Interview mit Baadur Jobava (2/2)

von Sagar Shah
11.11.2015 – Im ersten Teil des Interviews mit Sagar Shah sprach Baadur Jobava über seine ersten Jahre im Schach, über seinen Stil und gab aufstrebenden Spielern Tipps, wie sie besser werden können. Im zweiten Teil spricht er über seine Vorbilder, seine Familie, seine Freunde, Chess960 und Frauenschach. Und überrascht am Ende mit einem wertvollen Ratschlag. Mehr...

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Ein Interview mit Baadur Jobava

von Sagar Shah

SS: Das Tata Steel Masters 2015 lief nicht besonders gut für dich. Glaubst du, das Fehlen eines soliden Eröffnungsrepertoires war ein Grund für dein schlechtes Ergebnis?

Interview mit Baadur Jobava zu Beginn des Tata Steel Turniers 2015

BJ: Die Zeit während des Tata Steel Turniers 2015 war eine der schwersten Zeiten, die ich in meinem Leben durchgemacht habe. In meinem Privatleben gab es Schwierigkeiten und ich war in wirklich schlechter Form. Man muss sich nur meine Partie gegen Magnus Carlsen anschauen. Alles lief gut, doch dann habe ich einen einzügigen Fehler gemacht. Diese persönlichen Probleme sind der Grund, warum meine Elo-Zahl um fast 80 Punkte gefallen ist. Niemand hat das verstanden und es gab viele Spekulationen über mein schlechtes Abschneiden. Aber da möchte ich in diesem Interview nicht drüber reden. Lassen wir es dabei bewenden, dass ich auf dem Weg zum Comeback bin. Im August habe ich das HZ Open in Vlissingen, in den Niederlanden, gewonnen, und jetzt habe ich in Abu Dhabi ein paar Elo-Punkte gewonnen. Langsam und sicher arbeite ich mich wieder an die 2700 heran.

Baadur vor seiner Partie gegen Magnus Carlsen beim Tata Steel Turnier 2015

SS: 2010 hast du schon einmal gegen Carlsen gespielt und diese Partie hast du gewonnen.

BJ: Ich habe mich gefreut, nach fünf Jahren wieder gegen Magnus zu spielen. Das erste Mal gewonnen habe ich gegen ihn 2005 bei der Europameisterschaft in Warschau. In den fünf Jahren von 2005 bis 2010 hat er enorme Fortschritte gemacht und seine Elo-Zahl lag ungefähr bei 2830. Seit meiner Kindheit genieße ich es immer, wenn ich die Gelegenheit habe, gegen stärkere Gegner zu spielen. Ich habe vor niemandem Angst. Als ich 2010 gegen Carlsen gespielt habe, war er völlig außer Form. In dem Turnier hat er drei Partien verloren: gegen mich, Tomi Nyback und Sanan Sjugirov. Als ich die Möglichkeit 6.e4!? gesehen habe, konnte ich nur schwer widerstehen, denn wenn man gegen einen starken Gegner wie Magnus spielt, dann ist es immer gut, wenn das Spiel aus dem Gleichgewicht gerät. Wie sich später gezeigt hat, war 6.e4!? vorher nur in ein oder zwei Amateurpartien gespielt worden.

