In Tromsø wurde gewählt

von André Schulz
13.08.2014 – Am Montag begann in Tromsø ein Wahlmarathon, der erst heute mit der Wahl der Vizepräsidenten seinen Abschluss fand. Nach einem schmutzigen Wahlkampf, von dem viele glauben, dass er dem Schach geschadet habe, siegte Ilyumzhinov klar gegen Kasparov. Asmaiparashvili löst Danailov als ECU-Präsident ab. Heute wurde DSB-Präsident Bastian als einer der Vize-Präsidenten gewählt. Mehr...

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Am Montag war Wahltag in Tromsø. Um 9 Uhr morgens begann die FIDE Assembly mit anschließender Wahl des FIDE-Präsidenten. Zur Wahl stellten sich Kirsan Ilyumzhinov, der das Amt seit 1995 inne hat, also inzwischen nicht weniger als 19 Jahre, und der frühere Weltmeister Garry Kasparov. Kasparov stand schon hinter der Kandidatur von Anatoli Karpov vor vier Jahren und hat bereits in den 1980er Jahren verschiedene Anläufe unternommen, mit von ihm unterstützten Kandidaten den damaligen Präsidenten Florencio Campomanes aus dem Amt zu jagen - immer ohne Erfolg. Diesmal trat der charismatische Russe, in Baku geboren und inzwischen nach Kroatien ausgewandert, erstmals selber an.

Während Ilyumzhinov zum inneren Kreis der russischen Nomenklatur gehört und dort seit seiner Moskauer Studienzeit eng vernetzt ist, hat Kasparov sich nach dem Ende seiner Profikarriere als Oppositionspolitiker gegen den russischen Staatspräsidenten Putin gestellt. Er wurde mehrfach verhaftet, sogar einige Tage eingesperrt. Inzwischen hat er in Russland seine Sachen gepackt und ist offiziell nach Kroatien ausgewandert. Mit einem Bein lebt Kasparov allerdings schon seit langem in New York, ist dort etabliert und hat nun in den USA mit dem Milliardär und Schachsponsor Rex Sinquefield, Finanzier des St. Louis Chess- und Scholastic Center, einen finanzstarken Unterstützer gefunden.

Im Wahlkampf, der seit mehr als einem Jahr tobte, wurde reichlich schmutzige Wäsche gewaschen. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig der Korruption und Vetternwirtschaft und veröffentlichten Dokumente, die diese Vorwürfe belegen sollten. Die Skeptiker befürchten, dass beide Seiten recht haben und dass es vermutlich noch schlimmer sein könnte, als man denkt.

Pressekonferenz des Kasparov-Teams

Kasparov kritisierte das Wahlsystem und insbesondere das von der FIDE zugelassene "Proxy"-Verfahren: Delegierte, die nicht dabei sind, können ihre Stimme an einen anderen Delegierten übertragen. Schon vor vier Jahren hatte Kasparov eine sehr teure US-amerikanische Kanzlei beauftragt, gegen die FIDE-Wahlstatuten juristisch vorzugehen und auch bei dieser Wahl sah sich die FIDE erneut mit verschiedenen juristischen Aktionen der Kasparov-Seite konfrontiert. Mit diesen zwingt Kasparov den Weltschachbund wieder in einen juristischen Zermürbungskrieg, der beide Seiten viel Geld kosten wird. Laut FIDE rufen die Anwälte von Kasparovs New Yorker Kanzlei 750 Dollar pro Stunde als Honorar auf. Die FIDE will dagegen halten, um nicht unter die Räder zu kommen, und hat dadurch ebenfalls reichlich Unkosten.

