Das Interview erschien in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
The Chessdrum: Schach in Afrika
"Yes, we can!" Die Siegesformel des US-Präsidenten Barack Obama verspricht
den längst überfälligen Wandel in den Vereinigten Staaten nach der Ära des
George W. Bush. Und innerhalb der afro-amerikanischen Community sorgt der
Obama-Effekt für Aufbruchsstimmung. Wird das auch auf die Schachszene
durchschlagen? ChessBase-Autor DR. RENÉ GRALLA spricht darüber mit DR. DAAIM
SHABAZZ, Webmaster des einflussreichen Portals www.thechessdrum.net
und Dozent für International Business an der A&M Universität in
Tallahassee, Florida. Der Publizist will die bisher nur wenig bekannten
Beiträge panafrikanischer Spieler zur Entwicklung der Schachkultur einer
breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.
DR. RENÉ GRALLA:
Die Wahl
von Barack Obama macht vielen Menschen Hoffnung.
Und innerhalb der afro-amerikanischen Community sorgt der Obama-Effekt für
Aufbruchsstimmung. Wird das auf die Schachszene durchschlagen, beginnt jetzt
auch dort eine neue Ära des Black Pride?
DR. DAAIM SHABAZZ (Foto: Jennifer Shahade)
DR. DAAIM SHABAZZ: Obamas Effekt auf Schach bleibt abzuwarten. Noch ist
unklar, ob Barack Obama auch einen Einfluss auf Schach haben wird. Immerhin
hat Obama die Idee unterstützt, Schach in schulische Lehrpläne
aufzunehmen. Das rechtfertigt die Annahme, dass Schach in den USA künftig
ein gewisses Maß von der Aufmerksamkeit erhält, die das
Spiel eigentlich verdient. Was Black
Pride angeht - das ist unsicher. Ich erwarte keine besondere Wiederbelebung,
die dazu führt, dass Schwarze vermehrt Schach zu spielen beginnen, es sei
denn, es gibt verstärkte Bemühungen, Schach in dieser Bevölkerungsgruppe zu promoten.
DR. R.GRALLA:
Der
nächste WM-Kampf wird 2010 zwischen Indiens Champion Anand und dem
bulgarischen Herausforderer Topalow ausgetragen. Wie auch bei allen
vorausgegangenen Wettkämpfen haben
Spieler
mit afrikanischen Wurzeln in die Titelentscheidung
nicht eingreifen können. Haben Sie eine Erklärung dafür?
DR. SHABAZZ: Afrikanische
Nationen werden nur dann mehr Präsenz gewinnen, wenn bei ihnen die
Unterstützung für Schach real ist. Die Situation ist sehr schwierig, so
lange Sponsoring fehlt. Sehen Sie, die Region Asien steigt auf, und viele
Länder wie China, Indien, Philippinen, Vietnam, Malaysia und Singapur
entwickeln solide Infrastrukturen für Schach. Das Tempo dessen hat sich
beschleunigt in der vergangenen Dekade, so dass China und Indien in der
nächsten Dekade herausragende Schachmächte werden. Was Afrika angeht, so
haben verschiedene Länder Potenzial. Natürlich ist Ägypten die stärkste
Nation in Afrika. Nigeria ist eine Nation, die reich an Talenten ist, und
Sambia scheint junge Talente zu entwickeln. Südafrika ist die aktivste
Federation südlich der Sahara.
Immerhin hat es
mehrere afrikanische Spieler gegeben,
die am Zyklus der Weltmeisterschaften teilgenommen haben, vor allem an den
K.o.-Turnieren der FIDE. Mehrere Spieler aus Ägypten und andere aus der
Sahara-Zone sind dort gestartet, desgleichen Watu Kobese/Südafrika - dreimal
-, Amon Simutowe/Sambia - dreimal -, Robert Gwaze/Simbabwe und Pedro Aderito/Angola.