Baadur Jobava – Magnus Carlsen, Olympiade 2010

6.e4!? war ein typischer Jobava-Zug, um die Partie kompliziert zu machen

[Event "Khanty-Mansiysk ol (Men) 39th"] [Site "Khanty-Mansiysk"] [Date "2010.09.24"] [Round "4.1"] [White "Jobava, Baadur"] [Black "Carlsen, Magnus"] [Result "1-0"] [ECO "E24"] [WhiteElo "2710"] [BlackElo "2826"] [Annotator "Krasenkow,M"] [PlyCount "127"] [EventDate "2010.09.21"] [EventType "team-swiss"] [EventRounds "11"] [EventCountry "RUS"] [Source "ChessBase"] [SourceDate "2010.11.18"] [WhiteTeam "Georgia"] [BlackTeam "Norway"] [WhiteTeamCountry "GEO"] [BlackTeamCountry "NOR"] 1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. a3 Bxc3+ 5. bxc3 Nc6 {Eine selten gespielte Fortsetzung (mit der Idee ...e6-e5), auf die Weiß mit einer Neuerung im 6. Zug reagiert!} 6. e4 $5 $146 {[%cal Ge2e4]} Nxe4 7. Qg4 f5 8. Qxg7 Qf6 9. Qxf6 Nxf6 { Es ist eine Stellung mit einem typischen positionellen Ungleichgewicht entstanden: Weiß hat das Läuferpaar bei einer asymmetrischen Bauernstruktur (was günstig für ihn sein sollte), aber seine eigene Bauernstruktur ist durch die Doppelbauern demoliert. Solche Stellung sind sehr schwer einzuschätzen; meistens setzt sich der bessere Spieler durch.} 10. Nf3 b6 11. d5 $5 {Ein interessantes Bauernopfer, das Schwarz jedoch ablehnt.} Na5 12. Nd4 Kf7 13. dxe6+ dxe6 14. Bf4 Ba6 {Schwarz hält die Spannung aufrecht. Er hatte auch eine gute Möglichkeit, die Stellung zu vereinfachen:} 15. Nf3 Ne4 16. Ne5+ Kf6 17. f3 (17. h4 $5 Nxc3 18. Rh3 Ne4 19. Re3 $44 {[%cal Yg2g4]}) 17... Nd6 18. O-O-O Rhd8 $6 {Vermeidet einmal mehr remisträchtige Varianten wie} 19. h4 $1 {Jetzt erhält Weiß Druck am Königsflügel.} Nf7 20. Nd7+ Kg7 (20... Ke7 $2 21. Bg5+ $1 Nxg5 22. hxg5 $16) 21. Rh3 $1 (21. g4 $5 Bxc4 22. Bh3 $36) 21... Kh8 $1 22. Bg5 $6 Nxg5 23. hxg5 Kg7 24. Rh6 $1 Bxc4 25. Bxc4 Nxc4 26. Rdh1 (26. f4 $5) 26... Rh8 27. f4 $6 c5 $6 28. Rxe6 Rae8 29. Rxh7+ Rxh7 30. Rxe8 Kf7 31. Ra8 Rh1+ 32. Kc2 a5 33. Ra7 Nxa3+ 34. Kd2 $1 Rh2 $2 35. Nxb6+ Kg6 36. Rxa5 Rxg2+ 37. Kd1 Nb1 38. Rxc5 {und Weiß verwertete seinen Materialvorteil ohne größere Probleme:} Nd2 39. Nd5 Ne4 40. Rc6+ Kf7 41. Ne3 Rg3 42. Ke2 Ke8 43. Re6+ Kf7 44. Re5 Nxc3+ 45. Kf2 Rh3 46. Rxf5+ Kg6 47. Rf6+ Kg7 48. Nf5+ Kg8 49. Kg2 Rd3 50. Rd6 Ne2 51. Rg6+ Kh8 52. Rh6+ Kg8 53. Ne7+ Kf7 54. Ng6 Kg7 55. Kf2 Nc3 56. Ne7 Ne4+ 57. Ke2 Ra3 58. Nf5+ Kg8 59. Re6 Nc3+ 60. Kf3 Nd5+ 61. Kg4 Ra1 62. Re5 Rg1+ 63. Kf3 Rf1+ 64. Kg2 1-0

SS: Wie siehst du den Spielstil von Carlsen?

JB: Nun, was soll ich sagen? Er ist ein großer Spieler. Mir gefällt sein Spielstil ziemlich gut. Sein Stil ist originell und Carlsen ist ein großer Kämpfer. Er ist körperlich sehr fit und spielt seine Partien bis zum Ende. Er ist sehr stark, aber das heißt nicht, dass man ihn nicht schlagen kann. Wenn er Schwächen hat, dann würde ich die bei seinen relativ schlechten eröffnungstheoretischen Kenntnissen sehen, aber daran hat er gearbeitet und sich deutlich verbessert. Oft glaubt er allerdings, er sei zu gut und unterschätzt seine Gegner. Dann spielt er schlechte Züge, die starke Spieler ausnutzen können. Zum Beispiel hat er gegen Grischuk beim Sinquefield Cup 2015 sehr passiv gespielt und verloren. Nach der Partie meinte er, er schäme sich für diese Partie – das sind nicht meine Worte.

SS: Du hast auch einmal gegen Kasparov gespielt?

