Das folgende Interview erschien in
Neues Deutschland, Ausgabe vom 14./15.August 2004. Nachdruck mit
freundlicher Genehmigung des Autors.
Die Schöne und das Brett
Topmodel Carmen Kass zu den Chancen Tallinns, die Schacholympiade 2008 zu holen
Carmen Kass mit Weltmeisterin Antoaneta Stefanova bei den CC Mainz
Fotos: Hartmut Metz (Chess Classic Mainz), Natalia Kiseleva
Jetzt ist es losgegangen,
Olympia, endlich – aber während die Spiele in Athen laufen, werden schon die
Weichen gestellt für das nächste Völkerfest des Sports. Wobei es dabei um den
Denksport geht. In dieser Beziehung hat sich bisher Dresden große Hoffnungen
gemacht, die Bewerbung um die Schacholympiade 2008 gegen die Konkurrenzstadt
Tallinn zu gewinnen. Bis zur Mobilisierung einer Geheimwaffe durch die Esten:
Die haben jetzt nämlich das internationale Topmodel Carmen Kass zur Präsidentin
ihres Schachbundes gekürt.
Die 25-jährige Baltin wurde
vom Magazin Vogue 2000 zum „Model of the Year“ gewählt. Sie soll mit ihrem
blonden Charme die Schacholympiade nach Tallinn holen. ND-Mitarbeiter Dr. René
Gralla hat dazu Carmen Kass befragt – die übrigens ganz ausgezeichnet Schach
spielen kann. Während des Sommerturniers „Chess Classic Mainz 2004“ verwirrte
sie in einer Blitzpartie den Ex-Weltmeister Viswanathan Anand aus Indien derart
gnadenlos, dass er ihr ein Remis anbot.
Nichts ist
weniger glamourös als die Welt der Schachfunktionäre, wo ältere Männer in
schlecht sitzenden Anzügen regieren. Sie, Frau Kass, stammen aus der Welt des
Glamours: Was hat Sie dazu bewogen, ausgerechnet Schachfunktionärin zu werden?
Weil ich eine Leidenschaft für
das Spiel habe. Mein Vater ist Schachlehrer gewesen, und ich habe das Spiel von
ihm als kleines Kind gelernt. Zwischendurch habe ich eine andere Karriere
gemacht; aber jetzt habe ich wieder die Möglichkeit, die Leidenschaft meiner
frühen Jugendtage zu pflegen.
Haben Sie
jemals daran gedacht, professionell Schach zu spielen?
Um ehrlich zu sein: nein. Als
ich herangewachsen bin, habe ich mir nie vorstellen können, dass das tatsächlich
ein Berufsweg sein
könnte.
Aber Ihr
Vater ist doch Schachlehrer gewesen: Da hätte dieser Gedanke vielleicht nahe
liegen können?!
Ich weiß nicht: ein
Schachlehrer zu sein, das habe ich nun doch nicht als eine richtige Karriere
ansehen können.
Nun aber
die überraschende Wende: Sie sind Präsidentin des Schachverbandes von Estland
geworden. Wie haben Ihre Kollegen in der Model-Welt darauf reagiert?
Die sind ziemlich schockiert.
Mit Ihrem
neuen Job treten Sie an, alle Vorurteile gegenüber Models zu widerlegen …
… wenn Sie darauf anspielen
wollen, dass Models angeblich dumm sind: Die meisten Models sind 13, 14, 15
Jahre alt; sie müssen noch dumm sein.
Warum,
bitte, müssen diese Models noch „dumm“
sein?
Weil sie jung sind.
Aber in
dem Alter kann man doch auch schon etwas wissen?!
Nein; im Alter von 13, 14, 15
Jahren müssen die Mädchen wirklich noch Kinder sein.
Vielleicht
können künftig Sie, Frau Kass, ein Vorbild sein für alle Mädchen, die vom Beruf
des Models träumen. Sie beweisen, dass Modeln super ist – aber dass die Mädchen
gleichzeitig auch ihre geistigen Fähigkeiten entwickeln sollen.
Ich hoffe, dass ich vielen
Mädchen eine Idee vermitteln kann: Wenn sie modeln wollen, dann ist das
großartig; dann könnte das ein Sprungbrett für etwas anderes sein. Aber es gibt
noch sehr viel mehr im Leben; und die Mädchen dürfen nicht denken, dass Modeln
etwas für ein ganzes Leben ist. Modeln ist eine Karriere für eine begrenzte Zeit
- und deswegen sollten sie sich besser auf eine Alternative vorbereiten.
