Das folgende Interview mit erschien am 11.12.2004 in gekürzter
Form in Neues Deutschland. Nachdruck des Originals mit freundlicher Genehmigung
des Autors.
Interview mit Kasparow-Verleger Manfred
Olms
"Garri Kasparow gleich der Diether Bohlen der Schachautoren? Vergleich ist
ehrabschneidend!"
Von Dr. René Gralla
Schachverleger: Das klingt nach Klein-Klein
für hochgradige Spezialisten, ungefähr so spannend wie die Herausgabe eines
Briefmarken-Kataloges. Ein Vorurteil, das Manfred Olms gerade widerlegt: Der
54-jährige Chef der Edition Olms AG Zürich hat bereits mit den ersten drei
Bänden der achtteiligen Reihe von Garri Kasparow, "Meine großen Vorkämpfer",
einen regelrechten Bestseller lanciert. Über hunderttausend verkaufte Exemplare
weltweit auf Deutsch und Englisch: Das sind Superzahlen in einem Nischenmarkt,
für den eine Auflage von 3000 das übliche Mittelmaß darstellt. Über den
Kasparow-Effekt hat der Autor Dr. René Gralla mit Manfred Olms gesprochen. Und
gleichzeitig, noch rechtzeitig für das Weihnachtsshopping, Genaueres über zwei
bibliophile Kostbarkeiten erfahren.
Sobald Ex-Weltmeister Garri Kasparow,
die Nr. 1 im Denksport, irgendwo sein jüngstes Werk öffentlich signiert, drängen
sich die Fans. Ist Kasparow der Diether Bohlen unter den Schachliteraten?
Wenn Sie nur den Rummel sehen, könnten Sie
das beinahe sagen ...
... obwohl das, was Kasparow zu
Papier bringt, selbstverständlich fundierter ist als das, was ein Diether Bohlen
absondert ...
... deswegen ist auch der Vergleich mit
Bohlen für Garri Kasparow geradezu ehrabschneidend!
Das Medieninteresse für Kasparow ist
ein Quantensprung in der einschlägigen Fachpublizistik.
Garri Kasparow ist ein Sonderfall, er hat
das größte Charisma unter allen Schachspielern. Er ist attraktiv, kann Menschen
für sich gewinnen und so brillant formulieren, dass ihn auch Laien verstehen.
Insofern unterscheidet sich Kasparow
wohltuend von vielen Meistern, die oft verschroben wirken.
Die Behauptung, Schachspieler seien
verschroben, tut den Leuten aber Unrecht. Bei anderen Künstlern ist das Publikum
doch auch toleranter ...
... Schach ist für Sie nicht nur bloß
ein Spiel, sondern auch Kunst?!
Ganz bestimmt. Ich erinnere an Marcel
Duchamp, einen der wichtigsten Maler im 20. Jahrhundert. Der hat Schach als
kinetische Kunst definiert und gesagt: "Nicht jeder Künstler ist ein
Schachspieler, aber jeder Schachspieler ist ein Künstler." Was nun die so
genannten Macken der Aktiven angeht: Wenn ein Künstler und Musiker wie Pete
Townsend von den "Who" seine Gitarren zertrümmert, dann bewundert man das. Aber
den Schachspielern wird viel weniger nachgesehen. Woran freilich die Betroffenen
selber nicht ganz unschuldig sind, die unterstellen einander gerne auch allerlei
Absonderlichkeiten. So wird einer unserer Autoren, der Großmeister Viktor
Kortschnoj, nicht müde zu erzählen, dass ihm der frühere Weltmeister Tigran
Petrosjan während eines Kandidatenturniers unter dem Tisch ans Schienbein
getreten habe ...
... wie die kleinen Jungs ...
... wie auch immer. Aber das sind im Grunde
doch Petitessen, die sich aus der Leidenschaft zum Spiel erklären. Viel
wichtiger als solche emotionalen Kleinigkeiten ist der positive Effekt, den die
möglichst frühzeitige Beschäftigung mit Schach gerade für die Ausbildung der
intellektuellen Fähigkeiten bei Heranwachsenden hat. In diesem Zusammenhang
möchte ich deswegen auf ein allgemeines Anliegen zu sprechen kommen, das Garri
Kasparow als Vision mit seinem epochalen Werk "Meine großen Vorkämpfer"
verbindet. Garri Kasparow wünscht sich nämlich, dass Schach überall auf der Welt
Schulfach wird. Warum? In jüngster Zeit hat man einen aufschlussreichen Test
gemacht an einer amerikanischen Schule. Dort hat die eine Hälfte einer Klasse
zusätzlich Schach gelernt, nach Lehrplan, als richtiges Schulfach; und nach zwei
bis drei Jahren hatten die Schach-Schüler gegenüber ihren Alterskameraden, die
keinen Schachunterricht erhielten, durchgängig einen enormen Wissens- und
Verständnisvorsprung erreicht in allen exakten Fächern ...