BJ: Kasparov ist ein Monster am Brett und es ist sehr schwer, gegen ihn zu spielen. Ich habe ihm einen guten Kampf geliefert und irgendwann einmal war die Stellung objektiv remis. Aber ich war in Zeitnot, und wenn man nur noch wenig Zeit auf der Uhr hat, ist es nicht immer leicht, gegen einen solch großen Spieler zu spielen. Ich habe gepatzt und die Partie verloren, aber trotzdem war das sehr lehrreich. Ich freue mich immer noch auf eine Revanche (lacht), aber in diesem Leben kriege ich die wahrscheinlich nicht mehr!

Baadur mit Garry Kasparov und Giorgi Giorgadze
nach seinem Sieg bei der georgischen Meisterschaft 2012

[Einer der Mitreisenden im Bus fragt] Wer ist besser: Kasparov oder Carlsen?

BJ: Was ist das für eine Frage? Kasparov war der beste Spieler seiner Zeit und im Moment ist Carlsen der beste. Das ist auch keine diplomatische Antwort, sondern die Wahrheit. Das kann man einfach nicht vergleichen. Ich erkläre den Leuten immer wieder, dass diese Frage sinnlos ist. Alle Weltmeister waren zu ihrer Zeit große Spieler. Das ist, als ob man fragen würde, wer besser ist – Maradona oder Pelé. Beide waren auf ihre Weise Genies. Warum fragt man nur nach Carlsen oder Kasparov? Warum nicht Capablanca, der zu seiner Zeit mit einer Minute gegen fünf gespielt und seine Gegner im Blitz vernichtet hat? Gegen Capablanca konnte man einfach kein Blitz spielen. Meiner Meinung nach war er der beste Blitzspieler aller Zeiten. Das hat Lasker über den jungen Capablanca gesagt.

SS: Welche Bedeutung haben Computereinschätzungen für dich?

BJ: Der Computer ist ein sehr guter Assistent. Und als Helfer sehr gut, aber man sollte sich nicht von ihm abhängig machen. Ich kenne viele Spieler, die von den Einschätzungen des Computers besessen sind und nicht mehr selber denken. Mir gefallen die Kommentatoren der neuen Zeit nicht. Sie wollen weder Zeit noch Energie investieren. Sie schauen einfach, was die Engines sagen, achten auf die Varianten und schreiben sie ab. Das ist nicht das, was die Leute wollen. Ich glaube, die Zuschauer wollen wissen, wie Großmeister denken - nicht wie Computer denken. Es ist egal, wenn man sich irrt, man muss versuchen, seine eigene Meinung und Analysen zu finden. Stell dir vor, du gehst zur Universität und ein Computer liest ein Buch vor. Das ist nicht das, was man als Student braucht. Besser wird man, wenn ein Professor seine eigenen Ansichten und Meinungen äußert.

SS: Und wenn sich die Kommentatoren irren?

BJ: Na und? Sie sind Menschen. Natürlich können sie sich irren. Willst du sagen, dass die alten Meister der Vergangenheit keine großen Spieler waren? Schaut man sich die besten Partien Botvinniks mit Hilfe einer Engine an, findet man vielleicht 100 Fehler in ihnen, aber das mindert seine Leistung und seine Arbeit in keiner Weise.

SS: Wie ist das, wenn du gegen diese Weltklassegroßmeister antrittst, die sich mit Hilfe der Engines die ganze Zeit vorbereiten? Wie kannst du da mithalten?

SS: Mir gefällt die Herangehensweise vieler Großmeister dieser neuen Generation nicht. Sie lernen 30-35 Züge Theorie und denken nicht selber. Doch wenn man mit einem Zug wie 1.b3 eröffnet, dann kann man viele dieser Gegner überspielen. Aber das Problem ist, dass auch 1.b3 zur Mainstream-Theorie wird! Das ist traurig. Die Gegner schalten einfach ihren Computer an und suchen nach der besten Antwort auf solche Züge.

SS: Wie kann dann ein Spieler wie du, der kreativ spielen will, es in die Top Ten schaffen?

BJ: Wie gesagt, ich versuche einen Mittelweg zwischen kreativem Spiel und Computeranalyse zu finden. Zum Beispiel wurde im Internet einmal ein Turnier im "Zentauren"-Modus gespielt. Man konnte unbeschränkt Computerhilfe in Anspruch nehmen. Viele Spieler haben dann einfach eine sehr starke Engine angeschaltet und die Maschine spielen lassen. Aber weißt du, wer die meisten Partien gewonnen hat? Die Spieler, die sich ihre eigenen Gedanken gemacht und die Computer benutzt haben - halb Mensch, halb Computer = Zentaur. Starker Computer + starker Mensch ist immer besser als ein sehr starker Computer.

