Interview mit Lisa
Kishon
Lisa Kishon ist die dritte
Ehefrau von Ephraim Kishon. Die gebürtige Salzburgerin promovierte in Sprach-,
Literaturwissenschaften und Philosophie, arbeitete seit 1986 in Wien an der
Musikuniversität, war Chefredakteurin der Zeitschrift „Kunstpunkt“ und schrieb
sechs Bücher. An Ephraim Kishons Seite lebte sie abwechselnd in Israel und in
der Schweiz. Heute lebt sie zum Teil auch wieder in Wien.

Foto: Mischa Erben
Wie wird man Schriftsteller?
Ich
glaube, so etwas kann man nicht planen, eigentlich auch nicht lernen. Die
Beweggründe, um zu schreiben, sind sicherlich bei jedem verschieden. Jeder
Mensch hat seinen Roman. Aber im Gegensatz zu einem Nicht-Schriftsteller
schreibt ein Schriftsteller das, was er zu sagen hat, zu Ende. Manche Menschen
schreiben, und manchmal sogar zu Ende, obwohl sie nicht viel zu sagen haben,
einfach weil sie gerne schreiben. Ob das auch Schriftsteller sind? Ich glaube
schon, denn solche Literatur gibt es sogar zu kaufen, sogar in Buchläden,
obwohl man so etwas eher in der Apotheke in der Abteilung der Schlafmittel
anbieten sollte…
Vielleicht schreibt ein Schriftsteller um sein Leben, existentiell oder
seelisch, die reine Gemütlichkeit ist wohl keine ideale Voraussetzung.
Wie war Ihre erste Begegnung mit Ephraim Kishon?
Es war in
einem Heurigen-Lokal in Wien, eine Einladung, die unser beider Verleger
anlässlich einer Ehrung, die Ephraim vom österreichischen Staat zuteil wurde,
gab. Ich wollte gar nicht hingehen, weil ich solche Geselligkeiten scheue,
meistens sind sie langweilig. Schließlich ging ich wegen des Verlegers hin,
nicht wegen Ephraim Kishon, den ich nicht kannte, noch nie gesehen hatte, wohl
wusste, dass er weltberühmt ist und das Flaggschiff des LangenMüller Verlags,
doch abgesehen davon, dass der Verlag in seinem Frankierungs-Stempel den Namen
„Ephraim Kishon“ führt, und sein Name also auch in der Verlagspost an mich
immer auf dem Kuvert stand, hatte ich keine Beziehung zu ihm. Als ich ihn dann
sah, erinnerte ich mich, dass ich ihn doch schon einmal gesehen hatte. Vor
vielen Jahren im Fernsehen, in der Muppett-Show, zusammen mit Miss Piggy.
Schon damals hatte ich mir gedacht, was für ein ungewöhnlicher, charmanter,
geistreicher Mann… Und jetzt saß er plötzlich neben mir auf einer
Heurigen-Bank.
Den
ganzen Abend sind wir nebeneinander gesessen und haben geredet, die meiste
Zeit über die Ehe. Wir waren beide verheiratet. Ich schwärmte von der Ehe, er
schimpfte auf die Ehe. Weil ich damals, wohl als eine von ganz wenigen, die
schreiben und lesen können, noch nichts von ihm gelesen hatte, was Ephraim
sich gar nicht vorstellen konnte, merkte ich nicht, dass er eigentlich die
ganze Zeit aus seinen Büchern zitierte. Sie wissen ja, dass er die
Einkommenssteuer und die Ehe als die beiden größten Fiaskos der Menschheit
bezeichnete. Es war sehr lustig, und er überraschte mich fortwährend mit
seinem unkonventionellen, originellen Gedankengut und Benehmen. Er sprach sehr
leise, wechselte auch zwischen den vier Sprachen Ungarisch, Hebräisch, Deutsch
und Englisch. In all diesen Sprachen hat er diesen charmanten ungarischen
Akzent. Ich war sehr beeindruckt. Aber ich habe nicht bemerkt, dass er sich in
mich verliebt hat – und ich mich in ihn.
Welches seiner Bücher gefällt Ihnen am besten und warum?