Zwar hat es keiner der Genannten
bis in die zweite
Runde geschafft, jedoch hat Kobese in
Moskau 2001 den Ungarn Peter Leko sensationell
geschlagen und
ist erst im Tiebreak ausgeschieden.
DR. R.GRALLA:
Vor acht
Jahren haben Sie die Website "The Chess Drum" gestartet. Warum?
SHABAZZ: Die Idee ist es, der Welt ein Segment der Schachaktivitäten zu
zeigen, das seit Dekaden ignoriert worden ist. Es gab kaum Informationen
über die Leistungen schwarzer Spieler. Warum ist das wichtig? Das ist
wichtig, um zu zeigen, dass Schach auf eine Vielzahl unterschiedlicher
Menschen Anziehungskraft ausüben kann. Das ist wichtig für den Sport, damit
er wachsen und neue Enthusiasten und Unterstützer gewinnen kann. Wenn Schach
präsentiert wird als elitäre Aktivität, die ausgeübt wird von einer
bestimmten Ethnie und Klasse, einer bestimmten intellektuellen Gruppe und
Kultur von Leuten, dann wird es kaum Anziehungskraft in die Breite ausüben.
Glücklicherweise sieht die Realität bei weitem anders aus. Schach hat einen
Appeal für ein breites Spektrum an Individuen, und es ist wichtig, die
universelle Anziehungskraft und die Beiträge der verschiedenen Segmente der
Szene zu zeigen.
DR. R.GRALLA:
Die
Beiträge afrikanischer beziehungsweise afro-amerikanischer Spieler für die
Entwicklung der Schachkultur sind bisher nur Spezialisten bekannt. Diesem
Informationsdefizit wollen Sie abhelfen ...
DR. SHABAZZ: ... natürlich. "The Chess Drum" hat ein sehr großes
internationales Publikum mit Besuchern aus mehr als 200 Ländern und
Territorien. Die Leute besuchen die Seite, um über Schach aus einer anderen
Perspektive zu lesen. Wie hätte jemand etwas wissen können über Spieler
afrikanischer Herkunft vor dem Launch von "The Chess Drum" 2001? Damals
waren nur sehr wenige Informationen verfügbar. Wir wissen aus der
Geschichte, dass die Afrikaner großartige Problemkomponisten und
Blindspieler waren. Die Geschichte der spanischen Mauren ist verloren
gegangen, nachdem viele Schachmanuskripte zerstört worden sind, als die
Mauren 1492 aus Spanien vertrieben wurden. Danach bekam Schach ein Standbein
in Europa und fand anschließend seinen Weg an die Küsten von
Nordamerika. Unzweifelhaft waren afrikanische Sklaven in Amerika ein
unterdrücktes Volk und engagierten sich nicht im Schachbereich, weil das für
sie verboten war.
DR. R.GRALLA:
Die
bisherige Ignoranz im Mainstream gegenüber den Leistungen afrikanischer
Spieler ist im Grunde eine Ignoranz gegenüber einem wichtigen Teil des
kulturellen Schacherbes. Schließlich hat doch gerade Afrika einen
einzigartigen Beitrag für das Schachuniversum geleistet, nämlich die
großartige Variante des "Senterej".
DR. SHABAZZ: Ich glaube, dass Spiele wie "Senterej" - und das ältere "Senet"
aus Ägypten - die Ergebnisse kultureller Vermischungsprozesse sind, die
durch Handelsexpeditionen und Migration ausgelöst worden sind. Ich bin kein
Experte für diese Spiele, und ich habe deren Ursprünge nicht erforscht. Ich
vermute, dass diese historischen Fußnoten ignoriert worden sind, weil derart
viele verschiedene Schachversionen kreiert worden sind, von denen einige
bloß Untervarianten geblieben sind. Manche haben abweichende Bretter und
Figuren, andere benutzen Würfel. Folgerichtig ist es schwierig, genaue
Parallelen zu ziehen zwischen den unterschiedlichen Schachversionen. Ich
denke, dass man die Geschichte etwas genauer untersuchen muss, um die
Querverbindungen zwischen diesen Brettspielen herauszuarbeiten.
