Das Interview erschien in
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
Hoffnung auf eine friedliche Welt
Anfangs haben die
Spieler aus Israel nicht zu den Topfavoriten gehört. Doch im Schlussspurt der
Dresdner Olympiade konnte das Team um seinen erfahrenen Frontmann, den
Supergroßmeister Boris Gelfand (40), doch noch die Silbermedaille
gewinnen. Mit Israels Teamchef ALMOG BURSTEIN (58) spricht der Autor DR. RENÉ
GRALLA im Interview für die Tageszeitung "Neues Deutschland" über die spannende
Schachszene zwischen Tel Aviv, Jerusalem und Negev. Und über die Schatten einer
unseligen Vergangenheit, die allmählich der Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden
weichen.
DR. RENÉ GRALLA:
Israel mischte bei der Olympiade unter den ganz Großen mit. Hatten Sie damit
gerechnet?
ALMOG BURSTEIN:
Ich war positiv überrascht, aber auch nicht völlig überrascht. Wir haben eine
junge Mannschaft mit ehrgeizigen Spielern. Und außerdem gehört zu unserem Team
natürlich Boris Gelfand, der bei der WM 2007 in Mexiko den dritten Platz belegt
hat.
DR. R.GRALLA:
Lange träumten auch die Deutschen, vorne weg der 23-jährige Arkadij Naiditsch an
Brett 1, von Edelmetall, bis sie von Israel gestoppt und 1,5:2,5 abgestraft
wurden. Waren die Gastgeber zu schwach für die Olympiade?
BURSTEIN: Nein,
die Deutschen haben doch in den ersten Runden gut gespielt. Wir sind eben bloß
an diesem Tag stärker gewesen.
DR. R.GRALLA:
In der Nacht
vom 9. auf den 10. November 1938 brannten die Synagogen im Reich, die Nazis
gingen zum offenen Terror gegen die jüdische Bevölkerung über. Welche Gedanken
haben Sie bewegt, 70 Jahre später Ihre Nation Israel in Deutschland bei einer
Schacholympiade zu vertreten?
BURSTEIN: Ich
denke, wir dürfen wirklich Hoffnung haben. Stellen Sie sich das vor: 70 Jahre
nach der sogenannten "Reichskristallnacht" treten wir Israelis hier gegen ein
deutsches Team an, und das auch noch in Dresden! Das macht Hoffnung, dass es
irgendwann vielleicht auf der ganzen Welt friedlicher wird.
DR. R.GRALLA:
Haben Sie
auch in der Mannschaft darüber gesprochen?
BURSTEIN:
Natürlich. Außer Boris Gelfand und mir sind das allerdings sehr junge Spieler,
und für sie liegt das Thema doch schon weit weg in der Vergangenheit. Trotzdem
haben sie aufmerksam zugehört, um zu verstehen, wie ich fühle.
DR. R.GRALLA:
Auf jeden
Fall haben Sie durch Ihre Präsenz in Dresden die Opfer des Holocaust geehrt.
BURSTEIN: Ich
stimme Ihnen zu.
DR. R.GRALLA:
In
Deutschland wird aktuell wieder über Antisemitismus und den notwendigen Kampf
dagegen diskutiert. Sind Sie mit offenem oder verstecktem Antisemitismus
konfrontiert worden?
BURSTEIN:
Überhaupt nicht. Im Gegenteil, die Menschen sind mir immer äußerst freundlich
und voller Sympathie begegnet.
DR. R.GRALLA:
Eine weitere
Besonderheit zeichnete die Weltspiele des Denksports in Dresden aus. Frühere
Olympiaden sind überschattet gewesen von Boykotten. Der Olympiade in Haifa 1976
blieben die arabischen Länder sowie der gesamte Ostblock fern. Nach Dubai 1986
wurde Israel demonstrativ und ausdrücklich nicht eingeladen. Ganz anders Dresden
2008: kein Boykott, sondern ein Teilnehmerrekord.