„Nichts
zu lachen“ – das Buch, in dem er im Gespräch mit Jaron London sein Leben
erzählt. Dieses Buch las ich nach unserer Begegnung als erstes, damit ich ihn
kennen lerne, wie er mir empfahl, und ich war tief berührt davon, was alles er
erlebt hat und wie er darüber dachte und schrieb. Ich merkte sehr bald, dass
er tatsächlich so war wie in diesem Buch, und noch viel mehr als all das, was
er in diesem Buch erzählt, und doch, die Größe seines Wesens, sein Humor, sein
Geist, sein tiefes Verstehen und Verzeihen… es vermittelt sich auf jeder
Seite. Natürlich gefallen mir auch alle seine anderen Bücher, seine Satiren
und Romane, und alle seine Stücke und seine wunderbaren Filme am besten.
Welches Buch würden Sie einem Kishon-Einsteiger am ehesten
empfehlen und warum?
Irgendeine Kollektion seiner Satiren, von denen es zahlreiche gibt. Nach
seinem Tod brachte der Verlag einen Memorial-Band mit „Allerbeste Geschichten“
heraus. Dieses Buch enthält zu seinen wichtigsten Themen sowohl Satiren als
auch Ausschnitte von Interviews mit ihm und Aphorismen von ihm. So kann man
dem Menschen und dem Schriftsteller in einem Buch begegnen.

Ephraim Kishon hatte einmal beschrieben, dass er mehrere
Schachcomputer auf seinem Schreibtisch stehen hätte und sie auch ständig
benutzte. Haben Sie sich da schon – in gewissem Sinne – „vernachlässigt“
gefühlt? Haben Sie zum Ausgleich ein ähnlich zeitintensives Hobby ausgeübt?
Aber ich
saß doch auch mit an seinem Schreibtisch, zumindest gedanklich. In einem
Interview hat er verraten, wir seien immer zusammen, ununterbrochen, außer
einer von uns geht auf die Toilette. In Anbetracht dass unsere Zeit gezählt
sein könnte, waren wir wirklich jede Minute zusammen, eine Lebensform, die nur
möglich ist, wenn man einander sehr sehr liebt …
Wie oft und wie lange spielte Ephraim Kishon täglich Schach?
Genauso
viel wie er am Schreibtisch saß, also die meiste Zeit seines Lebens. Er
spielte während er schrieb, während er telefonierte, während er Briefe
diktierte… Da er an all seinen drei Domizilen den exakt gleichen Schreibtisch
hatte, um nach einem Ortswechsel mit der gleichen Konzentration weiterarbeiten
zu können, spielte er auch das jeweilige Schachspiel nahtlos weiter, wenn er
von Appenzell nach Zürich fuhr oder nach Israel. Er wusste den jeweiligen
Stand des Spiels auswendig und baute ihn gleich nach seiner Ankunft auf,
genauso wie er das Manuskript, an dem er gerade arbeitete, sofort auflegte.
Auf
Reisen, und das waren wir ja auch sehr viel, hatte er immer mindestens zwei
kleine Schachcomputer und ein kleines Schachbrett mit sich, die er im
Hotelzimmer an allen strategischen Punkten aufstellte, um auch da jederzeit
spielen zu können.
Wie war er in Bezug auf Schach? Er hatte ja bereits gegen
Größen wie Kasparow oder Kramnik gespielt. War es für ihn eher eine
Vergnügung, gar eine Entspannungstherapie oder eine ernsthafte,
ernstzunehmende Angelegenheit?
Wenn man
bedenkt, dass Schach ihm auf seinem Todesmarsch ins Vernichtungslager der
Nazis das Leben gerettet hat, weil der Kommandant des Arbeitslagers mit ihm
Schach spielen wollte und Ephraim auf diese Weise nicht verhungert ist, und
ihm ohne die Privilegien, die er im Büro des Kommandanten hatte, wohl auch die
Flucht nicht gelungen wäre – so war allein deswegen Schach etwas ganz
Existentielles für ihn. Darüber hinaus war es wohl eine Mischung von
Herausforderung, Vergnügen, Konzentrationstraining, neben Dreiband-Billard,
das er ja auch leidenschaftlich und ausgezeichnet spielte, sein liebster
Sport. Eine Satire schreiben, sagte er immer, sei so wie ein Schachspiel. Der
erste Satz, bzw. Zug, bestimmt alles, und schon vor dem ersten Satz, bzw.