SS: Im März 2016 findet das Kandidatenturnier statt. Wer glaubst du, wird der nächste Herausforderer von Carlsen?

BJ: Ich weiß es wirklich nicht und ich bin auch nicht derjenige, der sagen kann, wer es verdient hätte, Herausforderer zu werden.

SS: Okay. Aber hast du ein schachliches Vorbild? Und wenn, ja - wer ist das?

BJ: Eindeutig Alexander Aljechin.

Baadur Jobavas Lieblingsspieler: der große Alexander Aljechin

Was hältst du von der Partie Réti-Aljechin, in der Aljechin den berühmten Zug ...Te3 gespielt hat?

Richard Réti – Alexander Aljechin, Baden-Baden 1925

In dieser spielte Aljechin eine brillante Kombination, die er mit 26…Re3!! eingeleitet hat.
Hier die gesamte Partie, kommentiert von Garry Kasparov:

Garry Kasparov’s analysis of Reti-Alekkhine -1925

[Event "Baden-Baden"] [Site "Baden-Baden"] [Date "1925.04.25"] [Round "?"] [White "Reti, Richard"] [Black "Alekhine, Alexander"] [Result "0-1"] [ECO "A00"] [Annotator "Kasparov"] [PlyCount "84"] [EventDate "1925.04.16"] [EventType "tourn"] [EventRounds "20"] [EventCountry "GER"] [Source "ChessBase"] [SourceDate "1999.07.01"] 1. g3 e5 2. Nf3 e4 3. Nd4 d5 4. d3 exd3 5. Qxd3 Nf6 6. Bg2 Bb4+ 7. Bd2 Bxd2+ 8. Nxd2 O-O 9. c4 Na6 10. cxd5 Nb4 11. Qc4 Nbxd5 12. N2b3 c6 13. O-O Re8 14. Rfd1 Bg4 15. Rd2 Qc8 16. Nc5 Bh3 17. Bf3 Bg4 18. Bg2 Bh3 19. Bf3 Bg4 20. Bh1 h5 21. b4 a6 22. Rc1 h4 23. a4 hxg3 24. hxg3 Qc7 25. b5 axb5 26. axb5 {[%cal Ge8e3] White's strategy seems to be working very nicely. The isolated black pawn is doomed to fall within a few moves. But Alekhine wasn't going to passively wait for destruction. He finds a way to completely change the unwanted course of the game.} Re3 $1 {All of a sudden the white king feels insecure. The audacious rook cannot be taken:} 27. Nf3 $2 {From now on Alekhine makes a series of moves that sweep White off the board.} ({The impudent rook cannot be taken:} 27. fxe3 $4 Qxg3+ {with mate; and even after}) (27. Bg2 Rxg3 $1 28. fxg3 $2 (28. e3 $1 {is much stronger, but Black still has sufficient compensation for the sacrificed material:} Nxe3 29. fxe3 Nd5) 28... Ne3 29. Qd3 Qxg3 {wins. In the last variation 28.e3! was much stronger... (see above). Alas Alekhine's original attempt to complicate the position could have been met by simply}) (27. Bf3 Bxf3 28. exf3 {ending Black's activity; or even by the cold-blooded}) (27. Kh2 {Black will continue to apply pressure on g3:} Raa3 $1 {and the rook still cannot be touched} 28. fxe3 Nxe3 29. Qb4 Nf1+ $1 30. Kg1 Qxg3+ 31. Bg2 (31. Kxf1 Bh3+) 31... Ne3 {and mate. But the quiet 28.Ncb3 would have given White the upper hand. However, confronted with Alekhine's dramatic assault Reti panicked - unfortunate for him, lucky for the world of chess!}) 27... cxb5 $1 28. Qxb5 Nc3 {Now the black pieces are swarming} 29. Qxb7 (29. Qc4 {doesn't help: hilft wenig:} b5 $1) 29... Qxb7 30. Nxb7 Nxe2+ 31. Kh2 {[#]} (31. Kf1 {is hopeless too:} Nxg3+ 32. fxg3 Bxf3 33. Bxf3 Rxf3+ 34. Kg2 Raa3 { etc. White's position has lost its attraction, but how can Black make something serious out of that? Both 31...Nxc1... (see below)}) 31... Ne4 $3 { What a move! This new member of the cavalry regiment will turn White's defence lines into dust. Now White's best chance was 32.Nd8... (see below)} (31... Nxc1 {and}) (31... Rxf3 32. Rxe2 Rf5 33. Rb2 {lead to an obvious draw.}) 32. Rc4 { Reti, using nice tactical attempts, desperately hopes he will be able to exchange the terrifying black pieces. 32...Bxf3... (see below)} (32. Rd8+ Rxd8 33. fxe3 {although after} Rd5 $1 {Black wins the pawn while his pieces still dominate the board.}) (32. fxe3 $2 Nxd2 {loses right away.}) 32... Nxf2 {The simple refutation - Black takes the key pawn on f2 and keeps all threats alive. } (32... Bxf3 {is met by} 33. Rxe4 $3 Bxe4 34. fxe3 Bxh1 35. Kxh1 Nxg3+ 36. Kg2 Ne4 37. Rd8+ Rxd8 38. Nxd8 {with good drawing chances.}) (32... Nxd2 {also doesn't work} 33. Nxd2 Rd3 34. Nc5 $1) 33. Bg2 {Black is clearly winning, but Alekhine's final combination makes this game a true masterpiece.} Be6 $1 34. Rcc2 Ng4+ 35. Kh3 Ne5+ 36. Kh2 Rxf3 $1 37. Rxe2 Ng4+ 38. Kh3 {Neither now nor before could the white king move to the first rank because of the deadly check on a1} Ne3+ 39. Kh2 Nxc2 40. Bxf3 Nd4 41. Rf2 Nxf3+ 42. Rxf3 Bd5 {and the abandoned knight on b7 is lost. The endgame with a piece less is hopeless, so Reti resigned. I think there is reason to nominate this game the most beautiful ever played in the history of chess.} 0-1