BURSTEIN: Ich
denke, das ist eine Wendemarke. Sicher gibt es noch einige Mannschaften, die
nicht so gern gegen uns spielen. Nach 27 Jahren sind wir in Dresden zum zweiten
Mal auf die Auswahl Ägyptens getroffen, und obwohl es seit vielen Jahren
friedliche Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gibt, lag doch eine
gewisse Spannung in der Luft.
DR. R.GRALLA:
Zumal Ihnen
die Ägypter unterlagen, mit 1,5:2,5 Punkten. Wie war die Stimmung, als Ihr Team
den Ägyptern gegenübersaß?
BURSTEIN: Auf das
persönliche Verhältnis der Spieler zueinander haben die politischen
Gegensätze keinen Einfluss. Wir sind alles Sportsleute, am Brett gibt es nur den
Konkurrenzkampf um Punktgewinn oder Verlust. Im zwischenmenschlichen
Verhältnis kommen wir mit den arabischen Spielern sehr gut aus, da gibt es
überhaupt keine Probleme. Ich habe Freunde sogar in der iranischen Delegation.
DR. R.GRALLA:
Die
hervorragende Performance der Israelis in Dresden ist sichtbarer Ausdruck der im
jüdischen Volk tief verwurzelten Schachkultur ...
BURSTEIN: ...
richtig, denken Sie an die Weltmeister Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker, aber
auch an den Endspielkünstler Akiba Rubinstein.
DR. R.GRALLA:
An diese
große Tradition wird im modernen Israel angeknüpft. Allein in Be'er Schewa, der
Hauptstadt des Negev, leben acht Großmeister. Daher rühmt sich die City in der
Wüste, nach Islands Reykjavik, das einen GM pro 14.000 Einwohner meldet,
weltweit die zweitgrößte Dichte an Großmeistern aufzuweisen, mit einem GM pro
25.000 Einwohner. Wie ist es zum Schachboom an diesem Ort gekommen, der
übersetzt "Brunnen der Sieben" heißt?
BURSTEIN: Das
Verdienst gebührt Eliahu Levant, der 1972 aus St. Petersburg nach Israel
eingewandert ist. Er baute von Null den Schachklub Be'er Schewa auf. Im Gefolge
der Immigration aus der ehemaligen Sowjetunion während der 90-er Jahre siedelten
sich viele starke Schachspieler in der Gegend an und haben den Ruf von Be'er
Schewa begründet. Jedes Jahr lädt die Stadt zu einem internationalen Turnier,
meist im September.
DR. R.GRALLA:
Wenn ich als
Schachliebhaber aus Deutschland nach Be'er Schewa reise, werde ich dort
Spielpartner finden?
BURSTEIN: Aber
selbstverständlich! Der Ehrlichkeit muss man freilich einräumen, das Be'er
Schewa nicht das klassische touristische Ziel ist, aber Sie finden dort eine
Reihe guter Hotels für einen angenehmen Aufenthalt.
DR. R.GRALLA:
Spektakulär
war das diesjährige Schachfestival in Jerusalem vom 29. zum 31. Juli, mit einem
Open-Air-Turnier um Mitternacht vor den angestrahlten Mauern der Altstadt.
Dürfen sich die Fans auf eine Fortsetzung freuen?
BURSTEIN: Das
Event wandert 2009 weiter nach Tel Aviv, als "Weiße Nächte" und wahrscheinlich
wieder im Juli.
DR. R.GRALLA:
Strand und Schach und Party auf Tel Avivs legendärer Piste ...
BURSTEIN: ... so
ist es!
DR. R.GRALLA:
Zurück zur Olympiade 2008: Ihr Urteil über Dresden?
BURSTEIN:
Phantastisch! Dies ist meine 19. Olympiade, zum ersten Mal war ich 1972 dabei in
Skopje, dem heutigen Mazedonien, das damals zu Jugoslawien gehört hat. Dresden
ist eine der besten Olympiaden, die ich jemals erlebt habe, ausgezeichnet
organisiert, mit einer wunderbaren Atmosphäre.