Interview mit Michael Prusikin
Michael Prusikin: 1978 in Charkow (Ukraine) geboren kann der heute 35-Jährige auf „30 Jahre Schach“ zurückblicken. Noch vor der Schulzeit entdeckte er seine Faszination für das Schachspiel, wurde aber richtig „auffällig“ als er mit seiner Familie 1995 nach Deutschland emigrierte. Neun Jahre später beschloss er Schachprofi zu werden. Heute agiert er in erster Linie als Schachtrainer. Wo sieht sich Prusikin, der in Miesbach (Oberbayern) lebt heute?
Das Interview
Frage: Sie lernten das Schachspiel bereits im frühen Kindesalter und sind aber erst nach der Immigration nach Deutschland in der Schachwelt bekannter geworden. Skizzieren Sie kurz die Stationen Ihres Aufstiegs – was waren ihre eigenen Ambitionen?
Michael Prusikin: Das ist so nicht ganz richtig. In der Ukraine zählte ich bereits zu den besten Junioren meines Jahrgangs und als ich mit 1995 im Alter von 17 nach Deutschland kam, lag meine Spielstärke irgendwo im Bereich von 2350-2400. Ich besaß aber tatsächlich noch keine ELO-Zahl! Denn in Charkow gab es zu dieser Zeit keine gewerteten Turniere und für weitere Reisen fehlten mir ganz einfach die finanziellen Möglichkeiten.
In der Ukraine arbeiteten IM M. Nedobora sowie GM Alexander Berelowitsch mit mir - beide unentgeltlich - wofür ich ihnen bis heute sehr dankbar bin, denn meine Familie hätte auch nichts bezahlen können.
Ich nahm regelmäßig an den Finalwettkämpfen der ukrainischen Jugendmeisterschaften teil, wobei bereits die Qualifikationsturniere sehr stark besetzt waren. In der Ukraine blieb Schach für mich allerdings nur eines von vielen Hobbys. Meine Freunde, Fußball und Bücher waren mir nicht weniger wichtig. Erst nach der Übersiedlung nach Deutschland fing ich an, Schach richtig ernst zu nehmen …
Frage: Wie kam es zu dieser Fokussierung und was unterschied Ihr Training in der ehemaligen Sowjetunion/Ukraine gegenüber dem Training in Deutschland?
Michael Prusikin: In Deutschland war ich auf mich allein gestellt. Ich hatte, bzw. nahm mir aber auch viel mehr Zeit für Schach. Prinzipiell ist wohl der entscheidende Unterschied, dass es in der Sowjetunion/Ukraine viel mehr gut ausgebildete und spielstarke Trainer gab.
Frage: Ihre Familie ist 1995 nach Deutschland emigriert. Was waren die Beweggründe?
Michael Prusikin: Die Beweggründe waren vielfältig. Wirtschaftliche Gründe spielten eine Rolle, das möchte ich gar nicht leugnen, aber auch die ruinierte Umwelt, die Sicherheitslage und einiges mehr. Die Ukraine der 90er Jahre war ein Dritte-Welt-Land. Heute habe ich keinerlei nostalgische Gefühle, und wenn dann ist es die Sehnsucht nach der Zeit meiner Jugend, aber nicht nach dem Ort.
Frage: Sie sind 2004 Großmeister geworden. Im gleichen Jahr kam der Entschluss Profi zu werden. Bereuen Sie diesen Entschluss? Was waren die die wichtigsten Punkte Ihrer Entwicklung zum GM und denken Sie, dass Sie an Ihre Leistungsgrenze gegangen sind?
Michael Prusikin: Nein, die Entscheidung, Profi zu werden habe ich nie bereut. Ich war allerdings nie reiner „Spielprofi“, das Training war schon damals mein zweites Standbein und bereitete mir ebenfalls viel Spaß.
Meine schwierigste GM-Norm war die Zweite. Bei einem geschlossenen Turnier in Griesheim brauchte ich am Schluss 2 aus 2 und ich hatte noch gegen GM R. Ruck und GM M. Grabarczyk anzutreten. Vor allem die Aufgabe, den ultrasoliden Ruck mit Schwarz zu schlagen, schien beinahe unlösbar, aber mit etwas Glück klappte es. Beflügelt fegte ich in der Schlussrunde Grabarczyk mühelos vom Brett.
Ob ich an meine Leistungsgrenze gegangen bin, ist schwer zu beantworten. Ich hatte irgendwann 2571 ELO, die 2600 waren greifbar nahe und schienen auch machbar, stattdessen begann ich aber langsam abzubauen. Vielleicht wäre ich weiter gekommen, wenn ich den Schachunterricht auf Eis gelegt und mich voll und ganz auf das eigene Schach konzentriert hätte …
Prusikin am 9. Spieltag bei der Schach-Euro 2007, Foto: Frank Große
Frage: Sie betreuten einige Nachwuchstalente (u.a. Hanne Marie Klek). Wen trainieren Sie derzeit? Was ist Ihr Trainingskonzept?