... also in Mathematik und
Naturwissenschaften ...
... natürlich, und letzten Endes ist das ja
auch logisch.
Dann könnte Schach in der endlosen
PISA-Debatte eine überraschende Antwort geben?
So ist es. Daher wäre es schön gewesen, wenn
man das Schulfach Schach aus der ehemaligen DDR in die Lehrpläne der
Bundesrepublik übernommen hätte. In der DDR war das zwar kein Pflichtfach,
Schachstunden wurden aber angeboten, und die meisten Kinder und Jugendlichen
haben davon mit großem Gewinn für sich selber auch Gebrauch gemacht.
Die
Edition Olms haben Sie 1978 gegründet. Ihre erste Publikation war ein Nachdruck
des Klassikers von Gustavus Selenus, dem Pseudonym des Herzogs von
Braunschweig-Lüneburg, August der Jüngere: "Das Schach- oder König-Spiel",
erstmals erschienen 1616 in Leipzig. Warum sucht sich ein junger hoffnungsvoller
Verleger ausgerechnet den abseitigen Sektor Schach aus?
Ich habe da eine Marktnische entdeckt.
Schachbücher werden häufiger nachgefragt, als Sie denken. Allein in Deutschland
sind rund hunderttausend Enthusiasten in Vereinen organisiert; 20 Millionen
Menschen kennen wenigstens die Regeln. Das ist ein Potenzial, das viele
Buchhändler unterschätzen.
Indiskrete Frage: Hat Sie das Schach
schon zum Millionär gemacht?
Die Bäume wachsen nicht in den Himmel - aber
wir kommen zurecht. Ansonsten zitiere ich immer gerne den großen Verleger Ernst
Rowohlt, wenn es um die schwierige Grätsche zwischen Kunst und Kommerz geht:
"Bei aller Liebe zum Buch muss ein Auge des Verlegers immer unverwandt ins
Portemonnaie blicken ..."
Neben Schach gehören zur Edition Olms
auch Graphik & Design sowie Musik, insbesondere Rock. Ein wilder Mix: Rocken Sie
die Schachfiguren?!
(Lacht) Da
brechen persönliche Interessen durch. Ich bin in den 60ern mit Rock groß
geworden, meine Favoriten waren weniger die Beatles, eher die Kinks ...
... okay, dann passt das tatsächlich :
damals die Kinks, heute Kasparow ...
... ja, die zwei großen "K" (lacht)!
Den
Selenus, über zwei Jahrhunderte lang das wichtigste Schachbuch hierzulande,
haben Sie heute noch im Angebot. Dazu die historische Abhandlung von Moses
Hirschel von 1784 über "Das Schach des Herrn Gioachino Greco Calabrois und die
Schachspiel-Geheimnisse des Arabers Philipp Stamma": Ist das nicht reichlich
antiquiert für moderne Spieler?
