ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Dieses Projekt ist eine Zusammenarbeit der Karl-Franzens-Universität Graz und der Sheffield University sowie Northumbria University in Großbritannien. Ziel dieses Projekt ist es, neue Einsichten zu jenen Faktoren zu gewinnen, die für eine erfolgreiche Schachkarriere förderlich sind.
Die Autoren betrachten hierbei nicht nur kognitive Fähigkeiten (wie z.B. räumliches Vorstellungsvermögen), sondern auch emotionale Kompetenzen, Motivation, Persönlichkeit und verschiedene Trainingstätigkeiten.
In diesem Projekt sind alle interessierten Klub- bzw. Turnier-Schachspieler/innen zu einer Online-Umfrage eingeladen, die ca. 35 bis 45 Minuten Zeit in Anspruch nimmt und in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Alle Teilnehmer/innen erhalten auf Wunsch ein individuelles Feedback zu ihren Ergebnissen im Vergleich mit anderen internationalen Schachspieler/innen.
Die Autoren sind der Überzeugung, dass dieses Projekt für den Schachsport sehr bedeutsam ist. Erstens werden die neuen Erkenntnisse zur Entwicklung von Schachexpertise Implikationen für effektives Schachtraining haben. Und zweitens können die teilnehmenden Spieler/innen durch das individuelle Feedback ihre eigene Schachkarriere besser verstehen.
Für dieses Projekt haben wir eine eigene Website (deutsch: https://chess-study.uni-graz.at/de/; englisch: https://chess-study.uni-graz.at/en/) eingerichtet, auf der auch nähere Informationen zu finden sind.
Von Merim Bilalic, Roland Grabner und Nemanja Vaci
Die meisten Menschen glauben, dass Intelligenz und Training notwendig sind, um ein komplexes, intellektuelles Spiel wie Schach zu meistern. Nur wenige dürften behaupten, nur einer dieser beiden Faktoren spiele eine Rolle. Trotzdem verbringen Laien als auch Wissenschaftler/innen viel Zeit damit, die Vorherrschaft einer dieser beiden Faktoren zu diskutieren. Eine unserer Meinung nutzlose und unproduktive Diskussion (Bilalić, 2017). Anstatt sich auf einen der beiden Faktoren zu fokussieren, sollte deren Zusammenspiel untersucht werden. Genau dieser Frage sind wir in einer längsschnittlichen Studie zur Schachkarriere über die Lebensspanne nachgegangen (die vollständige Studie finden Sie unter folgendem Link: https://www.pnas.org/content/116/37/18363.full)
Die hier präsentierte Studie ist nur der erste Schritt für ein besseres Verständnis der Entwicklung von Schachexpertise. Neben Intelligenz und Training untersuchen wir derzeit auch die Bedeutung anderer Faktoren wie Persönlichkeit, Emotionen und Motivation. Hierzu führen wir eine internationale Online-Umfrage durch, zu der wir Sie gerne einladen würden.
Das Bearbeiten der Umfrage dauert 30-45 Minuten und wir bieten Ihnen ein persönliches Feedback an, das Ihnen helfen könnte, die Faktoren für Ihre eigene Entwicklung im Schach besser zu verstehen.
Intelligentere Menschen sind schneller in der Lage, Relationen zwischen Objekten in einer Umgebung zu erfassen, was ihnen einen Vorteil bei Spielen mit komplexen Umgebungen wie Schach bringt (Deary, 2011). Die bisherige Forschung zeigt, dass intelligentere Spieler im Schnitt eine höhere Spielstärke aufweisen. Zur Frage, wann genau Intelligenz ins Spiel kommt, liefert unsere Studie erste Erkenntnisse.
Insbesondere hat sich gezeigt, dass Intelligenz vor allem beim Erlernen des Spiels von großer Bedeutung ist. Im Gegensatz dazu scheint bei erwachsenen Spieler/innen, im Speziellen bei Spieler/innen auf Expertenniveau (über Elo 2000), Intelligenz keinen Einfluss auf die Spielstärke zu haben (Burgoyne et al., 2016).
Einer der Gründe für diese unterschiedlichen Einflüsse der Intelligenz ist die Häufigkeit des Trainings der Personen. Theoretisch macht es Sinn, dass intelligentere Menschen in derselben Zeit mehr und schneller lernen als weniger intelligente Personen. Doch in der Praxis hängt die in eine Aktivität investierte Zeit von vielen verschiedenen Faktoren ab. Im Laufe der Jahre überlagern und überholen die Unterschiede im Training möglicherweise die Intelligenz. Bei Kindern und Amateuren, wo der Unterschied im Training zwangsläufig gering ist, übt Intelligenz noch einen beträchtlichen Einfluss aus. Bei Erwachsenen und erfahrenen Spieler/innen, könnte ein Mehr an Training eine geringere Intelligenz kompensieren. Generell ist Training ein guter Prädiktor für Expertise in Schach (Macnamara et al., 2014).