Und dafür
könnte Schach eine gute Methode sein – um den Verstand zu trainieren?
Carmen Kass und Peter Svidler
Absolut. An allen Schulen
sollten die Kinder Schach lernen.
Einige
Kritiker tun Ihre Wahl zur Präsidentin des Schachbundes von Estland als reines
PR-Manöver ab. Das allein darauf abziele, mehr Aufmerksamkeit zu erregen für die
Schach-Olympia Bewerbung 2008 der estnischen Hauptstadt Tallinn.
Leute, die so argumentieren,
suchen in Wahrheit selber die PR, die sie ablehnen. Reine PR ist nicht der
Grund, warum ich jetzt an der Spitze unseres Schachverbandes stehe. Trotzdem
sind die Dinge natürlich so, wie sie sind: Indem ich das Amt übernommen habe,
ergeben sich selbstverständlich PR-Effekte. Wenn die nützlich sind für unsere
Olympia-Bewerbung, wenn die sich für unsere Kampagne einsetzen lassen: ja, klar,
dann sind diese PR-Effekte auch gewollt. Alles geht Hand in Hand.
Carmen Kass als Ehrengast in Mainz. Organisator Hans-Walter Schmitt beobachtet
den Anschnitt der Schachtorte
Gerade ist
Estland Mitglied der EU geworden – und schon wollen Sie Dresden die
Schach-Olympiade 2008 wegschnappen. Finden Sie das nett?
Hier geht es doch nicht darum,
Dresden etwas wegzuschnappen. Das ist ein fairer Wettbewerb.
Diese
Konkurrenz wird für Dresden aber nun sehr schwer – wegen der Extra-Werbung, die
Tallinn mit Ihrer Person kriegt, Frau Kass.
Ich wünsche den Dresdnern
alles Gute, für alles, was sie tun müssen, wie auch immer; ansonsten ist das
nicht mein Job. Ich werde versuchen, mein Bestes für Estland zu geben. Aber wir
sind keine Feinde, wir sind ganz einfach Mitbewerber: Wer dabei den besseren Job
macht, der macht den besseren Job. Und ich kann nicht voraussagen, wer das sein
wird.
Sie
arbeiten weiter als Model, pendeln zwischen New York und Paris. Wie können Sie
das mit Ihrer neuen Aufgabe
als Schachbund-Präsidentin vereinbaren?
Damit habe ich kein wirkliches
Problem. Irgendwie schaffe ich das schon. Für meinen Beruf bin ich sowieso
ständig unterwegs; da macht es keinen echten Unterschied, dass ich jetzt auch
für Schach viel reise. Ich reise sowieso: für Schach oder für das Modeln, das
bleibt sich gleich.
Müssen Sie
sich nicht öfter mal in Ihrem Büro in Tallinn aufhalten?
Dass ich Präsidentin der
estnischen Schach-Federation bin, bedeutet nicht, dass ich ständig in Estland
sitze. Wenn man eine Führungspersönlichkeit im Schach ist, heißt das wirklich
nicht, dass Sie an einen Ort gebunden sind und allein dort etwas machen. Sie
müssen die Dinge ständig in Bewegung halten – und also auch sich selber - ,
damit Schach im allgemeinen wachsen und wachsen kann.
Nachdem
Sie zur Präsidentin des estnischen Schachverbandes aufgestiegen sind und viel
mit Schach zu tun haben: Werden Sie selber auch künftig mehr Schach spielen?
Unbedingt. Außerdem möchte ich
auf jeden Fall sehr gerne Unterricht nehmen – wobei sich da allerdings
nun tatsächlich die Zeitfrage stellt.
Vielleicht
brauchen Sie gar nicht mehr so viel Training? Eine Blitzpartie zwischen Ihnen
und dem Sieger der „Chess
Classic Mainz 2004“,
Viswanathan Anand, ist sensationell Unentschieden ausgegangen; Anand hat Ihnen
das Remis angeboten.
Kass gegen Anand.
Er hatte etwas weniger Zeit
als ich auf der Uhr. Eigentlich fehlten ihm nur noch zwei Züge, denke ich, um
mich matt zu setzen (lacht).
Vielleicht
wegen Ihrer überwältigenden Persönlichkeit am Brett?
Wer weiß, wer weiß. Ich war
glücklich, gegen ihn ein Remis zu schaffen, das passiert einem nicht jeden Tag.
