Interview mit Carsten Schmidt

von André Schulz
04.09.2020 – Carsten Schmidt hat sich nach zehn Jahren Amtszeit als Präsident des Berliner Schachverbandes zurückgezogen. Im Interview beantwortet er Fragen zur Situation im Berliner Schach und teilt seine Einschätzung auf die Vorgänge beim Bundeskongress.

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Sie waren langjähriger Präsident des Berliner Schachverbandes und geben das Amt nun ab. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Ich war zehn Jahre Präsident des Berliner Schachverbandes, davor sechs Jahre lang Vizepräsident unter Dr. Matthias Kribben und davor 8 Jahre Landesjugendwart unter Präsident Alfred Seppelt. Davor war ich noch 2 Jahre lang Schulschachreferent im Berliner Schachverband. Da ich in diesem Jahr 50 Jahre alt werde, war ich also mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit ehrenamtlicher Funktionär im Berliner Schachverband. Da dachte ich mir, es ist Zeit, sich anderen Bereichen im Leben zu widmen und dabei womöglich einen anderen Blick auf den Schachsport zu gewinnen. Ich werde dem Berliner Schachverband aber als Ausbildungsreferent erhalten bleiben. Ich verlasse also nicht die Bühne.

Wie fällt ihre persönliche Bilanz ihrer Amtszeit aus?

Ich bin zufrieden. Wir haben seit 2010, als ich Präsident des Berliner Schachverbandes wurde einen deutlichen Anstieg an Mitgliedern. Die Senioren, die Frauen, die Jugendlichen aus Berlin spielen bei Deutschen Meisterschaften immer vorne mit. Wir sind häufig Ausrichter diverser Deutscher Meisterschaften. Unsere Vereine sind sehr aktiv, richten über das ganze Jahr verteilt Turniere aus, sodass man eigentlich (vor Corona) das ganze Jahr an jedem Tag in Berlin Schach spielen kann. Unser Sport hat in der Hauptstadt einen sehr guten Ruf, in den Senatsstellen und beim Landessportbund. Unter allen Vereinen, zwischen Präsidium und Vereinen und unter den Mitgliedern herrscht ein gutes kameradschaftliches Verhältnis. Darüber bin ich persönlich sehr froh, da es mir immer wichtig war, ein Präsident für alle zu sein, der sich mit jedem Mitglied, und nicht nur mit Vereinsvorsitzenden, unterhält und so eine vertrauensvolle Atmosphäre zu allen schafft.

Als Ehrenamtlicher in einem Schachverband muss man viel Zeit investieren. Wieviel Zeit haben Sie persönlich für die Arbeit im Schachverband geopfert?

Sehr viel, und trotzdem denke ich manchmal, es hätte teilweise auch noch mehr sein können. Aber das schafft man neben Job und dem normalen Leben eher nicht. Als ich gestern meinem Nachfolger Christian Kuhn die Agenda der letzten zwei Jahre übergeben habe, ist mir aufgefallen, was noch alles ansteht, welche Felder ich nicht abschließend bestellt habe. Ich denke, mit den vielen Besuchen in Vereinen, bei Turnieren, dazu Sitzungen, Planungen und Durchführung von Veranstaltungen, nebenbei noch die Organisation von Trainerlehrgängen, war ich bestimmt zwischen ein bis drei Stunden täglich im Einsatz. Das ist viel. Aber ich will niemanden abschrecken. Das Problem ist, dass zzt. allgemein zu viele Aufgaben bei wenigen Personen liegen. Wenn es mehr Ehrenamtliche in allen Bereichen geben würde, dann würde sich die Arbeit auf mehr Schultern verteilen und keiner wird überlastet.

Für Nicht-Berliner: Wie groß ist der Berliner Schachverband? Gibt es eine eigene Geschäftsstelle und wer arbeitet dort mit?

Der Berliner Schachverband besteht aus knapp 50 Vereinen mit ca. 2.800 Mitgliedern (2010 waren es noch 2.500). Wir gehören im Deutschen Schachbund also zu den mittelkleinen Verbänden. Sechs Vereine haben allein jeweils mehr als 100 Mitglieder. Trotz Corona haben wir bisher keine Mitglieder verloren, was mich sehr freut. Unsere Vereine sind also auch in der Krisenzeit aktiv.

Wir haben eine Geschäftsstelle und eine halbtags angestellte Kraft, die seit mittlerweile mehr als 15 Jahren den ehrenamtlichen Funktionären administrative Aufgaben abnimmt und uns so alle entlastet.

Das neue Präsidium wurde auf dem Verbandstag am Montag gewählt. Wer wurde Ihr Nachfolger?

In den letzten zwei Jahren hatte ich mit Christian Kuhn einen sehr ambitionierten Vizepräsidenten, der in mir von Anfang an die Hoffnung hegte, dass es einen Kandidaten für meine Nachfolge geben wird. So ist es nun gekommen. Weitere Kandidaten gab es nicht. Ohne Nachfolger hätte ich den Verband aber nicht hängen gelassen und hätte vermutlich weiter gemacht. Das war aber auch genau die richtige Zeit. Nach zehn Jahren schaut ein Anderer möglicherweise ganz anders auf bestimmte Dinge und packt Sachen an, die man selbst nicht so richtig beachtet hat.

Der jüngste Bundeskongress des Deutschen Schachbundes in Magdeburg schlug im Vorfeld hohe Wellen, vor allem wegen der Diskussion um die Beziehung zwischen DSB und DSJ. War der Berliner Schachverband involviert? Was waren ihre Eindrücke vom Bundeskongress und der Diskussion um die DSJ?