Kasparov überall in Tromsø zu sehen

Als Kasparov seine Kampagne startete, war er in Bezug auf seine Gewinnchancen noch recht zuversichtlich. Mit Hilfe seiner Stiftung "Kasparov Chess Foundation" organisierte er sich eine Reihe von Verbündeten auf den verschiedenen Kontinenten und besetzte so die geostrategischen Schlüsselpositionen. In Europa arbeitete er mit Silvio Danailov zusammen, besonders auf dem Feld "Schach in der Schule", und erreichte, dass das EU-Parlament in Brüssel nach einer Abstimmung Schach als Schulfach für alle Mitgliedsländer empfahl. Bindende Wirkung hat das nicht, trotzdem war dies ein netter Publicity-Erfolg für das Schach.

Ein besonderer Coup gelang Kasparov, als er mit Ignatius Leong einen langjährigen Gefolgsmann von Ilyumzhinov in sein Boot holen konnte. Leong gilt als potenter Stimmensammler in Asien.

Ignatius Leong, li., hier beim Schach mit Albert Vasse

Allerdings war der Seitenwechsel mit der Zahlung gewisser Summen verbunden. Der Vertrag zwischen der asiatischen Schach-Organisation, der Leong vorsteht, und Kasparovs Chess Foundation gelangte an die Öffentlichkeit - es sollte nicht wundern, wenn dafür FIDE-Gefolgsleute gesorgt hatten. Das warf kein gutes Licht auf die Verbindung zwischen Kasparov und Leong, auch wenn die beiden in Pressekonferenzen betonten, dass es sich hier um eine ganz normale Transaktion zwischen zwei Firmen im Rahmen der Unterstützung des Schachs in Asien handelte.

Die FIDE und Kasparov hatten in der Expo-Halle der Schacholympiade in Tromsø Stände aufgebaut - Kasparovs Stand war doppelt so groß wie der FIDE-Stand - und buhlten mit Geschenken um die Gunst der Schachfreunde und Delegierten. Die Kandidaten, Kasparov und Ilyumzhinov, waren häufig selber anwesend, gaben Autogramme oder signierten Bücher und ließen sich mit ihren Fans fotografieren.

Kasparov im TV ChessBase Studio

Daniel King interviewt Kirsan Ilyumzhinov

In der übrigen Zeit ließ sich Ilyumzhinov durch seine rechte Hand Berik Balgabaev vertreten, während am Kasparov-Stand Nigel Short an seinen spielfreien Tagen für Gespräche bereit stand.

Nigel Short, Kasparovs langjähriger Kampfgefährte

An einem weiteren Stand warb Silvio Danailov für seine ECU-Kandidatur. Gleich daneben war ein kleiner Stand für die Olympiade-Bewerbung Batumis für 2018 aufgebaut, den Zurab Asmaiparashvili für seine Kandidatur nutzte.

Am Montag-Vormittag gab es auf der FIDE-Vollversammlung eine hitzige Debatte, bei der Kasparov und seine Unterstützer, darunter Nigel Short, die Vorwürfe gegen die FIDE noch einmal lautstark in Anwesenheit der Delegierten vortrugen.

FIDE-Kongress

Das alte FIDE-Präsidium

Diskussion mit Kasparov

Viele bekannte Gesichter: Malcolm Pein, David Levy, Susan Polgar, Andrew Paulson

Zwischendurch entstand immer wieder ein ordentliches Tohuwabohu - es wurde um Rederechte und Redezeiten gefeilscht und in die Versammlung gerufen. Kasparov versprach den Delegierten im Falle seiner Wahl 10 Millionen Dollar, die er mit Hilfe seiner Sponsoren in die Entwicklung des Schachs investieren wolle. Ilyumzhinov hielt jedoch dagegen und versprach die doppelte Summe, 20 Millionen Dollar, an Unterstützung - gleich heute -, außerdem 500.000 Dollar als Entwicklungshilfe für Afrika, bot Nigel Short dabei nonchalant den Vorsitz in einer entsprechenden Gesellschaft an und verkündete, 100.000 Dollar für die Kasparov Chess Fundation spenden zu wollen, was die Delegierten zu Jubelstürmen hinriss.

