Interview mit Ivan Ivanisevic

von ChessBase
10.11.2005 – Nach dem Zweiten Weltkrieg war Jugoslawien das Schachmekka schlechthin. Mit Idolen wie Svetazar Gligoric war man zeitweise hinter der UdSSR sogar die zweitstärkste Schachnation. Bobby Fischer hatte hier ein zweites Zuhause. Doch spätestens mit den Bürgerkriegen und dem Zerfall Jugoslawiens in mehrere Staaten waren die golden Zeiten vorbei. Obwohl das Geld nicht mehr da ist und die Strukturen zerfallen sind, ist Schach in den Nachfolgestaaten immer noch sehr populär. Der serbische Spitzespieler Ivan Ivanisevic berichtet im Interview, das Dr. René Gralla für Neues Deutschland führte, u. a. von den Lebensbedingungen eines Schachgroßmeisters in Serbien heute. Interview mit Ivan Ivanisevic in Neues Deutschland...Nachdruck...

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Träume von der Dominikanischen Republik

Der Bulgare Topalow ist neuer Schachweltmeister, auf der Turnierbühne dominieren Spieler aus den Ländern östlich der einstigen Systemgrenze zwischen kapitalistischem und sozialistischem Lager. Über Denksporttraditionen und Zukunftsschach und über den täglichen Daseinskampf unter neo-liberalen Bedingungen hat der Autor Dr. René Gralla mit dem serbischen Großmeister Ivan Ivanisevic(28) gesprochen. Wer persönlich einmal testen möchte, ob er sich mit den starken Spielern vom Balkan messen kann, findet nach dem offenen Herbstturnier am Sonntag, 6.11.2005, das nächste Mal dazu Gelegenheit wieder beim traditionellen Frühjahrs-Schnellturnier im Mai 2006 im Schachklub des Serbischen Kultur-Centers (SKC) Hamburg.


Ivan Ivanisevic mit zwei seiner Fans: Dijana (li.) und Delilah

Dr. René Gralla: Große Namen wie Gligoric haben das jugoslawische Schach berühmt gemacht … 

Ivan Ivanisevic: … ja, eine Zeit lang waren wir international die Nr. 2 gleich hinter der Sowjetunion.

Dr.Gralla: Nach dem Bürgerkrieg sind aber nur noch Serbien und Montenegro als Restjugoslawien übrig geblieben …

Ivanisevic: … wenigstens hat dieses Schicksal nicht allein uns getroffen, sondern auch die einst übermächtige Sowjetunion. Die UdSSR ist ebenfalls zerfallen, so dass die Russen mittlerweile, was früher undenkbar gewesen wäre, schon mal den Leistungsvergleich gegen eine Weltauswahl verlieren können, so geschehen vor drei Jahren. Außerdem mischen auf der Turnierbühne nun auch neue Nationen mit, denken Sie allein an die sehr starken Inder. Die haben ihren Top-Mann Anand; dazu frische Talente wie den 19-jährigen Pentala Harikrishna, der gerade erst das Essent-Turnier im niederländischen Hoogeveen sogar vor der bulgarischen Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa gewonnen hat. Die Kräfteverhältnisse haben sich eben verschoben.

Dr.Gralla: Der Bürgerkrieg ist deswegen nicht nur eine Katastrophe für die leidenden Menschen gewesen, sondern auch für das Schach im einstigen Jugoslawien.

Ivanisevic: Zweifellos. Früher waren wir ganz vorne, aber inzwischen sind viele an uns vorbeigezogen. Aber warten Sie ab: Wir kommen wieder! Serbien stellt mehrere Nachwuchsgroßmeister, die um die zwanzig Jahre alt sind. Heute zählt unser Land schon wieder zu den zehn stärksten Schachnationen.

Dr.Gralla: Was sind Ihre persönlichen Erinnerungen an den Krieg?

Ivanisevic: Ich wohnte damals in Belgrad, und natürlich hatte jeder von uns Angst, wenn die Flugzeuge der NATO kamen. Gleichzeitig haben wir aber versucht, so normal wie möglich weiter zu leben: so normal, wie das eben ging unter den Umständen damals, was anderes blieb uns ja auch gar nicht übrig. Viel schlimmer hat es meine Großeltern getroffen; bei denen kamen sofort Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Luftangriffe der Deutschen wieder hoch, als sie die Bomber hörten.

Dr.Gralla: Früher hat der jugoslawische Staat den Schachsport gefördert. Wie sieht das aktuell aus?

Ivanisevic: Die Unterstützung ist stark heruntergefahren worden. Gleichzeitig ist es sehr schwer, Sponsoren zu finden.

Dr.Gralla: Trotzdem sind Sie Schachprofi geworden?

Ivanisevic: Ja.

Dr.Gralla: Wovon leben Sie?

Ivanisevic: Ich fahre von Turnier zu Turnier und versuche, ein Preisgeld zu gewinnen. Pro Jahr bin ich rund sechs Monate lang im Ausland unterwegs. Nebenbei gebe ich Schachunterricht, außerdem schreibe ich für Zeitungen Artikel über unseren Sport.

Dr.Gralla: Und das reicht zum Lebensunterhalt?

Ivanisevic: Wenn Du es regelmäßig bis in die Spitzengruppe schaffst, kannst Du recht gut klar kommen. Falls Du bei Wettbewerben aber niemals über Rang zehn bis 15 hinauskommst, wird es eng für Dich. Ich selber belege momentan Platz zwei in Serbien.

Dr.Gralla: Wieviel nehmen Sie im Monatsdurchschnitt ein?

Ivanisevic: Rund 1000 Euro.

Dr.Gralla: Die Arbeitslosigkeit in Serbien ist hoch. Kann Schachprofi daher eine berufliche Alternative sein?

Ivanisevic: Auf jeden Fall. Ich verdiene mehr als viele Akademiker, und ich weiß, wovon ich rede; schließlich habe ich auch studiert, und zwar Ökonomie.

Dr.Gralla: Finden Sie eine Erklärung dafür, dass gerade die Region Südosteuropa auffällig viele hervorragende Schachspieler hervorbringt? Das jüngste Beispiel ist der neue FIDE-Weltmeister Topalow aus Bulgarien.

Ivanisevic: Ich kann nur für meine Heimat Serbien sprechen. Bei uns hat die Beschäftigung mit Schach eben eine lange Tradition, und das fängt schon früh an, nämlich spätestens dann, wenn die Kinder zur Schule gehen.

Dr.Gralla: Wie alt waren Sie, als Sie Schach gelernt haben?

Ivanisevic: Fünf Jahre.

Dr.Gralla: Wie intensiv trainieren Sie Schach?

Ivanisevic: Zwischen vier und sechs Stunden täglich.

Dr.Gralla: Sie sind beim Hamburger Schachfestival 2005 in der internationalen Konkurrenz gestartet. Wie beurteilen Sie das Niveau Ihrer deutschen Gegner?

Ivanisevic: Ich bin beeindruckt. Selbst Leute, die bloß ein Rating von ELO 2300 bis 2400 haben, die also nominell schwächer sind als ein Großmeister, muss man ernst nehmen. Das deutsche Schach hat im Vergleich zur Weltspitze deutlich aufgeholt.

Dr.Gralla: Gibt es ein Traumturnier, bei dem Sie gerne mal antreten würden?

Ivanisevic: Das alljährliche Open in der Dominikanischen Republik.

 


Spielzeiten im SKC-Schachklub Hamburg, Schützenstraße 107: mittwochs bis sonntags ab 18 Uhr; weitere Informationen bei Zlatko Trajkovic: Telefon mobil 0160/8113652.

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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