"Alle starken Spieler sind Fanatiker."
Interview mit Alexander Moissenko...
Alexander Moiseenko wurde am 17. Mai 1980 in Severomorsk, Russland, geboren
und ist seit 2001 Großmeister. Vor kurzem belegte er beim Aeroflot Open den
geteilten ersten Platz. Als Mitglied der ukrainischen Nationalmannschaft
gewann er bei der Schacholympiade 2004 eine Goldmedaille. Er genießt den Ruf
eines kämpferischen Spielers und hat bereits zahlreiche Turniere gewonnen:
Die Canadian Open 2003, 2004 und 2008, Cappelle La Grande 2006, das World
Open 2008 und viele mehr. Anastasya Karlovich sprach mit dem ukrainischen
Spitzenspieler.
Du hast schon oft am Aeroflot Open teilgenommen. Hast Du geglaubt, dass
Du dieses Jahr so erfolgreich sein würdest?
Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Ich war bereits fünf Mal beim
Aeroflot Open dabei, aber hatte noch nie eine so hohe Performance-Zahl. Ich
habe mich intensiv auf das Turnier vorbereitet und ein gutes Ergebnis
angestrebt, aber natürlich habe ich nicht geglaubt, dass ich am Ende
geteilter Erster werde. Ich habe einfach meine Partien gespielt und
versucht, mein Bestes zu geben, um die meisten Punkte zu holen.
Welche Bedeutung hat ein so gutes Ergebnis für Dich?
Ich habe schon viele Turniere gewonnen und oft eine bessere
Performance-Zahl erzielt als hier. Aber wäre ich alleiniger Sieger gewesen,
dann hätte ich gesagt, das war das beste Turnier meiner Karriere.
Wie hast Du es geschafft, in einem so starken Turnier keine einzige
Partie zu verlieren?
Das Aeroflot Open ist ein besonderes Turnier, weil Siege und Niederlagen
sehr viel zählen. Wenn man verliert und ins Minus rutscht, dann kann man das
nur schwer aufholen, weil man Gegner bekommt, die fast so stark sind wie
die, die man bekommen würde, wäre man im Plus. Das Niveau ist so hoch, dass
man leicht bis zum Ende des Turniers in der hinteren Tabellenhälfte bleibt.
Ein guter Start ist wichtig und ich habe gleich in der ersten Runde gegen GM
Ildar Khairullin gewonnen.
Ich würde nicht sagen, dass ich risikoscheu gespielt habe. In meiner
Partie gegen Pavel Ponkratov, dem einzigen IM unter meinen Gegnern, hatte
ich große Probleme. In Eröffnung und Mittelspiel hatte er die Initiative,
aber am Ende konnte ich das Geschehen diktieren. Aber ich würde auch nicht
sagen, dass ich besonders viel Glück hatte, denn gegen Gabriel Sargissian
hatte ich großen Vorteil und habe den Gewinn verpasst. Es war eine lange
Partie und nach sechs Stunden konnte ich einfach nicht mehr klar denken.
Fiel es Dir schwer, nach der Partie gegen Sargissian wieder ins
Gleichgewicht zu kommen?
Ja, das war nicht leicht. Die Partie gegen Pashikian am Tag darauf war
mühsam.
Viele GMs spielen nicht gerne früh am Morgen. Wie denkst Du über
Morgenrunden? Fiel Dir die letzte Runde schwer?
Ich habe nichts gegen morgendliche Partien. Ich wache in der Regel früh
auf, aber ich weiß, dass viele Schachprofis damit Probleme haben. In der
letzten Partie habe ich versucht, mein Bestes zu geben, denn die Chance, ein
solches Turnier zu gewinnen, bekommt man nicht oft. Mein Gegner in der
letzten Runde war ein junger Chinese (2540 ELO), der bereits vier starke GMs
mit über 2600 Elo geschlagen hatte. Ich spielte nicht schlecht und konnte
gewinnen.
Du hast in der Nähe der berühmt/berüchtigten Partie Mamedyarov –
Kurnosov gesessen. Außerdem hast Du im Verlaufe des Turniers gegen Kurnosov
gespielt. Was sagst Du zu der Angelegenheit?
