Nachdruck aus der Aargauer Zeitung mit freundlicher
Genehmigung des Autors.

Bobby Fischer zur Not auch essen, - gekocht
oder gebacken..."?!
Island will Bobby Fischer
aufnehmen, aber Japan will den ehemaligen Schachweltmeister nicht aus der Haft
entlassen. Rechtsanwältin Masako Suzuki kämpft seit sieben Monaten für das
exzentrische Genie:
"Ich hoffe nicht, dass
Japan schäbig handelt"
Von Dr. René Gralla
TOKIO/AARAU - Hängepartie in
Japan: Noch immer wird Robert James Fischer, genannt "Bobby", im
Internierungslager Ushiku festgehalten. Am 13. Juli 2004 war der ehemalige
Schwachweltmeister auf Tokios Flughafen Narita verhaftet worden, weil die USA
die Gültigkeit seines Reisepasses widerrufen hatten. Washington verlangt
Fischers Auslieferung und will den 61-jährigen vor Gericht stellen; bis zu zehn
Jahre Gefängnis drohen dem einst gefeierten Helden der Nation, der 1972 im
Alleingang die seinerzeitige Vorherrschaft der Sowjets am 64-Felder-Brett durch
einen Sieg über Boris Spasski in Reykjavik gebrochen hatte.
Amerikas Justiz beschuldigt den
einstigen Vorzeigesportler, ein UN-Embargo verletzt zu haben, als Fischer 1992
ein Wiederholungsmatch gegen Spasski im damaligen Jugoslawien austrug.
Inzwischen bietet freilich Island, das die Fischer-Story als Teil seiner
modernen Saga betrachtet, dem Verfolgten Aufnahme und Bleiberecht an; eine
Offerte, die in Tokio wiederum auf taube Ohren stößt. Deswegen hat "Bobby"
Fischer jetzt einen Brief an Halldor Blöndal, Präsident des isländischen
Parlaments "Althingi", geschrieben und die Staatsbürgerschaft der nordischen
Nation beantragt. Dr. René Gralla sprach für die Schweizer „Aargauer Zeitung“ (www.azag.ch)
mit Fischers Anwältin Masako Suzuki (31) über die jüngste Wendung in der
Dauer-Affäre.
Aargauer Zeitung:
Seit mittlerweile sieben Monaten ist Bobby Fischer in
Japan interniert; sein körperlicher Zustand soll sich verschlechtert haben.
Masako Suzuki:
Die Haft belastet ihn und seine Gesundheit. Ihm wird oft schwindelig.
AZ:
Zwischenzeitig schien eine elegante Lösung des Falles
in Sicht, nachdem Reykjavik dem Ex-Weltmeister Einreise und Bleiberecht
angeboten hat. Entsprechend beantragten Sie namens Ihres Mandanten
Haftentlassung und Ausreise nach Island; aber Japans Justizministerium hat das
Gesuch abgelehnt. Ihre Stellungnahme dazu, Frau Suzuki?
Suzuki:
Jeder Mensch genießt nach internationalem Recht die Freiheit, ein Land zu
verlassen. Dieses Grundrecht wird auch von der japanischen Verfassung
garantiert. Obendrein verstößt die Weigerung des Justizministeriums, Herrn
Fischer ausreisen zu lassen, gegen die gängige Praxis der Einwanderungsbehörden.
Üblich ist nämlich: Soll ein Ausländer sein Herkunftsland abgeschoben werden
und stehen dem Einwände entgegen, während ein drittes Land zur Aufnahme bereit
ist, hat das Justizministerium normalerweise stets die Abreise gestattet.
AZ:
Nun bemüht sich Fischer sogar um die isländische
Staatsbürgerschaft. Dafür müsste aber das Parlament in Reykjavik ein
Sondergesetz verabschieden. Sind Sie optimistisch, dass diese Ausnahmeregelung
im Althingi eine Mehrheit findet?
Suzuki: Ich möchte keine
Prognose abgeben. Ich bin Laie, was Islands Rechtssystem und innenpolitische
Situation betrifft.
AZ:
Ist Fischers Hilferuf an Island nicht vielmehr sein
letzter verzweifelter Versuch, eine Deportation in die Vereinigten Staaten doch
noch zu verhindern?
Suzuki:
Der Ausdruck „letzter Versuch“ ist nicht korrekt. Im Gegenteil:
Fischers Appell an Reykjavik setzt Tokio stärker unter Druck.
AZ:
Das müssen Sie uns erklären. Wie wird denn Japan reagieren, falls
Islands Althingi tatsächlich eine Lex Fischer beschließen sollte?