Diese wussten noch nicht, dass Ilyumzhinov in einem Interview mit dem norwegischen Fernsehen dieses Versprechen später deutlich relativieren würde, indem er darauf hinwies, dass von der versprochenen Summe ja bereits 19,5 Millionen Dollar in der Vergangenheit gezahlt worden seien. Angesichts der lautstarken Zustimmung für Ilyumzhinov spürte Kasparov schon, so gab er später in einem Interview an, dass die Wahl für ihn wohl nicht wie erhofft verlaufen würde. Schließlich schritten die Delegierten zur Abstimmung, die von einer sechsköpfigen Jury - bestehend aus je drei Mitglieder des Ilyumzhinov-Teams und der Kasparov-Mannschaft - überwacht wurde.

In der Vergangenheit hat es bei FIDE-Wahlen immer wieder den Verdacht der Korruption gegeben. FIDE-Delgierten sei nicht nur Unterstützung für ihre Verbände versprochen, sondern auch Umschläge mit Bargeld für die "richtige" Wahl übergeben worden. Einige Zehntausend Dollar wären angeblich in der Vergangenheit schon einmal für eine Stimme gezahlt worden, wurde behauptet.

Bei der FIDE-Wahl 2006 in Turin, als Bessel Kok gegen Kirsan Ilyumzhinov antrat, machte das Gerücht die Runde, dass die Delegierten als Beweis für ihre "richtige" Wahl ein Handy-Foto per SMS an eine bestimmte Nummer geschickt hätten. Inzwischen ist es verboten, Mobiltelefone mit in die Wahlkabine zu nehmen. Und sogar die Art und Weise, wie das Kreuz auf dem Stimmzettel und der dafür vorgesehenen, mit einem Quadrat markierten, Stelle zu machen ist, ist jetzt reglementiert. Zugelassen ist ein "X" und ein "+", außerdem noch ein gleichschenkliges "V", wobei in allen drei Fällen beide Striche die Linien der quadratischen Umrandung berühren müssen.

Alle anderen Markierungen sind untersagt und werden als ungültig gezählt. Der Grund für diese strengen Vorschriften ist darin zu suchen, dass "geschmierte" Delegierte und ihre Auftraggeber sonst vielleicht durch einen speziellen Zeichen-Code verabreden könnten, dass dieser Delegierte auch tatsächlich seiner bezahlten "Pflicht" nachgekommen ist. So etwas will man verhindern. Als normaler naiver Wahlberechtigter, der zum Beispiel schon mal an einer Bundestagswahl teilgenommen hat und das dort praktizierte Verfahren kennt, kann man sich nur wundern.

Etwa um 16 Uhr am Montag drang das Ergebnis der Wahl auch zu den Spielern in der Spielhalle durch. Die Auszählung ergab ein klares Ergebnis von 110:61 zugunsten von Ilyumzhinov. Kasparov erhielt damit absolut ein paar Stimmen mehr als Karpov und Bessel Kok bei den Wahlen zuvor, doch da diesmal sehr viele Delegierte an der Wahl teilnahmen, war sein prozentuales Ergebnis sogar noch schlechter als das seiner Vorgänger. Wie man hört sollen auf dem Amerikanischen Kontinent nur zwei Verbände für Kasparov gestimmt haben, in Asien ca. zehn, in Europa weniger als 20 der über 50 Verbände, darunter die baltischen und skandinavischen Länder. Die übrigen Stimmen hat Kasparov in Afrika geholt.

