Die 50. Dortmunder Schachtage starten - ein Interview mit Carsten Hensel

von Johannes Fischer
24.06.2023 – Am 24. Juni beginnen die Dortmunder Schachtage, eines der großen Traditionsturniere in Deutschland und in der Welt. Vor Beginn des Turniers sprach ChessBase mit Carsten Hensel, seit 1991 eine treibende Kraft bei der Organisations des Turniers. Hensel sprach über Höhepunkte und Krisen des Turniers, über Rekorde und warum das Jubiläumsturnier ein ganz besonderes Turnier ist.

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Johannes Fischer: Am 24. Juni beginnen die diesjährigen Internationalen Dortmunder Schachtage, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Sie selbst sind seit 1991 als treibende Kraft bei der Organisation der Schachtage dabei. Wie sind Sie zu den Schachtagen gekommen, welche Aufgaben haben Sie im Laufe der Jahre in der Organisation übernommen und welche Rolle spielen Sie bei der Organisation der diesjährigen Dortmunder Schachtage?

Carsten Hensel: Von 1991 bis 2001 war ich Pressesprecher der Veranstaltung. In dieser Zeit war ich auch für die Betreuung der Elite-Großmeister zuständig und habe die Veranstaltung zu einem Top-Event entwickelt. Das war eines von vielen Projekten, an denen ich damals gearbeitet habe. Aber Schach hatte mich schon damals am meisten fasziniert. Ende 2001/2002 war ich dann Manager von Wladimir Kramnik und Peter Leko. Die Position des Pressesprechers habe ich damals aufgegeben, auch um Interessenskonflikte zu vermeiden. Durch meine Kontakte in der Schachszene konnte ich den Veranstalter aber hin und wieder weiter unterstützen. Seit 2020 bin ich Veranstaltungsleiter der Schachtage und damit für die gesamte Organisation verantwortlich.                

50 Jahre sind eine lange Zeit, 32 Jahre auch. Was sind für Sie die Höhepunkte der vergangenen Dortmunder Schachtage?

Ganz klar die Zeit von 1992 bis 2002, das war mit Abstand die wichtigste Zeit. 1992 habe ich Garri Kasparow nach Dortmund geholt, da ging es richtig los. Und 2002 habe ich dafür gesorgt, dass wir das Kandidatenturnier ausrichten durften, schachhistorisch sicherlich der größte Erfolg für Dortmund. Und rein sportlich möchte ich auch das Turnier 2007 erwähnen. Für mich persönlich waren die 13 Turniersiege von Kramnik und Leko einmalige Erlebnisse. Sie sind sicher auch ein Spiegelbild unseres damaligen Erfolges.         

Was macht die Faszination der Dortmunder Schachtage aus, was motiviert Sie, seit über 30 Jahren viel Zeit und Energie in die Organisation dieser Veranstaltung zu investieren?

Es ist schwierig, diese Frage im Rahmen eines Interviews kurz zu beantworten. Vielleicht sind es einfach die vielen Begegnungen, die ich im Rahmen dieses Engagements hatte. Daraus sind einige Freundschaften entstanden, die mir sehr viel wert sind.    

Die Schachtage gibt es auch deshalb, weil Dortmund 1972 den Weltmeisterschaftskampf zwischen Fischer und Spassky ausrichten wollte, der dann in Reykjavik stattfand. Können Sie uns etwas über die Anfänge der Schachtage erzählen?

Dortmund hatte sich 1972 um die Austragung dieses wohl legendärsten WM-Matches beworben, den Zuschlag erhielt aber Reykjavik. Der Schachvirus hatte die Stadt dennoch erfasst und gemeinsam mit dem Deutschen Schachbund wurde die Idee der Internationalen Dortmunder Schachtage geboren. 1973 ging es los und jetzt feiern wir das 50-jährige Jubiläum. Darauf sind mein Team und ich sehr stolz.

Welche Rolle spielt die Stadt Dortmund für das Turnier?

Die Stadt Dortmund ist von Anfang an bis heute mit im Boot. Entweder als Veranstalter oder wie in den vergangenen Jahren als Fördermittelgeber. Ende 2019 hat ja der IPS e.V. die Rolle des Veranstalters von ihr übernommen. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass es ohne die Stadt und die Wertschätzung des Schachs auf hohem internationalem Niveau diese Veranstaltung nicht geben würde. Natürlich hat eine Stadt wie Dortmund auch einen erheblichen Gegenwert bekommen. Schach ist für uns schon sehr imagebildend im positivsten Sinne und mit der traditionsreichsten und über die Jahre auch bedeutendsten deutschen Veranstaltung hat sich Dortmund ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen.

Die Schachtage haben in den 50 Jahren ihres Bestehens Höhepunkte und Krisen erlebt. Wann hatten die Schachtage ihre besten Zeiten, wann gab es Krisen und wo stehen die Schachtage heute?

Die beste Zeit, rein sportlich und auch von der internationalen Resonanz her, war sicherlich die Zeit zwischen 1992 und 2002.

