Interview mit Peter Leko

von ChessBase
23.09.2004 – In früheren WM-Kämpfen kam es häufig auch zum Psychokrieg der Wettkampfgegner. Das war 1972 so, als Fischer und Spasski als Vertreter verschiedener politischer Systeme in Reykjavik den kalten Krieg am Brett fortsetzten. 1978 lieferte sich der linientreue Anatoly Karpov in Baguio gegen den Dissidenten Viktor Kortschnoj ebenfalls eine Nervenschlacht und die Kämpfe zwischen Karpov und Kasparov wurden von letzterem, der sich als Vertreter der neuen Perestroika-Generation sah, ebenfalls politisch ausgedeutet. Bei der Weltmeisterschaft, die am Samstag im Centro Dannemann in Brissago beginnt, ist dies jedoch nicht zu erwarten: "Ich will mit sauberen Mitteln gewinnen," sagt Peter Leko. Rainer Grünberg führte ein Interview mit dem Herausforderer, das kommendes Wochenende im Hamburger Abendblatt erscheinen wird, und das als Videoversion bereits in Extra 101 erschien. Hamburger Abendblatt...Interview mit Peter Leko...

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Das folgende Interview erscheint am 25.September im Hamburger Abendblatt. Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Hamburger Abendblattes.
 


PETER LEKO (25) war mit 14 Jahren der damals jüngste Schach-Großmeister der Welt. Vom heutigen Sonnabend fordert der Ungar, momentan Nummer fünf der Weltrangliste, den russischen Weltmeister Wladimir Kramnik (29; Nr. 3) um den WM-Titel heraus. Das Match um eine Million Schweizer Franken (rund 670 000 Euro/bitte überprüfen) ist bis zum 18. Oktober auf 14 Partien angesetzt und wird im Centro Dannemann in Brissago (Schweiz) gespielt. Bei einem Unentschieden behält Kramnik die Krone. Leko, ein exzellenter Positionsspieler und Verteidiger, wuchs mit dem Schachcomputer auf, gilt als Asket und Marathonmann unter den Großmeistern. Leko ist seit vier Jahren verheiratet mit Sofy, der Tochter seines Trainers Arschak Petrosjan. Deutschland war lange Zeit Lekos schachliche und persönliche Heimat. Der Dortmunder Carsten Hensel managt ihn wie auch Kramnik. Die Partien können im Internet live über www.worldchesschampionship.com verfolgt werden.

SCHACH-WM Der Ungar Peter Leko über sein Duell mit Weltmeister Wladimir Kramnik, Bobby Fischer und seine Leidenschaft für Fußball.

ABENDBLATT: Herr Leko, es gibt derzeit zwei Schachspieler, die sich Weltmeister nennen, und einen wie Garri Kasparow, der sich als bester Spieler der Welt bezeichnet. Wer ist denn nun der wahre König des Schachs?

PETER LEKO: Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Mein Gegner Wladimir Kramnik hat Kasparow in einem Match geschlagen, ohne eine Partie zu verlieren. Also sollte er der stärkste Spieler sein.

ABENDBLATT: Die schachinteressierte Öffentlichkeit erwartet klarere Antworten.
LEKO: Ich bin dafür, die beiden WM-Titel zu vereinigen. Mein Match gegen Kramnik ist der erste Schritt auf diesem Weg, die andere Seite (der offizielle Weltverband FIDE, die Red.) muss dann den nächsten Zug machen.

ABENDBLATT: Glauben Sie, dass Kasparow bei diesem Prozess mitspielt? Er hat vor elf Jahren die Spaltung der Schachwelt aus finanziellem Eigeninteresse vollzogen und will jetzt die Wiedervereinigung, weil er keine andere Chance sieht, seinen Weltmeistertitel zurückzuerobern.
LEKO: Kasparow ist schwer zu durchschauen. Aber er ist immer ein hoch interessanter Gegner  auf dem Schachbrett.


ABENDBLATT: Können Sie sein Verhalten verstehen?

LEKO: Ich fällt mir schon nicht leicht, seine Schachzüge zu verstehen. Grundsätzlich meine ich, Schachspieler sollten ihre Auseinandersetzungen am Brett führen und nicht auf anderen Schauplätzen.