Ich sehe keinen besonderen Grund, Kurnosov der Computerhilfe zu
verdächtigen. Ich glaube, dass Mamedyarovs Zweifel ihn daran gehindert
haben, ruhig zu bleiben und deshalb hat er diese Partie unter seinem Niveau
gespielt. Gegen mich lief Kurnosov in eine vorbereitete Variante. Einmal hat
er 40 Minuten nachgedacht und dann ein paar phantastische Züge gefunden, die
auch ein Computer nicht auf Anhieb sieht. Obwohl ein paar seiner Züge den
ersten Vorschlägen des Computerprogramms entsprachen, konnte ich sehen, wie
angestrengt er nachdachte, und deshalb halte ich es für unwahrscheinlich,
dass er Computerhilfe benutzt hat. Auf jeden Fall sollte man Kurnosov nicht
unterschätzen. Er ist ein sehr solider Spieler, der vor kurzem ein starkes
Turnier in Hastings gewonnen hat. Er glaubt an sich und wenn ihm seine
Stellung gefällt, dann nimmt er kein Remis an.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine merkwürdige Geschichte
aus meiner Praxis. Gegen Peter Svidler habe ich einmal 20 Züge so gespielt,
wie Fritz es tun wollte – dann habe ich aufgegeben. Nun, damals waren die
Schachprogramme noch nicht so stark wie heute. Aber ich glaube, selbst
heutzutage finden die Computer manch gute Züge nicht, die ein starker
Großmeister findet.
Welcher Spieler hat Dich in diesem Turnier beeindruckt?
Ehrlich gesagt, habe ich auf die Partien der anderen nicht besonders
geachtet, da ich mich auf meine Partien konzentriert habe. Aber dennoch kann
ich sagen, dass mich einmal mehr Bacrots Endspieltechnik beeindruckt hat.
Auch junge Spieler wie Kurnosov, Pashikian, die Brüder Zhigalko, eine Reihe
chinesischer Spieler und Tatiana Kosintseva haben gezeigt, was sie können.
Am Frauenschach ist Alexander Moiseenko immer interessiert!
Von wem hast Du Schach gelernt und wie hat sich Deine Karriere
entwickelt?
Meine Mutter hat mir Schach beigebracht und mit sechs bin ich dann in die
Schachgruppe in den Pionierpalast in Severomorsk gegangen. 1989 zog ich mit
meiner Familie nach Charkov in der Ukraine und trainierte dort in der
Schachschule. Mein erster Trainer war V. Viskin, der jetzt in Deutschland
lebt. Shmuter und Karpman haben mich ebenfalls trainiert. Mit 17 habe ich
angefangen, Jura an der nach Yaroslav dem Weisen benannten Staatlichen
Juristischen Fakultät zu studieren und dort gab es einen starken Schachclub.
Spätere Großmeister wie Pavel Eljanov, Alexander Zubarev, Eduard Andreev
widmeten sich hier dem Schach. Trainer war der berühmte GM Vladimir Savon.
Er hat mir viel beigebracht, aber leider ist er jetzt schon tot. Unser Klub
hat viel für das Schach getan. Einmal haben wir zum Beispiel
24-Stundenmarathons für die besten Schachspieler Charkovs organisiert (Baadur
Jobava war einer der Teilnehmer). Durch die gute Atmosphäre in unserem
Verein und dem Wettbewerb zwischen den jungen Spielern wurde ich ein starker
Großmeister mit Elo 2580. Natürlich ging es bei mir wie bei jedem
Schachspieler auf und ab. Zum Beispiel lief es 2007 nicht besonders gut für
mich, aber dann konnte ich im Sommer 2008 fünf starke Turniere
hintereinander gewinnen. Vielleicht lag das daran, dass ich eine andere,
reifere, Einstellung zum Schach hatte. Ich habe einfach mehr an meinem
Schach gearbeitet.
Du hast eine Ausbildung zum Anwalt gemacht. Warum hast Du Dich dafür
entschieden, Schachprofi zu werden?
Ich habe mich dafür entschieden, weil ich einfach gerne Schach spiele. In
welchem anderen Beruf sind die Leute denn so sehr dabei, dass sie noch
stundenlang über ihre Arbeit sprechen, wenn der Arbeitstag schon lange
vorbei ist? Meiner Meinung nach sind praktisch alle starken Schachspieler
Fanatiker. Vor kurzem habe ich in der türkischen Liga gespielt und mir fiel
auf, dass buchstäblich alle Spieler nach Ende ihrer eigenen Partien ins
Internet gegangen sind, um dort Partien aus anderen Turnieren zu verfolgen.
Wie bereitest Du Dich auf Turniere vor?
