Interview mit Alexander Khalifman

von ChessBase
29.10.2009 – Der gebürtige St.Petersburger Großmeister Alexander Khalifman gehörte immer zum erweiterten Kreis der Weltspitze, wobei ihm der Absolute Durchbruch nie richtig geglückt ist. Als er schon mit dem Gedanken spielte, sich vom Profischach zurückzuziehen und sich ganz auf die von ihm gegründete St. Peterburger Schachschule zu konzentrieren, gelang ihm überraschenderweise der Sieg bei der FIDE-Weltmeisterschaft 1999 in Las Vegas. Die FIDE-Weltmeisterschaften zwischen 1997 und 2004 wurden in einem K.o-System durchgeführt und führten zumeist zu unerwarteten Ergebnissen. Die Topspieler beklagten den hohen "Zufallsfaktor" der Kurzmatches, während die anderen bewiesen glauben, dass der Unterschied zwischen ihnen und den Eloriesen gar nicht so groß ist. Heute sind die K.o-Weltmeisterschaften Vergangenheit. Alexander Khalifman kümmert sich um seine Schachschule und verlegt Schachbücher. Frank Große sprach mit dem St. Petersburger Großmeister. Zum Interview...

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Interview mit Alexander Khalifman
Von Frank Große

Las Vegas im August 1999. Zum zweiten Mal wurde die Ermittlung des Weltmeisters der FIDE im umstrittenen Knock-Out-Modus durchgeführt. Viel diskutiert wurde im Vorfeld, da das Turnier einen neuen Champion hervorbringen musste, da Titelverteidiger Anatoli Karpow nicht antrat und stattdessen bevorzugte, sich am Grünen Tisch zu streiten. Garri Kasparow war im Besitz seiner „Privatweltmeisterschaft“ und sah keine Veranlassung seinen Titel in der Zockermetropole bei tagsüber brütender Hitze aufs Spiel zu setzen.


Austragungsort der Weltmeisterschaft 1999, das Caesars Palace

Quelle: static.panoramio.com

Die Stadt ist zum Spielen da, wenngleich Schach nicht unbedingt dazu zählte, da die Weltmeisterschaft weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlief. Die Zeitungen der Stadt berichteten fast gar nicht, was wohl auch darin begründet lag, dass alle acht gestarteten Amerikaner bereits in der zweiten Runde ausgeschieden waren. Eine Weltmeisterschaft im Blackjack hätte wohl mehr Aufsehen erregt! Die Spieler, die nicht permanent im Rampenlicht standen, bekamen ihre Chance und einige nutzten diese.

So zum Beispiel der bis dato fast unbekannte Rumäne Liviu-Dieter Nisipeanu (zu dem Zeitpunkt Nummer 136 der Weltrangliste), der viele Sympathien bei den Amerikanern erweckte, da er den typischen „Tellerwäscher-Millionär-Traum“ verkörperte und erst im Halbfinale gestoppt werden konnte, nachdem er in den Runden zuvor die Titelaspiranten Wassili Iwantschuk und Alexei Schirow ausschalten konnte. Dort traf er auf den Russen Alexander Khalifman, der bis dato das Turnier seines Lebens spielte. Dabei drohte er nach Groningen 1997 an der damals indischen Nummer Zwei Dibyendu Barua zu scheitern (In Groningen war er gegen Anand dramatisch in der zweiten Runde ausgeschieden.) und zwar in der ersten Runde! Nach einer Auftaktniederlage kam er eindrucksvoll zurück und sicherte sich im Tiebreak den Einzug in die zweite Runde in der das Duell der beiden Leningrader auf der Tagesordnung stand: Kamsky gegen Khalifman. Wieder Tiebreak mit dem glücklicheren Ende für Alexander, der danach die höher dotierten Boris Gelfand und Judit Polgar eliminierte.

Böse Zungen behaupteten, dass die Geschichten eines Nisipeanu oder Khalifman ohne den K.O.-Modus nicht möglich gewesen wären. Das war denen aber sicherlich egal, denn sie standen unter den letzten Vier, für die es neben der Chance neuer Weltmeister zu werden, auch um erhebliche Geldpreise ging. Nisipeanu, der zwar zehn jünger als sein Gegner war, konnte diesen Umstand gegen Khalifmans Anzugstärke (Er gewann zehn Partien bei keiner Niederlage mit den weißen Steinen.) nicht ausnutzen und musste sich mit 3,5 : 2,5 geschlagen geben, obwohl er in der letzten Partie mehrfach den Gewinn und damit die Chance auf das Tiebreak ausgelassen hatte.