ABENDBLATT: Zuletzt aber endeten die Duelle der Spitzenspieler meistens unentschieden. Droht dem Schachspiel der Remistod, der ihm ja seit hundert Jahren vorausgesagt wird?
LEKO: Wenn beide Seiten keinen Fehler machen, und das kann auf höchstem Niveau passieren, ist ein Remis das logische Ergebnis. Das gilt auch für andere Sportarten, nicht umsonst werden Fußballspiele manchmal als Rasenschach bezeichnet. Das sind jedoch oft taktisch und technisch hochklassige Spiele.

ABENDBLATT: Ein bisschen mehr Risiko wünschten sich Zuschauer und Internetbesucher schon.
LEKO: Mein Match gegen Kramnik steht seit gut einem Jahr fest. Es ist die bisher größte Herausforderung für mich. Da verschieße ich mein Pulver nicht vorher. Trotzdem war ich auf den vergangenen großen Turnieren der Spieler, der die meisten Partien gewonnen hat. Das Problem sind die Eröffnungen: Viele Varianten scheinen ausgereizt. Neuerungen spart man sich für die großen Momente auf.

ABENDBLATT: Für ein WM-Match.
LEKO: Ich verspreche ein heißes Match, da wird Aufregendes passieren. Beide Seiten haben sich mit ihren Sekundanten monatelang intensiv auf dieses Duell vorbereitet. Dabei sollten neue Ideen herausgekommen sein.

ABENDBLATT: Ist das Reservoir an neuen Möglichkeiten im Schach nicht allmählich ausgereizt?
LEKO: Es scheint mir unerschöpflich. Je härter man arbeitet, je mehr Zeit man investiert, desto mehr neue interessante Möglichkeiten findet man auch. Man darf nur nicht faul sein.

ABENDBLATT: Wie viel Zeit brauchen Sie im Vergleich zu früher, als die Schachcomputer noch nicht so stark waren, um eine neue Variante zu entwickeln?
LEKO: Das hat sich wenig geändert. Manchmal hat man einen Geistesblitz, ein anderes Mal muss man zwei Wochen mit seinen Sekundanten hart arbeiten, um etwas Brauchbares zu finden.

ABENDBLATT: Wie wichtig sind die Computer bei Ihrer Vorbereitung?
LEKO: Im kreativen Bereich sind Sie nur bedingt eine Hilfe  da ist der menschliche Geist noch unerreicht , bei der technischen Überprüfung einer Idee sind sie heute unerlässlich, weil sie bei begrenzten Zugfolgen fehlerlos spielen. Man darf aber nicht den Fehler machen und auf die Vorschläge des Computers warten, man sollte selbst nachdenken. Das hilft für die Partie.

ABENDBLATT: Wäre ein Computer für Sie ein härterer Gegner als Kramnik?
LEKO: Ein anderer, einer ohne Emotionen. Das wäre kein sportliches Duell, sondern ein wissenschaftliches Experiment.

ABENDBLATT: Und: Wer gewinnt?

LEKO: Mit einer gezielten Vorbereitung sind die Computer noch zu bezwingen, en passant wird es extrem schwierig.

ABENDBLATT: Die Spiele Mensch gegen Maschine haben in den vergangenen Jahren dem Schach zu neuer Popularität verholfen. Interessiert sich auch jemand für Kramnik gegen Leko?
LEKO: Wir sind beides junge Spieler und haben noch nicht die Bekanntheit eines Kasparows, Karpows oder Fischer. In Ungarn wird unser Match in allen größeren Städten öffentlich auf Leinwänden gezeigt. Und im Internet werden mehrere Millionen regelmäßig unsere Spiele verfolgen.

ABENDBLATT: Fischer, Kasparow und Karpow waren charismatische Weltmeister in Zeiten der Ost-West-Konflikte, die sich auch für politische Ziele einspannen ließen. Was symbolisieren Kramnik und Leko?
LEKO: Wir sind zwei sehr starke Schach-Großmeister.


ABENDBLATT: Das ist zu wenig.

LEKO: Sie werden von mir keine abfälligen Bemerkungen über Wladimir hören, nur damit ich das Interesse an dem Match anheize. Das ist nicht mein Stil. Warum respektieren Sie nicht, das zwei Weltklassespieler Schach auf höchstem Niveau spielen wollen. Das ist doch berichtenswert.

ABENDBLATT: Für die Fachpresse. Die übrigen Medien möchten schon ein wenig Spektakel sehen.
LEKO: Sorry. Schach auf höchstem Niveau ist spektakulär. Warum erklären Sie Ihren Lesern nicht die Faszination des Schachs.

