Interview mit Mateusz Bartel

von ChessBase
05.05.2010 – In den letzten zehn Jahren erlebte das polnische Schach einen großen Aufschwung. Die polnische Frauennationalmannschaft mit einer Reihe von Topspielerinnen gehört zur erweiterten Weltspitze und auch die Männer spielen auf Mannschaftsturnieren meist vorne mit. Inzwischen hat Polen 30 Großmeister hervor gebracht, die mit ganz wenigen Ausnahmen aus dem eigenen Nachwuchs stammen. Acht Spieler liegen über Elo 2600 (Deutschland: Sieben). Derzeit gibt es einen Umbruch in der Verbandsführung, der zu einem neuen Innovationsschub führen soll. Frank Große sprach mit Mateusz Bartel, einem der Spitzenspieler unseres Nachbarlandes, über die Entwicklung im polnischen Schach. Dabei offenbarte der polnische Großmeister, in der Bundesliga in Diensten des SV Wattenscheid, auch einen frischen Blick für die Situation in Deutschland. Jungen Talenten würden hier durch den Verband zuwenig Anreize gegeben, eine Profikarriere zu starten. Und die deutsche Bundesliga findet er sympathisch, aber skurril: "Wer möchte schon Wettkämpfe sehen, in denen keine deutschen Spieler vertreten sind?" Interview mit Mateusz Bartel...

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Mateusz Bartel und das Schach in Polen
Von Frank Große

Mateusz Bartel (geboren am 03.01.1985 in Warschau) ist polnischer Großmeister und befindet sich mit einer ELO von 2634 (Stand 01.04.2010) auf einem Rang knapp jenseits der Top-100 der Weltrangliste. 2001 errang er den Titel des Internationalen Meisters, um vier Jahre später Großmeister zu werden. Der junge Pole, der nach eigener Aussage noch nicht die Partie seines Lebens gespielt hat, gewann kürzlich zum zweiten Mal die polnische Landesmeisterschaft. Seine Entwicklung sieht er damit noch nicht beendet, er glaubt aber auch daran, dass harte Arbeit für den Sprung in die Top Ten ausreichend ist. Seine Freundin Marta Przezdziecka, schon seit vier Jahren an seiner Seite, ist ebenfalls aktive Schachspielerin und hält den Titel einer WGM. Seit über einem Jahr ist der Spieler der Wattenscheider Bundesliga-Mannschaft Herausgeber des neuen Schachmagazins „Mat“ in seinem Land. All diese Aufmerksamkeiten waren Grund genug nachzufragen …

Frage: Wie ist Deine bisherige Schachkarriere verlaufen?

Mateusz Bartel: Ich spiele jetzt ungefähr seit 18 Jahren Schach. Die Regeln des Spieles erlernte ich von meinem Vater im Alter zwischen sechs und sieben Jahren. Zur gleichen Zeit wurde auch mein jüngerer Bruder Michael im Schachspiel unterrichtet. Meine Laufbahn startete mit einem Erfolg, da ich die Warschauer Meisterschaft U9 gewinnen konnte, was etwas überraschend war.

Innerhalb des weiteren Verlaufs lernte ich viele Trainer kennen. Zuerst meinen Vater, der mir das grundlegende Wissen vermittelte, zum Beispiel, wie man mit Läufer und Springer Matt setzt. Danach trainierte ich mit Adam Umiastowski, Tomasz Lissowski und Wojciech Ehrenfeucht im Klub „Polonia Warschau“.

Bereits im Alter von zehn Jahren begann ich mit ausländischen Trainern zu arbeiten. Der erste war Vladimir Shishkin aus Moskau, der mir dabei half den U10-Titel Polens zu erkämpfen. Aus verschiedenen Gründen wurde die Kooperation beendet, um mit Vadim Shishkin aus Kiew zusammenzuarbeiten. Die fast identischen Namen erheitern schon, wenn man bedenkt, dass zwischen beide keine Verbindung existiert.

Vadim war noch ein aktiver Spieler, sodass die Kooperation nur von kurzer Dauer war. Aber er stellte die Verbindung zu einem seiner Landsleute her: Jakov Loifenfeld, der nun in Deutschland lebt. Mit ihm arbeitete ich mehr als drei Jahre zusammen, was sich als sehr fruchtbar herausstellte, da ich in dieser Periode nicht nur die 2000-er-Marke knackte, sondern ein Rating über 2300 erreichte. Wir beendeten unsere Zusammenarbeit als er nach Deutschland übersiedelte und ich begann mit der Arbeit mit dem berühmten Adrian Mikhalcisin und Viktor Zhelyandinov. Beide halfen mir immens den Großmeistertitel und einige andere Errungenschaften zu erlangen, so zum Beispiel den Titel des U18-Europameisters im Jahre 2003 oder den polnischen Landesmeistertitel in 2006 und soeben in 2010. Dazwischen trainierte ich mit meinen Freunden GM Jacek Gdanski und Bartlomiej Macieja von Polonia Warschau, dem Klub, den ich von 1993 bis 2008 repräsentierte, bevor ich zu Polonia Wroclaw (Breslau) wechselte.


Michael Negele und Tomasz Lissowski am Grab von Adolf Anderssen.
Bartel war in der kleinen Trainingsgruppe von Lissowski während seiner Zeit bei Polonia Warschau,
(Foto: Tomasz Lissowski)


Wojciech Ehrenfeucht (1955-2002), Quelle: Panorama Szachowa


Adam Umiastowski (Foto: Tomasz Lissowski)

Kannst Du den Verlauf der diesjährigen Meisterschaft Polens beschreiben?

Das erste Mal seit fünf Jahren nahmen nahezu die besten Spieler Polens an der Meisterschaft teil. Wir wechselten vom 14-rundigen Round-Robin-System zum Schweizer System. Das ist der Grund warum so viele Spieler teilnahmen, denn Spieler über ELO 2500 waren in der Lage ohne Vorqualifikation mitzuspielen. Ich war sicherlich nicht unter den Hauptanwärtern auf den Titel, da ich mich in der Startrangliste auf Platz 7 wiederfand. Glücklicherweise war ich in einer guten Verfassung. Am Ende hatte ich mit sieben Punkten einen halben Zähler mehr als Radek Wojtaszek, der mich in der dritten Runde leicht geschlagen hatte und fast die gesamt Meisterschaft in Führung lag. Ich spielte natürlich ein paar gute Partien, wovon mein Sieg über Michal Krasenkow möglicherweise die beste Leistung war. Andere Partien waren kompliziert und stressig und zum Teil mit schweren Fehlern.

Weiß: Bartel
Schwarz: Krasenkow
Polnische Meisterschaft 2010, Warschau, Runde 6

1. e4 c5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 e6 4. O-O Nge7 5. c3 a6 6. Ba4 c4 7. d4 cxd3 8. Bf4 Ng6 9. Bg3 b5 10. Bb3 Na5 11. Qxd3 Nxb3 12. axb3 Bb7 13. c4 Be7 14. Nc3 b4 15. Na4 O-O 16. Rfd1 Bc6 17. Nd4 Bxa4 18. Rxa4 Qb6 19. Nf3 Qb7 20. h4 h5 21. Ra5 f6 22. Rxh5 e5 23. Rf5 Bc5 24. h5 Ne7 25. Nh4 Nxf5 26. Nxf5 d6 27. Qf3 Qf7 28. Qg4 Kh7 29. Rd3 Rh8 30. Bh4 Kg8 31. Rg3 Rh7 32. Qf3 a5 33. Rxg7+ Rxg7 34. Nh6+ Kf8 35. Nxf7 Rxf7 36. Bxf6 d5 37. h6 dxc4 38. Qf5 c3 39. bxc3 bxc3 40. h7 1-0

Frage: Du bist Schachgroßmeister. Hast Du einen weiteren Beruf erlernt?

Mateusz Bartel: Ich war drei Jahre Student der „Warsaw Universtiy of Life Sciences (SGGW)“, wo ich den Bachelor-Abschluss in Angewandter Informatik und Ökonometrie erreichte.

Wie denkst Du über das derzeitige Ansehen des Schach, insbesondere unter der derzeitigen Obhut der FIDE?

Ich denke, das die Situation zur Zeit sehr schlecht ist. Sowohl Funktionäre, wie auch Spieler zeichnen sich dafür verantwortlich. Es ist kaum möglich Leute in der FIDE zu finden, die eine Idee haben, wie man die Situation im Schach weiterentwickeln kann. Dieses großartige Spiel mit seinen zahlreichen Fans (man werfe einfach einen Blick ins Internet) ist nicht in der Lage seine bemerkenswerten Veranstaltungen außerhalb der ‚Mitte von Nirgendwo‘ zu veranstalten. Was ist der Sinn einer Olympiade in Chanty-Mansijsk?

Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir günstige Gelegenheiten Schach einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren auslassen. In dieser Hinsicht glaube ich, dass z. B. die Olympiade in Dresden ganz erfolgreich war, sie wurde ziemlich gut veranstaltet und hat dank ihres günstigen Standorts sicher zur Popularisierung des Königsspiels.

Aber auch die Spieler sind nicht unschuldig an der derzeitigen Situation. Wir, die Großmeister, sollten ein Vorbild sein. Wenn Du ein Rundenturnier spielst und dafür eine beachtliche Summe an Geld erhältst, bist Du auch in der Pflicht Dich als Gentleman in allen Situationen zu präsentieren und versuchen zu helfen Schach positiv darzustellen.

Ich schätze Alexandria Kosteniuk wirklich, die sich sehr engagiert. Sicherlich kann man einwenden, dass ihr Aufwand nur für sich selbst ist, aber das wäre unfair, denn sie unterstützt den Schachsport. Ich denke, wenn jeder Großmeister 5% dessen aufwenden würde, was Alexandra unternimmt, stände es in der Schachwelt um vieles besser. Da ist noch ein Punkt, den ich erwähnen möchte: Manchmal bin ich wirklich enttäuscht, wenn Schachspieler keine Solidarität zeigen und nur an das eigene Geschäft denken. Gens una Sumus ist nur eine Phrase in den heutigen Tagen. Das jeder nur an sich denkt ist ein großes Problem!

Bist Du dann überrascht, wenn ich Dir mitteile, dass der der Deutsche Schachbund nach der heimischen Olympiade Mitgliederschwund verzeichnen musste?

Gut, das ist seltsam. Ich bin möglicherweise nicht die Person, die eine treffende Einschätzung der Gründe vornehmen kann. Vielleicht erwarteten die Leute noch mehr? Vielleicht benötigt Schach in Deutschland mehr sportliche Erfolge? Deutschland ist ein großes Land, kann aber keine Elitespieler vorweisen. Vielleicht würde ein ‚echter‘ Schachstar der Popularität helfen. Genau genommen hilft aus meiner Sicht der Dinge das Schachangebot dem professionellen Spieler nicht. Jedenfalls gibt es fast keine starken Turniere für Amateure.

Prinzipiell kann ich keine Motivationen für junge, aussichtsvolle Spieler von Seiten des Verbands erkennen. So verlieren diese das Interesse an einer Schachkarriere und beenden Schach schnell. Vielleicht ist das ein Problem, denn Eltern solcher Sprösslinge können viel Hilfe ermöglichen, was üblich ist in anderen Ländern, inklusive Polen. Okay, alles was ich dazu mitteilen kann ist möglicherweise nicht wichtig, aber es muss einen Grund für diese außergewöhnliche Situation geben.


Foto:
Krzysztof Basiński
(
Quelle: http://www.uksgedanensis.civ.pl/html/images/articles/bartel4(1).jpg)

Lass uns über Schach in Polen reden! Zuletzt war die Schnellschach-EM in Deiner Heimatstadt in Warschau, aber es ist schwierig das polnische Schach im Web zu verfolgen. Warum?

Wir haben nicht sonderlich viele Webseiten in unserer Sprache, in englischer werden es noch weniger, was ein Problem darstellt. Aus diesem Grund haben GM Grzegorz Gajewski, IM Stanislaw Zawadzki und ich Ende 2008 das Magazin „Mat“ (http://www.czasopismo-mat.pl/news.php) aus der Taufe gehoben. Die erste gedruckte Ausgabe wurde während der Schnellschacheuropameisterschaft in Warschau im Dezember 2008 veröffentlicht. Wir veröffentlichen acht Ausgaben im Jahr mit jeweils 40 Seiten (20 in Farbe und 20 in Schwarz-Weiß).

Das Hauptziel ist es ein hochwertiges Magazin in polnischer Sprache zu erstellen. Dafür haben wir signifikante Großmeister als Schreiber, was in Polen eine Neuerung darstellt. Ich hoffe, dass das Lesen des Magazins einigen eine Freude bereitet. Unglücklicherweise nimmt diese Arbeit sehr viel Zeit und Geld in Anspruch. Hauptsächlich schreibe ich Artikel für das Magazin, aber ich suche auch Bilder oder Werbemöglichkeiten, beziehungsweise frage Spieler nach publizierbarem Material, wie Partien oder Artikel. Es ist ein großes Abenteuer, aber auch eine großartige Sache, wenn man Lob von Lesern erhält, wenngleich man zur selben Zeit darüber nachdenken muss, ob insbesondere die Investition an Zeit berechtigt ist. Ich bin auf jeden Fall froh Teil des Magazins zu sein!

Überhaupt scheint sich im polnischen Schach in den vergangenen Monaten etwas zu bewegen: neue Förderer engagieren sich. Wer sind diese?

Ja, wir hatten eine Verbandswahl im Juli vergangenen Jahres und Tomasz Sielicki wurde neuer Präsident. Das ist eine großartige Entwicklung für das polnische Schach, nicht nur, weil er ein Schachfan und aktiver Amateurspieler, sondern auch weil er als erfolgreicher Geschäftsmann bekannt ist. Er ist der Gründer einen großen IT-Firma („Sygnity“, ehemals „Computerland“) und erhält schon einige Ehrungen als „Global Leader for Tomorrow at Economic“.

Ihm haben wir eine gelungene Meisterschaft ( http://www.mp2010.pl/ ) im Januar zu verdanken, bei der auch ein höherer Preispool zur Verfügung gestellt wurde. Einige Änderungen betreffen das Auffinden neuer Sponsoren für das Nationalteam und für ausgewählte Schachturniere, aber die wichtigste Änderung fand innerhalb des Verbands statt: Es wird versucht wie eine Firma des 21. Jahrhunderts zu arbeiten! Ich bin ziemlich sicher, dass Herr Sielicki dem polnischen Schach helfen wird und hoffe wir verschwenden diese Gelegenheit nicht.

Schach in Polen in der Wachstumsphase – wie steht es um das Nationalteam?

Mateusz Bartel: In der Vergangenheit hatten wir bessere Atmosphäre, nachdem wir uns fünf Jahre im Krieg mit dem Kopf des polnischen Schachverbands befanden. Einige Spieler lehnten es ab für die Nationalmannschaft zu spielen, andere – inklusive mir – spielten zwar noch, waren aber auch der Meinung, dass es höchste Zeit war das Nationalteam zu verlassen.

Glücklicherweise will die Föderation jetzt die besten Spieler um das Ansehen zu verbessern und beste Resultate zu erzielen. Grundsätzlich soll Schach in Polen beworben werden und dafür werden die führende Spieler und deren Errungenschaften benötigt. Wir haben auch zahlreiche talentierte Spieler, die wir verloren haben. Ich hoffe, dass sich das ändert.

Im Moment wird Dariusz Świercz, das größte Talent mit einem Spezialprogramm unterstützt. Ein Teil dieser Unterstützung war sein Match gegen Movsesian. Vielleicht wird Darek dem Kreis der Topspieler in Zukunft beitreten? Ich denke, dass auch andere Spieler die Chance haben die höchsten Stufen zu erklimmen, hier insbesondere Radek Wojtaszek. Ich hoffe, dass der Schachverband bestmögliche Unterstützung gewährleistet, denn das ist seine Funktion, oder?!

Welche Bedeutung hat das Schulschach?

Dafür bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich weiß aber, dass es einige Leute gibt, die das Programm „Schach an die Schulen“ unterstützen. Sie sammelten, wenn ich nicht falsch liege, 60.000 Unterschriften, aber 100.000 werden benötigt, um die Idee der Regierung vorstellen zu dürfen. Sie scheiterten, werben aber weiterhin für das Schach.

Du spielt für Wattenscheid in der Ersten Bundesliga. Wo spielst Du sonst und was denkst Du über Dein Legionärsdasein?

Ich mag die Bundesliga und mein sympathisches Team. Aber zur gleichen Zeit finde ich es äußerst skurril, dass es hier keine Begrenzung der ausländischen Spieler gibt. Wer möchte schon Wettkämpfe sehen in denen keine deutschen Spieler vertreten sind? Vielleicht ist es besser für mich, aber ich spiele auch in verschiedenen anderen Ligen, so der in der Tschechei oder Frankreich – Griechenland wird in Zukunft noch hinzukommen.

In der Vergangenheit spielt ich auch in Spanien und Portugal. Jede Liga unterscheidet sich von der anderen, aber Du lernst zahlreiche interessante Leute kennen und dringst tiefer in das Leben der ausländischen Länder ein, was ich interessant finde.


Gibt es auch Zeiten in denen Du vom Schach müde bist? Was sind die Zukunftspläne?

Mateusz Bartel: Ich denke jeder hat diese Zeiten, insbesondere dann, wenn man eine schlechte Periode hat. Ich werde das geschlossene Turnier in Lublin (Rating über 2625) spielen, um danach von Ende Juni bis September auf verschiedenen Turnieren zu Gast zu sein. Ich lade die deutschen Spieler nach Wroclaw (Breslau) ein, wo wir ein lohnenswertes Turnier veranstalten, das sich auch wunderbar mit Urlaub verbinden lässt. Besuchen Sie die Webseite...

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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