Einer der ‚schwachen‘ Spieler wird es machen“, kommentierte Khalifman. „Dies ist das stärkste und komplizierteste Turnier des Jahres. Viele starke Spieler haben es versucht, aber niemanden ist es gelungen.“ Armeniens großes Talent Wladimir Akopjan, der im Halbfinale einen sichtlich enttäuschten Michael Adams rauskegelte, war der andere Quoten-Underdog des Finales.

Hier legte Khalifman gleich in der ersten Partie mit seinem Schwarzsieg den Grundstein für seinen 3,5 : 2,5 – Sieg. Dieser wurde nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich in der dritten Runde mit der prompten Erwiderung in Form eines Sieges zementiert, bevor das Finalmatch mit zwei Unentschieden austrudelte. Nach 29 Turniertagen – dazwischen hatten die zwei Finalakteure nur fünf Tage Ruhezeit – war das kräftezehrende Spektakel beendet. Akopjan zeigte sich als fairer Verlierer, in dem er die Frage, ob die beiden Ruhetage, die er nach Halbfinale mehr hatte als Khalifman, nicht geholfen hätten, wie folgt beantwortete: „Damit es einen Unterschied macht, hätte ich einen Monat Pause gebraucht, besser noch zwei Monate.

In Las Vegas, der bewohnten Wüste Nevadas, gelangte Khalifman auf den Höhepunkt seines Schaffens und reihte sich damit in die russische „K-Dynastie“ ein, der zuvor Kasparow, Karpow, Kramnik, Kamsky und Kortschnoi angehörten: „Kann sein, dass mir die Veranstalter von Open-Turnieren jetzt Hotel mit Vollpension anbieten und nicht nur mit Frühstück“, genoss er mit Ironie in der darauffolgenden Pressekonferenz die Aufmerksamkeit, die den Stars bis dato permanent zugegen geworden war. „Einen Vorteil des K.O.-Systems hat hier noch keiner erwähnt: Es gibt keine Manipulationen! Wenn die besten Spieler alle mitmachen, haben wir eine große Zukunft. Schach wird wahrscheinlich wieder Sponsoren finden. Dann kann man die WM so reformieren, dass sie nicht so langweilig ist wie früher und weniger eine Lotterie als heute. Wenn mehr Nicht-Elite-Spieler zu großen Turnieren eingeladen werden, gewinnen sie vielleicht auch dort. Dass die Favoriten hier nicht gut gespielt haben, liegt auch daran, dass sie nicht hungrig waren. In ihren Spitzenturnieren brauchen sie sich nur zu behaupten. Die Einladungsturniere erlauben es Ihnen, die übrigen Spieler zu ignorieren. Sie spielen fast nur gegeneinander. Die anderen sehen sie höchstens einmal bei der Olympiade. Falls sie gut genug dafür bezahlt werden, dort ihre ELO-Punkte zu riskieren.

Alexander Khalifman leitet heute eine Schachakademie http://www.gmchess.com/ in Sankt Petersburg, der Trainer wie Gennadi Nesis, Juri Razuvaev oder Peter Swidler angehören. Er ist der Autor zahlreicher Bücher, die sich primär auf Eröffnungsperiodika konzentrieren. Grund genug nachzubohren, wie sich das Leben seit dem Gewinn des Weltmeistertitels vor zehn Jahren verändert hat!


Alexander Khalifman während der EURO 2007 in Dresden (Foto: Frank Jarchov)

Frage: Können Sie den Verlauf ihrer Karriere kurz mit eigenen Worten beschreiben?

Khalifman: Nicht so einfach zu beantworten in wenigen Worten. Mein erster Trainer war Schachmeister Vassily Byvshev (1922 – 1998), dem ich heute noch viel zu verdanken habe. Danach arbeitete ich mit CC-GM Gennady Nesis, der mir ebenfalls viel half. Ich denke, dass meine ersten wertvollen Erfolge der zweimalige Gewinn der UdSSR-Junior-Meisterschaften (Anmerkung des Autors: Das war 1982 und 1984.) war. Nebenbei bemerkt: nur vier Spieler gewannen dieses Turnier zwei Mal: Petrosian, Kortschnoi, Kasparow und ich. Es war wohl etwas Pech im Spiel, dass ich den Großmeistertitel erst 1990 erhielt, denn ich bin sicher, dass ich bereits vier Jahre zuvor auf dem Level eines Großmeisters spielte. Aufgrund des Eisernen Vorhangs war es damals auch schwierig an Internationalen Veranstaltungen teilzunehmen. Ein konkretes Vorbild hatte ich nie, aber eine Vielzahl großartiger Spieler bewundere ich. Ich war sehr zielstrebig von Anfang an und wollte Stufe für Stufe bis zur Weltspitze emporklettern.

