Levon Aronian, ein Star zum Anfassen
Ein Sommerabend in der Berliner Friedrichstraße. Die Fußball-WM ist in vollem
Gange, nebenan auf der Fanmeile steppt der Bär. Das Russische Haus hingegen ist
fast leer. Nur in einem Raum der dritten Etage, wo der Schachklub sein Domizil
hat, findet sich kein freier Platz mehr.

Der Grund? Levon Aronian ist zu
Gast. Das Treffen ist schon Monate zuvor geplant gewesen, aber wegen des dicken
Terminkalenders des armenischen Großmeisters erst jetzt möglich geworden.

Juri Sarubin begrüßt den Gast
Der Weltranglistendritte kommt
in Begleitung seines Vaters Grigori, erzählt den begeisterten Zuhörern aus
seinem Leben und zeigt eigene Partien.

Levon Aronian mit Vater Grigori
Vorher haben die eifrigen
Mitglieder des Schachklubs viele Fragen an den Gast, die alle geduldig
beantwortet werden. Selbst die Feinheiten des Fischer-Random-Schachs erklärt
Levon am Demonstrationsbrett. Der engagierte Klubleiter Juri Sarubin sowie alle
anderen Anwesenden sind begeistert. Auch unser eingeladener Schachreporter
Dagobert Kohlmeyer erfährt an diesem Abend vom armenischen Schachhelden Aronian
interessante Neuigkeiten.
„Wir mögen dynamische Stellungen“
Interview mit Olympiasieger Levon Aronian
Von Dagobert Kohlmeyer

Wir haben gerade die Fussball-WM, die
nicht nur Deutschland in einen Freudentaumel versetzt. Siehst du dir die Spiele
im Fernsehen an?
Ich schaue hin und wieder, kann aber nicht
sagen, dass ich ein großer Fußballfan bin. Bisher hatte ich Argentinien die
Daumen gedrückt. Sie spielten zu Beginn des Turniers den besten Fußball.
Was tut sich im armenischen Fußball?
Wir haben momentan leider keine besonders
erfolgreiche Mannschaft. Früher zu sowjetischen Zeiten besaßen wir gute Spieler.
Aber ich bin kein Spezialist für diese Sportart. Der Fußball-Experte in unserer
Familie ist meine Mutter.
Aha. Das ist interessant und selten.
- Kommen wir zu deinem Spezialgebiet, dem Schach. War der Olympiasieg eures
Teams in Turin der größte Erfolg seit Tigran Petrosjans WM-Titel?
Ich kann und möchte beide Ereignisse nicht
direkt miteinander vergleichen, aber im Prinzip war es schon ein sehr großer
Erfolg. Unglaublich viele Leute in Armenien haben sich jedenfalls sehr darüber
gefreut.
Welches Ziel hattet ihr euch für Turin
gestellt?
Wir wollten wie immer gut spielen und
zumindest eine Medaille holen.
Wie erklärst du dir den Einbruch der
Russen, die mit einer starken Truppe antraten und nur Sechster wurden?
Einen Grund sehe ich darin, dass sie mit
Alexander Morosewitsch und Sergej Rublewski zwei zu angriffslustige Spieler in
ihren Reihen hatten, die nicht in Form waren und zu viele Punkte einbüßten.
Es gibt die Meinung, dass die
armenischen Spieler der Eröffnungsvorbereitung nicht die gleiche Beachtung
schenken wie zum Beispiel die russischen Großmeister.
Da ist etwas dran. Die Russen sind
theoretisch sicher besser als wir. Ihr Schachwissen ist größer, keine Frage.
Aber dieses Manko machten wir in Turin, so glaube ich, ganz gut wett, indem wir
dynamische Stellungen anstrebten, die wir sehr gut spielen können.
Hat euer sportbegeisterter
Staatspräsident euch zur Goldmedaille gratuliert?
Er beglückwünschte uns gleich nach
Beendigung des Turniers in Turin.

