Interview mit Peter Leko

von ChessBase
24.08.2006 – Die ungarische Stadt Miscolc ist die drittgrößte und hat mit Sandor Kali einen Schach begeisterten Bürgermeister. Im letzten Jahr präsentierte sich die Stadt als Gastgeber des Wettkampfes zwischen Peter Leko und Michael Adams. Nachdem Leko schon 0:3 hinten lag, konnte der ungarische Spitzenspieler in einer tollen Aufholjagd den Wettkampf noch ausgleichen und das Publikum begeistern. Gegner seiner nächsten Wettkampfes, der kommenden Mittwoch beginnt (30.8 bis 3.9) , ist Anatoly Karpov. Im Interview mit Dagobert Kohlmeyer räumt Leko ein, dass Karpov für ihn bisher ein sehr schwieriger Gegner war. Presseerklärung zum Wettkampf Leko-Karpov (engl.)... Turnierseite...Interview mit Peter Leko...

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"Mit Karpow erwartet mich ein wahrer Figurenkünstler“
Interview mit Peter Leko

Von Dagobert Kohlmeyer

Miskolc, die drittgrößte Stadt von Ungarn, will eine Schachtradition begründen. Nachdem der stärkste Großmeister des Landes, Peter Leko, sich dort im vorigen Jahr mit dem Engländer Michael Adams duellierte, trägt er vom 30. August bis zum 3. September 2006 erneut ein 8-Partien-Match aus. Diesmal gegen einen noch berühmteren Gegner: den 12. Weltmeister der Schachgeschichte, Anatoli Karpow. Der Berliner Schachreporter Dagobert Kohlmeyer sprach mit Peter Leko über das kuriose Match des Vorjahres und den bevorstehenden Wettkampf.

Peter, du hast schon etliche Schachduelle ausgetragen. Wie ordnest du Miskolc 2006 in diese Reihe ein?

Es wird wieder sehr interessant. Die Leute in Miskolc tun wirklich alles, um einen sehr guten Wettkampf zu organisieren. Schon letztes Jahr gegen Michael Adams kamen jeden Tag 800 Zuschauer ins dortige Theater. Die Begeisterung in der Stadt für Schach ist groß. Die Organisatoren sind sehr nett und gestalten auch ein sehr gutes Rahmenprogramm für die Gäste.

Der Bürgermeister soll ein großer Schachanhänger sein.

So ist es. Sandor Kali hat die Idee gehabt, die ganze Veranstaltung in dieser Art durchzuführen und ich denke, es wird eine lange Tradition werden.

Das Match 2005 gegen Mickey Adams nahm ja einen sehr ungewöhnlichen Verlauf. Du hast voriges Jahr einen 0:3-Rückstand noch wettgemacht. Was ist da eigentlich passiert?

Ich hatte in meinem Schachleben schon einige verrückte Kämpfe, aber das war der komischste überhaupt. Wir spielten ein Match, wie ich es noch nie erlebt habe.

Welche Gefühle bewegten dich, als du hoffnungslos zurück lagst?

Ich muss schon sagen, mir war alles andere als komisch zumute. Weil es ein Kampf vor eigenem Publikum war. In der ersten Partie kam ich mit Schwarz sehr gut aus der Eröffnung und habe versucht, etwas zu tun. In der Zeitnotphase opferte ich eine Figur, anstatt einen ruhigen Remiszug zu machen. Ich wollte für die Galerie spielen, was sich als kapitaler Fehler erwies. Das Spiel eskalierte, und Mickey hat in Zeitnot auch gepatzt, so dass ich die Züge erneut wiederholen konnte, um Remis zu machen. Wir waren schon in der Blitzphase mit ein paar Sekunden Zeitbonus für jeden Zug. Da bin ich doch tatsächlich in ein einzügiges Matt gelaufen!

Wie groß war der Schock?

Natürlich sehr groß. Ich war sauer. Schon 15 Minuten später mussten wir das zweite Spiel austragen. Ich wollte 1.d4 ziehen, war aber wegen der ersten Partie noch total durcheinander und habe am Anfang die Züge verwechselt. Weil ich zu schnell spielte und mir die Eröffnung auch nicht so geläufig war. Mama mia, ich wollte eigentlich einen ganz anderen Zug machen.

Adams hat seine Chance cool genutzt.

Ich bin in seine Vorbereitung gelaufen und verlor in 20 Zügen ohne jeden Widerstand. Danach fühlte ich mich so was von schlecht, weil das einheimische Publikum ja etwas anderes erwartet hatte. Verstehst du, sie wollten, dass du dein Bestes zeigst. Und plötzlich lag ich 0:2 zurück. Deshalb spielte ich die dritte Partie voll auf Risiko.

Hast du die Stellung überzogen?

Nein, eigentlich nicht. Ich spielte einfach eine sehr riskante Variante und bluffte dabei etwas. Mickey hat gesagt „Come on“, sich darauf eingelassen, und er hat mich geschlagen. Der Engländer ist eben ein guter Konterspieler. Beim Stande von 0:3 sagte ich zu mir: „O lala, wirst du hier vor den eigenen Leuten keine einzige Partie gewinnen? Was für ein Drama!“

Aber du hast es geschafft und bist zurückgekommen!

