Interview mit Carsten Hensel

von André Schulz
02.02.2018 – Carsten Hensel war viele Jahre professioneller Berater  von Peter Leko und später auch von Wladimir Kramnik. In stürmischen Zeiten war Hensel als Manager am Geschehen beteiligt. In einer Biografie, die demnächst über Wladimir Kramnik beim Göttinger Werkstatt-Verlag erscheinen wird, plaudert er aus dem Nähkästchen.

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Interview mit Carsten Hensel

In Kürze erscheint ihre Biografie über Wladimir Kramnik. Da Sie ja kein Schachspieler sind, kann man wohl eher ein Lesebuch erwarten. Ist das so? Wann erscheint das Buch?

Ich bin immerhin Schachspieler genug, um Wladimirs Lebensgeschichte aufzuschreiben und gewisse schachliche Vorgänge auch während der großen Wettkämpfe zu bewerten. Aber na klar, ich bin kein Meisterspieler. Deshalb habe ich die Hilfe vom Internationale Meister Olaf Heinzel in Anspruch genommen. Später im Lektorat auch vom Schriftsteller Peter Köhler, der ja selbst Autor einiger Schachbücher ist. Doch am wichtigsten war die Zusammenarbeit mit Kramnik selbst. Am Ende eines jeden Kapitels kommentiert er nämlich die wegweisenden Partien seiner Karriere selbst.

Wie kamen Sie zum Schach und wann haben sie die Aufgaben eines Managers für Peter Leko übernommen?

Zum Schach kam ich 1991. Anlass war der Auftrag, die Dortmunder Schachtage zu entwickeln. Die fanden damals in einer Tanzschule statt. Zuschauer und Medienvertreter gab es so gut wie nicht. Ich bin danach zur CEBIT nach Hannover gefahren, um mich mit Andrew Page – dem damaligen Manager Kasparows – zu treffen. Die daraufhin erfolgte Verpflichtung Garris bedeutete den internationalen Durchbruch für Dortmund. 1992 kamen dann 10.800 Zuschauer in die Westfalenhallen und 158 Medienvertreter aus aller Herren Länder. Es war ein erster Beweis, dass Schach als mediale Sportart in Deutschland vermarktet werden kann. 1992 war auch das Jahr, in dem ich Leko kennen lernte. Er war erst 12 Jahre alt und ging in meiner Familie in den folgenden Jahren ein und aus. Um wirklich in die Weltspitze vorzudringen, brauchte er irgendwann Unterstützung. Seit 1998 begann ich mich professionell um ihn zu kümmern.

Seit wann haben Sie dann Kramnik ebenfalls betreut und wie kam es dazu?

Wlad und ich lernten uns ebenfalls Anfang der 1990er Jahre, zunächst natürlich in Dortmund kennen. Daraus entstand eine Freundschaft, die bis heute anhält. Auf dieser Basis habe ich ihm hin und wieder in bestimmten Angelegenheiten geholfen. Beispielsweise bei der Organisation des Trainingslagers vor dem WM-Kampf gegen Kasparow. Nach seinem Sieg gegen Garri wurde einfach alles zuviel für Kramnik. Er hatte keinerlei organisatorische Strukturen. Und wir reden ja hier von der konfliktreichsten Zeit im Profischach überhaupt. Ab 2002 übernahm ich dann das Management für Kramnik. Ich habe jedoch zuvor Peter um Erlaubnis gebeten. Die gab er mir sofort.

Sie waren als Manager von Wladimir Kramnik bei einer Reihe von wichtigen Events dabei, welche waren das?

Die kann ich gar nicht alle aufzählen. Natürlich die WM-Kämpfe, die Duelle gegen die Maschine oder auch seine zehn Turniersiege in Dortmund. Aber auch viele andere Ereignisse hatten einen hohen Stellenwert. Ich denke dabei an das Kandidatenturnier 2002 oder zum Beispiel Linares 2003, wo Kramnik und ich gehörig unter Druck standen. Leko war Herausforderer geworden und alle Welt fragte uns danach, wann und wo der WM-Kampf stattfinden würde. Zu diesem Zeitpunkt geriet unser Rechteinhaber, die Einstein-Gruppe, in wirtschaftliche Turbulenzen. Kramnik schüttelte all diesen Druck von sich ab und gewann das Turnier gemeinsam mit seinem Herausforderer Leko vor Kasparow und Anand.