Suzuki:
Sobald er isländischer Staatsbürger ist, wird es für das Justizministerium in
Tokio schwierig, die Ausreise weiter zu versagen, weil Island dann ja die Heimat
von Herrn Fischer ist. Vielleicht versuchen sie jedoch, eine andere Ausrede zu
finden; als Bürgerin Japans hoffe ich allerdings aufrichtig, dass Japans
Regierung nicht eine derart schäbige Sache macht.
AZ:
Als Japans Justizministerin kürzlich während einer
Pressekonferenz gefragt worden ist, ob Tokio Herrn Fischer gehen lasse, falls
Island dessen Immigration gestatte, soll Frau Chieko Nohno "ja, ja" gemurmelt
haben. Warum der neuerliche Rückzieher? Hat sich Japan dem Druck aus Washington
gebeugt?
Suzuki:
Es liegt auf der Hand, dass die Vereinigten Staaten seit Anbeginn des Falles
Druck ausüben. Nach der offiziellen Verlautbarung hat Frau Nohno erklärt, dass
sie zustimme, die Änderung des Ausreisezieles - Island an Stelle einer
Deportation in die USA - in Betracht zu ziehen. Ich nehme freilich nicht an,
dass sie ernsthaft beabsichtigte, irgendetwas dafür zu tun; und tatsächlich hat
sie bis jetzt auch noch nichts unternommen.
AZ:
Ein hoch gestellter japanischer Regierungsmitarbeiter
wird von Agenturen mit den folgenden Worten zitiert: "Wir können" Herrn Fischer
"so lange behalten, wie wir wollen“.
Suzuki:
An ein derart explizites Statement erinnere ich mich nicht. Zweifellos aber
beharrt das Justizministerium auf der Rechtsposition, dass es einen Ausländer,
dessen Deportation verfügt worden ist, zeitlich unbegrenzt festhalten kann, bis
die Anordnung vollzogen wird.
AZ:
Der erwähnte Offizielle soll außerdem noch hinzugefügt haben:
„Wir können ihn essen, wenn es
uns beliebt.“ Wie ist denn dieser bizarre Nachsatz zu verstehen?
Suzuki:
Ich fürchte, da liegt ein Missverständnis vor; nach meinen
Informationen ist diese Bemerkung nicht gefallen. Unbestritten hat sich aber ein
Vertreter des Justizministeriums vor einigen Dekaden dahingehend eingelassen,
ihnen stünde angeblich auch frei, „Ausländer zu essen, gekocht oder gebacken“;
der spielte seinerzeit auf eine Redewendung in Japan an: nämlich „das Recht“ zu
haben, „jemanden nach Belieben zu essen, gekocht oder gebacken“.
AZ:
Frau Miyoko Watai, Präsidentin des japanischen
Schachverbandes, und Herr Fischer wollen heiraten. Würde die geplante
Eheschließung Fischers Auslieferung an die USA verhindern?
Suzuki:
Das Deportationsverfahren ist formell noch gar nicht in Gang gesetzt worden. Und
es ist unmöglich, in Bezug auf Herrn Fischer eine Auslieferung vorzunehmen; denn
das Delikt, das er angeblich begangen hat, ist in Japan keine Straftat. Eine
ernst gemeinte Eheschließung mit - wie im Fall von Herrn Fischer - einer
Bürgerin Japans ist ein positiver Faktor für die Entscheidung, ob einem
Ausländer das Aufenthaltsrecht in Japan gewährt wird.
AZ:
Wann wird die Hochzeit sein?
Suzuki:
Frau Watai und Herr Fischer haben ihren Heiratswunsch bereits vor einigen
Monaten zur amtlichen Registratur angemeldet. Die endgültige Anerkennung seitens
des Justizministeriums steht noch aus.
AZ:
Frau Suzuki, wäre Ihre Arbeit leichter, wenn sich Herr
Fischer für seine antisemitischen Ausfälle und verbalen Angriffe gegen die USA
nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entschuldigen würde?
Suzuki:
Sollte er das tun und würde ihm das tatsächlich helfen, dann wäre es ganz
offenkundig, dass Herr Fischer allein aus politischen Gründen verhaftet worden
ist. Was bedeutet, dass die Maßnahmen der USA und der japanischen Regierung als
illegal zu betrachten sind.
AZ:
Mit Bobby Fischer vertreten Sie eine lebende
Schachlegende. Spielen Sie selber Schach, Frau Suzuki? Oder die besondere
japanische Schachversion, nämlich das Shogi?
Suzuki:
Weder das eine noch das andere.