Mateusz
Bartel und das Schach in Polen
Von Frank Große
Mateusz Bartel
(geboren am 03.01.1985 in Warschau) ist polnischer
Großmeister und befindet sich mit einer ELO von 2634 (Stand
01.04.2010) auf einem Rang knapp jenseits der Top-100
der Weltrangliste. 2001 errang er den Titel des Internationalen Meisters,
um vier Jahre später Großmeister zu werden. Der junge Pole, der nach eigener
Aussage noch nicht die Partie seines Lebens gespielt hat, gewann kürzlich zum
zweiten Mal die polnische Landesmeisterschaft. Seine Entwicklung sieht er damit
noch nicht beendet, er glaubt aber auch daran, dass harte Arbeit für den Sprung
in die Top Ten ausreichend ist. Seine Freundin Marta Przezdziecka, schon seit
vier Jahren an seiner Seite, ist ebenfalls aktive Schachspielerin und hält den
Titel einer WGM. Seit über einem Jahr ist der Spieler der Wattenscheider
Bundesliga-Mannschaft Herausgeber des neuen Schachmagazins „Mat“ in
seinem Land. All diese Aufmerksamkeiten waren Grund genug nachzufragen …
Frage: Wie ist Deine
bisherige Schachkarriere verlaufen?
Mateusz Bartel: Ich
spiele jetzt ungefähr seit 18 Jahren Schach. Die Regeln des Spieles
erlernte ich von meinem Vater im Alter zwischen sechs und sieben
Jahren. Zur gleichen Zeit wurde auch mein jüngerer Bruder Michael im Schachspiel
unterrichtet. Meine Laufbahn startete mit einem Erfolg, da ich die Warschauer
Meisterschaft U9 gewinnen konnte, was etwas überraschend war.
Innerhalb des weiteren Verlaufs
lernte ich viele Trainer kennen. Zuerst meinen Vater, der mir das grundlegende
Wissen vermittelte, zum Beispiel, wie man mit Läufer und Springer Matt setzt.
Danach trainierte ich mit Adam Umiastowski, Tomasz Lissowski und Wojciech
Ehrenfeucht im Klub „Polonia Warschau“.
Bereits im Alter von zehn Jahren begann ich mit ausländischen Trainern zu
arbeiten. Der erste war Vladimir Shishkin aus Moskau, der mir dabei half den
U10-Titel Polens zu erkämpfen. Aus verschiedenen Gründen wurde die
Kooperation beendet, um mit Vadim Shishkin aus Kiew zusammenzuarbeiten. Die fast
identischen Namen erheitern schon, wenn man bedenkt, dass zwischen beide keine
Verbindung existiert.
Vadim war noch ein aktiver Spieler, sodass die Kooperation nur von kurzer Dauer
war. Aber er stellte die Verbindung zu einem seiner Landsleute her: Jakov
Loifenfeld, der nun in Deutschland lebt. Mit ihm arbeitete ich mehr als drei
Jahre zusammen, was sich als sehr fruchtbar herausstellte, da ich in dieser
Periode nicht nur die 2000-er-Marke knackte, sondern ein Rating über 2300
erreichte. Wir beendeten unsere Zusammenarbeit als er nach Deutschland
übersiedelte und ich begann mit der Arbeit mit dem berühmten Adrian Mikhalcisin
und Viktor Zhelyandinov. Beide halfen mir immens den Großmeistertitel und einige
andere Errungenschaften zu erlangen, so zum Beispiel den Titel des U18-Europameisters
im Jahre 2003 oder den polnischen Landesmeistertitel in 2006 und
soeben in 2010. Dazwischen trainierte ich mit meinen Freunden GM Jacek
Gdanski und Bartlomiej Macieja von Polonia Warschau, dem Klub, den ich
von 1993 bis 2008 repräsentierte, bevor ich zu Polonia Wroclaw (Breslau)
wechselte.
Michael Negele und Tomasz Lissowski am Grab von Adolf Anderssen.
Bartel war in der kleinen Trainingsgruppe von Lissowski während seiner Zeit bei
Polonia Warschau,
(Foto: Tomasz Lissowski)
Wojciech Ehrenfeucht (1955-2002), Quelle: Panorama Szachowa
Adam Umiastowski (Foto: Tomasz Lissowski)
Kannst Du den Verlauf der
diesjährigen Meisterschaft Polens beschreiben?