Wie kam es zu dem Mensch-Maschine-Vergleich Deep Fritz gegen Kramnik 2002 in Bahrain? Wie hat sich Kramnik dabei gefühlt, gegen eine Maschine zu spielen? Wie hat er sich vorbereitet?

Die Vereinbarung zwischen dem damalige Rechteinhaber Braingames und dem Königreich Bahrain wurde schon vor der WM zwischen Kramnik und Kasparow getroffen. Durch die Geschehnisse des 11. September 2001 wurde das Match jedoch zwei Mal verschoben. Das war zumindest die offizielle Begründung. Eigentlich hatten wir die Sache schon aufgegeben. Dann traf ich jedoch Yousuf Al-Shirawi am Düsseldorfer Flughafen. Danach klappte es dann doch noch.

ChessBase hat das damals ausgelobte Preisgeld nie bekommen. Wie sieht es bei Kramnik aus?

Die 800.000 US Dollar kamen mit Verzögerung, aber sie kamen.

2004 waren Sie bei der WM in Brissago Manager beider Spieler, Kramnik und Leko, das muss doch sehr schwierig gewesen sein, auch weil Kramnik im Wettkampf krank wurde?

Die Schwierigkeit lag in aller erster Linie darin, diesen Wettkampf überhaupt zu realisieren, dann noch für gleiche Bedingungen zu sorgen und der schon damals auf Skandale fokussierten Öffentlichkeit keinerlei Anlass für Spekulationen zu geben. Ich habe das mit Christian Burger, dem leider zu früh verstorbenen Chef von Dannemann gut hinbekommen. Aber glauben Sie mir, das war die schwierigste Gemengelage in meiner Karriere überhaupt. Über die Probleme Kramniks während des Wettkampfes speziell und seine chronische Krankheit im Allgemeinen wurde bis heute nur oberflächlich und teilweise falsch berichtet. So ein Buch gibt die Gelegenheit, auch diese Dinge einmal aufzuarbeiten. 

2006 erlitt Kramnik in einer Neuauflage des Mensch-Maschine-Wettkampfes gegen Deep Fritz eine empfindliche Niederlage. U.a. übersah er ein Matt in einem Zug. Wie hat sich Kramnik dort gefühlt? Was kann man noch von diesem Wettkampf berichten?

Kramnik war einfach ausgelaugt nach den skandalösen Ereignissen im WM-Kampf gegen Topalow. Danach war kaum Zeit für irgendetwas. 2002 bewies der Wettkampf, dass er noch stärker als die Maschine war, 2006 hätte er vielleicht noch alle Partien remisieren können. Aber dazu fehlten einfach die nötige Energie und eine optimale Vorbereitung. Er war müde und hatte nur ganze zwei Wochen im Trainingslager.

Kramnik gegen Fritz 2006, Pressekonferenz (Foto: André Schulz)

Wie kam es zur Wiedervereinigung der beiden WM-Systeme (Klassische Weltmeisterschaft und Fide-Weltmeisterschaft)? Welchen Anteil hat Kramnik daran?

Ich würde das System auf Seiten der FIDE in all diesen Jahren zwischen 1993 und 2005 eher als großes Durcheinander bezeichnen, nicht aber als WM. Im Grunde war sich auch fast jeder darüber im Klaren, dass Kramnik als Kasparow-Bezwinger in einem Wettkampf der zu schlagende Weltmeister war. Selbst bei der FIDE gab es diese Stimmen, ich würde sogar sagen: mehrheitlich! Aber es gab dort sehr persönliche Interessen von mächtigen Vorstandsmitgliedern, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ohne Kramnik wäre im Hinblick auf das Thema Einigung der Schachwelt also gar nichts gegangen, auch wenn dass einige Topfunktionäre und auch die Topalow-Seite damals zu ignorieren versuchten. Aus heutiger Sicht werden die Dinge ja nun auch zwangsläufig immer klarer.

Carsten Hensel (Foto: André Schulz)

Der Wiedervereinigungs-Wettkampf 2006 gegen Topalov war von vielen hässliche Umständen begleitet. Was ist dort in Elista alles vorgefallen?

Dazu sollte man das Buch lesen. Ich denke, darin wird diese Geschichte ganz klar.

2008 unterlag Kramnik in Bonn gegen Anand. Das Anand-Team wirkte deutlich professioneller, in personeller, wie in technischer Hinsicht, auch besser vorbereitet. Stimmt der Eindruck?

