Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Mi 14 Jahren schon die Bundesliga
im
Visier
Ungewöhnliche Auszeichnung für einen jungen Schachspieler: Ein Hamburger
Medienhaus hat den 14-jährigen Niclas Huschenbeth zum Sporttalent des Jahres
gewählt. Mit dem Nachwuchsstar von der Elbe spricht der Autor Dr. René
Gralla.
Das Interview wurde in der
Tageszeitung "Neues Deutschland" veröffentlicht:
Dr. RENÉ GRALLA: „Talent des Jahres“ im Sport: Was hat Schach mit Sport zu
tun?
NICLAS HUSCHENBETH: Klar,
im Schach bewegt man sich nicht. Auf jeden Fall ist Schach aber ein
Denksport; während ich mir überlege, wie ich die Figuren ziehe, gehen
Vorgänge im Gehirn ab. Außerdem muss ich mich am Brett voll konzentrieren,
und das kann sehr anstrengend sein. Und in manchen Partiesituationen kann
man sicher auch richtig ins Schwitzen kommen (lacht).
Zieht sich eine Partie über fünf Stunden hin, bin ich hinterher
meist ziemlich geschlaucht.
DR. R.GRALLA: Treiben Sie dafür Ausgleichssport wie Weltmeister Wladimir
Kramnik?
HUSCHENBETH: Im
vergangenen Jahr habe ich Tischtennis gespielt, neuerdings gehe ich aber ins
Fitnessstudio. Außerdem treffe ich mich am Wochenende mit Freunden zum
Fußball.
DR. R.GRALLA: Im Rennen um den Titel „Talent des Jahres“ waren Konkurrenten
aus den Sparten Rudern, Schwimmen, Radsport und Trampolin.
HUSCHENBETH: Eigentlich
hatte ich nicht erwartet, den ersten Platz zu machen, die Entscheidung der
Jury hat mich selber überrascht. Schließlich ist Schach kein massenpopulärer
Sport.
DR. R.GRALLA: Haben die Kandidaten der so genannten "richtigen" Sportarten
während der Preisverleihung gemurrt, als verkündet worden ist, dass Sie
Hamburgs "Talent des Jahres" sind?
HUSCHENBETH: Nein.
DR. R.GRALLA: Setzt Ihre Wahl zum „Talent des Jahres“ ein Zeichen – dass
Schach als Sport tatsächlich ernst zu nehmen ist?
HUSCHENBETH: Ich will das
nicht überbewerten, aber das kann vielleicht schon eine gewisse
Signalwirkung haben.
DR. R.GRALLA: Das Image des Schachs in der Öffentlichkeit ist nicht immer
das beste. Die Spieler werden gelegentlich belächelt als Nerds, in
einer Liga mit Freaks, die ständig vor dem Computer hocken ...
HUSCHENBETH: ... das kann
ich nicht bestätigen. Und falls irgendjemand denkt, dass Schachspieler
vielleicht nicht so cool sind, na und?! Von den Typen, die sich manche
Menschen als "die"typischen
Schachspieler vorstellen, davon gibt es in Wahrheit nur wenige. Sicher, Sie
finden vielleicht einige exzentrische Leute, auch in der Weltspitze. Die
meisten Aktiven sind aber normale Menschen, die halt gerne Schach
spielen. Und die sehr vielen Jugendlichen, die Schach spielen, die sind auch
alle ganz normal.
DR. R.GRALLA: Dass Sie aktiv im Schachsport sind, deswegen werden Sie in der
Schule von Klassenkameraden niemals angemacht?
HUSCHENBETH: Im Gegenteil,
die haben mich jetzt auch beglückwünscht,nach dem ersten Platz bei der
Sportlerwahl.
DR. R.GRALLA: Bei der Jugend-WM 2006 im georgischen Batumi verfehlten Sie
nur knapp den Titelgewinn in der Altersgruppe U-14. Was ist da schief
gelaufen?
HUSCHENBETH: Das Match in
der letzten Runde war sehr spannend, leider habe ich aber einen Black-out
gehabt.
DR. R.GRALLA: Ihr aktuelles Rating?
HUSCHENBETH: ELO 2260.