DR. R.GRALLA:
Kann man
womöglich Ägyptens 3500 Jahre altes "Senet" - und damit dieses uralte Spiel
aus Afrika! - als Vorläufer des Schachspiels interpretieren?
DR. SHABAZZ: Mit Sicherheit. Zum ersten Mal sah ich ein Brett des "Senet" im
Ägyptischen Museum in Kairo. Es sah Schach sehr ähnlich, wurde allerdings
auf einem anders gestalteten Brett gespielt. Außerdem sind die Regeln des
Spiels ziemlich unterschiedlich und scheinen mehr gemeinsam gehabt zu haben
mit dem afrikanischen Zähl- und Fangspiel "Warri" als mit dem Schach der
Gegenwart. Immerhin ist ein "Senet"-Brett aufgenommen worden in das "U.S.
Chess Hall of Fame Museum" in Miami, Florida. Mithin gibt es Leute, die
eine Verbindung erkannt haben zwischen Senet und Schach.
DR. R.GRALLA:
Obwohl das Konstrukt dieser Verbindung auf wackeliger Grundlage steht. Es
gibt ebenso gute Gründe dafür, Senet als frühe Form des
Backgammon einzuordnen ...
DR. SHABAZZ: ... ich stimme Ihnen zu.
DR. R.GRALLA:
Überlassen wir die Frage den Ägyptologen, wenden wir uns der näheren
Vergangenheit zu. Einer der großen Unbekannten des schwarzen Schachs ist
Theophilus Thompson, der 1855 im US-Bundesstaat Maryland geboren wurde. Wie
ordnen Sie seinen Platz in der Geschichte des strategischen Spiels ein?
DR. SHABAZZ: Thompsons Leistungen waren interessant, weil er sich alles
selbst beigebracht hatte, und das zu einer Zeit, als Schwarze nur selten
überhaupt die Chance erhielten, lesen und schreiben zu lernen. Nach
Erreichen der Volljährigkeit endete in den Vereinigten Staaten die
Sklaverei, und Thompson entdeckte Schach, als er zwei Männern beim Spiel
zusah. Denken Sie daran, dass dies eine Zeit war, als Schach als Spiel der
Eliten und der Intellektuellen galt. Thompsons Fähigkeit, Wettbewerbe zu
bestreiten auf einem respektablen Level, wurde mit einiger Faszination
akzeptiert, während andere dem Mann vielleicht mit Fassungslosigkeit
begegneten. Als Thompson über Schach ein Problembuch schrieb, war das gewiss
die Krönung seiner Leistungen. Er war vielleicht der erste bemerkenswerte
schwarze Spieler. Aufzeichnungen seiner Partien sind erhalten, und es
scheint, dass Thompson nach den Maßstäben seiner Zeit auf Meisterniveau
spielte.
DR. R.GRALLA:
Überraschend betrat Thompson die Schachbühne, und ebenso schnell verschwand
er wieder. Was ist geschehen?
DR. SHABAZZ: Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Es gibt Geschichten,
aber nichts Konkretes. Einige sagen, dass Thompson einfach das Spiel aufgab
oder an einen Ort umzog, wo Schach keine Rolle spielte. Das ist
unwahrscheinlich, berücksichtigt man seine Leidenschaft und sein früheres
Engagement für das Spiel. Es gibt Spekulationen, dass er vielleicht
unglücklichen Umständen begegnet ist.
DR. R.GRALLA:
In der
Gegenwart setzt der US-Großmeister Maurice Ashley herausragende Standards in
der Schachpromotion. Als Gastgeber von TV-Shows präsentiert er das intellektuelle Spiel
spannend und
unterhaltsam. Wie schafft Ashley das bloß ?