Professionell ist der falsche Begriff. So professionell wie im Vorfeld dieses Wettkampfes war Kramnik noch niemals zuvor. Aber ja, Anand und seine Leute haben uns in der Eröffnungsvorbereitung den Zahn gezogen. Und verdient gewonnen!

Wann wurde die Zusammenarbeit mit Kramnik beendet, wann die Zusammenarbeit mit Leko?

In beiden Fällen 2009. Ich wurde danach Berater der UEP. Wir hatten die Veranstaltungsagentur 2005 gegründet und damit Unglaubliches geleistet. Ich glaube immer noch, dass das Match zwischen Kramnik und Anand die bestorganisierte WM aller Zeiten war. Ganz nebenbei, hatten wir nach 74 Jahren auch mal wieder einen WM-Kampf nach Deutschland gebracht. UEP war ganz kurz davor, mit der FIDE Einigkeit darüber zu erzielen, auch künftig die WM-Zyklen zu organisieren und zu vermarkten. Die Verträge waren schon unterschriftsreif. Dann ist jedoch der Präsident in allerletzter Sekunde zurückgerudert. Viel hatte nicht gefehlt, aber als dieser Deal geplatzt war, machte für mich ein weiteres Engagement im Profischach überhaupt keinen Sinn mehr. Ich persönlich hatte ja alles gesehen, alles erreicht, was man als Schachmanager erreichen kann. Deshalb wandte ich mich anderen Dingen zu und das war auch die richtige Entscheidung.

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Durchaus einige Monate. Das war schon eine ziemliche Arbeit und hat entsprechend gedauert. Aber ich wollte ein gutes Buch machen, keinesfalls einen Schnellschuss abliefern. 

Gab es Zusammenarbeit mit Kramnik oder ist es ein reines Soloprojekt?

Zunächst habe ich mir von Wladimir die Erlaubnis eingeholt. Er hat Fotos geliefert, Fragen beantwortet und die wichtigsten Partien an den Wendepunkten seiner Karriere kommentiert. Darüber hinaus gab er mir absolute Freiheit, die Vorgänge und ihn als Person zu beschreiben und zu bewerten.  

In jener Zeit, zwischen ca. 1998 und 2009 gab es viele hässliche Geschichten in der Schachpolitik. Einiges haben Sie unmittelbar miterlebt. Nennen Sie in dem Buch kompromisslos Ross und Reiter und durften Sie manches aus juristischen Gründen nicht erwähnen?

Ich habe über viele Jahre geschwiegen, einige falsche Behauptungen und auch Lügen in diversen Veröffentlichungen zur Kenntnis genommen. Manchmal sogar von Leuten, die bei den Geschehnissen gar nicht vor Ort waren. Natürlich müssen Persönlichkeitsrechte beachtet werden. Mein Verlag ist darin sehr professionell und ich wurde gut betreut. Aber es war mir sehr wichtig, in diesem Rahmen so klar wie möglich zu sein. Wer das Buch gelesen hat, die Abläufe, Umstände und Tatsachen bewertet, wird sich ein klares Urteil über die konfliktreichste Zeit der Schachgeschichte bilden können.

Haben Sie heute noch Verbindung zum Schach?

Ja, ich bin immer mit dem Herzen dabei. Viele Freunde auf der ganzen Welt sind mir aus der Zeit geblieben und das die schönste Sache überhaupt. Ich bin gerade mit dem Dortmunder Turnierdirektor Stefan Koth von einem Besuch in Wijk aan Zee zurück. Auf der Hinfahrt haben wir Albert Vasse (DGT, WM-Schiedsrichter) auf seinem Bauernhof in Holland besucht und während der Veranstaltung tolle Gespräche gehabt, nicht nur mit Wladimir Kramnik. Mit ihm bin ich ohnehin ständig in Kontakt. Jetzt ist er in Topform, auch körperlich und ich fiebere dem Kandidatenturnier entgegen. Da bin ich wieder dabei und drücke die Daumen. Ein WM-Kampf zwischen Magnus und Wladimir, dem 16. und dem 14. Schach-Weltmeister, das wäre mal wieder so eine dieser unglaublichen Geschichten, die nur Schach zu bieten hat.             


Carsten Hensel: Walimir Kramnik - Aus dem Leben eines Schachgenies

  • 304 Seiten
  • 13,9 x 21,2 cm
  • Hardcover
  • Fotos, mit Kommentaren von Wladimir Kramnik

ISBN: 978-3-7307-0389-2
Preis: 24,90€  

Werkstatt-Verlag

 

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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