Nein. Der Italiener Greco, Hauptthema bei
Hirschel, hat viele Kombinationen erfunden - ich nenne exemplarisch das
Läuferopfer auf h7 - , die sich auch heute noch zumindest in Amateurpartien
regelmäßig wiederholen. Folglich kann jeder Anfänger von Greco lernen. Abgesehen
von diesem durchaus praktischen Nutzen hat Hirschels Werk aber auch eine
kulturhistorische Bedeutung: Es macht die Geschichte des Schachspiels, das zum
geistigen Erbe der Menschheit gehört, erlebbar, indem die abgedruckten Partien
und Kombinationen mit dem eigenen Figurensatz am Wohnzimmertisch nachgestellt
werden können. Das führt zu vielen Aha-Effekten: "Ach so, das habe ich mir eben
gerade ausgedacht - aber das hat schon der große Greco im 17. Jahrhundert
vorausgedacht!" Da merkt der Leser, dass er sich als Individuum in die lange
Generationenkette der Schachtheoretiker und -praktiker einreiht. Das ist eine
Vorstellung, die beflügelt - und da verwundert es nicht, dass ein Garri
Kasparow, der sich lange mit den Wurzeln des Schachs beschäftigt hat, diesen
Gedanken in seiner Reihe "Meine großen Vorkämpfer" besonders herausarbeitet. Und
seinerseits darlegt, dass sich in den unterschiedlichen Trends, wie die
jeweiligen Meister zu verschiedenen Zeiten an Eröffnungen und konkrete
Stellungsprobleme herangegangen sind, auch die jeweiligen historischen Epochen
auf dem Brett widerspiegeln. Bis zum ersten Weltkrieg hatten die Deutschen
großes Gewicht in Sachen Schach, zuvor waren das die Franzosen und Engländer
gewesen. Anschließend dominierten die Sowjetrussen, und inzwischen beobachten
wir den Aufstieg von China. Pekings Damen sind ja fast schon unschlagbar, und
eigentlich warten wir nur noch auf die ersten männlichen Stars. Und das
Verblüffende: Das läuft parallel zu Chinas wachsendem Gewicht in der
internationalen Politik.
Sollte man dann nicht demnächst ein
Buch über den Vormarsch der Chinesen im Schach herausgeben?
Ja, es kann sein, dass die Zeit kommt, sich
dem zu widmen. Der chinesische Markt soll dem Vernehmen nach sehr groß sein
(lacht).
Sie selber spielen auch Schach?
Ja. Aber nur für den Hausgebrauch.
Mit seiner aktuellen Bestsellerreihe
knüpft Garri Kasparow an Bobby Fischers Bucherfolge in den 70er Jahren an. Da
Fischer momentan im japanischen Internierungslager einsitzt, dürfte der genug
Zeit zum Schreiben haben. Was halten Sie von dem Vorschlag, Bobby Fischer für
die Edition Olms zu gewinnen?
Das wäre sicher spannend - einerseits.
Andererseits ist aber anzunehmen, dass sich Fischer jetzt wohl kaum mit
tiefgründigen Schachanalysen befassen würde. Zu erwarten wäre ein politisches
Buch mit seinen bekannt fragwürdigen Thesen - und die passen einfach nicht zur
Edition Olms.
Haben Sie gegen Ihren Star-Autor Kasparow
schon eine Partie ausgetragen?
Nein, noch nicht. Vielleicht bei der
nächsten Simultanveranstaltung.
Spielt Ihre Frau Schach?
Nein. Ich habe ihr mehrfach angeboten,
Schach zu lernen, aber sie lehnt das ab. Dafür konnte ich unseren Sohn Georg
motivieren. Sein erstes Schachbuch hat ihm Viktor Kortschnoj signiert, nun hat
der Funke gezündet
Interview: Dr. René Gralla
Ganz cool bei Greco abkupfern ...
Das heutzutage fast schon standardmäßige
Läuferopfer auf h7: Das hat Kasparow-Verleger Manfred Olms als ein
Paradebeispiel dafür genannt, was auch der moderne Schachsportler aus dem 1784
erschienenen Klassiker von Moses Hirschel, "Das Schach des Herrn Gioachino Greco
Calabrois und die Schachspiel-Geheimnisse des Arabers Philipp Stamma", lernen
kann. Deswegen hier noch einmal ein kurzes Memo für das nächste Blitzturnier. In
G.Grecos Handbuch von 1619, das Hirschel über anderthalb Jahrhundert später als
Grundlage für sein eigenes Werk nimmt, gibt der damals dominierende Maestro der
italienischen Schule mit dem Beinamen "Der Kalabrese" die folgende Stammpartie
an.
Weiß: Gioacchino Greco
Schwarz: X
Handbuch von 1619
Französisch
1.e4 e6 2.d4 Sf6(?) 3.Ld3 Sc6 4.Sf3 Le7
5.h4 0-0(??) 6.e5 Sd5
Wenn das der frühe Versuch eines "Igel"-Strategie
gewesen sein soll, so wird der Don X nach der Partie das Konzept wohl noch
einmal einer kritischen Totalrevision unterzogen haben. Denn der schwarze
Aufmarsch schreit einfach nach dem Einschlag auf h7:
7.Lxh7+! Kxh7 8.Sg5+ Kg6
Die Alternativen sind im Ergebnis auch nicht
erfreulicher:
A. 8.... Kh8?:
9.Dh5+ Kg8 10.Dh7#.
B. 8.... Kg8:
9.Dh5 Lxg5 (I. 9.... Te8? 10.Dh7+ Kf8 11.Dh8#; II. 9.... Sf6 10.exf6 Te8 11.Dh7+
Kf8 12.Dh8#) 10.hxg5 f5 11.g6 Dh4 12.Dxh4 ... & 13.Dh7# bzw.13.Dh8#.
C. 8.... Lxg5:
9.hxg5+ Kg6 (9.... Kg8 10.Dh5 f5 11.g6 ... pp.) 10.Dh5+ Kf5 11.Dh3+ Ke4 (11....
Kg6 12.Dh7#) 12.Dd3#.
D. 8. ... Kh6?:
9.Sxf7++ ... & 10.Sxd8 ... und gewinnt.
9.h5+ Kf5
Falls 9.... Kh6, dann: 10.Sxf7++ ... &
11.Sxd8 ... und gewinnt.
10.g4#
1:0
Aber ist es tatsächlich realistisch, auf
eine derart lehrbuchreife Situation in der Praxis zu hoffen? Si, Signore -
insbesondere bei Blitzturnieren kann einem die launische Göttin Caissa
gelegentlich zuzwinkern ... hinter kalabresischen Fächern ...
Weiß: Dr. René Gralla
Schwarz: Massoud Amini
26. Oktober 2004,
5-Minuten-Trainingswettkampf, Hamburg, Café "Roxy"
Skandinavisch
1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 c6
5.Sf3 e6(?)
385 Jahre nach G.Greco vs. Don X erneut das
"Mecki"-Prinzip auf dem Brett: ein ziemlich fies behandelter "Igel" ...
6.Ld3 Lb4 7.Ld2 Sf6 8.a3 Lxc3 9.Lxc3 Dc7
10.0-0 0-0 11.Ld2 Sbd7 12. Te1 Te8 13.c3 b6(?) 14.Se5 Lb7 15.De2 Sd5??
Quasi eine schulmäßige Stellung für das
Lxh7-Opfer. Vom Nachziehenden aber beinahe noch weniger motiviert als vom
Schwarzen Anno Domini 1619 gegen G.Greco zugelassen: 15.... Sd5?? zieht, obwohl
kein Anlass dazu bestanden hat - oder wollte der verteidigende Capitano
womöglich unter todesmutiger Schwächung der e-Linie das störende Pferd mit
16.... f6?!?!? befragen?! - , die wichtige Schwadron f6 von der Königsschanze
ab.
16.Lxh7+! Kxh7 17.Dh5+ Kg8 18.Dxf7+ Kh8
19.Te4 Sf8
Alternativen: A. 19....Sxe5:
20.Txh4#; B. 19....Sd5f6: 20.Th4+ & #; C. 19....Dd8: 20.Sg6+ ... &
21.Th4+ ... pp.
20.Th4+ Sh7 21.Sg6# 1:0
Und noch einmal die Feststellung - weil sie
so schön passend ist: Jede Partie ist anders - und doch gibt es nicht selten
bizarre Koinzidenzen.
Weiteres Anschauungsmaterial liefert das berühmte "erstickte Matt", zu dem
G.Greco ebenfalls eine Matrix in zwei Varianten vorgegeben hat.
Matrix 1 ist der Einsatz eines Läufers, der
das Damenopfer ermöglicht, als leitmotivischer Kracher vor dem finalen
Rösselsprung: das Highlight einer Partie, die 384 Jahre alt ist.
Weiß: N.N.
Schwarz: Gioacchino Greco
Gespielt 1620
Italienisch
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0-0 Sf6
5.Te1 0-0 6.c3 De7 7.d4 exd4 8.e5 Sg4 9.cxd4 Sxd4! 10.Sxd4 ...
Weiß hat wohl geglaubt, eine Figur zu
gewinnen.
10.... Dh4! 11.Sf3 ...
Denkt vermutlich, dass die Deckung von h2
das Schlimmste verhindert ...
11.... Dxf2+
... is' aber nich' ...
12. Kh1 Dg1+!! 13.Sxg1 ...
Jacke wie Hose bleibt 13.Txg1 ...: 13....
Sf2#.
13.... Sf2# 0:1
Die Deutsche Jugendmeisterschaft 1970 in Uelzen hat mit vertauschten Farben ein
putziges Replay gesehen. Das Opfer ist ein gewisser Vladimir Budde aus
Wuppertal-Ronsdorf - der sich anderthalb Jahrzehnte später,
schachsport-politisch durchaus medienträchtig, mit der Publikation des ersten
deutschsprachigen Standardwerkes zum Xiangqi zwecks Einführung dieser
asiatischen Variante in den außer-asiatischen, sprich: europäischen Diskurs
zumindest unter Experten einen Namen machen wird.
Weiß: Thomas Peine, Hamburg
Schwarz: Vladimir Budde,
Wuppertal-Ronsdorf
Deutsche Jugendmeisterschaft Uelzen 1970
Sizilianisch
1.e4 c5 2.Sf3 Sf6 3.e5 Sd5 4.Sc3 e6 5.d4
Sc6
Eine mutige Gambit-Idee: Da ahnt man schon
den späteren Schwertmeister im Shaolin Chess - wo stets mit offenem Visier und
todesverachtend die Klingen gekreuzt werden.
6.Sxd5 exd5 7.dxc5 Lxc5 8.Dxd5 Db6
... und das ist der Plan.
9.Lc4! ...
Ein weißer Schäfer-Aufbau - der reichlich
dreist zum Dreinschlag auf f2 einlädt und damit sogar die Rochade aufgibt.
9.... Lxf2+ 10.Ke2 0-0 11.Tf1 Lc5
12.Sg5 ...
Wer hätte das gedacht: Neoromantik zu Beginn
der poppig wilden 70er Jahre.
12.... Sd4+
Sieht doch eigentlich ganz ordentlich aus.
13.Kd1 Se6
Verschafft sich eine Atempause für das
Sorgenkind, den Bauern f7.
14.c3 ...
Soll unter anderem b4 vorbereiten.
14.... a5 15.Se4 d6 16.exd6 Lxd6?
Schwarz verkalkuliert sich: Er glaubt zu
sehen, dass er den investierten Läufer durch den Fesselungszug Td8 zurückgewinnt
... aber das ist leider eine Halluzination. Der Nachziehende hätte sofort 16....
Td8 ziehen müssen.
17.Sxd6 ...
Ein Scherz wäre natürlich 17.Dxd6??? ...
wegen 17.... Td8.
17.... Td8
Eine Fesselung ohne Wenn und Aber
...?!?
18.Lf4! ...
... mit Wenn und Aber: Das verteidigt
das Pferd.
18.... Sxf4??
Hat Martial Arts-Novize Budde ernsthaft an
einen Einsteller geglaubt?!
Schwarz hätte 18.... Dxb2 19.Tc1 Ld7 mit
undurchsichtiger Gesamtlage versuchen müssen.
19.Dxf7+ ...
Wie G.Greco vor 384 Jahren - bloß auf der
Brettseite vis-à-vis.
19.... Kh8 20.Dg8+!! Txg8 21.Sf7# 1:0
G.Grecos Matrix Nr. 2 basiert auf dem
Einsatz des Springers, in dessen Schlagschatten sich die Dame todesmutig direkt
vor dem gegnerischen König aufpflanzen kann. Aus G.Grecos Nachlass dazu die
folgende Kuriosität.
Weiß: N.N.
Schwarz: Gioacchino Greco
Handbuch von 1619
Königsgambit
1.e4 e5 2.f4 f5?!?!
Typisch für den Condottiere-Stil der Epoche.
3.exf5 Dh4+ 4.g3 De7 5.Dh5+?! ...
Wie Du mir, so ich Dir?! Garri Kasparow, der
die Partie im ersten Band seiner Reihe "Meine großen Vorkämpfer" (Hombrechtikon/Zürich
2003) – siehe dazu auch oben noch einmal das Interview mit dem Kasparow-Verleger
Manfred Olms - auf Seite 15 bespricht, schlägt als schlaueren Plan vor: 5.fxe5!
Dxe5+ 6.De2 ... .
5.... Kd8 6.fxe5 Dxe5+ 7.Le2 ...
Garri Kasparow regt an: 7.De2! Dxf5 8.Lh3
... .
7.... Sf6 8.Df3 d5 9.g4? ...
