Ein Interview mit Pia Cramling
Liebe Pia, am 23. April hast Du Deinen 55. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch! Das ist unglaublich – Du siehst so viel jünger, wie eine Spielerin der jungen Generation. Macht Schach jünger?
Ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich so jung aussehe, aber ich fühle mich gut. Und ich weiß nicht, ob Schach einen jünger macht oder jung hält. Tatsächlich kann Schach schlecht fürs Herz sein, aber wenn man den Stress und die Anspannung einer Partie aushält, auch wenn man älter wird, und man noch genug Kraft und Energie zum Spielen hat, dann glaube ich, es ist gut, wenn man seinen Geist intensiv arbeiten lässt.
Wann und wie hast Du mit dem Schach angefangen, und wann hast Du angefangen, Turniere zu spielen?
Ich war zehn, als ich zusammen mit meinem Bruder in den Schachklub „Passanten“ gegangen bin, der in dem Stadtteil von Stockholm, in dem meine Familie lebte, gerade seine Pforten geöffnet hatte. Damals wusste ich nicht einmal, wie die Figuren ziehen. Aber ich habe das Schach vom ersten Tag an geliebt und im Klub habe ich dann die Regeln gelernt.
Am Anfang habe ich nur Klubturniere gespielt, aber mit zwölf habe ich dann auch andere Turniere gespielt und auch ein paar kleine Turniere gewonnen. Mit 13 wurde ich Schülermeisterin meiner Altersklasse. Ich startete als Außenseiterin ins Turnier, und als mir der Siegerpreis überreicht wurde, eine Schachuhr, da wusste ich, was ich im Leben machen wollte.
1978, da warst Du 15 Jahre alt, hast Du bei der Schacholympiade in Buenos Aires das erste Mal in der schwedischen Frauennationalmannschaft gespielt. Eine steile Karriere. Wie bist Du in so relativ kurzer Zeit so gut geworden – hast Du alleine gearbeitet, hattest Du Trainer, die Dir geholfen haben, oder hast Du mit anderen Spielern trainiert?
Ich habe vor allem viel gespielt. Ich habe gespielt, wann immer ich konnte, und war Mitglied in drei Schachvereinen. Ich habe immer gegen Jungs gespielt, in Schweden war und ist das so. Mein Bruder hat mich mit Ideen und Inspiration unterstützt. Ich habe versucht, so zu arbeiten, wie er es getan hat, aber er hatte mehr Ausdauer, er konnte den ganzen Tag mit einem Schachbuch im Garten sitzen. Ab und zu habe ich auch mit jemandem namens Gunnar Johansson trainiert. Er gab mir Material, das ich bearbeiten konnte, aber das war kein regelmäßiges Training. Er begleitete mich auch als Sekundant zu ein paar Turnieren im Ausland.
Hast Du Vorbilder oder Spieler, die Dich beeinflusst haben?
Mein älterer Bruder Dan war mein großes Vorbild. Wenn er etwas tat, wollte ich es auch machen. Zum Beispiel Fußball spielen. Ich war sogar einmal in einer Fußballmannschaft. Als ich mit dem Schach angefangen habe und stärker wurde, habe ich versucht, seinem Vorbild zu folgen. Ich habe seine Eröffnungen gespielt und wir sind zu vielen Turnieren gefahren. Manchmal war er dabei mein Sekundant. Aber lange Zeit war er viel stärker als ich. Doch bei einem Turnier in Gausdal 1983 konnte ich gegen ihn gewinnen. Ich erinnere mich an diese Partie, weil es so ein schönes Gefühl war, gegen ihn zu gewinnen. Das war nicht die erste Partie, die ich gegen meinen Bruder gewonnen habe, aber in dieser Partie hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass er nicht mehr stärker ist als ich. Irgendjemand meinte nach der Partie – allerdings mit einem Lächeln – dass es wohl nichts Schlimmeres gibt, als gegen seine kleine Schwester zu verlieren.
Ein anderes Vorbild für mich war Viktor Kortchnoi. Ich hatte ein Buch über seinen Wettkampf gegen Spassky im Halbfinale der Kandidatenwettkämpfe 1977 gelesen, und danach fing ich an, Französisch zu spielen. Kortchnoi war ein Kämpfer, das bewunderte ich.
Ein paar Jahre später konnte ich beim Lloyds Bank Turnier 1982 gegen ihn spielen. Wir haben auf der Bühne an einem der Spitzenbretter gespielt. Das war einer meiner schönsten Momente. Damals war Kortchnoi die Nummer zwei in der Welt. Während der Analyse nach der Partie stand eine große Traube um unserer Brett, darunter viele bekannte Spieler. Ich fühlte mich wie im Traum.
Aber am meisten beeinflusst hat mich Juan (Bellon), mein Mann. Wir leben seit 1988 zusammen. Juan ist Großmeister und hat mich davon überzeugt, von 1.e4 zu 1.d4 zu wechseln und hat viele meiner Eröffnungen vorbereitet. Mit seiner Hilfe ist mein Spiel in der Eröffnung viel besser geworden. Er ist ein sehr kreativer Spieler mit vielen faszinierenden Ideen. Ein paar davon haben sich auch in meine Partien geschlichen.
Vor 30 Jahren warst Du eine der wenigen Frauenspielerinnen, die regelmäßig in offenen und geschlossenen Turnieren gespielt hat. Was war das für ein Gefühl, in diesen Turnieren zu spielen – fühltest Du Dich wie ein Alien in einer Welt voller männlicher Schachspieler?
In gewisser Weise war es ganz natürlich für mich, in Turnieren zu spielen, in denen ich die einzige Frau war. Das war ich gewohnt, damit bin ich aufgewachsen. Aber natürlich fehlten mir Frauen in den Turnieren, die ich gespielt habe. Ohne Juan hätte ich das nicht so lange durchgehalten. Wir sind meistens zusammen zu Turnieren gefahren, und damals war Spanien ein phantastisches Land für Schachprofis. Wäre ich alleine gewesen, hätte ich schon lange vorher aufgehört. Ohne Juan hätte ich irgendetwas Anderes gemacht und Schach wäre zum Hobby geworden – wie bei den meisten schwedischen Spielern.
Pia Cramling | Foto: Bill Hook
Manchmal habe ich in Frauenturnieren gespielt, aber nicht oft. Ich bin immer gerne als Underdog gestartet, aber wenn ich früher in Frauenturnieren gespielt habe, war ich meistens klare Favoritin. Und so waren Druck und Anspannung für mich größer, wenn ich gegen Frauen gespielt habe. Aber das änderte sich, als unsere Tochter Anna zur Welt kam. Während der Schwangerschaft traten Probleme auf und ich konnte zehn Monate kein Schach spielen. Eine längere Pause vom Schach hatte ich mein ganzes Leben lang nicht, weder vorher noch nachher. Aber ich wollte unbedingt wieder spielen, und habe das auch gemacht, als Anna drei Monate alt war.
Im Jahr nach Annas Geburt habe ich das erste Mal an der Frauen-Europameisterschaft teilgenommen. Juan war mein Sekundant. Ich kannte die Namen von vielen meiner Gegnerinnen, aber nicht ihre Gesichter. Ich habe einfach nicht oft in Frauenturnieren gespielt und bei dieser Europameisterschaft gingen viele junge Spielerinnen an den Start.
Ich landete zusammen mit Victoria Cmilyte auf Platz eins und gewann den anschließenden Stichkampf gegen sie. Ich war überwältigt. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich bei einer Frauenmeisterschaft gut gespielt. Von da an habe ich öfter in Frauenturnieren gespielt und gemerkt, dass sie mir viel Spaß bringen.
Schon als Teenager warst Du eine gefährliche Gegnerin, selbst für starke Großmeister. Wie haben sie reagiert, wenn sie überraschend gegen ein junges Mädchen verloren oder Remis gespielt haben? Haben sie sich unwohl gefühlt, wenn sie gegen Dich spielen mussten?
Ein paar sicher, aber ich konnte das verstehen. Schließlich habe ich selber lange Zeit nicht gerne gegen Frauen gespielt. Damals war es einfach ungewöhnlich, dass Frauen in offenen Turnieren spielen, und die wenigen Frauen, die es in solchen Turnieren gab, haben nur selten vorne mitgespielt.
Erinnerst Du Dich an besonders schöne oder weniger schöne Erlebnisse?
Einmal habe ich gegen jemanden gespielt, der nominell stärker war als ich, aber dennoch gewonnen, und nach der Partie fegte er die Figuren vom Brett. Ich freute mich über meinen Sieg und war deshalb vor allem überrascht. Damals waren wir beide noch Jugendliche und viele, viele Jahre später hat er sich entschuldigt. Ich wusste das zu schätzen – es war eine nette Geste.