Ich glaube, hier sollte man die Intuition mehr bewundern als die Kalkulation. Aljechin hat geglaubt, dass in dieser Stellung ein Zug wie ...Te3 möglich ist. Vishy Anand verfügt über eine ähnliche Intuition. Als er jung war, konnte man ihn im Schnell- oder Blitzschach einfach nicht besiegen, denn der erste Zug, der ihm in den Sinn kam, war meistens auch der beste. Natürlich ist Intuition ohne Berechnung nicht besonders nützlich. Intuition hilft einem, den besten Zug zu finden, indem man seinem ersten Gefühl folgt. In starker Zeitnot neigt man dazu, auf intuitiven Modus zu schalten. Man kann einfach nicht mehr alle Varianten berechnen - die Hand spielt von alleine. Aber diese Intution entwickelt man durch viel harte Arbeit.

Ich habe 2006 zum Beispiel einmal mit Topalov gearbeitet und begriffen, welches Talent er hat. Er hat ein verblüffendes Stellungsverständnis. In wenigen Sekunden hat er die kritischen Elemente einer Stellung erfasst. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm wirklich genossen. Mit Verständnis meine ich, dass er die Stellung auf den ersten Blick einschätzen und dann einen Plan formulieren konnte - welche Figuren man abtauschen sollte, welche man behalten sollte. Übrigens hatte Botvinnik das gleiche Talent. Es gibt eine berühmte Partie Tal gegen Botvinnik, in der es zu einer komplizierten Stellung kam. Tal schrieb später, dass er die Stellung nach der Partie mit Botvinnik analysiert hat, und wie eine Maschine eine Variante nach der anderen zeigte. Nachdem er alle seine Varianten gezeigt hatte, meinte Botvinnik einfach, dass er in dieser Stellung die eine Figur tauschen und die andere auf dem Brett lassen würde.

Hinterher analysierten Tal und seine Freunde weiter und stellten am Ende schockiert fest, dass alle ihre Varianten zum gleichen Schluss kamen - Botvinnik hatte Recht. Das meine ich mit Verständnis. Man muss viele Partien studieren, um die Intuition zu verbessern und sein Schachverständnis zu erweitern. Und was das Thema Aljechin betrifft, so war das erste Schachbuch, das ich studiert habe, Aljechins Sammlung seiner besten Partien. Überraschenderweise war dies auch das erste Schachbuch, das meine Frau Aleksandra Dimitrijevic studiert hat!