Gemeinsamer Einfluss von Intelligenz und Training auf die Entwicklung im Schach
In unserer Studie (Vaci et al., 2019) untersuchten wir die Spielstärkeentwicklung von 90 Schachspieler/innen über einen Zeitraum von 20 Jahren. Da das Alter der Spieler/innen variierte, konnten wir Aussagen über die gesamte Lebensspanne treffen.
Zunächst untersuchten wir, wie Intelligenz und Training als Einzelfaktoren die Entwicklung der Spielstärke über die Lebensspanne beeinflussen. Unser Fokus lag auf der numerischen Intelligenz, die den Umgang mit Zahlen beschreibt, da diese Art von Intelligenz am engsten mit Schachexpertise zusammenhängt (Burgoyne et al., 2016; Gobet & Campitelli, 2007). Die Anzahl an gespielten Turnieren pro Jahr zogen wir als einen Indikator des individuellen Trainings heran. Obwohl Turnierspiele nicht die gesamte Trainingszeit abbilden, hat sich dennoch gezeigt, dass diese stark mit der Trainingsdauer korrelieren (Howard, 2012).
Zur Illustration der Ergebnisse, nehmen wir zwei hypothetische Gruppen von Spieler/innen, eine mit durchschnittlicher Intelligenz (IQ von 100), und eine mit höherer Intelligenz (IQ von 120).
Die untenstehende Grafik zeigt, dass intelligentere Spieler/innen (IQ von 120) bei gleichem Trainingsausmaß (gleich vielen Turnierspielen) tendenziell besser als die durchschnittlichen Kolleg/innen (IQ von 100) spielen. Die Unterschiede sind am Höhepunkt der Schachkarriere, mit rund 30 Jahren, sowie später in der Karriere, mit rund 60 Jahren, am größten.
Wenn wir zwei hypothetische Gruppen von Spieler/innen nehmen, die bei gleicher Intelligenz (IQ von 100) unterschiedlich viel trainierten (60 Turniere vs. 20 Turniere pro Jahr), ergibt sich folgendes Bild. Im Gegensatz zu Intelligenz hat das Trainingsausmaß den größten Einfluss am Beginn der Karriere, zwischen 10 und 30 Jahren. Der große Einfluss des Trainings verschwindet anschließend (siehe untenstehende Grafik).
Wichtiger als die Untersuchung der Bedeutung beider Einzelfaktoren ist allerdings das Verständnis, wie beide Faktoren über die Lebensspanne zusammenspielen.
Früh, im Alter von 20 Jahren, zeigen intelligentere Spieler/innen bei niedrigem bis mittlerem Trainingsausmaß eine steilere Entwicklung der Spielstärke. Bei einem intensiveren Training (über 20 Spiele pro Jahr), verschwindet der Einfluss der Intelligenz allerdings. In anderen Worten: ein Nachteil in der Intelligenz kann mit einem Mehr an Training zu Beginn der Karriere leicht kompensiert werden.
Im Alter von 35 Jahren, wenn Spieler/innen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere sind, finden wir ähnliche Ergebnisse. Bei wenig Trainingszeit entwickeln sich die intelligenteren Spieler/innen besser. Allerdings verschwindet der Vorteil hier auch, wenn sich die Trainingszeit erhöht.
Im höheren Alter sieht die Situation anders aus. Hier erhöht sich der Unterschied in den Intelligenzgruppen mit mehr Trainingszeit. In anderen Worten: Ein Mehr an Training kann eine geringere Intelligenz nicht mehr kompensieren.
Die nicht sehr überraschende Schlussfolgerung ist, dass sowohl Intelligenz als auch Training wichtige Faktoren für das Verbessern der Spielstärke im Schach sind.
Für sich allein gestellt, können sie aber nur gewisse Aspekte erklären. Zum Beispiel hat Training seinen stärksten Effekt am Beginn, Intelligenz hingegen am Höhepunkt sowie zu späteren Zeitpunkten der Schachkarriere.
Gemeinsam erklären Sie die Veränderung der Spielstärke im Laufe eines Lebens besser als für sich allein betrachtet.
Was bedeutet dieses Ergebnismuster für die Schach-Ausbildung? Das Ergebnis, dass Training den stärksten Effekt am Beginn einer Karriere hat, bedeutet, dass jede Erhöhung des Trainings zu Beginn spürbare Verbesserungen nach sich zieht. Damit kann Schach zum Beispiel ein wertvolles Werkzeug für die Entwicklung von Selbstvertrauen bei Kindern sein.
Verfügen Personen bereits über mehr Wissen und spielen auf höherem Niveau, wird das Training nicht immer zu sichtbaren Verbesserungen führen. Hier geht es oft darum, neue Wege mit herausfordernden Situationen zu finden, wofür Intelligenz und Motivation förderlich sein dürften.
Abschließend zeigen die Ergebnisse die entscheidende Rolle von Training und Intelligenz im hohen Alter auf. Es ist durchaus bekannt, dass (intellektuelle) Aktivität im höheren Alter dazu beiträgt, die kognitive Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten (Baumgart et al., 2015). Schach ist ohne Zweifel eine Aktivität, die alle wichtigen Komponenten aufweist, um den geistigen Zerfall im Alter zu verlangsamen. Unsere Ergebnisse zeigen dennoch, dass Training besonders in Kombination mit höherer Intelligenz förderlich für eine hohe Spielstärke ist.