Das erste Mal seit fünf Jahren
nahmen nahezu die besten Spieler Polens an der Meisterschaft teil. Wir
wechselten vom 14-rundigen Round-Robin-System zum Schweizer System. Das ist der
Grund warum so viele Spieler teilnahmen, denn Spieler über ELO 2500 waren in der
Lage ohne Vorqualifikation mitzuspielen. Ich war sicherlich nicht unter den
Hauptanwärtern auf den Titel, da ich mich in der Startrangliste auf Platz 7
wiederfand. Glücklicherweise war ich in einer guten Verfassung. Am Ende hatte
ich mit sieben Punkten einen halben Zähler mehr als Radek Wojtaszek, der mich in
der dritten Runde leicht geschlagen hatte und fast die gesamt Meisterschaft in
Führung lag. Ich spielte natürlich ein paar gute Partien, wovon mein Sieg über
Michal Krasenkow möglicherweise die beste Leistung war. Andere Partien waren
kompliziert und stressig und zum Teil mit schweren Fehlern.
Weiß: Bartel
Schwarz: Krasenkow
Polnische Meisterschaft 2010, Warschau, Runde 6
1. e4 c5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 e6 4. O-O Nge7 5. c3 a6
6. Ba4 c4 7. d4 cxd3 8. Bf4 Ng6 9. Bg3 b5 10. Bb3 Na5 11. Qxd3 Nxb3 12. axb3 Bb7
13. c4 Be7 14. Nc3 b4 15. Na4 O-O 16. Rfd1 Bc6 17. Nd4 Bxa4 18. Rxa4 Qb6 19. Nf3
Qb7 20. h4 h5 21. Ra5 f6 22. Rxh5 e5 23. Rf5 Bc5 24. h5 Ne7 25. Nh4 Nxf5 26.
Nxf5 d6 27. Qf3 Qf7 28. Qg4 Kh7 29. Rd3 Rh8 30. Bh4 Kg8 31. Rg3 Rh7 32. Qf3 a5
33. Rxg7+ Rxg7 34. Nh6+ Kf8 35. Nxf7 Rxf7 36. Bxf6 d5 37. h6 dxc4 38. Qf5 c3 39.
bxc3 bxc3 40. h7 1-0
Frage: Du bist
Schachgroßmeister. Hast Du einen weiteren Beruf erlernt?
Mateusz Bartel:
Ich war drei Jahre Student der „Warsaw Universtiy of Life Sciences (SGGW)“, wo
ich den Bachelor-Abschluss in Angewandter Informatik und Ökonometrie erreichte.
Wie denkst Du über das
derzeitige Ansehen des Schach, insbesondere unter der derzeitigen Obhut der
FIDE?
Ich denke, das die Situation
zur Zeit sehr schlecht ist. Sowohl Funktionäre, wie auch Spieler zeichnen sich
dafür verantwortlich. Es ist kaum möglich Leute in der FIDE zu finden, die eine
Idee haben, wie man die Situation im Schach weiterentwickeln kann. Dieses
großartige Spiel mit seinen zahlreichen Fans (man werfe einfach einen Blick ins
Internet) ist nicht in der Lage seine bemerkenswerten Veranstaltungen außerhalb
der ‚Mitte von Nirgendwo‘ zu veranstalten. Was ist der Sinn einer Olympiade in
Chanty-Mansijsk?
Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir günstige Gelegenheiten Schach einer
breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren auslassen.
In dieser Hinsicht glaube ich, dass z. B. die Olympiade in Dresden ganz
erfolgreich war, sie wurde ziemlich gut veranstaltet und hat dank ihres
günstigen Standorts sicher zur Popularisierung des Königsspiels.
Aber auch die Spieler sind nicht unschuldig an der derzeitigen Situation. Wir,
die Großmeister, sollten ein Vorbild sein. Wenn Du ein Rundenturnier spielst und
dafür eine beachtliche Summe an Geld erhältst, bist Du auch in der Pflicht Dich
als Gentleman in allen Situationen zu präsentieren und versuchen zu helfen
Schach positiv darzustellen.