Armenien gegen Kuba
Gab es für euren Olympiasieg eine
dicke Prämie?
Ja, wir haben sie schon bekommen. Jeder
Spieler hat 18 000 Dollar erhalten.
Das ist viel Geld. Schach wird ja in
Armenien vom Staat sehr gefördert. Wie hoch ist euer Stipendium?
Die finanzielle Unterstützung für die
Spitzenleute des Schachs beträgt jeweils 6 000 Dollar im Jahr.
Du bist schon einige Zeit Schachprofi.
Hast du vorher eine Berufsausbildung absolviert?
Ich habe die Universität in Jerewan besucht
und an der dortigen Sportfakultät studiert. Im Spezialfach Schach habe ich das
Diplom erworben. Also könnte ich jetzt ohne weiteres als Trainer arbeiten.
Momentan spielst du ja, und zwar auf
höchstem Niveau. Wer trainiert dich denn?
Mein Sekundant ist Gabriel Sargissjan, und
vor wichtigen Wettkämpfen wie der Olympiade trainiere ich mit Arschak Petrosjan.
Wie erklärst du dir deine großen
Erfolge? Man mag nicht glauben, was Kollegen über dich schreiben, wenn sie dich
als faules Genie bezeichnen. Ist es wahr, dass du dich kaum auf einen Wettkampf
vorbereitest?
Ich tue in der Tat nicht sehr viel, aber
natürlich das Nötigste, um im Wettkampf bestehen zu können. Zum Glück habe ich
sehr gute Schachfreunde, die mir viel bei meiner Arbeit helfen. Nachdem ich
durch meine Erfolge finanziell unabhängig geworden bin, kann ich mir gute Helfer
auch leisten.
Du bist schon Weltranglisten-Dritter,
Levon. Wie geht es jetzt weiter? Nimmst du Kurs auf den WM-Titel?
So weit sehe ich mich noch nicht. Es ist ja
auch alles unklar. Sicher scheint nur zu sein, dass Kramnik und Topalow jetzt
das Vereinigungsmatch spielen werden. Dann sehen wir weiter. In diesem Herbst
sollen ja laut FIDE-Beschluss auch die WM-Kandidatenkämpfe über die Bühne
gehen, aber weder Orte, noch ein genauer Zeitpunkt stehen fest.
Dein Gegner ist der junge Magnus
Carlsen. Wo wollt ihr spielen? Hast du Respekt vor ihm?
Er spielt für sein Alter äußerst stark. Ich
fürchte ihn nicht, aber nehme ihn ernst. Da es in Norwegen nicht so viele
Schachturniere gibt, wäre es gut, das Kandidaten-Match dort auszutragen. Ich
hätte kein Problem damit.
Startest du nächstes Jahr in der
Schach-Bundesliga wieder für den SC Kreuzberg?
Nein, ich habe mein Engagement nicht
verlängert. Einmal fehlt mir bei meinen vielen Verpflichtungen die Zeit, zum
anderen sehe ich keinen großen Nutzen darin, in der Bundesliga zu spielen.
Das Chess Meeting in Dortmund steht
Ende des Monats an. Du wirst dort u.a. auf Kramnik, Leko und Swidler, also auf
stärkste Konkurrenz treffen. Freust du dich?
Ja sehr. Ich habe noch nie in Dortmund
gespielt und freue mich auf die neue Herausforderung. Es wird sicher nicht
leicht werden, aber ich will mein Bestes geben.
Danke Levon, für das Gespräch!
Dann führte
Levon Aronian in Berlin einige Spiele aus seiner eigenen Turnierpraxis vor. Zum
Erstaunen der Anwesenden zeigte er als erste Partie keine von der Olympiade in
Turin, sondern eine aus dem vorjährigen Aeroflot Open in Moskau gegen den St.
Petersburger Großmeister Valeri Popow. Sie ist nicht fehlerfrei gewesen, räumte
der Weltranglistendritte ein, aber hatte ein hübsches Finale.

Läufer nach g7

Db3 war ein wichtiger Zug

Mit zwei
kräftigen Turmzügen zerschlug Weiß am Ende die schwarze Stellung.
L.
Aronian - V. Popow, Areoflot Open 2005 ...