Die größte Krise hatte die Veranstaltung zwischen 2020 und 2022. Zum einen sind wir im Vergleich zu internationalen Veranstaltern finanziell sehr bescheiden ausgestattet. Zum anderen hat uns Corona das Leben schwer gemacht. 2020 konnten wir das Turnier gar nicht und 2021 nur eingeschränkt durchführen. Erst im letzten Jahr haben wir wieder Boden unter den Füßen bekommen. Es war nicht einfach, alles zusammenzuhalten.

Was macht das Jubiläum 2023 zu einem besonderen Turnier?

Beim Thema Schachfestival brechen wir mit einem minimalen Budget alle Rekorde in unserer Dortmunder Schachgeschichte.

Neben dem NC World Masters und dem Sportland NRW Cup stehen zwei große offene Turniere im Mittelpunkt. Das Preisgeld im A-Open beträgt 25.000 Euro und lockt viele starke Spielerinnen und Spieler nach Dortmund. 1992 gingen 540 Teilnehmer an den Start. Was meinen Sie mit Rekorden?

Um ein paar Zahlen zu nennen: Wir hatten rund 800 Anmeldungen, am Ende werden insgesamt zwischen 550 und 600 Spielerinnen und Spieler teilnehmen, darunter mehr als 120 Titelträger und 46 Großmeister. Die Schachspielerinnen und Schachspieler kommen aus 42 Ländern. Eine solche Resonanz hatten wir noch nie, nicht einmal im bisherigen Rekordjahr 1992. Das zeigt, dass wir mit unserem Konzept, ein Schachfestival für alle Leistungsklassen unter dem repräsentativen Dach der Westfalenhallen anzubieten, genau richtig liegen. Auch unsere Digitalisierungsoffensive und ein zeitgemäßes Kommunikationskonzept tragen maßgeblich zu diesem großen Erfolg bei. Einziger Wermutstropfen ist die Hotelsituation in unserer Stadt. Es fehlt einfach an Betten, weil durch eine Großveranstaltung einer Religionsgemeinschaft die Hotels in der Stadt und im Umland ausgebucht sind. Die Leute kommen einfach nicht unter, sonst hätten wir sicher zwischen 800-1000 Teilnehmer begrüßen können.

Dortmund unterstützt das No Castling Chess. Wie sind aus Ihrer Sicht die bisherigen Erfahrungen mit dieser Variante des Schachspiels?

Wir kooperieren dabei mit DeepMind, einer Alphabet-Tochter und gleichzeitig einem der spannendsten Unternehmen überhaupt. Sie engagieren sich mit ihrer KI „Alpha“ und nutzen Schach (AlphaZero) und auch Go als Werkzeug zur Weiterentwicklung im Rahmen ihrer Forschung. Ich bin stolz, dass wir einen solchen Partner für Dortmund gewinnen konnten.

Sind andere Veranstalter dem Dortmunder Beispiel gefolgt und haben No-Castling-Turniere organisiert?

No Castling Schach ist ein Experiment, das jetzt im dritten Jahr läuft. Wir werden es nach der Veranstaltung gemeinsam mit den Spielern und unseren Partnern auswerten und wollen die Erfahrungen auch dem Weltverband mitteilen. Es wurden bereits Turniere im Internet organisiert und es gibt auch Interesse von anderen Veranstaltern, mit denen ich in Kontakt stehe.

Wladimir Kramnik ist auch in diesem Jahr wieder dabei. Kramnik ist Mr. Dortmund und hat das Turnier zehnmal gewonnen. Von ihm stammt auch die Idee, No Castling Chess zu spielen. Bis Mai war er aber auch Mitglied im Vorstand des russischen Schachverbandes, dem unter anderem der russische Verteidigungsminister Sergej Shoigu und Dmitri Peskow, der Pressesprecher von Wladimir Putin, angehören. Shoigu und Peskow sowie zahlreiche weitere Vorstandsmitglieder wurden im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit Sanktionen belegt. Hat Kramniks Mitgliedschaft im Kuratorium zu Problemen im Vorfeld des Turniers geführt oder könnte sie zu Problemen führen?

Auf Ihre Frage gibt es zwei Antworten. Zunächst antworte ich als Vertreter des Veranstalters IPS: Solange deutsches oder internationales Recht dem nicht entgegensteht, können und werden wir nicht gegen die Regeln des Weltverbandes FIDE verstoßen oder rechtsgültige Verträge, die es in diesem Zusammenhang gibt, brechen. Dies betrifft die Teilnahme aller russischen und weißrussischen Schachspielerinnen und Schachspieler, die laut FIDE unter neutraler Flagge spielberechtigt sind, solange diese Spielerinnen und Spieler nicht persönlich von der FIDE selbst gesperrt sind.