Ilyumzhinov mit den Helferinnen seines Standes

Auch die Wahl der European Chess Union wurde vom Kasparov-Team in Bausch und Bogen verloren. Hier war Silvio Danailov sogar Amtsinhaber, was bei allen Wahlen ein gewisser Vorteil ist. Doch der Bulgare hat in seiner undiplomatischen Art viele in Europa vor den Kopf gestoßen und in seiner vierjährigen Amtszeit wenig Erfolge vorzuweisen. Sein ECU-Exekutivdirektor Sakotic wurde von seinem eigenen Verband wegen Korruption angezeigt und ist nicht nach Tromsø gereist. Auch dies hat Danailov und Kasparov geschadet. Zurab Asmaiparashvili, mit einer Millionen Euro an georgischen Sponsorengeldern im Rücken, hatte keine Mühe, die Wahl mit 33:18 für sich zu entscheiden. Dass der Georgier tatkräftig zur Sache schreiten will, mag man dem Umstand entnehmen, dass die offizielle ECU-Seite schon gleich nach der Wahl geändert und der neue Vorstand dort eingetragen wurde.

Insgesamt verlief die Sitzung der ECU-Delegierten doch um einiges gesitteter als die Generalversammlung der FIDE. Kasparov unternahm dort mehrere Anläufe zu den Delegierten zu reden, wurde aber von der leitenden ECU-Generalsekretärin Sava Stoisavljevic in die Schranken verwiesen, da nur ECU-Delegierte hier Rederecht haben. Das ist pikant, da Sava Stoisavljevic zum Ticket von Danailov und damit zur Kasparov-Mannschaft gehörte. Doch so sind die Regeln. Alles korrekt.

Der Deutsche Schachverband hätte gerne Danailov als Präsidenten gesehen, denn zu dessen Ticket gehörte mit Horst Metzing der langjährige Geschäftsführer des Deutschen Schachbundes. In Bezug auf die FIDE-Wahl hat das Präsidium des Schachbundes zwar eine Entscheidung darüber getroffen, wem DSB-Präsident Herbert Bastian seine Stimme geben sollte, macht aber ansonsten von seinem Recht der geheimen Abstimmung Gebrauch.

Zwar hatte Kasparov eine für ihn unerwartet klare Niederlage hinnehmen müssen, doch so schnell wollte er die Partie nicht aufgeben. Bei der Kontintental-Versammlung der Afrikaner ging es in Anwesenheit von Kasparov am Dienstag und Mittwoch so hoch her, dass die Versammlung zweimal ohne Wahl eines Präsidenten abgebrochen werden musste. Da der Tagesordnungspunkt der FIDE "Wahl der Kontinentalpräsidenten" damit noch nicht abgeschlossen war, konnte der nächste Punkt "Ernennung und Wahl der Vizepräsidenten" noch nicht stattfinden. Die Kandidaten, darunter der Präsident des russischen Verbandes Andrey Filatov, mussten warten und waren ziemlich angefressen. Einige mutmaßten, dass Kasparov mit Absicht den Fortgang der Versammlung aufhalte, um formale Gründe für die Anfechtung des Ergebnisses zu erzeugen.

Am Ruhetag der Schacholympiade, am Mittwoch, wurden dann aber doch die Vizepräsidenten gefunden, wobei nun fünf Vizepräsidenten vom Präsidenten ernannt und fünf Vizepräsidenten gewählt wurden. Früher wurden die Vizepräsidenten nur ernannt.

Die ernannten Vizepräsidenten sind Chu Bo (CHN), Israel Gelfer (ISR), Boris Kutin (SLO), Khalifa Al-Hitmi (QAT) and Gülkız Tulay (TUR). In dieser Liste fehlt zum Beispiel Ali Nihat Yacizi, der 15 Jahre lang im FIDE-Präsidium mitgewirkt hat. Als Vizepräsidenten gewählt wurden Andrey Filatov, DV Sundar, Beatriz Marinello, Mohammed Kambouzia und schließlich DSB-Präsident Herbert Bastian.

Die Anhänger von Ilyumzhinov und Kasparov bewerten das Ergebnis der Wahl naturgemäß ganz unterschiedlich. Viele, darunter Herbert Bastian, sind jedoch der Meinung, dass der schmutzige Wahlkampf dem Schach geschadet habe. In diesem Sinne ist das beste Ergebnis der Wahl, dass sie nun vorüber ist.

Fotos: André Schulz, Pascal Simon, Paul Truong

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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