Zug, muss man auch den letzten wissen, den ganzen Text, bzw. das ganze Spiel
überblicken – sonst sitzt die Pointe nicht. Aber man blufft. Tut so, als wäre
alles ganz einfach, ganz selbstverständlich, könne gar nicht anders sein. Als
einer der größten Satiriker aller Zeiten, der er war, haben ihn natürlich die
größten Schachspieler aller Zeiten sehr interessiert. Das waren Begegnungen
auf höchster Ebene, was man von anderen Begegnungen mit großen Namen ja nicht
immer sagen kann. Aber Ephraim war sehr neugierig. Ihn hat eigentlich jeder
Mensch interessiert, zumindest für eine Begegnung. Fast immer konnte er sein
Gegenüber viel schneller erfassen und durchschauen als sein Gegenüber ihn –
aber mit diesen Schachweltmeistern erlebte er es, was das Schachspiel betraf,
umgekehrt, und das muss für ihn sehr interessant gewesen sein.
Wie war Ephraim Kishon als Schachgegner? Immerhin hat er den
Kishon Chesster mitentwickelt, der seinen Gegenspieler verhöhnt. War er ein
schlechter oder ein guter Verlierer?
Gut oder
schlecht ist gar nicht die Frage. Ein Humorist ist einfach kein Verlierer.
Auch wenn er verliert ist er ein Sieger, weil er, wenn er verliert, dies immer
schon im Voraus erkennt und Strategien entwickeln kann, in anderer Hinsicht zu
siegen. Und sollte er tatsächlich in die Falle geraten, dann hat er immer noch
das Lachen, vor allem das über sich selbst. So lange ich lachen kann, bin ich
ein Mensch mit Ehre, hat er gesagt. Ephraims ganzes Leben war von seinem
tiefen Humor getragen. Man darf auch nicht vergessen, er ist in Ungarn
aufgewachsen, im Land der unbesiegbaren ungarischen Armee. Diese Armee hat
eigentlich immer verloren, aber sie blieb doch die unbesiegbare ungarische
Armee. Verlieren oder gewinnen ist eine Frage der Einstellung – und dies ist
eine der vielen Erkenntnisse, die er mir mitgegeben hat fürs Leben. Ein
Mensch, der über sich selbst lachen kann, kann gar kein Verlierer sein.
Vor kurzem hat der United Soft Media Verlag die Schachsoftware
„Fritz & Kishon“ herausgebracht. Wie finden Sie prinzipiell die Idee,
Literatur und Schach zu verbinden?
Eine
ausgezeichnete Idee. Wie gesagt verglich Ephraim das Schreiben einer Satire
mit Schach.
Haben Sie sich „Fritz & Kishon“ schon einmal angeschaut? Wie
gefällt es Ihnen?
Ich bin
entzückt. Auch als Nicht-Schachspielerin. Wenn ich in diesem Programm meine
dilettantischen Züge tätige und dann diese Kommentare zu hören bekomme, muss
ich immer schmunzeln, kichern, lachen, nur so vor mich hin. Und kriege richtig
Lust, mich zu verbessern, also vielleicht doch noch eine Schachspielerin zu
werden…?
Glauben Sie, es hätte Ephraim Kishon gefallen?
Ganz
sicher. Als er seinen Kishon-Chesster entwickelte, der damals der erste
sprechende Schachcomputer der Welt war, hatte er ja genau diese Idee. Damals
war die ganze Elektronik noch nicht so weit fortgeschritten wie heute, alles
war ein riesiger Aufwand. Wie bei allem scheute Ephraim keinen Aufwand, um
sein Ziel zu erreichen. Dass diese ursprüngliche Idee von ihm jetzt in dieser
hochwertiger Art und Weise eine Fortsetzung findet, ist eine schöne Sache. Die
Schach spielenden Kishon-Fans und die Kishon liebenden Schachspieler werden
ein riesiges Vergnügen haben.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ephraim
hatte seine Lebensgeschichte („Nichts zu lachen“) zwölf Jahre vor seinem Tod
mit dem Satz beendet: „Die Zukunft wurde mangels Interesse gestrichen. Sie
liegt hinter mir, Gott sei Dank.“ Kurz darauf haben wir uns kennen gelernt und
er hat diesen Satz total revidiert. – Das Glück, das wir gemeinsam erlebten,
ist für mich ein so großes Geschenk, und er hat mir so viel an Einsichten,
Weisheiten, Lebensmut und Risikobereitschaft vermittelt, dass mich das mein
ganzes Leben lang beflügeln wird. Zudem hat er mir aufgetragen, sein
literarisches Imperium – seine Werke sind in 38 Sprachen übersetzt - weiter zu
verwalten. Das tu ich mit großer Freude und Hingabe und bin auch sehr
zufrieden wie gut es läuft. Und ich habe auch selbst wieder zu schreiben
begonnen…
Vielen Dank für das Interview!
Nora
Hieronymus