Interview mit Rainer Woisin.
Nachdruck aus Neues Deutschland mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Wo sich Bobby Fischer und eine nackte Großmeisterin
treffen - virtuell ...
Von Dr. René Gralla
Alle reden von Krise, ChessBase aus Hamburg zeigt,
wie es anders geht. Das kleine, aber kreative Team aus 17 Mitarbeitern, die
auf einer Büroetage am Mexikoring in der City Nord werken, produziert das
größte Schachnachrichtenportal der Welt, mit täglich 100.000 Besuchern.
Inzwischen ist jetzt auch der ChessBase-Server die globale Nr. 1, in der
Spitzenzeit ab 21 Uhr tragen dort rund 3000 Spieler aus 100 Nationen ihre
Partien aus. Untrennbar verbunden mit dieser Erfolgsgeschichte sind die
Programme "Fritz 8" (über eine Million Mal verkauft) und die preisgekrönte
Ausgabe für Kinder, "Fritz & Fertig"; Bestellungen gehen ein von den
Fidschi-Inseln und aus Aruba, aus Grönland und aus Honolulu. Die
Führungs-Troika von ChessBase, die beiden Geschäftsführer Rainer Woisin und
Matthias Wüllenweber sowie Marketing-Chef Frederic Friedel, kommt selber aus
der Schach-Szene; mit dem 40-jährigen Rainer Woisin hat der Autor Dr. René
Gralla gesprochen.
Rainer Woisin (Foto: C.Harder)
Sie haben einen Traum verwirklicht: mit Ihrem
Hobby richtiges Geld zu verdienen.
Darüber freuen wir uns auch. Ich selber komme aus
dem Jugendschach, habe damals viel gespielt, und die Liebe zum Schach ist
seitdem erhalten geblieben.
Trotzdem spielen Sie jetzt in der Firma nicht
den ganzen Tag Schach? Das ist ja eine Gefahr bei echten Fans.
Deshalb sehen Sie hier auch keine Schachbretter
auf den Tischen. Aber ab und zu spielen wir natürlich auf dem Server, das
gehört schließlich dazu, auch zum Test der Produkte.
Sie sind ein Unternehmen, das viel mit dem
Internet arbeitet. Und da gehören Sie zu den Wenigen, die den Crash vor
wenigen Jahren überlebt haben.
Wir haben eben nicht erst einen Spielserver
eröffnet und dann auf die ersten User gewartet. Primär haben wir
Schachprogramme produziert und die entsprechenden CDs verkauft. Als dann der
Internet-Hype begann, haben wir eine Koppelung zwischen dem Vertrieb unserer
Produkte und dem Zugang zum Server hergestellt; dabei haben wir uns auf eine
große Gemeinde von Spielern gestützt, die bereits unsere Programme nutzten.
Das ist der große Unterschied zu Firmen gewesen, die zwar eine gute Idee
hatten, aber noch nicht die Kunden dazu.
Untrennbar verbunden mit dem Aufstieg von
ChessBase ist Ihr Vorzeigeprodukt "Fritz 8": eines der international stärksten
Schachprogramme, das sogar gegen Stars wie Garri Kasparow und Weltmeister
Wladimir Kramnik Remis gehalten hat. Was ist das Geheimnis von "Fritz 8"?
Ein spezieller Algorithmus, nach dem die Engine
Züge berechnet. Dabei nutzt "Fritz 8" auch die ChessBase-Datenbank von über
drei Millionen Partien.
Aus "Fritz" hat sich auch der kleine "Fritz"
entwickelt, nämlich "Fritz & Fertig" für den Nachwuchs. Ist Schach gut auch
schon für Kinder?
Sie lernen sich zu konzentrieren, das ist das
Wichtigste. "Fritz & Fertig" ist mittlerweile in zwölf Sprachen übersetzt,
demnächst erscheint eine Version in Korea.
