TOKIO – Jeden Tag, ausgenommen Wochenende
und Feiertage, fährt Miyoko Watai, amtierende Präsidentin und Generalsekretärin
des Japanischen Schachverbandes, zu einer Haftanstalt in Ushiju, in der
Präfektur Ibaraki, 50 Km nordöstlich von Tokio. Zwei Stunden mit Zug und Taxi,
eine Strecke. Dort trifft sie dann, auf einem Stuhl in einem kleinen Raum
sitzend, durch eine Glaswand getrennt, die Schachlegende Bobby Fischer - Ihren
Verlobten.
1973 begegneten sich die beiden zum ersten
Mal in Tokio. Seitdem korrespondierte die heute 59-jährige Watai jahrelang mit
dem Ex-Weltmeister und besuchte ihn zu Hause in den USA und in Ungarn. Im Januar
2000 zog Fischer, in den Vereinigten Staaten seit 1992 wegen Verstoßes gegen
internationale Sanktionen gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien gesucht,
schließlich in Watais Haus in Kamata in Ota Ward im Zentrum von Tokio. Es war
der Beginn einer Ehe ohne Trauschein. Nun will das Paar diese Verbindung auch
auf dem Papier juristisch schließen.
Miyko Watai, Lebensgefährtin Fischers und Präsidentin des
Japanischen Schachverbandes.
Doch ihr friedliches Leben in Japan wurde am
13. Juli jäh unterbrochen, als Fischer auf dem Narita International Airport
verhaftet wurde - wegen des angeblichen Versuches, mit ungültigem US-Pass zu
reisen. Der Schachgroßmeister wurde zunächst am Flughafen festgehalten und dann
am 10. August nach Ushiku verlegt.
Die Situation verschlechtert sich für
Fischer und Watai. Am Abend des 24. August verfügte die japanische Regierung,
die einen Auslieferungsvertrag mit den den USA hat, plötzlich, ihn noch in
dieser Nacht abzuschieben. Der Überraschungscoup schockierte das Paar und seine
Freunde. Doch die Anwälte klagten umgehend am Bezirksgericht Tokio auf Aufhebung
dieser Verfügung, was die Abschiebevorgänge laut Watai für einen Monat
hinauszögern kann.
Um das ruhige Leben des Paares in Japan ist
es geschehen. Watai ist wütend und besorgt, dass der Arrest dem Schachgenie
mentale Qualen bereitet. „Er fühlt sich wie ein Gefangener in der Todeszelle. Er
hat Angst in die USA abgeschoben zu werden, was heute oder morgen geschehen
könnte. Warum muss er so ein Elend ertragen?“, so formuliert sie es.
Sofort nach dem Vorfall versuchte Watai
verzweifelt, Fischer auf freien Fuß zu bekommen, Unterstützung von Schachfans
auf der ganzen Welt suchend. Ende Juli wurde von Watai und anderen
Fischer-Bewunderern, darunter Ichiji Ishii, einem ehemaligen Vize-Außenminister
sowie dem kanadischen Kommunikationsberater John Bosnitch, das Komitee „Free
Bobby Fischer“ gegründet. Mutig hat die Gruppe juristische Schritte unternommen,
um die japanische Regierung daran zu hindern, Fischer in die USA abzuschieben.
Obwohl sie natürlich mehr als genug um die
Ohren hat, fand Watai vor kurzem Zeit für dieses Exklusivinterview mit ChessBase,
um über Fischers Wirklichkeit zu sprechen - und zu weiterer Unterstützung für
seine Freilassung aufzurufen. Das Interview führte En Mafuruji.
Erste Begegnung
Miyoko Watai in der Vorstadt von Tokio Ota Ward (Foto: Kaz Ozawa)
Watai, Internationale Meisterin der Frauen
und Internationale Schiedsrichterin, lernte das Schachspiel nach ihrem Abschluss
an der Pharamzeutischen Universtität Meiji, um ihren damaligen Freund zu
besiegen. Sie wurde Apothekerin, besuchte 1972 erstmals die Schacholympiade und
gewann 1975 die japanische Frauenmeisterschaft.
Was hatten Sie für ein Bild von Fischer,
bevor Sie ihm 1973 leibhaftig begegneten?
Watai: Nachdem er das WM-Match gegen
Boris Spassky gewonnen hatte, war er der Gott des Schachs. Ich schnitt sämtliche
Arikel aus Zeitschriften und englischen Zeitungen aus, und natürlich studierte
ich seine Partien.
Als Fischer 1973 den japanischen
Schachverband in Tokio besuchte, um Sponsoren für ein Rematch mit Spassky zu
finden, wurden Sie gebeten, mit ihm die Stadt zu zeigen. Wo waren Sie mit ihm,
und wie war Ihr Eindruck?
