Interview mit Carsten Hensel

von ChessBase
11.07.2007 – Eine Station von Kramniks kleiner Deutschlandreise, die ihn von Dortmund (Sparkassen Chess Meeting, Turniersieger) über Hamburg (Auslosung der Partnerschulen für die Schacholympiade, Schirmherr) nach Köln (Box-WM, Zuschauer) führte, war das Studio in den ChessBase-Büros, wo der Weltmeister eine DVD im Fritztrainer-Format aufnahm. Während der Aufnahmen gab es Gelegenheit zu einem Interview mit Carsten Hensel, in dem der Kramnik- (und Leko-) Manager u.a. zu einigen Fragen hinsichtlich der kommenden Weltmeisterschaft und der nachfolgenden Wettkämpfe Stellung nimmt und das Topalov von der FIDE eingeräumte Vorrecht eines Wettkampfes gegen Kramnik oder den Worldcup-Sieger kritisiert: "Mit Sicherheit ist in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich gehe davon aus, dass alle Top-Großmeister inklusive Peter Leko gegen dieses Vorrecht protestieren werden..." Interview mit Carsten Hensel...

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Interview mit Carsten Hensel
Von André Schulz


Carsten Hensel (Foto: Knut Koops)

Wie sind Sie mit dem Abschneiden ihrer Schützlinge in Dortmund zufrieden?

Selbstverständlich sehr zufrieden. Wladimir hat nicht nur zum achten Mal Dortmund gewonnen, sondern in Serie - beginnend mit Schacholympiade in Turin 2006 - das 5. klassische Schachereignis mit einer ELO-Performance von über 2800 abgeschlossen. Das beweist, wie sehr er seit mehr als einem Jahr die Szene dominiert. Peter, ebenso wie Kramnik, hat in Dortmund eine sehr ansprechende Leistung gezeigt und in fast jeder Partie Druck ausgeübt. Auch er hätte Dortmund leicht gewinnen können, wenn er seine Chancen ein wenig besser genutzt hätte. Wie auch immer, beide Spieler sind in hervorragender Verfassung.            

War Kramniks Sieg wichtig im Hinblick auf die psychologische Ausgangssituation beim WM-Turnier in Mexiko.

Wie schon gesagt, Kramnik dominiert seit einiger Zeit das Spitzenschach. Das wird der Konkurrenz nicht entgangen sein und sie ist sicherlich beeindruckt. Ich glaube jedoch nicht, dass dies ein Vorteil für Kramnik ist, denn auf ihm lastet gleichzeitig der größte Druck. Die Karten werden in Mexiko neu gemischt, sehr viel wird von der Vorbereitung abhängen und der aktuellen Form vor Ort: schachlich, physisch und mental.         

Welche Bedeutung haben die Ergebnisse von Schnellschachwettkämpfen, wie etwa Leko gegen Kramnik.

Rein sportlich gesehen so gut wie keine, schon allein deshalb, weil die Partien nicht für die Weltrangliste gewertet werden. Diese Showevents sind jedoch ein ideales Medium um Schach in lockerer Form neuen Zielgruppen zu präsentieren. 

Die Fide hat während des Dortmunder Turniers eine Präsidiumssitzung abgehalten und als Ergebnis u.a. einen Fünfjahresplan mit einer recht komplizierten Grafik für die kommenden Weltmeisterschaften veröffentlicht. Haben Sie das System verstanden.

Das System ist nicht schwer zu verstehen. Allerdings führt die Grafik zu Missverständnissen, da gebe ich Ihnen recht. 

Können Sie uns das System in wenigen Sätzen erklären?

Ganz einfach: In Zukunft sollen über den Weltcup und Grand Prix die beiden Sieger in einem Match den Herausforderer des Weltmeisters ermitteln.

Wieso hat Kramnik das Vorrecht eines Weltmeisterschaft-Kampfes, für den Fall, dass er in Mexiko nicht gewinnt?

Die WM in Mexiko-City soll die letzte im Turniermodus sein. Durch die Vereinigung der Titel ist die Notwendigkeit des Experimentierens entfallen. Die FIDE hat logischerweise entschieden, dass am Ende eines jeden Zyklus ein klassischer Zweikampf um die WM stattfinden soll. Da Mexiko jedoch schon vereinbart war, haben wir uns vertraglich auf einen Kompromiss geeinigt. Kramnik ist danach für einen WM-Kampf im Jahre 2008 gesetzt, ganz egal wie er in Mexiko abschneidet. Es wäre ja auch ein Unding, wenn der 3-fache Match-Weltmeister durch ein Turnier, womöglich noch als Zweitplatzierter und im Tiebreak geopfert würde. Dies hätte nur zu weiteren Verwerfungen in der Schachwelt geführt, denn viele Fans würden Kramnik weiterhin als Champion betrachten, der in einem Zweikampf zu besiegen ist. Falls Kramnik Mexiko nicht selbst gewinnt, wird er also den Sieger von Mexiko zunächst als Weltmeister anerkennen, jedoch unter der Bedingung eines einmaligen Rückkampfrechtes im Jahre 2008.                 

Wen sehen Sie in Mexiko als Favoriten an?