DR. R.GRALLA: Sie sind damit nahe dran am Titel IM; dafür sind ja ELO 2300
erforderlich
HUSCHENBETH: Die erste
IM-Norm habe ich auch schon geschafft, aber das ist noch ein weiter Weg.
DR. R.GRALLA: Sie könnten sogar der nächste Großmeister sein, der aus
Hamburg kommt, so jedenfalls die Prognosen von Experten.
HUSCHENBETH: Na ja, da
muss ich erst einmal schauen. Ich kann das schaffen, aber das bedeutet noch
viel Arbeit.
DR. R.GRALLA: In der kommenden Saison sollen Sie für den Traditionsverein
HSK, den „Hamburger Schachklub von 1830“, in der Bundesliga starten.
HUSCHENBETH: Es sieht
recht gut aus, dass ich diese Chance bekommen werde. Zumal der HSK den
Klassenerhalt so gut wie sicher geschafft hat.
DR. R.GRALLA: Sie wären dann der jüngste Erstligaspieler in der langen
Geschichte des HSK. Entsprechend steigt der Erwartungsdruck: Belastet Sie
das?
HUSCHENBETH: Nein. Ich
freue mich schon auf die besondere Atmosphäre und die starken Gegner in der
Bundesliga.
DR. R.GRALLA: In welchem Alter haben Sie Schach gelernt?
HUSCHENBETH: Mein Vater
hat mir das beigebracht, als ich sechs Jahre alt war. In den Verein bin ich
ungefähr vier Jahre später eingetreten.
DR. R.GRALLA: Was begeistert Sie persönlich am Schach?
HUSCHENBETH: Es gibt
unendlich viele neue Stellungen, auf die man immer wieder andere Taktiken
anwenden kann. Es ist einfach unglaublich, was sich auf diese Weise ergeben
kann. Diese Vielgestaltigkeit, die finde ich faszinierend.
DR. R.GRALLA: Hochleistungsschach ist zeitintensiv. Wie lange trainieren Sie
pro Tag?
HUSCHENBETH: Nach der
Schule mache ich natürlich zuerst meine Hausaufgaben. Dann ist Schach dran,
am Abend mindestens 30 Minuten, das ist das Minimum.
DR. R.GRALLA: Klingt ziemlich überschaubar ...
HUSCHENBETH: ... aber wenn
ich das konsequent durchziehe, bringt das auch etwas.
DR. R.GRALLA: Peilen Sie eine Karriere als Schachprofi an?
HUSCHENBETH: Eher nicht.
Mit Schach kann man – abgesehen von den Topleuten - kein richtiges Geld
verdienen.
DR. R.GRALLA: Weltmeister Kramnik hat 500 000 Dollar Antrittsgeld kassiert
für sein Duell mit dem Supercomputer „Deep Fritz“ im Spätherbst 2006 …
HUSCHENBETH: … Kramnik ist
eben auch die absolute Weltspitze. Und ich weiß nicht, ob ich jemals so gut
werden kann.
DR. R.GRALLA: Ihr Vorbild im Schach?
HUSCHENBETH: Vishy Anand,
den finde ich sympathisch. Außerdem ist er immer mal wieder für schnelle
Siege gut, und das gefällt mir.
DR. R.GRALLA: Schacholympia 2008 in Dresden rückt näher. Ihre Pläne dafür?
HUSCHENBETH: Ich würde
schon gerne daran teilnehmen, es gibt ja auch ein Jugendolympiateam,
allerdings bin ich da noch nicht drin. Aber ich wäre der nächste Anwärter.
DR. R.GRALLA: Sie könnten also vielleicht über die Reserveliste
reinrutschen?
HUSCHENBETH: Ich könnte
das schaffen, ich muss eben einen Sprung machen, mit meinen Leistungen.
DR. R.GRALLA: Schach ist Ihre erste Leidenschaft. Gleichzeitig sind Sie Fan
des HSV – und das ist momentan kein Spaß.
HUSCHENBETH: Eigentlich
hatte ich erwartet, dass sich der HSV gegenüber der vorigen Saison steigern
würde. Und dann dieser Einbruch: Ich verstehe das nicht.
DR. R.GRALLA: Glauben Sie, dass der HSV in der Bundesligarückrunde das Ruder
herumreißen und sich vor dem Abstieg retten kann?
HUSCHENBETH: Ich denke
schon. Obwohl meine Zweifel wachsen.