SS: Was für ein Zufall! Wie habt ihr euch kennengelernt?

Aleksandra Dimitrijevic stammt aus Bosnien-Herzegowina und
ist Frauengroßmeisterin und Trainerin.

BJ: Ich habe Aleksandra vor ungefähr einem Jahr in Italien kennengelernt. Ich habe da am ACP Golden Classic in Bergamo 2014 teilgenommen. Das Turnier war eine Idee von Emil Sutovsky – er hat Sponsoren gefunden und das Turnier organisiert. Das Besondere an diesem Turnier war, dass es wie in der guten alten Zeit Hängepartien gab. Das war ein interessantes Turnier. Aleksandra hat in einem offenen Turnier gespielt. Eines Tages saß ich mit Emil in einem chinesischen Restaurant und Aleksandra schickte Emil eine Textnachricht, um zu wissen, wo er war. Er sagte es ihr und meinte, sie solle doch vorbeikommen. Das tat sie und so haben wir uns das erste Mal getroffen. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und allmählich wurde daraus eine Beziehung. Das nächste Mal haben wir uns bei der Schacholympiade in Tromsø 2014 getroffen. Die Dinge liefen sehr gut und 2015 haben wir beschlossen, dass wir heiraten. Das haben wir getan und am 21. September kam unser Sohn auf die Welt. Wir haben ihn Maximus getauft - nach der Figur des Maximus aus dem Film Gladiator mit Russell Crowe. Mir gefällt die Rolle der Hauptperson, die Maximus heißt.

SS: Dein Bruder Belgar spielt ebenfalls Schach. Wenn ihr gegeneinander spielt, kämpft ihr die Partien dann aus, oder macht ihr schnell Remis?

BJ: Meistens machen wir schnell Remis. Als er 12 war, wurde er Ukrainischer Meister. Doch als er den IM-Titel hatte, hat er mit dem Schach aufgehört. Aber das ist für mich okay, denn wir haben bereits einen GM, einen IM, eine Frauengroßmeisterin - und einen Hund und acht Katzen - in der Familie [lacht].

SS: Was sind deine besten Freunde in der Schachwelt?

BJ: Ich habe viele großartige Freunde in der Schachwelt. Zum Beispiel Alexander Grischuk, Vladimir Malakhov, etc. Malakhov ist ein großartiger Typ, sehr höflich, sehr bodenständig. Ich weiß nicht, warum er nicht stärker wurde, als er im Moment ist. Vielleicht hat er nicht erkannt, wie gut er im Schach ist. Sein eröffnungstheoretisches Wissen ist sehr gut, genau wie sein Spielverständnis. Er ist auch sehr starker praktischer Spieler. Grischuk ist ein großartiger Typ und einer der besten Spieler der Welt. Es gibt so viele Leute, wie zum Beispiel Wojtaszek, Nevednichy (der im Bus gleich hinter ihm saß). Ein großartiger Mensch, er gehört einer etwas älteren Generation an, aber immer, wenn wir uns treffen, dann genießen wir die Zeit. Doch ich möchte auf diese Frage nicht weiter eingehen, denn ich würde mit Sicherheit viele Leute vergessen und ich möchte niemanden verärgern.

SS: Nehmen wir einmal an, du hättest die Möglichkeit, mit dem normalen Schach aufzuhören, um stattdessen mit Chess960 anzufangen - wie würdest du reagieren?

BJ: Diese Idee des Chess960 ist vollkommen unlogisch. Die Leute sagen, es sei sehr originell, aber mir gefällt es nicht.

SS: Das überrascht mich! Ich hatte gedacht, ein kreativer Spieler wie du würde Chess960 lieben.

BJ: Okay, manche der Ausgangsstellungen sind interessant, aber nicht alle. Das Spiel ist einfach viel zu zufällig und das ist der Grund, warum es mir nicht gefällt.

SS: Was hältst du vom Frauenschach?

BJ: Ich mag Frauenschach nicht - das ist kein normales Schach. Vielleicht ärgern sich viele Frauen über mich, wenn sie das lesen, aber ich sage, was ich denke. Im Prinzip kann man das Schach von Frauen und Männern nicht miteinander vergleichen. Hier bin ich absolut einer Meinung mit Nigel Short. Hou Yifan ist sehr gut, aber objektiv ist sie deutlich schwächer als die besten Spieler bei den Männern.

