ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Krieg der Sterne um das Schachbrett
Am 19. Mai, als Anatoly Karpov sich in New York befand und unserer Zeitung ein
Interview geben wollte, wurde er plötzlich aus Moskau angerufen, weil bewaffnete
Leute in das Gebäude des Zentralen Hauses des Schachspielers eingedrungen waren,
einen Brief von Arakadij Dvorkovich vorzeigten, dem Assistenten des Präsidenten
der Russischen Föderation und als Nebenbeschäftigung Vorsitzender des
Beobachtungsrates der Schachföderation Russlands, mit der Forderung die
Wachleute auszutauschen. Nach den Worten von Karpovs Assistenten nahmen sie die
gesamte Bürotechnik in Beschlag und gingen in die Computer der Mitarbeiter ohne
eine gerichtliche Erlaubnis oder andere legitime Rechte dafür vorzuweisen.
- Anatoly, glauben Sie, dass diese Aktion eine Antwort auf Ihre vor kurzem
durchgeführten Maßnahmen in New York ist, Mittel und Stimmen zur Unterstützung
für Ihre Kandidatur zum FIDE Präsidenten zu sammeln?
- Natürlich. Arkadij Dvorkovich hat schon seit langen die Grenze der Vernunft
überschritten. Der Einsatz von bewaffneten Leuten ist allerdings ein sehr ernst
zu nehmender Moment. Er hat sich mit einem Brief an alle Schachföderationen der
Welt gerichtet. Wie Lenin, der zur Lenkung der Revolution Post, Telegraf
und Telefon besetzt hat, wendet sich Dvorkovich im Namen der russischen
Schachföderation an andere Organisationen und erklärt, dass Karpov, Kasparov und
Bakh keine Vertreter der Russischen Föderation sind, dass nur er sie
vertritt.
- Das heißt, er hat sich selbst ernannt?
- Ja, sich selbst als einzigen Regenten. Dabei ist folgendes erstaunlich. Er hat
einen Brief unterschrieben, in dem gesagt wird, dass der Beschluss des
Aufsichtsrates, so wie er in Moskau gefasst wurde, nicht legitim ist, da es
angeblich noch keine Registrierung im Justizministerium gibt. Es hätte sich eine
vorläufige Versammlung zusammengefunden, die kein Recht hatte, eine Entscheidung
zu treffen. Die Registrierung sei noch nicht völlig abgeschlossen gewesen. D.h.
im ersten Teil des Briefes behauptet er, dass die Entscheidung des Gerichts
nicht legitim sei, dass man sie nicht in Betracht ziehen könne, und im zweiten
Teil unterschreibt er selbst als Vorsitzender des Aufsichtsrates, der seiner
Meinung nach gar keine Rechte hat. Übrigens ist der Aufsichtsrat laut
Satzung ein beratendes Organ, so dass der Vorsitzende nicht die Macht ergreifen
und die Föderation vertreten kann. Niemand hat Dvorkovich solche Vollmachten
gegeben.
- Dvorkovich und Schach – Was gibt es da für eine Verbindung?
- Leider haben wir ihn im Februar zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt.
Er ist auf diesem Gebiet neu, aber sein Vater war ein bekannter Schiedsrichter.
Er hat viele Jahre in Kasparovs Team gearbeitet. Und er wuchs – sagen wir es mal
so – in einer Atmosphäre großer Abneigung gegen mich auf.
- Aber jetzt ist ihr früherer Gegner Garri Kasparov in Ihrem Team. Wie ist
das passiert?
- Kasparov wird als Berater fungieren, er wird keine offizielle Position
einnehmen. Wir sehen beide, dass man die Situation des Schachs in der Welt
vielfach verbessern könnte. Das Schach ist zur Zeit in Gefahr. Die Rechte der
Schachspieler werden nicht eingehalten, der Kalender wird nicht eingehalten, es
werden nicht genügend durchdachte Entscheidungen getroffen, es gibt ziemliche
viele Mängel.
- Wer ist daran schuld?
- Seit 15 Jahren ist ein- und dieselbe Gruppe an der Macht, und sie hat nicht
vor zu gehen. Deshalb ist jetzt dieser Kampf entbrannt. Ich weiß nicht, warum
Ilyumzhinov das braucht, was die Schachföderation für ihn bedeutet – vielleicht
braucht er sie als Deckung irgendwelcher seiner Angelegenheiten?
- Dabei steht er an der Spitze einer der ärmsten Republiken Russlands.
Woher nimmt er das Geld? Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass die FIDE nur
noch dank Ilyumzhinov existiert.
- Das ist ein Mythos. Wir sollten davon ausgehen, dass das olympische Schachdorf
von Haushaltsgeld gebaut wurde und nicht von Ilyumzhinovs Geld und dass es mit
dem Schachspiel nichts zu tun hat. Es war nie Eigentum der FIDE. Es wird als
Gästezentrum genutzt und gehört Kalmückien. Und wenn man die Dokumente anschaut,
die die Finanzen betreffen, findet man keine Spuren von Ilyumzhinovs Geld. Die
Föderation ist heute sehr arm. Ihr höchstes Jahresbudget betrug 1,5 Mio. Euro.
Für einen internationale Sportverband ist das so gut wie kein Geld. Aber
Ilyumzhinov erklärt, dass er mehr als 50 Mio. Dollar ausgegeben hat.
