Interview mit Lisa Kishon

von ChessBase
30.05.2007 – Mit etwa 50 Büchern in einer Gesamtauflage von 43 Milllionen, zahlreichen Theaterstücken und Drehbüchern gilt der im letzten Jahr verstorbene Ephraim Kishon als einer der bedeutensten Satiriker des 20. Jahrhunderts. Seine besondere Liebe galt dem Schach und die Idee eines sprechenden Schachprogramms geht eigentlich auf Kishon zurück. Kürzlich realisierte der Verlag USM mit dem Programm Fritz & Kishon die Idee des Satirikers in einer modernen Variante. Nach dem Tod seiner zweiten Frau heiratete Kishon 2003 die österreichische Schriftstellerin Lisa Witasek. Im Interview erzählt sie u.a., wie sehr ihrem verstorbenen Mann das Schach am Herzen lag. Kishon-Fritz kaufen bei USM...Interview mit Lisa Kishon...

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Interview mit Lisa Kishon

Lisa Kishon ist die dritte Ehefrau von Ephraim Kishon. Die gebürtige Salzburgerin promovierte in Sprach-, Literaturwissenschaften und Philosophie, arbeitete seit 1986 in Wien an der Musikuniversität, war Chefredakteurin der Zeitschrift „Kunstpunkt“ und schrieb sechs Bücher. An Ephraim Kishons Seite lebte sie abwechselnd in Israel und in der Schweiz. Heute lebt sie zum Teil auch wieder in Wien.


Foto: Mischa Erben

Wie wird man Schriftsteller?

Ich glaube, so etwas kann man nicht planen, eigentlich auch nicht lernen. Die Beweggründe, um zu schreiben, sind sicherlich bei jedem verschieden. Jeder Mensch hat seinen Roman. Aber im Gegensatz zu einem Nicht-Schriftsteller schreibt ein Schriftsteller das, was er zu sagen hat, zu Ende. Manche Menschen schreiben, und manchmal sogar zu Ende, obwohl sie nicht viel zu sagen haben, einfach weil sie gerne schreiben. Ob das auch Schriftsteller sind? Ich glaube schon, denn solche Literatur gibt es sogar zu kaufen, sogar in Buchläden, obwohl man so etwas eher in der Apotheke in der Abteilung der Schlafmittel anbieten sollte…

Vielleicht schreibt ein Schriftsteller um sein Leben, existentiell oder seelisch, die reine Gemütlichkeit ist wohl keine ideale Voraussetzung.

Wie war Ihre erste Begegnung mit Ephraim Kishon?

Es war in einem Heurigen-Lokal in Wien, eine Einladung, die unser beider Verleger anlässlich einer Ehrung, die Ephraim vom österreichischen Staat zuteil wurde, gab. Ich wollte gar nicht hingehen, weil ich solche Geselligkeiten scheue, meistens sind sie langweilig. Schließlich ging ich wegen des Verlegers hin, nicht wegen Ephraim Kishon, den ich nicht kannte, noch nie gesehen hatte, wohl wusste, dass er weltberühmt ist und das Flaggschiff des LangenMüller Verlags, doch abgesehen davon, dass der Verlag in seinem Frankierungs-Stempel den Namen „Ephraim Kishon“ führt, und sein Name also auch in der Verlagspost an mich immer auf dem Kuvert stand, hatte ich keine Beziehung zu ihm. Als ich ihn dann sah, erinnerte ich mich, dass ich ihn doch schon einmal gesehen hatte. Vor vielen Jahren im Fernsehen, in der Muppett-Show, zusammen mit Miss Piggy. Schon damals hatte ich mir gedacht, was für ein ungewöhnlicher, charmanter, geistreicher Mann… Und jetzt saß er plötzlich neben mir auf einer Heurigen-Bank.

Den ganzen Abend sind wir nebeneinander gesessen und haben geredet, die meiste Zeit über die Ehe. Wir waren beide verheiratet. Ich schwärmte von der Ehe, er schimpfte auf die Ehe. Weil ich damals, wohl als eine von ganz wenigen, die schreiben und lesen können, noch nichts von ihm gelesen hatte, was Ephraim sich gar nicht vorstellen konnte, merkte ich nicht, dass er eigentlich die ganze Zeit aus seinen Büchern zitierte. Sie wissen ja, dass er die Einkommenssteuer und die Ehe als die beiden größten Fiaskos der Menschheit bezeichnete. Es war sehr lustig, und er überraschte mich fortwährend mit seinem unkonventionellen, originellen Gedankengut und Benehmen. Er sprach sehr leise, wechselte auch zwischen den vier Sprachen Ungarisch, Hebräisch, Deutsch und Englisch. In all diesen Sprachen hat er diesen charmanten ungarischen Akzent. Ich war sehr beeindruckt. Aber ich habe nicht bemerkt, dass er sich in mich verliebt hat – und ich mich in ihn.