Unser Wissen über die Bedeutung von unterschiedlichen Faktoren und deren Zusammenspiel bei der Entwicklung von Schachexpertise steht leider noch am Anfang. Die hier präsentierte Studie untersuchte erstmalig die Faktoren Intelligenz und Training über die Lebensspanne. Um mehr über die Bedeutung weiterer Faktoren zu erfahren, wären wir Ihnen mehr als dankbar, wenn Sie an folgender 30-45 minütigen Online-Umfrage teilnehmen würden. Dadurch haben Sie auch die Möglichkeit, neue Einblicke in ihre eigene Schachkarriere zu bekommen.
https://chess-study.uni-graz.at/de/
Bios:
Merim Bilalić ist Professor für kognitive Psychologie an der Universität Northumbria, Newcastle. Er erhielt seinen PhD in experimenteller Psychologie an der Universität Oxford und hatte in der Folge Forschungs- und Lehrpositionen an der Humboldt-Universität Berlin, Deutschland, der Universität Brunel in London, UK, der Universität Tübingen, Deutschland, und der Universität Klagenfurt, Österreich. Seine Forschung zur kognitiven Flexibilität bei Schachexperten gewann den Preis Outstanding Doctoral Research Contribution to Psychology der britischen Gesellschaft für Psychologie. Sein letztes Buch, „The Neuroscience of Expertise“, wurde von der Cambridge University Press 2017 veröffentlicht. Er hält den FIDE Meister Titel und war in der Jugend (u20) Meister in Bosnien und Herzegowina 1996.
Roland Grabner ist Professor für Begabungsforschung am Psychologieinstitut der Universität Graz, Österreich. Davor arbeitete er unter anderem am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, Deutschland, an der Technischen sowie Medizinischen Universität Graz, Österreich, und an der ETH Zürich, Schweiz. Von 2012 bis 2014 war er Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Göttingen, Deutschland.
Sein Hauptinteresse liegt in kognitiven und neuronalen Grundlagen bei individuellen Begabungs-Unterschieden sowie Lernen mit einem speziellen Fokus auf Mathematik. Zusätzlich forscht er zur Entwicklung von Expertise und dem Potenzial nicht-invasiver Gehirnstimulation zur Unterstützung von Lernprozessen. 2007 erhielt Roland H. Grabner den Wissenschaftspreis der Karpow Schach Akademie für seine psychologische und neuropsychologische Forschung an Schach-Expertise.
Nemanja Vaci ist Lektor/assistierender Professor am Institut für Psychologie an der Universität in Sheffield, UK. Er schloss das Doktorat an der Alpen-Adria Universität in Klagenfurt, Österreich, ab und war danach als Postdoc am Institut für Psychiatrie an der Universität in Oxford, UK, tätig. Seine Forschung konzentriert sich auf das Verstehen und Beschreiben von Veränderungen in der Leistung während des Lebens. Er ist interessiert an der Entwicklung von Expertise und daran, wie Wissen und Fähigkeiten den altersbedingten Abbau verringern können.
Literatur
Baumgart, M., Snyder, H. M., Carrillo, M. C., Fazio, S., Kim, H., & Johns, H. (2015). Summary of the evidence on modifiable risk factors for cognitive decline and dementia: A population-based perspective. Alzheimer’s & Dementia, 11(6), 718–726. https://doi.org/10.1016/j.jalz.2015.05.016
Bilalić, M. (2017). The neuroscience of expertise. Cambridge University Press.
Burgoyne, A. P., Sala, G., Gobet, F., Macnamara, B. N., Campitelli, G., & Hambrick, D. Z. (2016). The relationship between cognitive ability and chess skill: A comprehensive meta-analysis. Intelligence, 59, 72–83.
Deary, I. J. (2011). Intelligence. Annual Review of Psychology, 63(1), 453–482. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-120710-100353
Gobet, F., & Campitelli, G. (2007). The role of domain-specific practice, handedness, and starting age in chess. Developmental Psychology, 43(1), 159.
Howard, R. W. (2012). Longitudinal effects of different types of practice on the development of chess expertise. Applied Cognitive Psychology, 26(3), 359–369.
Macnamara, B. N., Hambrick, D. Z., & Oswald, F. L. (2014). Deliberate practice and performance in music, games, sports, education, and professions: A meta-analysis. Psychological Science, 25(8), 1608–1618.
Vaci, N., Edelsbrunner, P., Stern, E., Neubauer, A., Bilalić, M., & Grabner, R. H. (2019). The joint influence of intelligence and practice on skill development throughout the life span. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(37), 18363–18369. https://doi.org/10.1073/pnas.1819086116
Online-Studie Entwicklung von Schachexpertise, Links
Homepage: https://chess-study.uni-graz.at/de/
Facebook: https://www.facebook.com/ChessDevStudy/
Twitter: https://twitter.com/ChessDevStudy