Aushängeschild von ChessBase sind Ihre täglich
aktualisierten Nachrichtenseiten in deutscher, englischer und spanischer
Sprache ...
... wobei wir Wert auf eine besondere Note legen.
ChessBase ist kein Nachrichtendienst im engeren Sinn, sondern wir zeigen mit
Spaß und etwas Ironie die bunte Welt unseres Spiels: Da kann es um Kultur oder
Wirtschaft gehen, oder Schauspieler und Politiker bringen sich mit Schach in
Verbindung.
Bei ChessBase übernehmen Sie teilweise auch
Beiträge aus der übrigen Presse, das "Neue Deutschland" ist da inzwischen ja
auch häufiger präsent. Widerlegt das nicht die weit verbreitete Ansicht,
irgendwann werde das Internet die Druckpresse verdrängen? Zeigt ChessBase
nicht vielmehr, dass eine Symbiose zwischen Online-Presse und Print möglich
ist, zum wechselseitigen Nutzen?
Die verschiedenen Formen können voneinander
profitieren. Deswegen unterstützen wir die Schachberichterstattung jeder Art,
ob es gute Berichte im "Neuen Deutschland" sind, ob es Radio ist oder
Fernsehen.
Da scheuen Sie sich auch nicht, Nacktfotos der
russischen Großmeisterin Maria Manakowa zu veröffentlichen - obwohl einige
Schachanhänger, die um die Seriosität des Denksports fürchten, vernehmlich
gegrummelt haben.
Meinetwegen kann öffentlich gegrummelt werden.
Trotzdem gucken sich das dann doch alle an. Beim Schach sitzen nicht nur
pickelige, vereinsamte und kommunikationsunfähige Menschen am Brett.
Das Beispiel Maria Manakowa zeigt mithin, dass
Schach nicht nur eine Sache für wenige Eingeweihte ist.
Schach ist ein Bestandteil unserer Kultur. Der
"Spiegel" hat vor einigen Jahren in einer Umfrage ermittelt, dass 20 Prozent
der Bundesbürger Schach spielen können. Deswegen ist Schach kein Nischenthema.
Nehmen Sie doch auch den Fall Bobby Fischer: Jahrelang ist der Mann nicht mehr
im Schachsport aktiv gewesen, und trotzdem steht er immer noch für den
dramatischen Ost-West-Konflikt und die unvergessenen WM-Partien 1972 in
Reykjavik. Und so schlägt es jetzt diplomatische Wellen, dass Island angeboten
hat, Bobby Fischer könne dort einreisen, nachdem er vergangenen Sommer in
Japan verhaftet worden ist; denn nun kommen Einwendungen von der
amerikanischen Regierung. Folglich hat sich ChessBase bemüht, am Thema Fischer
sehr nah dran zu sein. Zumal Fischers Lebensgefährtin, wie wir inzwischen
wissen, der japanische Distributor unserer Schachsoftware ist ...
Das ist Miyoko Watai, die Präsidentin des
japanischen Schachverbandes ...
... vielleicht hat ja Bobby Fischer sogar unser
Programm "Fritz" eingetütet und im Versand geholfen.
Planen Sie ein exklusives ChessBase-Interview
mit Bobby Fischer?
Nein. Fischers aktuelle Statements sind wenig
appetitlich; sie zeigen, in welche Richtung auch Genies abdriften können. Ein
Interview mit Garri Kasparow ist uns da wesentlich lieber.
Schacholympia kommt 2008 nach Dresden. Wird
das einen neuen Schachboom in Deutschland auslösen?
Das wird ein gewaltiges Sportereignis, eine der
größten Sportveranstaltungen, die es überhaupt gibt. Wir senden bereits
Schach-TV im Internet, jeden Freitag ab 17 Uhr. Das werden wir ausbauen: Für
Olympia in Dresden planen wir eine tägliche Berichterstattung.
Interview: Dr. René Gralla