Ich bin der Meinung, dass die Deutsche Schachjugend sehr aktive und gute Arbeit leistet. Ich freue mich, dass viele junge Leute, auch in Berlin, sich ehrenamtlich engagieren und unseren Sport so ein jugendliches Image geben. Ob die DSJ sich vom DSB lösen musste, ist mir noch nicht so klar. Es gibt natürlich die Haftungsfragen, die nunmehr genauer abgegrenzt sind. Andere Dinge lassen sich vermutlich in einem Verband schneller und unkomplizierter regeln als zwischen zwei eigenständigen Verbänden. Es muss auch einen Grund haben, warum es keine anderen Sportarten gibt, die eine eigenständige Jugendorganisation haben, sondern überall die Jugend in den Dachverbänden durch Jugendsekretäre vertreten wird. Wir sind als Schachsport nun Vorreiter. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich zeigen. Der Berliner Schachverband war in die Entscheidungsfindung nur als Kongressteilnehmer beteiligt, natürlich haben wir uns aber auch im Vorfeld unsere Meinung gebildet. Die Diskussion beim Kongress verlief teilweise sehr sachlich und zielorientiert. Und als der Antrag der DSJ drohte zu scheitern, gab es ein längeres vermittelndes Gespräch zwischen den Vorständen mit Andreas Jagodzinsky als Vermittler. Es wurden Kompromisse gemacht, mit denen DSJ und DSB sowie die Kongressteilnehmer leben konnten und so dem Antrag zustimmten.

Wie sehen Sie das Ergebnis als langjähriger Präsident eines Landesverbandes?

Ich glaube, das Ergebnis hat den Vorteil, dass durch den Kompromiss keiner als Verlierer da stand und es nun eine Grundlage gibt, sich wieder die Hand zu reichen und zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass die anderen Umstände und die daraus entstehenden Herausforderungen für alle eine neue Motivation sind.

Ein ungewöhnlicher Vorgang war der Antrag auf Abwahl des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung, Boris Bruhn. Ebenso ungewöhnlich war der Gegenantrag auf Nichtbefassung. Wie kam es dazu?

Entgegen der Behauptungen, die ich im Interview von Michael Langer bei ChessBase gelesen habe, war es nicht das Präsidium, das den Nichtbefassungsantrag forciert hat, sondern einige Landesverbände. Unter anderem auch Berlin. Wir waren uns einig, dass man so nicht mit Ehrenamtlichen umgeht. Ich hatte  bei dem Antrag von Anfang an ein schlechtes Gefühl. So ging es nicht nur mir. Hier wurde ein unbegründeter Antrag mit genau gleichem Wortlaut aus zwei Landesverbänden gestellt, und dies auf dem Rücken eines ehrenamtlich tätigen, unbescholtenen Präsidiumsmitglieds. Diese Art des Umgangs erreicht leider eine neue Qualität. Statt auf die nächste Wahl zu warten und dort einen Gegenkandidaten vorzuschlagen (das ist m.E. das demokratische Mittel), will man jemanden, der sich nichts zu Schulden kommen ließ, aus dem Amt katapultieren. Meiner Meinung nach ist das ein schlechter Stil, den niemand verdient, der sich ehrenamtlich engagiert.

Ein anderes Thema ist die Corona-Pandemie. Während auf Bundesebene die Entscheidungen über die Fortsetzung des Ligabetriebs gefallen sind, steht diese in einigen Landesverbänden noch aus. Wie ist der Stand in Berlin. Gab es spezielle Online-Alternativen von Verbandsseite?

Dieses Virus ist wie ein Gegner, der einen die ganze Partie über immer auf Trab hält. Kaum hatte man die Hoffnung, dass man die Angriffe überstanden hat, stellt er Dir die nächste Falle, droht er den nächsten Einschlag, und wir haben keine andere Chance als uns immer wieder zu verteidigen. Ich denke, dass bei aller Spielfreude zwei Dinge nicht übersehen werden dürfen: zum Einen die Gesundheit jedes einzelnen Spielers und zum anderen die unterschiedlichen Voraussetzungen in den einzelnen Bundesländern, sogar in den einzelnen Berliner Bezirken, durch die es nicht einfacher wird, eine einheitliche Regelung zum Spielbetrieb zu finden. In Berlin gibt es Überlegungen, eine Art Übergangssaison zu spielen, in der mit kleinerer Mannschaftsstärke und weniger Runden denen, die spielen wollen, wieder etwas geboten wird und andererseits denen, die lieber noch pausieren, bis sich die Pandemie beruhigt hat, auch die Gelegenheit dazu zu geben, ohne ihre Vereinsmannschaft zu schwächen. Da wir aber ein neu gewähltes Präsidium in Berlin haben, will ich nicht vorgreifen. Der neue Vorstand wird eine gute Übergangslösung finden.

Einige Vereine haben sich online schon betätigt und bieten Turniere an. Eigentlich kann man fast an jedem Tag irgendwo Berliner Schachspieler online treffen. Wir haben als Verband jetzt auch Blitzturniere online angeboten. Ich hoffe aber auch, dass die gut laufende DSOL sich als zusätzliches Angebot durchsetzt und sich so ein das Virus überlebendes Spielangebot manifestiert, welches den Vereinen neue Möglichkeiten gibt.

Vielen Dank für die Antworten.

Die Fragen stellte André Schulz.

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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