DR. SHABAZZ: GM Ashley hat seit 2003 an keinem ernsten Wettkampf im Schach
teilgenommen. Er hat seine Aufgabe darin gesehen, Jugendliche für Schach zu
begeistern. Ashley ist ein sehr wichtiger Botschafter des Spiels, nicht weil
er der erste schwarze GM ist, sondern weil er Leidenschaft für das Spiel hat
und seine gesamte Zeit und Energie in die Promotion des Sports investiert.
Ashley ist Trainer, Kommentator, Autor und Spieler, und das hat seinen Blick
geschärft für die Vorzüge des Schachspiels. Wenige verfügen über dieses
breit gefächerte Spektrum an Erfahrungen. Ashleys Tatkraft wurzelt in seinem
jamaikanischen Erbe und in seiner konkurrenzbetonten Umgebung in New York.
DR. R.GRALLA:
Ashley
hat einen kreativen und kongenialen Mitstreiter, den Musikjournalisten Adisa
Banjoko, auch bekannt als "Bishop of HipHop". Der Prediger des
Sprechgesangs hat eine "Hip-Hop Chess Federation" gegründet. Wie
passen HipHop und Schach zusammen?
DR. SHABAZZ: Da sollten Sie sich besser an Adisa Banjoko direkt
wenden. Abgesehen davon glaube ich, dass es ein Missverständnis gibt
hinsichtlich dieser beiden künstlerischen Genres. Schach wird von allen
möglichen Typen von Leuten mit den verschiedensten sonstigen Interessen
gespielt. Für HipHop begeistern sich Schachspieler weltweit, und viele
HipHop-Enthusiasten haben Spaß am Schach. Daran ist nichts Ungewöhnliches.
Warum sollte das ein Problem sein? Viele Leute glauben, dass die Genres
HipHop und Schach einander als Gegensätze gegenüberstehen, aber das macht
keinen Sinn. Das wirkliche Thema ist es, ein bestimmtes Segment der
Jugendkultur zu erreichen und die Kids an Schach heranzuführen, so dass sie
in den Genuss von dessen positiven Wirkungen kommen. HipHop wird gezielt
eingesetzt, um Schach für die betreffenden Jugendlichen attraktiv zu machen.
Sie müssen dann keine Auswahl mehr treffen, bei welcher Aktivität sie dabei
sein wollen, HipHop oder Schach.
DR. R.GRALLA:
Einer der
Stars des HipHop, RZA vom Wu-Tang Clan, hat das Portal www.wuchess.com
ins
Netz gestellt. Um Jugendliche auf der Straße davon zu überzeugen, dass
Schach besser ist als Gewalt, wie er in einem früheren Interview mit
ChessBase gesagt hat. Funktioniert das?
DR. SHABAZZ: Das müssen Sie RZA fragen. Ich glaube, dass es RZA allein darum
geht, eine Gemeinschaft von Spielern zu bilden, die bestimmte gemeinsame
Interessen verfolgen. Von dieser Art von Schachgemeinschaften gibt es
tausende, die sich in den Zielen nicht allzu sehr vom Projekt von RZA
unterscheiden.
DR. R.GRALLA:
Kann das
Konzept von
www.wuchess.com
die Vision vorantreiben, dass HipHop und Schach fusionieren?
DR. SHABAZZ: Unbestritten ist wuchess.com eine interessante Idee, aber ich
bin nicht von deren Nachhaltigkeit überzeugt. Ich bin mir nicht sicher, ob
RZA eine langfristige Strategie verfolgt, um seine Idee am Leben zu
erhalten. Falls wuchess.com nicht in die größere Community der Schachspieler
integriert wird, dann wird das Projekt nicht von Dauer sein.
DR. R.GRALLA:
RZA hat
ein modernisiertes Schachdesign entworfen - mit Diagrammen im Wu-Tang
Clan-Style. Gefällt Ihnen das? Wird das mehr Teens und Twens motivieren,
sich für Schach zu interessieren?