Watai: Ich verbrachte mehrere Tage mit
ihm. Ich nahm ihn mit ins Musical, nach Akihabara (ein
Elektrikhersteller-Viertel) und ich zeigte ihm Asakusa (ein traditioneller
Stadtteil mit dem berühmten Sensoji-Tempel). Er sprach sehr wenig, aber er war
sehr nett.
Wie entwickelte sich die Freundschaft
zwischen Ihnen und Fischer?
Watai: Er lud mich ein, ihn zuhause in den Staaten zu besuchen, bevor ich 1974
zur Frauen-Schacholympiade nach Kolumbien reiste. Und das tat ich. Damals war
Bobby in der „Church of God“ und wohnte in einer Einrichtung dieser Sekte. Am
Morgen wurde ich zu Fischers Behausung gebracht, dann machten wir mit seiner
Sekretärin Sightseeing und gingen essen. Wir waren auch in Disneyland und Las
Vegas. Wir besuchten uns weiter gegenseitig und schrieben uns Briefe. Bobby lud
mich auch zum Rematch mit Spassky 1992 nach Jugoslawien ein.
Fischer zog nach Ungarn, nachdem die
US-Regierung versuchte, ihn wegen Verstoßes gegen internationale Sanktionen
gegen das ehemalige Jugoslawien festzusetzen. Haben Sie ihn auch dort besucht?
Watai: In Ungarn war ein paar Mal. Ich
lernte seine Freunde dort kennen und und ging mit ihm ins Kino und Einkaufen.
Wir machten ganz normale Dinge, wie andere Leute auch. Er dachte nicht immer nur
an Schach. Während seiner Zeit in Ungarn geschahen traurige Dinge. Seine Mutter
und Schwester starben, aber er konnte nicht zu ihren Beerdigungen. Als seine
Mutter in den Staaten im Krankenhaus lag, durfte er sie nicht besuchen, sondern
konnte nur mit ihr telefonieren. Sie war eine großartige Frau. Nach der
Scheidung von Fischers Vater tat sie alles, um die zwei Kinder alleine
großzuziehen. Sie arbeitete als Schreibkraft und Krankenschwester. Sie machte
sogar ein Arztdiplom in Deutschland. Wenn man überlegt, was er damals alles
machten musste, ist er schon genug gestraft, finde ich.
Ein Leben mit Fischer
Bobby Fischer beim Besuch der heißen Quellen in Oita vor ein paar
Jahren (Foto: Miyoko Watai)
Warum kam Fischer 2000 nach Japan?
Watai: Er wollte mit Seiko eine neue
Schachuhr entwickeln. Ich werde nicht verraten, wie sie aussieht. Das ist ein
Firmengeheimnis. Ein Prototyp der Uhr wird im September fertig sein. Vielleicht
geht sie später in den Verkauf. Diese Uhr könnte man auch für andere Spiele wie
Go und Shogi einsetzen.
Wie sieht ein Leben mit Fischer aus?
Watai: Über private Dinge möchte ich nicht reden
Manche meinen, dass der Versuch, legal zu
heiraten, nur unternommen wird, um Fischer aus seinem Dilemma zu helfen. Um
solchen Spekulationen entgegenzuwirken, würden Sie ein wenig beschreiben, wie
Ihre Beziehung aussieht?
Watai (nickt): Er nimmt keinerlei
Medikamente und geht nie zum Arzt. Er verabscheut künstliche Methoden. Er
bevorzugt orientalische Medizin, natürliche Wege, Krankheiten zu heilen. Er
liebt heiße Quellen, die wir in Japan und auch in Ungarn besucht haben. Er ist
sehr dickköpfig und stur und macht nur, was er will. Wenn er eine Erkältung
bekommt, bleibt er einfach zu Hause. Er mag es auch nicht, wenn Frauen
Lippenstift tragen, hochhackige Schuhe anziehen und sich ihr Haar färben. Aber
wie kann eine Frau ohne Make-up ausgehen?
Wie würden Sie Fischer als Ehemann
beschreiben?
Watai: Er ist ein sehr ehrlicher
Mensch. Einmal hat er mir erzählt, nachdem er Schachweltmeister wurde, wollten
ein paar Firmen Werbung mit ihm machen. Aber er weigerte sich, weil er nicht für
Produkte werben wollte, die er nicht mochte.
Finden Sie irgendeine seiner
Verhaltensweisen exzentrisch?
Watai: Ja. Aber ich finde, man sollte
ihn nicht nach den Maßstäben normaler Menschen beurteilen.
Was gefiel Fischer am Leben in Japan?
Watai: In Europa wurde er dauernd von
Reportern fotografiert. In Japan erkennt ihn niemand, so dass er entspannen
kann. Er hat sich hier nie mit Schachspielern getroffen. Nur meine engen Freunde
wissen von unserer Beziehung.
Und jetzt? Mag Fischer Japan immer noch?
Watai: Japan und Deutschland waren die
Länder, die er am meisten liebte. Aber jetzt mag er Japan nicht mehr, nachdem er
verhaftet wurde und so eine Tortur durchmachen musste.