Welches seiner Bücher gefällt Ihnen am besten und warum?

„Nichts zu lachen“ – das Buch, in dem er im Gespräch mit Jaron London sein Leben erzählt. Dieses Buch las ich nach unserer Begegnung als erstes, damit ich ihn kennen lerne, wie er mir empfahl, und ich war tief berührt davon, was alles er erlebt hat und wie er darüber dachte und schrieb. Ich merkte sehr bald, dass er tatsächlich so war wie in diesem Buch, und noch viel mehr als all das, was er in diesem Buch erzählt, und doch, die Größe seines Wesens, sein Humor, sein Geist, sein tiefes Verstehen und Verzeihen… es vermittelt sich auf jeder Seite. Natürlich gefallen mir auch alle seine anderen Bücher, seine Satiren und Romane, und alle seine Stücke und seine wunderbaren Filme am besten.

Welches Buch würden Sie einem Kishon-Einsteiger am ehesten empfehlen und warum?

Irgendeine Kollektion seiner Satiren, von denen es zahlreiche gibt. Nach seinem Tod brachte der Verlag einen Memorial-Band mit „Allerbeste Geschichten“ heraus. Dieses Buch enthält zu seinen wichtigsten Themen sowohl Satiren als auch Ausschnitte von Interviews mit ihm und Aphorismen von ihm. So kann man dem Menschen und dem Schriftsteller in einem Buch begegnen.

Ephraim Kishon hatte einmal beschrieben, dass er mehrere Schachcomputer auf seinem Schreibtisch stehen hätte und sie auch ständig benutzte. Haben Sie sich da schon – in gewissem Sinne – „vernachlässigt“ gefühlt? Haben Sie zum Ausgleich ein ähnlich zeitintensives Hobby ausgeübt?

Aber ich saß doch auch mit an seinem Schreibtisch, zumindest gedanklich. In einem Interview hat er verraten, wir seien immer zusammen, ununterbrochen, außer einer von uns geht auf die Toilette. In Anbetracht dass unsere Zeit gezählt sein könnte, waren wir wirklich jede Minute zusammen, eine Lebensform, die nur möglich ist, wenn man einander sehr sehr liebt …

Wie oft und wie lange spielte Ephraim Kishon täglich Schach?

Genauso viel wie er am Schreibtisch saß, also die meiste Zeit seines Lebens. Er spielte während er schrieb, während er telefonierte, während er Briefe diktierte… Da er an all seinen drei Domizilen den exakt gleichen Schreibtisch hatte, um nach einem Ortswechsel mit der gleichen Konzentration weiterarbeiten zu können, spielte er auch das jeweilige Schachspiel nahtlos weiter, wenn er von Appenzell nach Zürich fuhr oder nach Israel. Er wusste den jeweiligen Stand des Spiels auswendig und baute ihn gleich nach seiner Ankunft auf, genauso wie er das Manuskript, an dem er gerade arbeitete, sofort auflegte.

Auf Reisen, und das waren wir ja auch sehr viel, hatte er immer mindestens zwei kleine Schachcomputer und ein kleines Schachbrett mit sich, die er im Hotelzimmer an allen strategischen Punkten aufstellte, um auch da jederzeit spielen zu können.

Wie war er in Bezug auf Schach? Er hatte ja bereits gegen Größen wie Kasparow oder Kramnik gespielt. War es für ihn eher eine Vergnügung, gar eine Entspannungstherapie oder eine ernsthafte, ernstzunehmende Angelegenheit?

Wenn man bedenkt, dass Schach ihm auf seinem Todesmarsch ins Vernichtungslager der Nazis das Leben gerettet hat, weil der Kommandant des Arbeitslagers mit ihm Schach spielen wollte und Ephraim auf diese Weise nicht verhungert ist, und ihm ohne die Privilegien, die er im Büro des Kommandanten hatte, wohl auch die Flucht nicht gelungen wäre – so war allein deswegen Schach etwas ganz Existentielles für ihn. Darüber hinaus war es wohl eine Mischung von Herausforderung, Vergnügen, Konzentrationstraining, neben Dreiband-Billard, das er ja auch leidenschaftlich und ausgezeichnet spielte, sein liebster Sport. Eine Satire schreiben, sagte er immer, sei so wie ein Schachspiel. Der erste Satz, bzw. Zug,  bestimmt alles, und schon vor dem ersten Satz, bzw. Zug, muss man auch den letzten wissen, den ganzen Text, bzw. das ganze Spiel überblicken – sonst sitzt die Pointe nicht. Aber man blufft. Tut so, als wäre alles ganz einfach, ganz selbstverständlich, könne gar nicht anders sein. Als einer der größten Satiriker aller Zeiten, der er war, haben ihn natürlich die größten Schachspieler aller Zeiten sehr interessiert. Das waren Begegnungen auf höchster Ebene, was man von anderen Begegnungen mit großen Namen ja nicht immer sagen kann. Aber Ephraim war sehr neugierig. Ihn hat eigentlich jeder Mensch interessiert, zumindest für eine Begegnung. Fast immer konnte er sein Gegenüber viel schneller erfassen und durchschauen als sein Gegenüber ihn – aber mit diesen Schachweltmeistern erlebte er es, was das Schachspiel betraf, umgekehrt, und das muss für ihn sehr interessant gewesen sein.