An Kramnik kommt niemand vorbei. Anand, Aronian und Leko habe sicher ebenfalls gute Chancen. Insgesamt ist das Turnier jedoch unglaublich stark besetzt, immerhin haben sich in der Qualifikation die besten Spieler durchgesetzt. Der ELO-Durchschnitt beträgt 2752, Kategorie 21. Das Feld in Mexiko ist deutlich besser als in San Luis.

Die Fide hat in den neuen Zyklus auch Topalov integriert, der ohne Qualifikation entweder gleich gegen Kramnik ein WM-Match spielt oder aber gegen den Worldcup-Sieger ein Kandidatenfinale austrägt. Wie sehen Sie das?

Für Kramnik sind diese Entscheidungen belanglos. Er spielt Mexico City und ein WM-Match 2008. Wer sein Gegner bei diesem WM-Kampf sein wird, ist egal. Das Privileg Topalovs gegen den Weltcup-Sieger anzutreten oder gleich gegen Kramnik im WM-Kampf, berührt jedoch vehement die Interessen der übrigen Spitzenspieler. Mit Sicherheit in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich gehe davon aus, dass alle Top-Großmeister inklusive Peter Leko gegen dieses Vorrecht protestieren werden. Unter Umständen riskiert man beim Weltverband sogar den Boykott des Weltcups. Und dazu sollte es keinesfalls kommen.          

Gibt es schon Pläne für den Weltmeisterschaftskampf mit Kramnik. Wo könnte dieser stattfinden?

Es ist noch ein wenig früh darüber zu reden. Zunächst steht ja das WM-Turnier in Mexiko im Blickpunkt. Danach wissen wir auch, wer das WM-Match 2008 bestreiten wird. Natürlich gibt es im Hintergrund schon entsprechende Aktivitäten. Es haben einige große Städte aus unterschiedlichen Kontinenten Interesse an der Ausrichtung des Wettkampfes bekundet. Die deutsche Universal Event Promotion hat alle Rechte an diesem Wettkampf von der FIDE erworben. Ihr Investor und Eigentümer Josef Resch wird letztendlich entscheiden, wo das Ereignis stattfindet. Ich kann nur soviel sagen, dass Deutschland bei der Vergabe gute Chancen hat. Allein schon deshalb, weil das Kramnik Vs Deep Fritz Match in Bonn hervorragende Resonanzen hatte und vermutlich das bestorganisierte Ereignis in der gesamten Schachgeschichte war.        

Die Fide tut sich schwer, gewichtige Sponsoren zu finden. Die an sich attraktiven Kandidatenwettkämpfe fanden wieder nur in Elista statt. Woran liegt das und wie kann man das Marketing für die großen Schachturniere und Wettkämpfe verbessern?

Es gab in der Vergangenheit Riesenprobleme in diesem Bereich. Das lag in allererster Linie daran, dass die FIDE keinerlei Vermarktungsstrukturen hatte und dieses wichtige Feld von Amateuren bearbeitet wurde. Jetzt sind alle Rechte auf Global Chess übergegangen. Das ist eine echte Chance für das Profischach. Wichtig ist nun, dass man sich bei Global Chess die nötige Zeit lässt, um in Ruhe den Markt und mögliche Partner zu sondieren. Natürlich ist der Druck auf Bessel Kok und Co. sehr groß. Ich hoffe trotzdem, dass nicht irgendwelche Schnellschüsse abgefeuert werden, die dann zu weiteren Problemen führen.

Wie beurteilen Sie die Grand Slam Idee von Silvio Danailov und warum ist Dortmund nicht dabei?

In der Form wie dieser sogenannte Grand Slam propagiert wird, halte ich davon überhaupt nichts. Mal abgesehen davon, dass dies ein Betätigungsfeld vom Weltverband und seinem Vermarktungsarm sein sollte, versuchen hier gewisse Leute an Einfluss in der Schachwelt zu gewinnen. Dortmund ist deshalb nicht dabei, weil es seine Eigenständigkeit nicht verlieren will. Der Grand Slam ist meines Erachtens nichts anderes als eine PR-Aktion. Sie haben nichts zu bieten, keinen Overall-Sponsor, keine Akzeptanz des Weltverbandes, von einem durch FIDE und Spieler anerkannten Regelwerk ganz zu schweigen.  Ein essentieller Kritikpunkt ist auch, dass der Manager eines Topspielers als Organisators eines Turniers in Sofia sowie des Grand Slams auftritt und gleichzeitig direkten Einfluss auf Regeln, Spielbedingungen und kommerzielle Faktoren nehmen möchte. Das ist ein Interessenkonflikt allererster Güte, auf den ich weiter nicht einzugehen brauche. Es ist an der Zeit, dass man sich in der Schachwelt, aber auch in Sofia ein paar Gedanken zu diesem Sachverhalt macht. Im übrigen ist die Kommunikationsstrategie alles andere als ehrlich. Beispielsweise ist das holländische Corus-Turnier, anders als immer behauptet, ebenso wenig Mitglied dieser „Association“ wie Dortmund.               

Vielen Dank für das Gespräch! 

  

 

 

 

 



 

 

 

 


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