Ich bin überhaupt glücklich gewesen, gegen Anand zu spielen; nicht jeder hat die
Chance, mit Großmeistern zu spielen. Vor dem Spiel hatte ich viel Angst, und ich
war sehr nervös; während des Spiels konnte ich kaum nachdenken oder Luft holen …
aber es war großartig!
Vielleicht
machen Sie auf diese Weise anderen Schachspielerinnen Mut, sich dazu zu
bekennen, am Schachbrett auch psychologische Mittel einzusetzen? Entsprechend
hat ja neuerdings übrigens auch die russische Großmeisterin Maria Manakowa kein
Problem mehr damit, sich als „Sexsymbol“
zu präsentieren.
Überall in der Gesellschaft
funktioniert das. Warum also nicht auch am Schachbrett?
Beginnt
damit eine Trendwende? Früher haben Schachsportlerinnen eher versucht, ihre
Weiblichkeit zu leugnen. Inzwischen haben wir aber die ehemalige
Vize-Weltmeisterin und amtierende Europameisterin Alexandra Kosteniuk aus
Russland, die ausgezeichnet Schach spielt und gleichzeitig modelt. Da ist deren
Landsfrau Maria Manakowa, die sich eine
„sexuelle Revolution“
am Schachbrett wünscht; sie hat sich sogar nackt für das Titelbild des
russischen Yellowblattes „Speed“
fotografieren lassen …
… tatsächlich?! Wow!
Und wir
haben Sie, Frau Kass – vielleicht sind Sie die Avantgarde einer neuen Generation
junger Frauen, die keine Probleme mehr damit haben, Sex und Schach miteinander
zu verbinden?
Das hoffe ich. Frauen sind
ganz allgemein im Schach bisher nicht vollständig akzeptiert worden. Was immer
sich abspielt, wenn Männer Schach spielen: Das ist die Art der Männer. Also
sollten auch wir Frauen das Schach nach unseren
eigenen Regeln spielen. Und dabei alle Register ziehen.
Gerade
Alexandra Kosteniuk hat freilich konservative Geister erbost, weil die Spielerin
auch erotische Fotos von sich veröffentlicht hat. Diese Puristen meinen, dass
Sex im seriösen Schach nichts zu suchen hat, sondern das Spiel verdirbt.
Hat Alexandra Kosteniuk etwa
nackt gespielt?! Wenn die Persönlichkeit eines Spielers derart schwach ist, dass
er sich vom attraktiven Äußeren einer Frau verunsichern lässt, dann sollte er
kein Großmeister sein.
Immerhin:
Wenn eine gut aussehende Schachspielerin eigene Fotostrecken veröffentlichen
lässt, dann schafft sie für sich mehr Publicity als ihre Konkurrenz, die
vielleicht weniger attraktiv ist.
Ich finde das wichtig. Schach
ist während einer langen Zeit außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung gewesen.
Damit aber Schach in der Welt an Bedeutung gewinnt und auch das Einkommen der
Spieler steigt, brauchen wir dafür mehr Aufmerksamkeit.
Und dafür
ließe sich auch die Schönheit der vielen attraktiven Schachsportlerinnen
einsetzen?
Absolut!
Sie haben
das brasilianische Topmodel Giselle Bundchen bereits auf dem Catwalk
ausgestochen – indem Sie, Frau Kass, in mehr als 20 Laufsteg-Shows aufgetreten
sind. Wollen Sie nicht jetzt auch Frau Bundchen zum letzten entscheidenden Duell
am Schachbrett fordern?
Ich glaube nicht, dass Giselle
Bundchen spielen
kann. (lacht)
Nach Ihrem
Remis beim Blitzen in Mainz gegen Anand: Gibt es für Sie noch weitere
Traumpartner im Schach?
Kasparow und Fischer.
Bei Robert
James Fischer würde es da momentan praktische Probleme geben, nach der
Verhaftung des Ex-Weltmeisters in Japan, um ihn an die USA auszuliefern. Mögen
Sie, Frau Kass, vielleicht mit Ihrem Charme den Präsidenten George W. Bush dazu
bewegen, Fischer zu begnadigen?
Nun, ich denke, Amerika ist im
Moment viel zu verrückt. Die müssen sich erst beruhigen. Warten wir die Wahlen
im November ab; dann werden wir sehen, was mit Herrn Fischer passiert.
Interview:
Dr. René Gralla