Wie war Ephraim Kishon als Schachgegner? Immerhin hat er den Kishon Chesster mitentwickelt, der seinen Gegenspieler verhöhnt. War er ein schlechter oder ein guter Verlierer?

Gut oder schlecht ist gar nicht die Frage. Ein Humorist ist einfach kein Verlierer. Auch wenn er verliert ist er ein Sieger, weil er, wenn er verliert, dies immer schon im Voraus erkennt und Strategien entwickeln kann, in anderer Hinsicht zu siegen. Und sollte er tatsächlich in die Falle geraten, dann hat er immer noch das Lachen, vor allem das über sich selbst. So lange ich lachen kann, bin ich ein Mensch mit Ehre, hat er gesagt. Ephraims ganzes Leben war von seinem tiefen Humor getragen. Man darf auch nicht vergessen, er ist in Ungarn aufgewachsen, im Land der unbesiegbaren ungarischen Armee. Diese Armee hat eigentlich immer verloren, aber sie blieb doch die unbesiegbare ungarische Armee. Verlieren oder gewinnen ist eine Frage der Einstellung – und dies ist eine der vielen Erkenntnisse, die er mir mitgegeben hat fürs Leben. Ein Mensch, der über sich selbst lachen kann, kann gar kein Verlierer sein.

Vor kurzem hat der United Soft Media Verlag die Schachsoftware „Fritz & Kishon“ herausgebracht. Wie finden Sie prinzipiell die Idee, Literatur und Schach zu verbinden?

Eine ausgezeichnete Idee. Wie gesagt verglich Ephraim das Schreiben einer Satire mit Schach.

Haben Sie sich „Fritz & Kishon“ schon einmal angeschaut? Wie gefällt es Ihnen?

Ich bin entzückt. Auch als Nicht-Schachspielerin. Wenn ich in diesem Programm meine dilettantischen Züge tätige und dann diese Kommentare zu hören bekomme, muss ich immer schmunzeln, kichern, lachen, nur so vor mich hin. Und kriege richtig Lust, mich zu verbessern, also vielleicht doch noch eine Schachspielerin zu werden…?

Glauben Sie, es hätte Ephraim Kishon gefallen?

Ganz sicher. Als er seinen Kishon-Chesster entwickelte, der damals der erste sprechende Schachcomputer der Welt war, hatte er ja genau diese Idee. Damals war die ganze Elektronik noch nicht so weit fortgeschritten wie heute, alles war ein riesiger Aufwand. Wie bei allem scheute Ephraim keinen Aufwand, um sein Ziel zu erreichen. Dass diese ursprüngliche Idee von ihm jetzt in dieser hochwertiger Art und Weise eine Fortsetzung findet, ist eine schöne Sache. Die Schach spielenden Kishon-Fans und die Kishon liebenden Schachspieler werden ein riesiges Vergnügen haben.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ephraim hatte seine Lebensgeschichte („Nichts zu lachen“) zwölf Jahre vor seinem Tod mit dem Satz beendet: „Die Zukunft wurde mangels Interesse gestrichen. Sie liegt hinter mir, Gott sei Dank.“ Kurz darauf haben wir uns kennen gelernt und er hat diesen Satz total revidiert. – Das Glück, das wir gemeinsam erlebten, ist für mich ein so großes Geschenk, und er hat mir so viel an Einsichten, Weisheiten, Lebensmut und Risikobereitschaft vermittelt, dass mich das mein ganzes Leben lang beflügeln wird. Zudem hat er mir aufgetragen, sein literarisches Imperium – seine Werke sind in 38 Sprachen übersetzt - weiter zu verwalten. Das tu ich mit großer Freude und Hingabe und bin auch sehr zufrieden wie gut es läuft. Und ich habe auch selbst wieder zu schreiben begonnen…

Vielen Dank für das Interview!

Nora Hieronymus

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren