"Ich möchte Großmeister werden" - Ein Interview mit Dinara Wagner

von Tatiana Flores
21.11.2023 – Mitte Oktober nahm sich IM Dinara Wagner Zeit für ein Interview mit Tatiana Flores und sprach über ihre Schachkarriere und ihre Interessen abseits des Bretts. Wagner sprach auch über den letzten Europa-Vereinspokal und gab darüber hinaus interessante Einblicke in die Unterstützung, die sie von ihrem Umfeld erhält. | Foto: Lennart Ootes

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Interview mit IM Dinara Wagner

Die 24-jährige Spitzenspielerin wurde in Elista, der Hauptstadt der Republik Kalmückien, geboren. Ihre große Schachleidenschaft führte in jungen Jahren dazu, dass sie dreimal die Russische Jugendschachmeisterschaft der Mädchen gewann. Im Jahr 2016 wurde Dinara Wagner Dritte bei der Weltmeisterschaft der weiblichen Jugend.

Doch nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine verließ Wagner den russischen Schachverband und spielte vorübergehend unter der Flagge der FIDE. Im Mai 2022 trat sie dann offiziell dem Deutschen Schachbund bei und gewann kurz darauf das German Masters der Frauen.

Mittlerweile hat sie ihre Elo-Zahl von 2287 auf jetzt 2461 geschraubt und außerdem drei IM-Normen und zwei GM-Normen gemacht. Wagner schloss 2020 in Moskau ihr Bachelor-Studium ab und zog dann nach Heidelberg, um ein Master-Studium der Wirtschaftswissenschaften zu beginnen. Im Dezember 2021 heiratete sie den deutschen GM Dennis Wagner.

In welchem Alter hast du angefangen, Schach zu spielen?

Als ich sechs Jahre alt war, brachte mir mein Großvater bei, wie sich die Figuren bewegen. Das Spiel hat mir sofort gefallen, und ich bat ihn, mir immer mehr zu zeigen. Dann zeigte er mir das Schäfermatt und die Grundlagen des Schachs. Als ich irgendwann anfing, besser zu spielen als er, bat ich meine Großmutter, mich zu einem Schachklub oder einem Trainer zu schicken, der mir mehr beibringen konnte. Damals war ich sechseinhalb Jahre alt, also spiele ich seit dieser Zeit Schach.

Welche Ziele hast du in Bezug auf deine Schachkarriere?

Ich möchte GM werden. Ich möchte meine dritte GM-Norm machen und 2500 Elo erreichen. Ich würde sagen, das ist mein größtes kurzfristiges Ziel. Langfristig möchte ich in die Top 10 der Frauen-Weltrangliste schaffen.

Wann und wie würdest du gerne deine nächste und letzte GM-Norm machen?

Beim Women's Grand Swiss auf der Isle of Man habe ich wieder eine gute Gelegenheit. Das ist ein sehr starkes Open mit vielen Großmeistern und Titelträgern aus vielen Ländern und bietet gute Chacen, eine Norm zu machen. Das wäre auch die erste Norm, die ich in einem offenen Turnier und nicht in einem Rundenturnier machen würde.

War es schwierig für dich, Profischach und Studium zu verbinden?

Das ist nicht immer unproblematisch, aber da ich mir Zeit lasse und nicht zu viele Kurse gleichzeitig in einem Semester belege, ist es viel einfacher. Ich weiß immer, wie viele Turniere ich in einem Semester spielen werde, und dann kann ich ungefähr berechnen, wie viele Kurse ich belegen muss, um die notwendigen Credits zu bekommen. Es macht mein Leben viel einfacher, dass ich mir aussuchen kann, welche Kurse ich belege, welche mich interessieren, und ja... ich denke, das ist wirklich in Ordnung, es ist machbar. Viele Schachspieler machen das auch. Manche studieren sogar sehr schwierige Fächer, bei denen man nicht viel verpassen darf. Ich glaube, dass ich eventuelle Rückstände immer noch ganz alleine aufholen kann. Wenn ich ein Fach wie Mikrobiologie oder etwas Ähnliches studieren würde, wären Schach und Studium viel schwerer miteinander zu vereinbaren. (lacht).