DR. SHABAZZ: Das Design ist innovativ, aber für Schach kaum praktikabel. Am
Ende wollen die Leute Schach spielen mit den Steinen, an die jeder gewöhnt
ist.
DR. R.GRALLA:
Nicht nur
Männer repräsentieren die globale Gemeinschaft des panafrikanischen Schachs,
sondern auch glänzend begabte junge Frauen. Ich nenne exemplarisch Valquíria
Rocha aus Angola, Sabrina Chevannes aus England oder Darrian Robinson aus
den USA. Sie scheinen die legitimen Urenkelinnen zu sein der Kaiserin Taytu
Betul von Äthiopien, die während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in
Afrikas Schachversion "Senterej" brillierte ...
Sabrina Chevannes
DR. SHABAZZ: ... ja, da gibt es einige Namen. Aber viele der jungen Frauen
im Schach tendieren dazu, nach ihrem Kommen auch schnell wieder zu gehen. Es
ist sehr schwer, das Interesse der Mädchen am Schach über einen längeren
Zeitraum aufrecht zu erhalten, weil sie bald andere Interessen entdecken.
Sie sehen das eher als Aktion mit reinem Spaßcharakter an und nicht als
Spiel, in dem sie über Dekaden Wettkämpfe bestreiten.
DR. R.GRALLA:
Auf jeden
Fall scheint Schach aber inzwischen richtig cool zu werden -
dank junger Frauen wie Valquíria Rocha oder Aktivisten wie Adisa Banjoko
und RZA.
DR. SHABAZZ: Schach ist schon cool gewesen, bevor HipHop kreiert worden ist.
Entertainer, die Schach spielen, verändern das Spiel nicht, aber sie mögen
ein wenig deutlicher zeigen, wie universell das Spiel ist. Schach ist cool,
weil es von den unterschiedlichsten Menschen ohne Ansehen des sozialen
Status gespielt wird.
Die übliche Sichtweise auf Schach wird leider von Leuten bestimmt, die noch
glauben, dass sich bloß alte weiße Männer und sozial retardierte
Intellektuelle in reichen Landklubs mit Schach beschäftigen. Das ist die
übliche Sichtweise, und sie ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten
gegenüber dem Spiel. Die Leute denken immer noch, dass sie Schach nicht
lernen können, aber natürlich können sie Schach innerhalb einer Stunde
lernen. Es ist nichts Besonderes an einem Rapper, der am Brett sitzt, es sei
denn, wir glauben, er sei nicht dazu in der Lage, Schach zu spielen.
Noch einmal, Schach wird gespielt von den unterschiedlichsten Typen, über
alle Grenzen hinweg, die von Ethnie, Nationalität, Einkommen, Erziehung,
Klasse, Geschlecht, Alter, sozialem Status oder Religion gezogen werden.
DR. R.GRALLA:
Wie cool
Schach geworden ist, beweisen auch Prominente wie Will Smith oder Lennox
Lewis, die sich öffentlich dazu bekennen, das Spiel zu lieben. Wie kommt es,
dass sich der Megastar Will Smith und die Boxgröße Lennox Lewis für Schach
begeistern, obwohl man das von den Betreffenden eigentlich nicht unbedingt
vermuten würde?!
DR. SHABAZZ: Warum sollte man das denn nicht von Will Smith oder Lennox
Lewis vermuten? Das sind normale Menschen mit Interessen wie jeder andere
Mensch auch. Sie haben Spaß an bestimmten Dingen, und sie beschäftigen sich
damit wie der Rest der Welt.
DR. R.GRALLA:
In den
USA lebt ein sehr kreativer Reformer der Schachtheorie, der geniale Bernard
Parham. Der sich als Antwort auf 1.e4 e5 für den sofortigen Damenausfall
2.Dh5 ... stark macht. Aber das sieht doch eigentlich wie ein Anfängerzug
aus?!