Ich schätze Alexandria Kosteniuk wirklich, die sich sehr engagiert. Sicherlich
kann man einwenden, dass ihr Aufwand nur für sich selbst ist, aber das wäre
unfair, denn sie unterstützt den Schachsport. Ich denke, wenn jeder Großmeister
5% dessen aufwenden würde, was Alexandra unternimmt, stände es in der Schachwelt
um vieles besser. Da ist noch ein Punkt, den ich erwähnen möchte: Manchmal bin
ich wirklich enttäuscht, wenn Schachspieler keine Solidarität zeigen und nur an
das eigene Geschäft denken. Gens una Sumus ist nur eine Phrase in den
heutigen Tagen. Das jeder nur an sich denkt ist ein großes Problem!
Bist Du dann überrascht,
wenn ich Dir mitteile, dass der der Deutsche Schachbund nach der heimischen
Olympiade Mitgliederschwund verzeichnen musste?
Gut, das ist seltsam. Ich bin
möglicherweise nicht die Person, die eine treffende Einschätzung der Gründe
vornehmen kann. Vielleicht erwarteten die Leute noch mehr? Vielleicht benötigt
Schach in Deutschland mehr sportliche Erfolge? Deutschland ist ein großes Land,
kann aber keine Elitespieler vorweisen. Vielleicht würde ein ‚echter‘ Schachstar
der Popularität helfen. Genau genommen hilft aus meiner Sicht der Dinge das
Schachangebot dem professionellen Spieler nicht. Jedenfalls gibt es fast keine
starken Turniere für Amateure.
Prinzipiell kann ich keine Motivationen für junge, aussichtsvolle Spieler von
Seiten des Verbands erkennen. So verlieren diese das Interesse an einer
Schachkarriere und beenden Schach schnell. Vielleicht ist das ein Problem, denn
Eltern solcher Sprösslinge können viel Hilfe ermöglichen, was üblich ist in
anderen Ländern, inklusive Polen. Okay, alles was ich dazu mitteilen kann ist
möglicherweise nicht wichtig, aber es muss einen Grund für diese
außergewöhnliche Situation geben.
Foto: Krzysztof Basiński
(Quelle: http://www.uksgedanensis.civ.pl/html/images/articles/bartel4(1).jpg)
Lass uns über Schach in
Polen reden! Zuletzt war die Schnellschach-EM in Deiner Heimatstadt in Warschau,
aber es ist schwierig das polnische Schach im Web zu verfolgen. Warum?
Wir haben nicht sonderlich
viele Webseiten in unserer Sprache, in englischer werden es noch weniger, was
ein Problem darstellt. Aus diesem Grund haben GM Grzegorz Gajewski, IM Stanislaw
Zawadzki und ich Ende 2008 das Magazin „Mat“ (http://www.czasopismo-mat.pl/news.php)
aus der Taufe gehoben. Die erste gedruckte Ausgabe wurde während der
Schnellschacheuropameisterschaft in Warschau im Dezember 2008
veröffentlicht. Wir veröffentlichen acht Ausgaben im Jahr mit jeweils 40 Seiten
(20 in Farbe und 20 in Schwarz-Weiß).
Das Hauptziel ist es ein hochwertiges Magazin in polnischer Sprache zu
erstellen. Dafür haben wir signifikante Großmeister als Schreiber, was in Polen
eine Neuerung darstellt. Ich hoffe, dass das Lesen des Magazins einigen eine
Freude bereitet. Unglücklicherweise nimmt diese Arbeit sehr viel Zeit und Geld
in Anspruch. Hauptsächlich schreibe ich Artikel für das Magazin, aber ich suche
auch Bilder oder Werbemöglichkeiten, beziehungsweise frage Spieler nach
publizierbarem Material, wie Partien oder Artikel. Es ist ein großes Abenteuer,
aber auch eine großartige Sache, wenn man Lob von Lesern erhält, wenngleich man
zur selben Zeit darüber nachdenken muss, ob insbesondere die Investition an Zeit
berechtigt ist. Ich bin auf jeden Fall froh Teil des Magazins zu sein!
Überhaupt scheint sich im
polnischen Schach in den vergangenen Monaten etwas zu bewegen: neue Förderer
engagieren sich. Wer sind diese?
Ja, wir hatten eine
Verbandswahl im Juli vergangenen Jahres und Tomasz Sielicki wurde neuer
Präsident. Das ist eine großartige Entwicklung für das polnische Schach, nicht
nur, weil er ein Schachfan und aktiver Amateurspieler, sondern auch weil er als
erfolgreicher Geschäftsmann bekannt ist. Er ist der Gründer einen großen
IT-Firma („Sygnity“, ehemals „Computerland“) und erhält schon einige
Ehrungen als „Global Leader for Tomorrow at Economic“.
Ihm haben wir eine gelungene Meisterschaft (
http://www.mp2010.pl/ ) im Januar zu verdanken, bei der auch ein höherer
Preispool zur Verfügung gestellt wurde. Einige Änderungen betreffen das
Auffinden neuer Sponsoren für das Nationalteam und für ausgewählte
Schachturniere, aber die wichtigste Änderung fand innerhalb des Verbands statt:
Es wird versucht wie eine Firma des 21. Jahrhunderts zu arbeiten! Ich bin
ziemlich sicher, dass Herr Sielicki dem polnischen Schach helfen wird und hoffe
wir verschwenden diese Gelegenheit nicht.
Schach in Polen in der
Wachstumsphase – wie steht es um das Nationalteam?
Mateusz Bartel: In der
Vergangenheit hatten wir bessere Atmosphäre, nachdem wir uns fünf Jahre im Krieg
mit dem Kopf des polnischen Schachverbands befanden. Einige Spieler lehnten es
ab für die Nationalmannschaft zu spielen, andere – inklusive mir – spielten zwar
noch, waren aber auch der Meinung, dass es höchste Zeit war das Nationalteam zu
verlassen.
Glücklicherweise will die Föderation jetzt die besten Spieler um das Ansehen zu
verbessern und beste Resultate zu erzielen. Grundsätzlich soll Schach in Polen
beworben werden und dafür werden die führende Spieler und deren Errungenschaften
benötigt. Wir haben auch zahlreiche talentierte Spieler, die wir verloren haben.
Ich hoffe, dass sich das ändert.
Im Moment wird Dariusz Świercz, das größte Talent mit einem Spezialprogramm
unterstützt. Ein Teil dieser Unterstützung war sein Match gegen Movsesian.
Vielleicht wird Darek dem Kreis der Topspieler in Zukunft beitreten? Ich denke,
dass auch andere Spieler die Chance haben die höchsten Stufen zu erklimmen, hier
insbesondere Radek Wojtaszek. Ich hoffe, dass der Schachverband bestmögliche
Unterstützung gewährleistet, denn das ist seine Funktion, oder?!
Welche Bedeutung hat das
Schulschach?
Dafür bin ich der falsche
Ansprechpartner. Ich weiß aber, dass es einige Leute gibt, die das Programm
„Schach an die Schulen“ unterstützen. Sie sammelten, wenn ich nicht falsch
liege, 60.000 Unterschriften, aber 100.000 werden benötigt, um die Idee der
Regierung vorstellen zu dürfen. Sie scheiterten, werben aber weiterhin für das
Schach.
Du spielt für
Wattenscheid in der Ersten Bundesliga. Wo spielst Du sonst und was denkst Du
über Dein Legionärsdasein?
Ich mag die Bundesliga und mein
sympathisches Team. Aber zur gleichen Zeit finde ich es äußerst skurril, dass es
hier keine Begrenzung der ausländischen Spieler gibt. Wer möchte schon
Wettkämpfe sehen in denen keine deutschen Spieler vertreten sind? Vielleicht ist
es besser für mich, aber ich spiele auch in verschiedenen anderen Ligen, so der
in der Tschechei oder Frankreich – Griechenland wird in Zukunft noch
hinzukommen.
In der Vergangenheit spielt ich auch in Spanien und Portugal. Jede Liga
unterscheidet sich von der anderen, aber Du lernst zahlreiche interessante Leute
kennen und dringst tiefer in das Leben der ausländischen Länder ein, was ich
interessant finde.
Gibt es auch Zeiten in denen Du vom Schach müde bist? Was sind die
Zukunftspläne?
Mateusz Bartel:
Ich denke jeder hat diese Zeiten, insbesondere dann, wenn man eine schlechte
Periode hat. Ich werde das geschlossene Turnier in Lublin (Rating über 2625)
spielen, um danach von Ende Juni bis September auf verschiedenen Turnieren zu
Gast zu sein. Ich lade die deutschen Spieler nach Wroclaw (Breslau) ein, wo wir
ein lohnenswertes Turnier veranstalten, das sich auch wunderbar mit Urlaub
verbinden lässt.
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