IM Dinara Wagner wird kämpfen, um ihre letzte GM-Norm und den Titel zu bekommen. | Foto: Mark Livshitz.

Wie ist es für dich, jetzt für Deutschland zu spielen?

Es ist cool! Es gefällt mir sehr! Ich bin dankbar dafür, wie die Leute mich aufgenommen haben, als ich hierher kam. Ich fange schon an, mich wie zu Hause zu fühlen. Ich lerne Deutsch und versuche, es zu sprechen. Das klappt nicht so gut, wie ich gehofft hatte, aber ich versuche es trotzdem (lacht). Ich mag unsere Nationalmannschaft sehr, alle Spielerinnen und den Bundestrainer, deshalb freue ich mich sehr, für Deutschland zu spielen.

Du hast gerade mit deinem rumänischen Team Superchess den Titel beim European Chess Club Cup der Frauen gewonnen. Wie fühlt sich das an?

Das war ein schöner Sieg. Eine meiner Teamkolleginnen sagte uns, dass es ihre erste Goldmedaille bei einer Europameisterschaft im Erwachsenenschach war, und genauso war es auch für mich. Wir werden im November mit der deutschen Nationalmannschaft die Schach-Europameisterschaft spielen und ich hoffe, dass wir dort ähnlich erfolgreich sind.

Was hat es mit dem Virus auf sich, der so viele Spieler und Spielerinnen bei der Europameisterschaft der Vereine niedergestreckt hat?

Ja... in einigen Hotels gab es Probleme mit dem Wasser. Dennis war einer der Ersten, der sich mit dem Virus infizierte, und die erste Nacht war für ihn so schrecklich, dass er am nächsten Tag nicht mehr spielen konnte. Dann haben wir beschlossen, nicht mehr in diesem Hotel zu essen und sind woanders essen gegangen. Dann hörten wir, dass es jeden Tag neue Fälle gab, und es stellte sich heraus, dass diese Leute immer noch in dem Hotel aßen. Wir dachten, es ist sicherer, wenn ich dort nichts mehr anrühre (lacht). Natürlich war es schade, denn es war ein sehr wichtiges Turnier und viele Mannschaften, die um die Medaillen spielten, haben unter dem Virus gelitten.

Was sind deine bisher wichtigsten Erfolge im Schach?

Ich würde sagen, der Sieg beim Grand Prix der Frauen in Nikosia. Ich denke, das ist mein bisher größter Erfolg im Schach, denn es war ein sehr starkes Turnier, an dem einige der besten Spielerinnen der Welt teilgenommen haben.

Die in Kalmückien Dinara Wagner ist stolz auf ihren Sieg beim Women's Grand Prix 2023 in Nikosia. | Foto: Fotoarchiv von Dinara Wagner.

Welchen Hobbys gehst du in deiner Freizeit gerne nach?

Ich treffe mich gerne mit Freunden, um mich zu unterhalten oder etwas zu unternehmen oder etwas zu spielen. Brettspiele machen mir wirklich Spaß! (lacht). Ich schaue auch gerne Serien mit Dennis, obwohl ich nicht weiß, ob man das als Hobby bezeichnen kann. Ja, abends versuche ich einfach, ein bisschen zu entspannen, und was mag ich sonst noch? Ich stöbere auch gerne in den sozialen Medien, obwohl ich nicht weiß, ob das ein Hobby oder Zeitverschwendung ist (lacht). Ja, all diese Dinge, die die Leute heutzutage machen.

Dein Mann Dennis und du - unterstützt ihr euch beim Schach gegenseitig?