Frage: Was letztlich auch gelungen ist: Sie sind der 14. Weltmeister der Schachgeschichte und waren der erste Gewinner nach der lange anwährenden K+K-Ära. Karpow trat nicht an und Kasparow bezeichnete die meisten Spieler gar als Touristen. Was denken Sie heute über den Titel und den K.O.-Modus? Welchen Modus würden Sie zur Ermittlung des Weltmeisters vorschlagen?

Khalifman: Meine Meinung hat sich nicht geändert: Es war eine schwierige Weltmeisterschaft und ich habe selbige fair und klar gewonnen. Gut, der Modus war nicht perfekt, aber ich weiß auch nicht wie man allen Seiten gerecht werden kann, und würde mich wundern, wenn es einen perfekten Modus gäbe.

Frage: Veränderte der Gewinn der Weltmeisterschaft Ihr Leben?

Khalifman: Auf jeden Fall veränderte sich mein Leben in vielen Bereichen gravierend, aber ich bin glücklich, dass ich mich dadurch nicht verändert habe. Das Leben eines Schachprofis ist nicht ohnehin kein Stück Kuchen, besonders dann, wenn man von Organisatoren der Eliteveranstaltungen ignoriert wird mit Begründungen, die nichts mit Schach zu tun haben. So waren viele mühevolle Momente vor 1999. Der Jackpot, den ich in Las Vegas gewann brachte mir materielle Unabhängigkeit, was von immenser Bedeutung war. Dennoch habe ich noch dieselben Freunde, dieselben Wertevorstellungen und keinerlei Anzeichen von Größenwahn.

Frage: Sie zogen 1991 nach Deutschland mit der Absicht sich niederzulassen. Ein Jahr später kehrten Sie zurück nach Russland – warum?

Khalifman: Ich war in diesen Tagen der politischen Unruhen ernsthaft besorgt über mögliche politisch-motivierte Racheakte und wollte nicht einfach da sitzen und darauf warten, was passieren wird. Ziemlich erfreulich, dass die Situation ein Jahr später bereits mehr oder weniger geklärt war, sodass ich froh war zurückzukehren, da ich mich meiner Heimat zugehörig fühle. Ein Leben ohne Sankt Petersburg ist für mich ziemlich schwer vorstellbar.

Frage: Was waren Ihre Eindrücke von Deutschland?

Khalifman: Irgendwie war es eine nützliche Erfahrung und seitdem mag ich Deutschland außerordentlich. Die Schachbundesliga ist etwas Besonderes und ich mag den Geist dieses Wettbewerbs. Es ist schade, dass ich nicht mehr in der Bundesliga spiele (Anmerkung des Autors: Er war in der Bundesliga im Zeitraum zwischen 1990 und 2003 für verschiedene Vereine aktiv: 1990-92 FTG Frankfurt, 1992-94 SC Stadthagen, 1994-97 PSV Duisburg, 1997-2003 SG Köln-Porz)

Frage: Wie würden Sie den heutigen Stand im Schach, insbesondere in Bezug auf die FIDE beschreiben?

Khalifman: Es ist schwer, etwas Originelles zu äußern. Die FIDE-Verantwortlichen – und damit meine ich nicht Ilyumzhinov persönlich, sondern seinen Verantwortungsstab – bewerkstelligten in der Vergangenheit eine Vielzahl von Fehlern und haben nicht daraus gelernt. Das einzig Gute, dass ich sagen kann ist, dass die Situation noch schlimmer sein könnte.

Frage: Sie sind nun der Begründer und Trainer in der Schachakademie Sankt Petersburg „Großmeister Schach Schule“. Wofür verwenden Sie derzeit mehr Zeit – für das Spielen oder Trainieren? Haben Sie einen weiteren Beruf erlernt?

Khalifman: Seit Beginn der Gründung 1998 war die Schachakademie mein Projekt. Es ist dabei aber so, dass meine Hauptaufgabe im Management besteht, da meine Buchprojekte ebenfalls sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Seit dem Titelgewinn 1999 fühle ich mich unabhängiger und kann Tätigkeiten, die mich interessieren, nacheifern. Ich studierte drei Jahre Mathematik an der Leningrader Universität, was aber schon sehr lange zurück liegt, bevor ich endgültig ins Schachlager wechselte.

