Das Interview mit Anna Hillberg erschien
vergangenen Samstag bei Neues Deutschland. Nachdruck mit freundlicher
Genehmigung des Autors.
Wegen Pisa soll die Republik mehr für Bildung tun, die Schacholympiade
kommt 2008 nach Deutschland - und was macht Hamburgs konservativer Senat? Will
Schulen schließen - darunter das Gymnasium Uhlenhorst-Barmbek mit der ältesten
und größten Schulschachgruppe im Land
Ein Pferd für Ole
George Orwell hätte sich den
Begriff nicht schöner ausdenken können: Schul-"Entwicklungs"-Plan, so heißt das
Projekt im Neusprech des Hamburger CDU-Senats. Das klingt harmlos, soll aber den
bildungspolitischen Kahlschlag tarnen: Bürgermeister Ole von Beust, der sich
gerne als moderner Kosmopolit geriert, will eine Reihe von Schulen schließen
lassen, PISA hin oder her. An prominentem Platz auf der Streichliste: das
Gymnasium Uhlenhorst-Barmbek (GUB) - und damit auch ein Paradebeispiel für die
Ignoranz der schwarzen Rathaustruppe. Denn das Aus für die renommierte
Lehranstalt würde zugleich eine weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannte
Jugendinitiative abwickeln: die älteste und größte Schulschachgruppe
Deutschlands.
Aus dem bereits 1956 gegründeten Schülerklub ist die spätere Deutsche
Schachjugend hervorgegangen. Momentan sind am Gymnasium Barmbek-Uhlenhorst rund
100 Nachwuchstalente organisiert: Sie verwalten sich autonom, unabhängig von
Eltern und Lehrern, bieten nach Unterrichtsschluss Trainerstunden an,
veranstalten Ausflüge und Freizeiten. Gegen den Streichangriff der
Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig starten die Jugendlichen
phantasievolle Aktionen: Vor dem Rathaus haben sie Lebendschach gespielt, und am
kommenden Dienstag wollen sie das größte Schachturnier der Welt im Congress
Center Hamburg, den Wettkampf "Rechtes gegen linkes Alsterufer" mit gut 3000
Teilnehmern, als Plattform für ihren Protest nutzen.
Dr. René Gralla sprach mit Anna
Hillberg, der 17-jährigen Frontfrau der Schach-Aktivisten. Die ist gerade bei
der diesjährigen Preisverleihung "Hamburger Talente 2004" als "Soziales Talent"
ausgezeichnet worden. Anna Hillberg hat Schach in der fünften Klasse gelernt;
heute gibt sie selber Trainerstunden, strebt aber trotzdem keine Profikarriere
an. Anna Hillbergs Berufsziel: Journalistin.

Foto: Christoph Harder
Überall soll gespart werden, überall wird gestrichen. Was macht Schach so
wichtig, dass Sie dafür kämpfen?
Es ist erwiesen, dass alle
Leute, die Schach spielen, in der Schule besser abschneiden, weil sie beim
Training lernen, sich zu konzentrieren. Außerdem wird den Kindern in unserem
Verein beigebracht, sich sozial zu engagieren, und das sollte man doch wohl auf
jeden Fall unterstützen!
Wie sieht das soziale Engagement bei Ihnen konkret aus?
Am wichtigsten ist: Wir haben
eine Art Generationenvertrag, schon die Achtklässler werden in die Gemeinschaft
und deren Pflichten eingebunden. Als ich in der achten Klasse war, habe ich zum
ersten Mal geholfen, einen Turniersaal aufzubauen; so wächst man in den Verein
hinein, und irgendwann übernimmt man dann ein Vorstandsamt, leitet
Wochenendfahrten seiner Trainingsgruppen. Einmal im Jahr unternehmen wir eine
große Herbstreise, das sind acht Tage volles Programm, mit Geländespielen und
Shows wie "Wetten, dass ...".
Bei Ihnen hocken die Kinder also nicht nur am Brett?
Wir haben viele ausgebildete
Jugendgruppenleiter und Übungsleiter Breitensport, prozentual liegen wir damit
an der Spitze unter Hamburgs Vereinen.

Oft wird beklagt, dass die Jugend nur selten gesellschaftliche Aufgaben
übernimmt. Bei Ihnen geschieht das - und das soll nun keine Rolle mehr spielen
...
... und deswegen kann ich das
auch nicht verstehen. Wenn ein Haus der Jugend die Arbeit leisten würde, die wir
leisten, dann müsste der Staat enorm viel Geld ausgeben - während wir das alles
ehrenamtlich machen.