Eine katastrophale Lockerung.
9.... h5! 10.h3? ...
Macht die Sache noch schlimmer.
10.... hxg4 11.hxg4 Txh1 12.Dxh1 Dg3+
13.Kd1 Sxg4! 14.Dxd5+ Ld7 15.Sf3 ...
Und nun dreht das Pferd, unter tatkräftiger
Unterstützung der Dame, ein paar Pirouetten, die seit G.Greco zum Handwerkszeug
des Kombinationsspielers gehören.
15.... Sf2+ 16.Ke1 Sd3++ 17.Kd1 De1+!!
Das kann man sich immer wieder mit Genuss
reinziehen: Die Lady gibt sich hin ... total selbstlos!
18.Sxe1 Sf2# 0:1
Das kennen wir jetzt schon: Der Gaul auf dem
ominösen f-Punkt. Eine finale Position, die Garri Kasparow in seinem
Jahrhundertwerk als "Meilenstein in der Geschichte" würdigt (Meine großen
Vorkämpfer, S. 15).
Besonders witzig ist dieses Greco-Matt, weil es den König im Zentrum des Brettes
festnagelt. Normalerweise klappt für den König nach dem Rezept des Kalabresen
der Kochtopfdeckel in einer der äußersten Ecken des Brettes zu. Wer den Trick
kennt, der kann dann sogar versuchen, noch ein Gefecht zu wenden, das nach dem
normalen Gang der Dinge eigentlich bereits verloren wäre. So reißt der
Greco-Bluff während der Ranglistenkämpfe im Jugend-Schachklub der Bismarckschule
Elmshorn (SBE) am 15. September 1971 eine objektiv verlorene Partie in letzter
Sekunde aus dem Feuer.
Weiß: Bernd Köster
Schwarz: René Gralla
15. September 1971, Vereinsmeisterschaft
1971/72 im SBE, Elmshorn
Französisch
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Sd7
5.Sf3 Sgf6 6.Sxf6+ Sxf6 7.Lg5 Le7 8.Lc4 0-0 9.0-0 Sd5 10.Dd2 Lxg5?
Ein riskanter Abtausch, weil er die weißen
Kräfte einlädt, sich direkt vor der nur schwach verteidigten schwarzen Burg zu
versammeln.
11.Sxg5 b6?
Fordert das Schicksal heraus ...
12.b4? ...
... während der Anziehende sich ablenken
lässt. Stattdessen sollte er die eigenen Verbände sofort zur rechten Flanke
dirigieren.
12.... a5 13.b5 Lb7 14.f4 Dd6 15.Dd3!
...
Langsam wird's ungemütlich für den
Nachziehenden ...
15.... g6
Eigentlich schon die Bankrotterklärung.
16.De4?!?!? ...
Nanu? Warum nicht unverzüglich der Schwenk
16.Dh3! ... ?!
16.... Db4?!?!
Dem Schwarzen ist eh' alles wurscht.
17.Ld3 Sc3???
Ein glatter Einsteller. Schwarz hat geplant,
durch diesen Springer-Abzug die Diagonale b7-g2 zu erobern. Grundsätzlich eine
löbliche Absicht – aber dafür hätte der Lb7 dann doch besser gedeckt sein
müssen!
18.Dxb7 ...
No comment ...
18.... Dxd4+ 19.Kh1 Sd5 20.Le4 Se3
21.Tfe1 ...
Der Gaul nervt, Bernd Köster möchte den
Rappen verscheuchen.
21.... Sg4 22.Tf1?? ...
Und wieder hat sich der Wind gedreht:
Plötzlich das Aus für Weiß ...
22.... Sf2+ 23.Kg1 ...
Eine typische Konstellation: 23.Txf2?? ...
würde an 23....Dxa1+ & und Matt scheitern.
23.... Sh3+! 24.Kh1 Dg1+!!
Inspiriert von großen Vorbildern: das
einleitende Damenopfer beim"Erstickten Matt". Nun erkennt auch Bernd Köster, was
im nächsten Zug passieren wird: 25.Txg1 Sf2#. Die Konsequenz:
25. Aufgabe. 0:1
Ungerecht - aber erfolgreich. Daher das
Fazit: Immer hübsch cool bei Maestro G.Greco abkupfern ... Nach der alten Regel:
Besser gut geklaut - als schlecht erfunden ...
Dr. René Gralla
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