Frage: Das Motto der Schachakademie lautet „Schach = Intellekt + Charakter“. Können Sie dies erläutern?

Khalifman: Es ist ein Fakt, dass dieser Ausspruch in der Russischen Sprache für sich selbst spricht, sodass keine Erläuterung notwendig wird. Möglicherweise ist die englische Translation nicht perfekt, da der Ausdruck „Charakter“ geringfügig unterschiedliche Bedeutung im Russischen und Englischen besitzt. Um diese in wenigen Worten zusammenzufassen: Das Motto der Sankt Petersburger Schachakademie ist, dass mit Schach, dem einzigartigen Spiel, die harmonische Entwicklung – insbesondere im Kindesalter – unterstützt werden soll.

Frage: Denken Sie, dass ein Spieler ein besonderes Talent benötigt?

Khalifman: Auf jeden Fall ist spezifisches Talent von Vorteil. Ich weiß es aus eigener Erfahrung sehr gut, da ich nicht besonders gesegnet bin. Wie auch immer, die Beschreibung dieser speziellen Begabung und seiner Bedeutung in Zusammenhang mit anderen Fähigkeiten ist ein zu kompliziertes Thema, dass den Umfang dieses Interviews sprengen würde.

Frage: Sie haben eine Vielzahl von Meisterschaften gewonnen, so auch die der UdSSR bzw. von Russland. Was bedeuten Ihnen diese Turniere heute? Erhalten Sie noch Einladungen zu den namhaften Veranstaltungen?

Khalifman: Offen gesagt sehe ich mich nicht mehr als ernsthaften Spieler. Professionelles Schach ist jünger geworden und es ist sehr hart mit den „jungen Löwen“ zu kämpfen, wenn man bereits 43 Jahre alt ist. So spiele ich in den meisten Fällen aus Spaß. Zu den namhaften (oder auch weniger namhaften) Turnieren: Ich habe bereits vergessen wann ich das letzte Mal eingeladen wurde. Das ist nur ein Teil einer langen, bedauerlichen Geschichte, die nicht mehr aktuell ist.

Frage: Denken Sie bereits Ihre beste Partie gespielt zu haben? Wenn ja, welche?

Khalifman: Letztlich denke ich, dass ich es geschafft habe eine Vielzahl guter Partien zu spielen, aber es ist ziemlich schwierig für mich, eine speziell hervorzuheben.

Frage: Sie beendeten soeben den zwölften Teil der Bücherreihe „Opening for White According to Anand“. Arbeiteten Sie mit Anand zusammen?

Khalifman: Natürlich arbeitete ich nicht mit Anand im Rahmen dieser Serie zusammen. Vishy spielt immer noch auf dem höchsten Level und hat absolut keinen Grund seine Eröffnungsgeheimnisse zu offenbaren.

Frage: Wie arbeiten Sie an der Analyse der Partien/Eröffnungen? Welche Computerunterstützung verwenden Sie?

Khalifman: Es ist unvorstellbar heutzutage Schachanalyse ohne Computerunterstützung durchzuführen. Aber noch sind einige subtile Dinge, die nur von einem menschlichen Gehirn erfasst werden können. Sonst wäre auch kein Unterschied mehr zwischen den Anmerkungen eines Amateurspieler und Großmeisters zu entdecken. Wie auch immer, der Unterschied existiert. Ich benutze ChessBase als Datenbanksoftware und all die besten Schach-Engines zur Analyse.

Frage: Gibt es Zeiten in denen Sie müde sind vom Schach?

Khalifman: Ich denke dass so ziemlich jeder professionelle Spieler sich manchmal langweilt. Erfreulicherweise passiert dies aber nicht so oft.

Frage: Was sind Ihre Zukunftspläne?

Khalifman: Ich habe keine speziellen Pläne außerhalb meiner Arbeit für die Schachakademie und letztlich das Beenden der Anand-Eröffnungsreihe. Wenn ich die Gelegenheit erhalte, von Zeit zu Zeit an einem interessanten Schachturnier teilzunehmen wäre das großartig.

Frage: Sie sind verheiratet und Vater einer Tochter. Wie charakterisieren Sie ihre private Situation?

Khalifman: Ich denke, dass es besser ist, dies von anderen einzuschätzen, aber ich lebe in einer guten Familie, habe gute Freunde und lebe mein Leben – ich bin glücklich.

 



 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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