Und dann antworte ich Ihnen persönlich: Wladimir und mich verbindet nicht nur eine gemeinsame, sehr erfolgreiche berufliche Zeit. Wir sind auch seit vielen Jahren Freunde. Daran ändert auch der Krieg nichts. Ich kann nicht für Wlad sprechen, aber ich erlaube mir ein paar Anmerkungen, schon weil Ihre Frage auf falschen Annahmen beruht. Es gibt Falschinformationen im Internet, die von weniger als einer Handvoll Leuten stammen. Ich will nicht unterstellen, dass das bewusst geschieht, aber es werden Dinge behauptet, die überhaupt nicht stimmen. Und bei solchen Behauptungen sollte man vielleicht mal mit den Betroffenen selbst sprechen und nachfragen. Das geschieht in den einschlägigen Foren oft auch deshalb nicht, weil die Antworten dazu führen würden, dass diese Falschbehauptungen bis hin zu Anmaßungen unterbleiben müssten, das Einbringen der „eigenen ehrenwerten, für sich selbst Sympathie erheischenden Haltung“ würde dann dazu führen, dass diese Schmierereien unterbleiben müssten. Sie sind der erste Journalist, der diese Frage stellt.

Und deshalb kann ich sagen, dass ich natürlich schon seit einigen Monaten mit Wladimir darüber gesprochen habe. Als diese Geschichte aufkam, war er längst zurückgetreten und seit Januar auch nicht mehr Mitglied dieses Kuratoriums des Schachverbandes, das nach seiner Erinnerung nie getagt hat und nie aktiv war. Das war die erste falsche Behauptung. Weitere Fehlinformationen, z.B. wann wer welche Verträge unterschrieben hat und wer von wem in eine missliche Lage gebracht wurde, sind freie Erfindungen. Wir haben hier alles offen und transparent mit allen Beteiligten kommuniziert. Und als sein Freund bin ich überzeugt, dass er in der Sache eine ehrenwerte Haltung hat. Er ist Pazifist, er lehnt diesen Krieg ab, er hat sich in seiner Heimat mit seinem Austritt sicher nicht beliebt gemacht. Seine Familie ist zur Hälfte russisch, zur Hälfte ukrainisch. Er hat Dutzenden von Menschen aus beiden Ländern mit viel Geld in schwierigen Situationen geholfen. und muss auf seine Familie Rücksicht nehmen. Und dann kommen ein völlig unbedeutender IM aus Solingen und ein Hobbyschachpublizist und agitieren, ohne auch nur einmal nachzufragen und sich zu vergewissern. Und das alles nur, um sich selbst zu erhöhen. Das nenne ich wirklich schlechten Journalismus und eine miese Einstellung. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben.

Zurück zum Turnier: Können sich Kurzentschlossene noch für die offenen Turniere anmelden oder wäre eine Reise nach Dortmund umsonst?

Ja, sehr gerne und wenn sie eine Unterkunft in Dortmund bekommen. Im A-Open sind allerdings nur noch wenige Plätze frei.

So ein Schachturnier auf die Beine zu stellen, ist mit viel Arbeit verbunden. Wer leistet die in Dortmund und wer organisiert das?

Wir sind ein Team von zwei Dutzend sehr engagierten Leuten, die sich gut verstehen. Wir sourcen aus finanziellen Gründen so gut wie nichts aus und versuchen gleichzeitig, kreative Lösungen zu finden und Prioritäten zu setzen. Ich bin diesen Leuten unendlich dankbar, sie nehmen ihren privaten Urlaub und opfern ihre Freizeit. Ohne sie gäbe es das Festival schon lange nicht mehr: Stefan Koth (Vorsitzender IPS e.V. ), Andreas Jagodzinsky (Turnierdirektor) Christian Jochmann (Turnierleiter), Sebastian Hensel (Technischer Leiter), Patrick Zelbel (Pressesprecher), Uwe Wolf (Regie), Nicolas Lagassé (Videoteam), Marc Lang (Kommunikation und Schachtechnik), Michelle Lassak (Fotografin), Christian Lünig (Fotograf), unsere Kommentatoren Fiona-Steil-Antoni, Klaus Bischoff und Artur Jussupow, die Schiedsrichter Frank Jäger, Carsten Haase und Andreas Junk sowie einige weitere Helfer.

Was wünschen Sie sich für das Jubiläumsturnier, was für die Zukunft der Schachtage?

Ich wünsche mir, dass alle Menschen, die nach Dortmund kommen, ein wunderbares Erlebnis im Rahmen des traditionsreichsten und bedeutendsten Schachfestivals in Deutschland haben. Damit meine ich nicht nur den sportlichen Erfolg, sondern auch ein Gemeinschaftserlebnis, wie es niemals das Internet, sondern nur eine solche Veranstaltung bieten kann.

Was die Zukunft betrifft, so werden wir es wie immer machen. Wir werden uns ganz schnell nachher erst einmal mit unserem Kernteam bei Bier und Bratwurst zusammensetzen und uns in die Augen schauen. Dann werden wir mit all unseren Partnern sprechen, um eine gute Zukunft für diese einzigartige Dortmunder Veranstaltung zu erreichen.

Vielen Dank für das Interview!

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".