Ich arbeite vor allem mit dem Computer, aber lese auch gerne
Schachbücher. Ich bin sicher, Bewertungen wie +0,45 oder -0,34 werden Bücher
nicht ersetzen. Dvoretskys Bücher haben mich stark beeinflusst. Oft arbeite
ich auch mit Pavel Eljanov zusammen, der zugleich ein guter Freund von mir
ist. Aber ich habe auch schon mit meinen Mannschaftskollegen Ruslan
Ponomariov und Sergey Karjakin zusammengearbeitet.
Pavel Eljanov und Alexander Moiseenko
Kannst Du ein paar Deiner Partien nennen, die typisch für Deinen Stil
sind?
Es ist immer schwer, seinen eigenen Stil zu beschreiben. Wahrscheinlich
bevorzuge ich dynamisches oder taktisches Schach, das aber eine gesunde
positionelle Basis haben muss. Ich bringe gerne Bauernopfer, um Initiative
zu bekommen. Wenn man einen Eindruck von meinem Stil bekommen möchte, dann
würde ich vorschlagen, sich Partien von mir anzuschauen, die große
sportliche Bedeutung hatten. Zum Beispiel meine Partien gegen Evgeniy
Miroshnichenko und Mikhail Gurevich beim in Canadian Open 2007. Beim
Aeroflot Open war das die Partie aus der letzten Runde gegen den Chinesen
Zhou Weiqi.
Welche anderen Interessen außer Schach hast Du noch?
Ich mag Sport, vor allem Tischtennis, Tennis, Schwimmen, Skifahren.
Außerdem spiele ich gerne Billard, aber meistens ziehe ich dort den
Kürzeren. Ich singe gerne und singe auch während der Partien oft innerlich
vor mich hin. Einmal habe ich vergessen, wo ich war und angefangen, die
sowjetische Nationalhymne laut zu singen. Ich schätze Humor und lache gern.
Auf dem Tennisplatz
Viele Schachspieler meinen, Du siehst Vladimir Kramnik ähnlich. Kam es
deswegen schon einmal mal zu Missverständnissen?
Ja, das habe ich natürlich auch schon gehört. In Kanada bat mich der
Veranstalter einmal, ein paar Exemplare von Yakov Damskys Buch über Kramnik
an Schachfans zu überreichen. Irgendwo dort war auch ein Bild von Kramnik
und viele Leute haben geglaubt, ich sei das und mich um ein Autogramm
gebeten.
Was sind Deine nächsten Pläne?
Ende März findet in Charkov der 11. Rektor Cup statt. Das ist ein
Vergleichskampf zwischen den beiden besten Vereinen der Ukraine und ich
spiele für meinen Verein der Juristischen Fakultät. Dass Spieler wie Ruslan
Ponomariov, Pavel Eljanov und Vladimir Beliavsky teilnehmen, zeigt wie
schwer dieses Turnier werden wird. Im April spiele ich dann wie üblich für
Saratov in der Russischen Liga.
Spielst Du außer in der russischen und in der ukrainischen Liga noch
in anderen Ligen?
Ich spiele auch für israelische und spanische Vereine. Ich weiß, dass
viele ukrainische Spieler in der Bundesliga spielen, aber dazu hatte ich
noch keine Gelegenheit.
Wie erklärst Du das phänomenale Niveau des Schachs in der Ukraine?
Gelegentlich wird gesagt, dass “junge Großmeister hier wie Pilze nach einem
Sommerregen aus der Erde schießen”.
Dafür gibt es meiner Meinung eine Reihe von Gründen. Zunächst einmal die
großartige Basis des Schachs in der Sowjetunion. Zweitens ist die Ukraine
geographisch nicht weit von anderen europäischen Ländern entfernt. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion konnten ukrainische Spieler
unterschiedlichster Spielstärke zu Turnieren nach Polen, Tschechien und
Deutschland fahren. Im Gegensatz zu vielen russischen Spielern. Es ist nicht
ganz leicht, von, sagen wir einmal, Sibirien in irgendein europäisches Land
zu kommen. Der dritte Grund ist natürlich ökonomischer Natur. Die Lage in
der Ukraine ist immer noch schwer. Normale und feste Jobs sichern einem
meist ein stabiles niedriges Einkommen und das ist in westeuropäischen
Ländern anders. Deshalb konzentrieren sich ukrainische Schachspieler stärker
auf das Schach, weil sie wissen, dass sie erfolgreiche Profis werden können.
Eine große Rolle bei der Entwicklung des ukrainischen Schachs haben auch
Schachzentren wie das in Kramatorsk gespielt. Dank der Bemühungen von
Vladimir Grabinsky gibt es auch viele Talente, die aus Lvov kommen. Und
natürlich ist auch Charkov ein solches Zentrum.