Fischers Verhaftung
Am 13. Juli wollte Fischer auf die
Philippinen fliegen und dann weiter nach Hongkong. Was wollte er dort?
Watai: Er hat eine Menge Schachfreunde
auf den den Phillipinen. In Hongkong mag er das gute Essen.
Wann haben Sie von Fischers Verhaftung
erfahren? Wie haben Sie darauf reagiert?
Watai: Am Abend des 14. Juli wurde von
einem Offiziellen vom Immigrationsbüro im Narita-Flughafen angerufen, außerdem
auch von einem Freund Fischers, einem Filipino. Ich war völlig überrascht. Ich
verstand nicht, warum man ihn verhaftet hatte. Aber schon vorher hatte ich das
Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Meistens ruft er mich nämlich
an, wenn an seinem Zielort in Übersee ankommt. Aber diesmal nicht.
Ich fuhr an dem Abend sofort zum
Flughafen. Aber die Beamten sagten mir nicht, ob er in Gewahrsam war oder
nicht. Und es war mir nicht gestattet, ihn zu sehen, weil die Besuchszeiten
vorbei waren. Am nächsten Tag fuhr ich wieder hin und konnte 30 Minuten zu ihm.
Er war völlig aufgelöst, und ich wusste gar nicht, wie ich ihn trösten sollte.
Bevor das geschah, hatten Sie oder Fischer
da jemals irgendein Gefühl, dass etwas passieren würde?
Watai: Überhaupt nicht. Der Haftbefehl
gegen ihn wurde 1992 erlassen, aber ihm war nichts passiert. Außerdem hatte er
einen Pass, der noch drei Jahre gültig war. Aber wir hätten stutzig werden
sollen, als er 10 Tage warten musste, um von der US-Botschaft in Bern 24
zusätzliche Seiten in seinen Pass zu bekommen. Wir hätten einen neuen Pass
beantragen sollen. Taten nichts dergleichen. Die Tatsache, dass man ihm die 24
Seiten gewährte, hielten wir einfach für ein gutes Zeichen.
Ich vermute, dass man ihn dort hätte
verhaften können, aber die US-Regierung tat das absichtlich nicht, weil die
Schweiz neutral ist. Ich schätze, man wollte, dass er nach Japan zurückkehrt, wo
man auf alles hört, was die US-Regierung sagt. Die japanische Regierung gab
keinerlei Begründung für die Verhaftung von Bobby. Man nahm ihn einfach fest,
weil die USA es sagten.
Wie geht es ihm in der Haft?
Watai: Anfangs war er wütend. Aber
jetzt hat er sich beruhigt.
Was haben Sie ihm mitgebracht?
Watai: Ich brachte ihm Tageszeitungen.
Zeitschriften wollte er nicht. Ich brachte ihm auch Geld mit. Besucher dürfen
den Festgehaltenen kein Essen mitbringen, aber sie können die Beamten bitten,
bestimmte Nahrungsmittel für sie zu kaufen. Er wollte “Natto“– fermentierte
Sojabohnen. Das ist sein Lieblingsessen. Das isst er gern mit “Genmai“ –
gekochter braunen Reis, und dazu Miso-Suppe.
Sein Schachspiel hat er immer dabei. Ich
bin allerdings nicht sicher, ob es in seinem Koffer ist den er mit zum
Narita-Flughafen brachte, oder er es in der Zelle bei sich hat.
Zukunftsvisionen
Das Komittee “Free Bobby Fischer” und sein
Anwalt, Masako Suzuki, ergreifen zur Zeit verschiedene Maßnahmen, um Fischers
Abschiebung zu verhindern – sie klagen juristisch, ersuchen Länder, ihm einen
Pass auszustellen, versuchen, seine US-Staatsbürgerschaft zurückzugeben und bei
den Vereinten Nationen für ihn Flüchtlingsstatus zu erwirken. Außerdem haben
Watai und Fischer beschlossen, ihre eheähnliche Gemeinschaft zu legalisieren und
zu heiraten.
Dieses Interview fand am 22. August in Tokio
statt, unter der Leitung von Kaz Ozawa.
Japanische Impressionen:
Kaz Osawa ist in Kamata auf Fischers Spuren
gewandelt und hat einige Impressionen aus Tokio geschickt:
Bahnhof Kamata
Der Banhof von Kamata
Tokio Plaza, ein großes Einkaufszentrum
Fischer Lieblingsgericht "Natta"
Außerhalb des Bahnhofs gibt es einen kleinen Vorplatz, hier...
...haben Fischer und Watai häufig gesessen.
Vom Bahnhofsplatz blickt man auf eine Polizeistation. Dort nahm
man von Fischer keine Notiz.
Ein kleiner Buchshop, typisch für Tokio. Leider hat er keine
Schachbücher.
Hier hätte man sich verkleiden können...
Diese beiden Bücher von Watai sind als Anfängerbücher sehr
populär in Japan.