ABENDBLATT: Für eine breite Masse ist das Spiel zu schwierig. Sie interessieren sich allenfalls für schräge Charaktere.
LEKO: Sie machen es sich zu einfach. Mit Verlaub, wir sind beides Ausnahmekönner auf unserem Gebiet. Wir sind abseits des Brettes jedoch völlig normale Menschen, und ich sehe auch keinen Grund, das zu ändern.

ABENDBLATT: Nette Menschen werden keine Weltmeister. Bobby Fischer wollte das Ego seines Gegners zerbrechen. Was wollen Sie?
LEKO: Mit sauberen Mittel gewinnen. Dazu bin ich fähig.


ABENDBLATT: Besitzen Sie die nötige Aggressivität für einen Zweikampf um diesen hohen Einsatz?

LEKO: Das kann ich erst nach dem Match beantworten. Ich denke seit Monaten nur an diesen Wettkampf  meine Frau Sofia hat das akzeptiert und unterstützt mich dabei , und ich glaube an den Sieg. Sollte ich es nicht schaffen, bricht für mich keine Welt zusammen. Ich bin jung genug, es weiter zu versuchen.

ABENDBLATT: Ist Kramnik Ihr Freund?
LEKO: Er ist ein Konkurrent. Wir respektieren uns.

ABENDBLATT: Sie haben den Amerikaner Bobby Fischer kennen gelernt, als er auf seiner Flucht vor den US-Behörden in Ungarn untergetaucht war. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?
LEKO: Das war 1998/99. Es ist eine sehr enge Freundschaft entstanden, deshalb will ich keine Einzelheiten preisgeben. Nur so viel: Sein absoluter Siegeswille hat mich stark beeindruckt und auch mein Spiel in den Jahren danach stark beeinflusst.

ABENDBLATT: Haben Sie später noch Kontakt mit ihm gehabt?
LEKO: Nein.

ABENDBLATT: Sie gelten als der körperlich fitteste Schachspieler. Könnte das in einem engen Match ausschlaggebend werden?
LEKO: Spitzenschach bedeutet eine extreme mentale Anstrengung über vier bis sechs Stunden. Um das drei oder vier Wochen lang auszuhalten, braucht man eine sehr gute Kondition. Die habe ich. Jeden Tag treibe ich ein bis zwei Stunden Sport. Für viele Großmeister-Kollegen ist das eine Last, für mich reine Lust. Ich spiele zwei Mal in der Woche Tennis oder Squash und so oft es irgendwie geht Fußball. Das ist meine große Leidenschaft.

ABENDBLATT: Hat der ungarische Fußball-Nationaltrainer Lothar Matthäus bereits bei Ihnen angerufen?
LEKO: Als ich zwölf Jahre alt war, hatte ich eine sehr schwere Entscheidung zu treffen: Will ich irgendwann Fußball- oder Schachprofi werden. Ich galt in Ungarn als großes Fußballtalent.

ABENDBLATT: Warum haben Sie sich für Schach entschieden?
LEKO: Weil es ein Einzelsport ist. Alles hängt von mir ab und nicht von meinen Mitspielern. Als ich zwölf war, habe ich gespürt, dass ich mit den besten Spielern der Welt mithalten kann. Ich habe für mich eine klare Perspektive gesehen, beim Schach ganz nach oben zu kommen.

ABENDBLATT: Würden Sie nicht lieber in einem Stadion laut von Zehntausenden bejubelt werden als im Internet stille Anerkennung zu erfahren?
LEKO: Ich war oft bei Heimspielen von Borussia Dortmund im Westfalenstadion. Das ist eine sensationelle Atmosphäre. Ein Sieg im Schach verschafft mir aber auch ohne lautstarken Jubel tiefe Befriedigung.

ABENDBLATT: Wie gehen Sie mit Niederlagen um?
LEKO: Wichtig ist die Balance zu halten. Die Emotionen dürfen weder nach der einen noch der anderen Seite ausschlagen, sonst verliert man die Objektivität am Brett. Nach einer Niederlage brenne ich jedoch die ganze Nacht auf die nächste Partie. Und oft ist mir dann am nächsten Tag auch ein Sieg gelungen.

ABENDBLATT: Wagen Sie eine Prognose: Wie geht ihr Match gegen Kramnik aus? LEKO: Es wird eine ganz enge Angelegenheit. Die Entscheidung fällt in der letzten Partie  für mich. 

Interview: RAINER GRÜNBERG

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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