Boris Spasski grüßt aus dem Krankenhaus
Gespräch über die "Rundumverteidigung" des Exweltmeisters
Von Dagobert Kohlmeyer

Boris Spasski wurde am Sonntag 74 Jahre alt.
Er beging den Geburtstag allerdings nicht im vertrauten Familienkreise, sondern
in einem Pariser Krankenhaus. Nach seinem zweiten Schlaganfall, den er im Herbst
in Moskau erlitten hatte, befindet sich der Exweltmeister noch immer in der
Obhut der Ärzte. Im Gespräch mit unserem Reporter wird deutlich, dass Spasski
seinen Humor trotz allem bewahrt hat.
Guten Tag, Boris. Herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag!
Danke sehr. Nett von dir, dass du anrufst.
Wie geht es dir?
Noch halte ich mich. Auch wenn es nicht
leicht ist, praktiziere ich die Rundumverteidigung. Ich stemme mich gegen die
Krankheit. Nur gut, dass ich auf einer weichen Matratze liege.
Wo in Paris liegt dein Krankenhaus?
Etwa acht Kilometer von unserem Haus
entfernt in Richtung Flughafen.
Hast du im Zimmer einen
Internetanschluss? Das Turnier in Wijk aan Zee ist heute zu Ende gegangen.
Ja, ich habe mir hin und wieder angesehen,
was dort passierte.
Hikaru Nakamura hat
gerade gewonnen. Was sagst du dazu?
Ehrlich gesagt, finde ich sein Schach nicht
so toll. Er ist für mich der am wenigsten interessanteste Spieler.

Warum?
Nakamura spielt ein
sehr merkwürdiges Schach, so wie ein kleiner japanischer Panzer. Ich drücke
anderen Großmeistern die Daumen.
Wer ist denn dein Favorit?
Ich fiebere immer mit Magnus Carlsen mit. Er
ist der Jüngste von ihnen und versteht Schach schon so gut. Das gefällt mir
besonders an dem Jungen.
Ist er für dich inzwischen der Beste?
Ich weiß nicht, weil sie dort an der Spitze
alle sehr stark sind. Ich mag ihn einfach deshalb, weil er trotz seines zarten
Alters schon derart frech spielt. So wie es früher Mischa Tal getan hat. Carlsen
ist ein Schach-Räuber, ein Pirat, eben ein echter Wikinger.
Der Norweger ist aber aus dem WM-Zyklus
ausgestiegen. Findest du das richtig?
Na und, lass ihn doch! Das ist seine Sache.
Schachweltmeister kann er immer noch werden.
Garri Kasparow hat den Rückzug von
Carlsen gerügt und erklärt, er sollte kämpfen und mehr arbeiten.
Warum? Vielleicht hat Magnus zurzeit andere
Dinge im Kopf, ist verliebt oder so etwas.

Bei all seiner Klasse verliert Carlsen
noch zu viele Partien. Sollte er wieder mit Kasparow trainieren?
Ich weiß nicht recht. Magnus hat in dem
einen Jahr mit Garri vielleicht zu viel getan und ist etwas überarbeitet. Jetzt
erholt er sich womöglich von Kasparow. Er nahm einfach Urlaub von ihm.
Ich merke, du hast deinen Humor noch
nicht verloren.
Es ist Krankenhaushumor.
Was hilft dir in deiner momentanen
Situation am meisten?
Ich höre gern Musik. Sie soll möglichst
heiter sein, dann regt sie mich an und baut mich wieder auf.
War deine Familie heute schon bei dir?
Nein, bisher noch nicht. Ich warte auf ihren
Besuch und darauf, dass meine Leute mir ein Gläschen Wodka bringen. Noch ist der
Schnaps hier nicht aufgetaucht.
Dazu gehört auch etwas Schönes zu essen.

Ja, Butterbrot und schwarzer Kaviar. Er
schmeckt besser als der rote, aber ist im Moment schwer zu bekommen. Im Iran
haben sie vielleicht noch welchen. Auf der russischen Seite des Kaspischen
Meeres gibt es den Stör schon nicht mehr.
Du hast nun zwei Schlaganfälle
überstanden. Macht deine Genesung Fortschritte?
Am Anfang war es schwierig, die Bewegungen
richtig zu koordinieren. Es ist etwa so, als ob bei einem Flugzeug das
Navigationssystem ausfällt. Inzwischen habe ich keine großen
Koordinationsprobleme mehr. Ich kann normal sprechen, wie du hörst, neben
Russisch auch etwas Englisch.
Wann kannst du entlassen werden?
Da halten sich die Ärzte noch bedeckt. Ich
denke, dass ich gerade im Mittelspiel bin. Das dauert wahrscheinlich noch einige
Zeit. Wichtig ist mir, aus dem Mittelspiel in ein gutes Endspiel zu kommen.
Dafür wünscht dir die gesamte Schachwelt
von Herzen alles Gute!
Vielen Dank!