DR. SHABAZZ: Ich habe Parham interviewt und das Thema
ausführlich mit ihm diskutiert. Parhams Theorie ist interessant, weil sie
bisher für unumstößlich gehaltene Wahrheiten über Schachprinzipien zu
überwinden versucht. Zugegeben, es gibt bereits einige Eröffnungen, die in
die gleiche Richtung zielen, und außerdem ist uns allen bereits früh
beigebracht worden, das Motiv des "Schäfermatts" für das eigene Spiel nicht
in Betracht zu ziehen. Vielleicht lassen wir uns deswegen von unserem
Vorurteil dazu verleiten, Parhams Theorie nicht für diskussionswürdig zu
halten. Dennoch hat er einige sehr interessante Spielprinzipien entwickelt,
und diese Prinzipien sind am Brett erprobt worden.
Bernard Parham
In einigen der Theoreme von Parham spielen mathematische Vektoren und
Geometrie eine Rolle, und seine Ideen sind noch nicht ganz ausgereift, aber
sie verfolgen interessante Ansätze. Zum Beispiel werden Turm und Läufer nach
Parhams Theorie als gleichwertig eingeschätzt, weil beide von zwei Vektoren
determiniert werden. Natürlich sind Läufer in einem frühen Partiestadium
wertvoller, weil sie früh entwickelt werden. In dieser Phase versucht Parham,
geometrische Straßen Richtung König zu öffnen, bevor die Türme befreit
werden können. Klar, nachdem mehr Platz auf dem Brett geschaffen worden ist,
wird der Turm einen klaren Vorteil haben. Parhams Theorie ist zu rigide, das
ist ihr Problem, und ihr Erfolg hängt ab von der Unfähigkeit des Gegners,
die Prinzipien der Parham-Theorie zu verstehen.
DR. R.GRALLA:
Immerhin
ist der Parham-Angriff 2.Dh5 ... nach 1.e4 e5 schon einmal von Hikaru
Nakamura ausprobiert worden, und zwar gegen Krishnan Sasikiran im
Sigeman-Turnier Kopenhagen/Malmö im Mai 2005. Offenbar ist Nakamura
unbewusst zum Jünger von Parham geworden?
Nakamura: 2.Dh5
DR. SHABAZZ: Nakamura kannte den Parham-Angriff, und er ist von Jason Doss,
der früher bei Parham gelernt hat, dazu ermutigt worden, den frühen
Damenausfall auszuprobieren. Als Nakamura 2.Dh5 ... gegen Krishnan Sasikiran
anwandte, war das ein moralischer Sieg für Parham und entzündete eine
heftige Debatte über die Praktikabilität einer derartigen Eröffnung. Aus
meiner Sicht ist der Ansatz, bisher als unumstößlich angesehene Annahmen
über Eröffnungsprinzipien in Frage zu stellen, wichtiger gewesen als die
Frage, ob 2.Dh5 ... vernünftig ist. Wie wir wissen, der schwarze Gegenschlag
im Zentrum wird als respektabel eingeschätzt und kostet den Weißen mehrere
Tempi. Das endgültige Urteil ist wohl, dass 2.Dh5 ... nicht zu empfehlen
ist, aber es gibt sicher Gründe dafür, den Parham-Angriff für spielbar zu
halten.
DR.R.GRALLA: "Yes,
we can!" Das wird nach dem sensationellen Ausgang der jüngsten
US-Präsidentschaftswahlen der Schlüsselsatz dieser Dekade. Kehren wir noch
einmal zum Ausgangspunkt unseres Interviews zurück: Dürfen wir nicht
vielleicht auch im Schach auf den "Obama-Effekt" hoffen?!
SHABAZZ: Ich glaube nicht, dass es im Schach einen speziellen "Obama-Effekt"
geben wird. Aber die Präsidentschaft von Barack Obama mag bereits
bestehenden Chess Communities etwas Rückenwind geben. Und es würde natürlich
helfen, wenn Obama Schachinitiativen unterstützen würde.
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