schachfans. Najdorf wurde gefragt, ob er zwischen den Runden ein Blindsimultan gegen Mitglieder der kubanischen Regierung geben könne.

Fidel Castro, Panno, Najdorf

Najdorf sagte zu. Am ersten Brett spielte Fidel Castro, am zweiten sein Bruder Raoul, am dritten Kubas Präsident Oswaldo Dortiicos. Es folgten weitere Regierungsmitglieder, am achten Brett saß Che Guevara. Die Partie gegen Castro endete remis. An den anderen Brettern stand Nadorf gut, außer an Brett acht. Er bot deshalb Che Guevara ebenfalls Remis an.

Najdorf und Che Guevara

Doch der lehnte ab: "Remis? Niemals. Sie haben wohl vergessen, dass wir schon einmal gegeneinander gespielt haben. Das war 1947 in Mar del Plata. Als Medizinstudent bekam ich von ihnen im Simultan ein furchtbares Matt in wenigen Zügen serviert. Viele Jahre habe ich davon geträumt, eine Revanche zu bekommen. Diese Partie hier muss entschieden werden, so oder so. Remis gibt es nicht!" Najdorf gewann und Che Guevara gratulierte herzlich.

Najdorf spielte im Laufe seiner Karriere gegen zahlreiche Weltmeister und konnte einige von ihnen, nämlich Michail Botvinnik, Wassili Smyslov, Michail Tal, Tigran Petrosjan und auch Robert Fischer, schlagen. Seine zweite Liebe galt dem Bridgespiel. Auch hier hat er gegen alle Weltmeister seiner Zeit ab Capablanca gespielt.

Najdorf war zudem ein geistreicher und witziger Gesprächspartner und Kommentator. Für die renommierte argentinische Tageszeitung Clarin führte er eine unterhaltsame Schachkolumne.

Miguel Najdorf

Miguel Najdorf war nicht nur als Schachspieler erfolgreich, sondern auch als Unternehmer. Er verschaffte sich schon in den 1940 Jahren eine Lizenz als Alleinimporteur für nahtlose Damenstrümpfe und legte damit den Grundstein für sein Vermögen. Später war er Repräsentant für Versicherungen und Finanzunternehmen. In den 1950er Jahren verdiente er sehr viel Geld mit Ölgeschäften in Venezuela. In den 1960er und 1970er Jahren galt Najdorf als reichster Schachprofi überhaupt.

Seine Partie gegen Glücksberg aus dem Jahr 1930 gilt als einer der besten Partien der Schachgeschichte:

 

Miguel Najdorf starb am 4.Juli 1997 in der Universitätsklinik in Malaga (Spanien) in Folge von Komplikationen während einer Operation.

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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