Schöne Erinnerungen habe ich hingegen an eine Partie gegen Mihail Tal, die wir 1990 bei einem Rundenturnier in Tel Aviv gespielt haben. Wir spielten am 8. März und als ich ans Brett kam, lag Schokolade auf meiner Seite des Tisches. Tal hatte nicht vergessen, dass der 8. März Internationaler Frauentag ist.
Wann hast Du beschlossen, Schachprofi zu werden?
Ende 1987. Ich habe damals ein Jahr Pause vom Schach gemacht, um in Malmö zu studieren, und in den letzten drei Monaten des Studiums musste man ein Praktikum machen. Ich arbeitete in einem Unternehmen, das U-Boote baute, und war dort vollkommen fehl am Platze. Diese drei Monate waren mit die schwersten meines Lebens. Aber sie hatten auch etwas Gutes, denn ich musste mich entscheiden, was ich mit meinem Leben machen will. Und nach dieser Erfahrung hatte ich gar keinen Zweifel mehr daran, dass ich Schach spielen wollte. Im Februar 1988 habe ich so viel wie möglich in einen Koffer gestopft und bin nach Alicante in Spanien gezogen. Seitdem bin ich mit Juan unterwegs und spiele Schach.
Bei Deiner ersten Olympiade hast Du in der schwedischen Frauennationalmannschaft gespielt, aber später hast Du auch im Männerteam gespielt. Wann hast Du Deine erste Olympiade im Open gespielt? Und wie oft warst Du insgesamt bei Olympiaden dabei – im Open und im Frauenteam?
Tatsächlich liegt meine erste Olympiade schon vierzig Jahre zurück. Das war 1978 in Buenos Aires. Insgesamt habe ich an zwölf Olympiaden teilgenommen: 1978, 1982, 1984 und 1988 im Frauen-Team, 1990, 1992, 1996 und 2000 im Open. 2004, 2008, 2014 und 2016 war ich dann wieder im Frauen-Team.
Welche Schacholympiade war die schönste für Dich und welche war die schlimmste?
Die schönste war die letzte, in Baku. Seit unsere Tochter Anna auf der Welt ist, haben wir sie immer mit zu Olympiaden genommen. Aber in Baku brauchten wir das nicht mehr, denn sie spielte schon so stark, dass sie im Frauen-Team dabei war. Damals war sie 14 und damit die jüngste schwedische Nationalspielerin aller Zeiten. Sie hat sich unglaublich gefreut und den Rekord als jüngste Nationalspielerin, den Siv Bengtsson und ich gehalten haben, gebrochen. Ich war sehr stolz, aber auch nervös – ich schaue nicht gerne zu, wenn sie spielt. Die Mannschaft hat ein sehr gutes Ergebnis erzielt und wir haben wundervolle Tage miteinander verbracht. Dass wir drei – Anna und ich als Spielerinnen, Juan als Kapitän – gemeinsam bei einer Olympiade angetreten sind, war phantastisch, und an dieses wunderbare Erlebnis werde ich mich immer erinnern.
Juan Bellon, Anna Cramling, Pia Cramling | Foto: Schwedischer Schachbund
Die für mich schlimmste Olympiade war Istanbul 2000. Das war das letzte Mal, dass ich im Open gespielt habe. Ich war in Istanbul nicht glücklich und mein Ergebnis war nicht gut. Das war das einzige Mal, dass ich gespielt habe und Juan nicht dabei war.
Viele Spieler, Profis und Amateure, erinnern Schacholympiaden, bei denen sie dabei waren, als ganz besondere Turniere – welche Olympia-Momente hast Du erlebt?
Ich habe in zwölf Olympiaden gespielt und die meisten davon genossen, entsprechend viel besondere Momente gibt es. Dinge, die wir gemeinsam mit der Mannschaft erlebt haben, Leute, die ich getroffen habe, Ergebnisse, und natürlich die Partien.
Allein die Tatsache, dass ich 1978 zur Olympiade fahren durfte, war phantastisch. Siv Bengtsson und ich waren Freundinnen und damals zwei 15-jährige junge Mädchen. Siv war stärker als ich und ich spielte Ersatz. Ich habe in der ersten Runde beim Kampf gegen Polen verloren, aber danach habe ich gut gepunktet und hatte am Ende 11 Punkte aus 13 Partien erzielt. Das brachte mir die Silbermedaille für das beste Ergebnis am Reservebrett ein. Wir haben das B-Finale gewonnen und sind am Ende auf dem neunten Platz gelandet. Ich habe vage Erinnerungen daran, dass es damals schon die Bermuda-Party gab, allerdings war sie noch klein.