Ja, das tun wir! Wir versuchen, uns gegenseitig zu motivieren, und wir helfen uns auch gegenseitig, indem wir unsere Partien gemeinsam durchgehen. Wir besprechen, was wir übersehen haben, was wir hätten spielen können und suchen nach neuen Ideen. Wir sprechen auch viel über Eröffnungen und vor jeder Partie motivieren und unterstützen wir uns gegenseitig. Ich denke, es ist schön, jemanden zu haben, der einen in Sachen Schach vollkommen versteht. Das ist ein sehr gutes Gefühl.

Was würdest du gerne zum Besseren in der Schachwelt ändern?

Ich denke, es gibt so viele Dinge, die man ändern könnte, aber das, was mir schnell in den Sinn kommt, ist die Berichterstattung über Frauenschach in den Schachmedien. Das könnte noch besser werden! Zum Beispiel gab es auf einer der größeren Plattformen einen Artikel über den European Club Cup, mit Ergebnissen, allen Partien und Bildern. Der Modus wurde erklärt, kritische Momente beleuchtet und alles, und dann folgte nur noch ein Absatz über den Women's Club Cup mit dem Endstand des Turniers.

Und es gibt viele Artikel, die so sind, vor allem, wenn das offene und das Frauenturnier zur gleichen Zeit stattfinden. Das offene Turnier bekommt die ganze Aufmerksamkeit und die Damen nicht viel. Auch in den sozialen Medien wird viel mehr über die Männer oder die offenen Turniere gesprochen.

Man stößt immer wieder auf Taktikaufgaben und wird aufgefordert "Finde den besten Zug oder die beste Fortsetzung", aber diese Aufgaben stammen hauptsächlich aus den Partien der Männer, auch wenn gleichzeitig das Damenturnier stattfindet. Ich denke, das ist ein guter Ausgangspunkt, um die Schachwelt zu verbessern, denn manche Probleme sind so tiefgreifend und tiefgründig, dass es schwer ist, sofort etwas zu erreichen, aber dieses Problem ist recht einfach zu ändern. Man muss nur hingehen und es tun.

Man glaubt, dass du Elisabeth Pähtz, die derzeitige und langjährige Nummer 1 des deutschen Frauenschachs, in der Rangliste schon bald überholen wirst. Vor ein paar Monaten, bei der Frauen-WM, wäre das fast passiert. Wie siehst du das und was denkst du darüber?

Ich kenne diese Erwartungen, aber das setzt mich nicht unter Druck. Wenn es so weit ist, würde ich mich sehr freuen, aber ich mache mir da keine großen Gedanken. Wir versuchen beide, besser zu werden und weiterhin auf hohem Niveau zu spielen. Wir treiben uns gegenseitig an und helfen uns dabei, weiter zu wachsen. Es gibt keine große Rivalität oder so etwas. Wir sind gut mit Elisabeth befreundet, und hoffen einfach, dass wir uns alle freuen, wenn ich es irgendwann schaffe, die Nummer eins zu werden. Aber wie gesagt, ist das nicht mein großes Ziel. 

Dinara Wagner meint, dass es ein Fortschritt wäre, wenn Schachartikel die Spieler geschlechtsneutral benennen würden, anstatt wie jetzt meist die männliche Form zu wählen. | Foto: Mark Livshitz.

Vielen Dank für deine Zeit, Dinara! Das ChessBase-Team und ich wünschen dir alles Gute für deine weitere Karriere!

Das Interview wurde am 12. Oktober 2023 in englischer Sprache über Zoom geführt.
 


Tatiana Flores wurde 1998 in Andorra geboren und zog, als sie 14 war, mit Ihrer Familie nach Deutschland. Sie arbeitet als Schach-Journalistin, Dichterin und mehrsprachige Autorin. Sie begeistert sich neben dem Schachspielen auch für Literatur und Musik. Tatiana Flores, International Chess Journalist https://tatianaflores.de/en/home/