Auffällig ist auch: Vor allem Schulstandorte in den ärmeren Bezirken
sollen aufgegeben werden.
Und das regt mich besonders
auf: Gerade in unserem Viertel wird unsere Arbeit doch gebraucht. Viele Familien
ziehen weg, und wenn dann auch noch unser Schachverein nicht mehr existiert, in
den so viele Leute aus Barmbek gehen: Da wird die soziale Struktur total kaputt
gemacht
Um gegen die Schließung des GUB zu protestieren, haben Sie unter anderem
ein Chess-in veranstaltet: Sie besetzten den Flur der Schulbehörde und spielten
dort Schach. Hat sich die Bildungssenatorin Dinges-Dierig dort blicken lassen?
Nein. Die haben wir bei einer
öffentlichen Anhörung getroffen. Aber auf unsere Fragen haben wir grundsätzlich
keine direkten Antworten bekommen, es ist immer nur drumherum geredet worden.
Der jungen Generation wird auch gerne Politikverdrossenheit unterstellt.
Aber ist das denn nun ein Wunder? Wenn jemand wie Sie, der sich für eine gute
Sache engagiert, von den etablierten Politikern nur Ausreden und Ausflüchte zu
hören bekommt?
Das ist auch dreist und ärgert
mich maßlos - und ich werde mir bei der nächsten Wahl genau überlegen, wem ich
meine Stimme gebe. Immerhin haben wir jetzt einen Gesprächstermin bei Frau
Dinges-Dierig erhalten - am 1. April ...
... hoffentlich wird das kein Aprilscherz ...
... das hoffe ich auch nicht.
... ihre Zwischenbilanz nach mittlerweile bereits vier Monaten Kampf
gegen die Schulschließung: Spornt Sie das an, egal wie die Sache ausgeht - indem
Sie an einen Einstieg in die Politik denken? Nach dem Motto: "Ich will mir mein
Recht auf Bildung nicht klauen lassen!"
Darüber haben wir untereinander
auch schon gesprochen - dass wir vielleicht in die Politik gegen sollten, damit
das nicht so weiter geht. Obwohl ich nach diesen Erfahrungen jetzt sagen muss,
"eigentlich erst recht nicht in die Politik" - wenn ich mich auch künftig in
diesen Kreisen herumschlagen müsste, mit all diesen Leuten ...
... Politik als Abturner ...
... ja ...
... aber was wäre denn mit ATTAC? Die gegen die Globalisierung kämpfen,
mit deren Folgen - wie unter anderem auch Abbau von Bildungsrechten.
Ja, ATTAC könnte ich mir schon
eher vorstellen.
Das Verrückte an der geplanten Schließung des GUB ist: Die
Schacholympiade kommt 2008 nach Deutschland. Und gleichzeitig wird mit der
Schachgruppe des GUB die Keimzelle des deutschen Jugendschachs zerstört.
Was soll ich dazu noch sagen?
Das ist wirklich unglaublich!
Ihre Gruppe hat der Frau Dinges-Dierig angeboten, eine Partie Schach um
den Erhalt des Gymnasiums Uhlenhorst-Barmbek zu spielen. Wie hat die Senatorin
darauf reagiert?
Unser Vorschlag ist gewesen:
Frau Dinges-Dierig kann sich irgendjemanden aussuchen, aus unserem Verein, von
der fünften bis zur dreizehnten Klasse, egal, wir können alle Schach. Das hat
sie natürlich nicht gemacht.
Im übrigen ist Frau Dinges-Dierig nun auch nicht so entscheidend, sondern
vielmehr ihr Chef, der Bürgermeister Ole von Beust. Hat der sich mal geäußert?
Nein. Ich habe einen Brief an
ihn geschrieben, und dann hat mir sein Pressesprecher mitgeteilt, dass er das an
die Schulbehörde weiter geleitet habe.
Wenn schon Frau Dinges-Dierig nicht Schach spielen will: Vielleicht
sollten Sie Herrn von Beust zu einer Partie herausfordern?
Das wäre vielleicht mal eine
Idee.
Von Beust ist schließlich der richtige Mann. Wenn er sich ziert, geben
Sie ihm ein Pferd vor ...
... ja, bestimmt schafft von
Beust das dann auch nicht. Wir haben gute Leute, da können wir ihm ruhig etwas
vorgeben.
Interview: Dr. René Gralla