In Luzern 1982 wurden wir Siebter, was, wenn ich mich richtig erinnere, das beste Ergebnis ist, dass die schwedische Frauenmannschaft je erzielt hat – und dabei haben wir gegen alle Spitzenmannschaften gespielt. Leider habe ich in der letzten Runde verloren. Ein Sieg von mir hätte uns Platz fünf gebracht. In der letzten Runde habe ich gegen Nava Schterenberg aus Kanada gespielt, und sie hat sogar ihren Flug sausen lassen, weil sie unbedingt gegen mich spielen wollte. Zum Glück haben die beiden restlichen Spielerinnen unserer Mannschaft, Borislava Borisova und Margareta Aatolainen, ihre Partien gewonnen – damit hatten wir auch das Match gewonnen.
Pia Cramling 1984 | Foto: Gerhard Hund
Während der Olympiade lud mich Alois Nagler, der berühmte Schweizer Turnierdirektor, zum Jubiläumsturnier der Zürcher Schachgesellschaft ein, die 1984 ihren 175. Geburtstag feierte. Das war ein sehr starkes Turnier. 24 Spieler gingen an den Start, Nummer eins der Setzliste war Viktor Kortchnoi. In Zürich habe ich Juan kennengelernt und mein Leben nahm eine überraschende Wendung.
Die Olympiade 1988 in Thessaloniki war dramatisch, schachlich gesehen, aber auch sonst. Schweden wurde nur 24., aber ich war beim Kampf um Platz eins indirekt beteiligt, denn in der letzten Runde mussten wir gegen die ungarische Mannschaft spielen, die mit Zsuzsa Polga, Judit Polgar und Idliko Madl antrat. Ungarn hatte bereits gegen alle Spitzenmannschaften gespielt und kamen gegen uns zu einem 2-1 Sieg. Das reichte knapp zum Gewinn der Goldmedaille, am Ende lagen sie einen halben Brettpunkt vor der Sowjetunion.
1990 war die erste Olympiade, bei der ich im Open antrat. Am ersten Tag mussten wir gegen Polen spielen. Es herrschte Chaos, wie das in der ersten Runde ja manchmal so ist. 15 Minuten vor Partiebeginn kam ich an mein Brett und sah, dass ich gegen GM Wlodzimierz Schmidt spielen musste – ich hatte mich auf Robert Kuczynski vorbereitet. Aber das Wedberg-System, das ich vorbereitet hatte, wollte ich gegen Schmidt nicht spielen.
Nach einer kurzen Beratung mit Juan fällten wir den Entschluss, dass ich Königsindisch mit ...Sa6 spielen sollte, eine Variante, die wir uns angeguckt hatten, aber die ich noch nie gespielt habe. Die Partie war umkämpft, aber am Ende gewann ich und das Team gewann ebenfalls. Wow, was für ein Start!
Ich erzielte bei dieser Olympiade ein gutes Ergebnis, aber war nach meiner Niederlage gegen Bulgarien in der vorletzten Runde sehr geknickt. Mir tat es für die Mannschaft Leid, und war auch enttäuscht, dass ich selbst mit einem Sieg in der letzten Runde keine GM-Norm mehr machen konnte. Aber der nächste Tag brachte eine gewisse Entschädigung für die Niederlage gegen Bulgarien. Wir spielten gegen die DDR, und ich glaube, dies war der letzte Wettkampf der DDR bei einer Olympiade – ein historischer Moment. Wir haben 3-1 gewonnen und Schweden landete am Ende auf dem elften Platz, ein gutes Ergebnis.
1996 erzielte ich mein bestes Ergebnis im Open. Anfangs hatte ich mir Sorgen gemacht, denn ich sollte an Brett zwei hinter Ulf Andersson spielen. Bei den Olympiaden in Novi Sad und in Manila hatte ich noch an Brett vier gespielt. Aber das Turnier lief gut für uns und wir wurden Elfter.
2004 spielte ich dann wieder im Frauen-Team, und da die Olympiade auf Mallorca gespielt wurde, und ich damals in Costa del Sol gelebt habe, war das fast so etwas wie ein Heimspiel. Für Juan, der in seiner Jugend lange Zeit in Palma gelebt hatte, war es definitiv ein Heimspiel.