- Ist das irgendwie in den Dokumenten über die Finanzen zu sehen?
- Nein, da kann man nichts finden. Um diese 50 Millionen auszugeben, muss man
nicht 15, sondern mehr als 25 Jahre lang die Föderation leiten. In den
Dokumenten der Föderation finden wir keine Spuren von Ilyumzhinovs Geld. Aber es
entsteht der Mythos – für die Welt und für die Föderation – dass er dort quasi
seine eigenen Mittel einbringt.
- Es gibt Leute, die glauben, dass Russland keine führende Schachnation
mehr ist. Stimmen Sie dem zu?
- Als die Sowjetunion auseinanderbrach, spalteten sich auch Republiken ab, in
denen es nicht wenig talentierte Schachspieler gibt. Transkaukasien wurde
selbstständig. Dort gibt es Republiken, in denen Schach viel gespielt wird:
Georgien, Aserbaidschan. Dort gibt es ziemlich große und starke
Schachorganisationen. Georgien zum Beispiel ist für seine Frauen im Schachspiel
berühmt.
- Erzählen Sie über Ihr Programm, wie sehen Ihre Pläne aus für den Fall,
dass es Ihnen gelingen wird, den FIDE zu leiten?
- Ich denke, dass es jetzt vor allem nötig ist, die Arbeit in der FIDE in
Ordnung zu bringen. Die Die Möglichkeiten des Internet wurden völlig außer Acht
gelassen. Die allgemeine und massenhafte Verbreitung des Schachspiels befindet
sich auf sehr niedrigem Niveau. Wir haben viele Trümpfe, mit denen wir uns an
Firmen wenden können. Ich habe kein einziges Mal irgendein Faltblatt von einer
internationalen Schachorganisation gesehen, und mit diesem Team, das einen
ziemlich lädierten Ruf hat, wollen Firmen einfach nichts zu tun haben.
- Einen lädierten Ruf?
- Anfangs hat Ilyumzhinov versucht, im Westen etwas zu erreichen, aber das ist
ihm nicht gelungen. Jetzt macht er irgendwelche geheimen Spazierfahrten. In
Russland kann er noch etwas erreichen. Im Ausland kennt man ihn, aber das macht
die Sache noch schlimmer.
- Wie wollen Sie Kapital heranziehen?
- Schach hat viele mögliche Sponsoren und Partner. es gibt Millionen von
Schachspielern auf der Welt. Im Internet werden an einem Tag mehr als eine
Million Partien gespielt. Ich habe nur ein Interesse – das Ansehen des Schachs
zu retten. Dvorkovich beginnt Russland in einem idiotischen Licht darzustellen –
und das als Berater des Präsidenten! Das, was er macht ist illegal. Außerdem ist
es eine gesetzwidrige Aneignung von Macht. Russland geht doch angeblich einen
anderen Weg. Davon sprechen sowohl Medvedjev als auch Putin. Wir wollen ein
zivilisiertes Land sein, aber wenn sie auf diese Weise handeln, stellt sich die
Frage: Wer siegt letztendlich in Russland?
- Wie werden sich, Ihrer Meinung nach, die Ereignisse weiter entwickeln?
- Jetzt wird es, glaube ich, zur Einschüchterung von Delegierten kommen. Eine
ähnliche Situation hat es im Jahre 1994 gegeben, aber damals war Russland ein
Land von Banditen. Damals war man auf den Straßen nicht sicher.
- Ist Ihre Nominierung durch eine andere Organisation möglich?
- Ich wurde von vier Organisationen nominiert und kann von jeder aus starten.
- Was könnte dem Sieg im Wege stehen?
- Gewaltsame Methoden. Wir sind alle lebendige Menschen. Keiner braucht Probleme
oder Drohungen von Seiten der mächtigen Ministerien und Behörden. Es wurden
schon Delegierte bedroht, Schmiergelder, Erpressung und Bestechung hat es schon
gegeben. Das ist eine Riesenschande. Der Beschluss über meine Wahl als
Kandiadten wurde mit 17 von 32 Stimmen gefasst. Es gab eine Livereportage und
etwa 100 Leute waren anwesend. Aber irgendwo in einer privaten Wohnung
versammeln sich 7 Leute mit Ilyumzhinov und Dvorkovich an der Spitze und
entscheiden alles anders. Und erklären, dass ihre Versammlung legitim ist und
unsere nicht. Insgesamt werden jetzt Delegierte von 169 Föderationen, die zu
dieser Organisation gehören, den FIDE – Präsidenten wählen. Aber ich bin sicher,
dass wir gewinnen werden. Hier ist die Meinung der Menschen von Bedeutung. Gäbe
es jetzt in Russland kein Internet – es ist ja im Allgemeinen vorhanden – dann
würde die Anweisung erfolgen, nichts zu schreiben und nichts im Fernsehen zu
zeigen, so wie es im Grunde genommen in alten Zeiten war, als die Anweisung von
oben kam. Jetzt gibt es eine Rückkoppelung. Die Menschen können ihre Meinung
sagen, sie kommt dort an, wo sie hin soll und zeigt Reaktion. Wenn Hunderte,
Tausende und Millionen Befremden und Protest ausdrücken, beginnt es zu wirken.
Novoe Russkoe Slovo, Freitag, 21. Mai 2010-05-24
Das Interview führte Viktoria Belova.
http://www.nrs.com/?p=2433