Ja, doch es war unglaublich schwer. Mein Glück war, dass ich die dritte Partie etwas schneller verloren hatte und mir darum eine halbe Stunde Zeit blieb, mich auf den nächsten Fight zu konzentrieren. Ich machte mit meinem Schwiegervater Arschak Petrosjan einen längeren Spaziergang und kam einigermaßen gesammelt ans Brett. Ich musste mich doch zusammenreißen. So spielte ich 1.e4, und es wurde eine hervorragende Partie
.

Wie reagierten die Zuschauer im Saal?

Nachdem ich gewonnen hatte, passierte etwas Unglaubliches. Das Publikum im Theater von Miskolc hat ganz lange und sehr laut getobt, als sei ich gerade Weltmeister geworden. Das hat sehr viele Kräfte in mir freigesetzt.

Aber noch war der Rückstand groß genug und nicht aufgeholt?

Wir haben die Partie dann für die Medien kommentiert, und Mickey hat wohl gespürt, was für eine wichtige Rolle sie gespielt hat. Am nächsten Tag konnte ich mit Schwarz ein sehr langes Spiel gewinnen, und danach war es für Adams ganz schwer, die nächste Partie zu spielen. Er ist zusammengebrochen, und auf einmal stand es 3:3.

Das ganze Hin und Her hat sicher an der Substanz gezehrt?

In der Tat. Ich fühlte, dass ich alle Kräfte gegeben hatte, um ins Match zurückzukehren und war ganz schön platt. Am letzten Tag spielten wir dann sehr vorsichtig, weil keiner den Wettkampf verlieren wollte. Nach zwei Remis endete unsere Schlacht 4:4.

Was hat dir in der kritischen Phase die Kraft gegeben, weiter zu spielen?

Ich dachte zum Beispiel an das vorjährige Champions League Finale zwischen Mailand und Liverpool. Die Italiener lagen zur Halbzeit 3:0 vorn, und dann haben die Engländer den Spieß noch umgedreht. Ich sagte mir - natürlich mehr im Spaß - wenn Liverpool es geschafft hat, ist vielleicht auch für dich noch etwas möglich.

Kommen wir zum diesjährigen Match in Miskolc. Was ist das für eine Empfindung, gegen eine Schachlegende wie Anatoli Karpow zu spielen?

Seit vielen Jahren habe ich großen Respekt vor Karpow. Als ich noch ein „Schachwunderkind“ war, befand sich der 12. Weltmeister gerade auf seinem Höhepunkt. Ich habe seine Resultate immer bewundert und bestaunt. 1994, als ich mit 14 Jahren jüngster Großmeister der Welt wurde, hat Anatoli in Linares dieses sensationelle Turnierergebnis erzielt. Ich konnte dann auch gegen ihn antreten, als er noch unglaublich stark war.

Nun bist du aber besser geworden, und Karpow ist nicht mehr der Jüngste.

Okay, er ist älter geworden und in der Eröffnung vielleicht nicht mehr so fit. Aber das macht er durch sein riesiges Schachverständnis wett. Das Duell in Miskolc wird sicher ganz interessant, zumal Karpow vorher noch ein Schnellturnier mit Kasparow, Kortschnoi und Judit Polgar in Zürich spielt, also etwas Spielpraxis hat und gut vorbereitet nach Ungarn kommen wird.

Was bewunderst du besonders an dem mehrfachen Weltmeister aus Russland?

Karpow ist ein wahrer Spieler. Auch in seiner besten Zeit hatte er nicht in erster Linie das Bedürfnis, zu Hause alles vorzubereiten. Er bemühte sich stets darum, am Brett eine spielbare Stellung zu bekommen und dann hat er – gegen fast alle  – sein Spiel durchgezogen. Anatolis Gefühl für Harmonie auf dem Brett und die richtige Koordination der Figuren ist einmalig, und das hat er auch nicht verloren. Ist er erst einmal aus der Eröffnung heraus, wird es für jeden sehr gefährlich.

Wie ist dein Score gegen Anatoli Karpow?

Alles andere als gut. Wir hatten etliche Remispartien dabei. Eine sehr schmerzhafte Niederlage fügte er mir beim Turnier 2002 in Cannes zu. Ich habe damals mit Schwarz die ganze Partie über gedrückt, aber plötzlich in Gewinnstellung eine Figur eingebüßt. Nur einmal konnte ich gegen Karpow gewinnen, das war im Schnellschach in Monaco. Unser Match in Miskolc wird sicher ein harter Kampf.

Wer gewinnt das WM-Duell in Elista: Wladimir Kramnik oder Weselin Topalow?

Gute Frage. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, weil ich mich nur auf meine Wettkämpfe konzentriere. Natürlich bin ich als Schachspieler froh, dass dieses Duell stattfindet und dass wir die Möglichkeit bekommen, ein spannendes und gutes Match zu sehen.

Kasparow hat jetzt in Zürich auch wieder die Figuren bewegt. Freut dich das?

Er hat ja nie ausgeschlossen, dass er eines Tages zurückkommt. Zumindest für Schnellschach-Events. Daran ist nichts Sensationelles. Es ist immer interessant, seine Partien anzuschauen oder gegen ihn zu spielen.

 

 

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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