Michael Prusikin: Seit 2 Jahren bin ich bei einem großen Schulschachprojekt im Landkreis Miesbach tätig. Für Privatschüler bleibt wenig Zeit, daher sind es im Moment nur 3, neben Hanna Marie noch Jana Schneider (zweifache deutsche Meisterin ) und Leon Mons.
Was das Konzept betrifft, teile ich die Ansichten von Mark Dvorezky: Dieser schwört auf Systematische Schachausbildung und gezieltes Arbeiten an den bestehenden Schwächen.
Frage: Angenommen Sie wären heute 15 und hätten den GM-Titel bereits in der Tasche. Würden Sie erneut Profi werden?
Michael Prusikin: Ich selbst würde es sicher tun, aber ob ich auch einem Schüler dazu raten würde?! Wenn ich das Gefühl hätte, derjenige hat Potenzial, ich die Weltspitze vorzustoßen, dann schon.
Frage: Sehen Sie sich heute noch als Schachprofi oder primär als Trainer?
Michael Prusikin: Ich sehe mich in erster Linie als Schachtrainer. Auch aus diesem Grund habe ich in den Jahren 1998-2003 eine Ausbildung zum Erzieher abgeschlossen. Da ich damals schon mit den Gedanken gespielt habe, Schachtrainer zu werden, schien mir da eine pädagogische Ausbildung von Vorteil.
Frage: Was bedeutet Ihnen die Schachbundesliga?
Michael Prusikin: Inzwischen nicht mehr so viel. Bei unserem ersten Ausflug ins Oberhaus mit dem SC Forchheim vor 10 Jahren war ich aber von der Möglichkeit begeistert, gegen derart starke Gegnerschaft anzutreten.
Frage: Welches Status hat Deutschland als Leistungsstandort in Bezug auf Schach aus Ihrer Sicht heute?
Michael Prusikin: Im Breitensportbereich spielt Deutschland eine wichtige Rolle in der Schachwelt: Großer Verband, viele offene Turniere. Im Spitzensportbereich sind die beiden Topturniere in Dortmund und Baden-Baden und die Bundesliga zu nennen. Was uns fehlt, sind Weltklassespieler. Nur ein deutscher Magnus Carlsen oder eine deutsche Hou Yifan könnten das Interesse der Medien an unserem Spiel wecken.
Frage: Sie haben den Großteil Ihres Lebens dem Schachsport gewidmet. Gibt es Zeiten, wo Sie müde vom Schach sind?
Michael Prusikin: Ich liebe Schach, aber ich kenne natürlich auch das Gefühl der „Übersättigung“. Schach gab mir die Möglichkeit, viele interessante Orte und Menschen kennen zu lernen. Zudem ist das Spiel für mich die wichtigste Möglichkeit der Selbstverwirklichung, aber natürlich gibt es in meinem Leben auch andere Hobbys und Interessen. Ich lese gern und viel, gehe ins Kino, treibe Sport. Aber auch meine Familie und meine Freunde sind ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens.
Frage: Denken Sie Ihre beste Partie bereits gespielt zu haben? Wenn ja, welche ist dies Ihrer Meinung nach?
Michael Prusikin: Wenn ich eine einzige auswählen muss, dann ist es sicher der Sieg gegen V. Kortschnoi aus dem Jahr 2005. Ob mir eines Tages eine schönere Partie gelingt, steht in den Sternen.
Frage: Wie gestaltet sich Ihre Zukunftsplanung sowohl in Bezug auf Schach als auch im Privatleben?
Michael Prusikin: Meine eigene „Schachkarriere“ ist abgeschlossen, inzwischen spiele ich nur noch ein paar Turniere im Jahr + einige Ligapartien. Ich habe auf diesem Gebiet auch keine (sportlichen) Ambitionen mehr, ich möchte „nur“ gutes Schach spielen, wenn ich schon am Brett sitze :) Schachtrainer ist der Beruf, der mich glücklich macht, hier sehe ich meine Zukunft. Privat möchte ich meinen beiden Töchtern ein guter Vater sein.
Frage: Wo steht der Schachsport Ihrer Meinung nach in zehn Jahren?
Michael Prusikin: Ich bin überzeugt davon, dass Schach eine Zukunft hat. Allerdings wird das klassische Schach über kurz oder lang durch das Fischerschach abgelöst werden (müssen). Ob das bereits in 10 Jahren der Fall sein wird, vermag ich nicht einzuschätzen.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Frank Große