Eine Freude für den Interviewer: Baadur sagt immer, was er denkt

SS: Wie sieht ein typischer Tag im Leben Baadur Jobavas aus?

BJ: Das kommt darauf an. Manchmal werfe ich nicht einmal einen Blick auf das Schachbrett. Vor einem starken Turnier versuche ich, fünf bis sechs Stunden pro Tag zu arbeiten. Ich strenge mich vor dem Turnier an und versuche so, meine Kräfte während des Turniers zu schonen. Vor vielen Jahren habe ich auch ernsthaft an meiner Fitness gearbeitet, aber das mache ich nicht mehr. Leider. Ich würde gerne wieder damit anfangen.

SS: Was sind deine Lieblingssportarten?

BJ: Tischtennis, Fußball und Eishockey. Beim Eishockey schaue ich gerne zu, aber habe es nie gespielt.

SS: Wie finanziert du dich als Spieler? Hast du einen Sponsor?

BJ: Nein, ich habe keinen Sponsor. Wenn ich zu einem Turnier eingeladen werde, übernimmt der Veranstalter alle meine Kosten. Aber wenn ich nicht eingeladen werde, dann muss ich selber dafür aufkommen. Das ist ein bisschen Zockerei. Man arbeitet ein Jahr lang hart, aber dann kann es passieren, dass man während des Turniers krank wird und deine ganze harte Arbeit war umsonst. Manchmal arbeite ich als Trainer, aber nicht regelmäßig. Zuallererst bin ich spielender Schachprofi.

SS: Welche Pläne hast du für die Zukunft?

BJ: Ich bin gerade Vater geworden. Was Schach betrifft, so spiele ich bei der Russischen Mannschaftsmeisterschaft. Danach die Schwedische Liga, den Malmö Cup und die Europamannschaftsmeisterschaft in Island. Mein Ziel ist es, wieder auf 2700 zu kommen, damit ich mehr Einladungen zu geschlossenen Turnieren erhalte. Die Organisatoren mögen keine Spieler, die Ratingpunkte verlieren, und deshalb hat die Rückkehr zu 2700 Priorität für mich.

SS: Glaubst du, dein unbekümmertes, sorgloses Wesen hat Einfluss auf die Art, wie du Schach spielst?

BJ: In der Regel machen sich die Eigenschaften, die man abseits des Brettes zeigt, auch beim Spiel bemerkbar. Zum Beispiel ist der deutsche GM Georg Meier sehr ruhig und cool und das zeigt sich in seinem Spiel. Meine Lebenseinstellung zeigt sich auch in meinem Spiel. Ganz allgemein gesagt wirkt sich das Feiern und Genießen auf mein Spiel aus. Aber manchmal auch positiv.

SS: Was ist dein ultimatives Ziel im Schach?

BJ: Weltmeister zu werden war natürlich ein Kindheitstraum. Aber jetzt bin ich objektiv und weiß, dass das schwer ist. Aber ich denke nicht wirklich darüber nach. Ich versuche, mein bestes Schach zu spielen und alles, was ich kontrollieren kann, versuche ich so gut zu machen, wie ich kann.

SS: Welche Botschaft kannst du allen jungen Schachspielern und Schachliebhabern mitgeben?

BJ: Was das Schach betrifft, so würde ich sagen: "Benutzt keine Computer, benutzt euer Gehirn! Allgemein gesprochen, würde ich sagen, dass wir beim Wettlauf, erfolgreich zu sein, dazu neigen, das zu vergessen, was im Leben wichtig ist - zwischenmenschliche Beziehungen. Deshalb ist das Leben so schnell geworden. Es ist wie ein Rennen, eine Art globaler Hypnose. Wir sollten langsamer werden und begreifen, dass die Liebe zueinander der richtige Weg ist, sein Leben zu leben.

Großen Dank an meine Frau Amruta Mokal, die mir geholfen hat, das Interview zu transkribieren.


Sagar Shah ist ein junger Internationaler Meister aus Indien. Er ist zugleich ausgebildeter Wirtschaftsprüfer und würde gerne der erste indische Wirtschaftsprüfer sein, der Großmeister wird. Sagar berichtet leidenschaftlich gerne über Schachturniere, denn so begreift er das Spiel, das er so liebt, besser. Aus Leidenschaft für das Schach betreibt er auch einen eigenen Schachblog.

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