Anna kam mit uns, es war die erste Olympiade, bei der sie dabei war, sie war damals zwei. Ich musste einen Kindergarten finden, der sie tagsüber betreute, aber ich hatte Glück und das hat gut funktioniert.
Die schwedische Frauenmannschaft hat sehr gut gespielt – wir haben nur zwei Wettkämpfe verloren, gegen die Ukraine und gegen Georgien – und landeten am Ende auf dem 15. Platz.
Die Olympiade in Dresden 2008 war auch schön. Wir haben nur wenige Gehminuten vom Spielsaal entfernt übernachtet, und Anna kam jeden Tag mit uns in den Spielsaal. Anfangs ließ Elizabeta Polihroniade Anna am Schiedsrichterpult sitzen. Anna saß da und malte. Bald half uns Rosa Durao, die Frau der portugiesischen Schachlegende Joaquim Durao. Rosa kümmerte sich um Anna, während wir spielten.
2014 ist eine der Olympiaden, die mir am besten gefallen haben. Magnus hat Norwegen zu einem leidenschaftlichen Schachland gemacht. In meiner Jugend habe ich dort sehr oft gespielt, und so nah an meiner Heimat Schweden war noch keine Olympiade. Wir haben ganz in der Nähe des Spielsaals übernachtet und ich mochte Tromsö. Unser Ergebnis entsprach in etwa der Elo-Erwartung, aber ich habe mich sehr gefreut, dass Ellior Frisk, ein junges Talent, eine Medaille gewinnen konnte. Ich habe ebenfalls eine Medaille gewonnen, das erste Mal seit 1988!
Früher habe ich mit Siv Bengtsson und Svetlana Agrest im gleichen Olympiateam gespielt, später habe ich dann im gleichen Team wie ihre Töchter, Jessica Bengtsson und Inna Agrest, gespielt.
In Baku 2016 habe ich dann schließlich im gleichen Team wie meine Tochter Anna gespielt. 40 Jahre sind eine lange Zeit.
Foto: Lars. O. Hedlund
Du bist Olympia-Veteranin. Aber jetzt kursieren Gerüchte, dass Du bei der nächsten Olympiade, in Batumi 2018, nicht für Schweden spielen willst. Stimmt das, und wenn ja, warum willst Du nicht spielen?
Ja, das stimmt. Ich werde nicht nach Batumi fahren. Ich habe mich dafür entschieden, zu Hause zu bleiben. Zu Beginn des Jahres konnte man auf der Homepage des Schwedischen Schachverbands lesen, dass Evgenij Agrest bei der Olympiade beide Mannschaften betreuen würde. Ich sagte dem Manager Anders Wengholm, der die Mannschaften auswählt und entscheidet, wer spielt, dass ich nicht spielen würde, wenn die Frauenmannschaft nicht einen eigenen Kapitän bekommt. Die Organisatoren laden jedes Land ein, zwei Trainer mitzubringen, und es macht keinen Sinn, nur mit einem Trainer anzureisen. Ich wollte, dass Juan Kapitän der Damen wird. In allen vier Olympiaden, die ich seit 2004 für die schwedische Frauenmannschaft gespielt habe, war er der Kapitän. Bei der Olympiade in Turin 2006, bei der ich nicht gespielt habe, war er ebenfalls Kapitän. Und mit ihm als Kapitän hat die Mannschaft gute Ergebnisse erzielt.
Foto: Schwedischer Schachbund
Es dauerte sehr lange, bis der Manager mich wieder kontaktierte. Er meinte, mein Wunsch, Juan zum Trainer des Frauen-Teams zu machen, käme nicht in Frage. Er erzählte mir, dass er Trainer des Frauenteams sein würde, und dass der andere Trainer vor allem mit den Männern arbeiten würde. Er machte klar, dass sie die beiden einzigen Trainer für die Mannschaften sein würden. Vorschläge für eine andere Lösung gab es nicht. Die Kommunikation zwischen dem Manager und mir lief nicht gut, es gab überhaupt kein Verständnis zwischen uns. Ich begriff, dass ich die Olympiade unter diesen Umständen nicht mitspielen konnte.
Der oft erwähnte Juan ist der spanische Großmeister Juan Manuel Bellon und Anna (Cramling Bellon) ist eure Tochter. Sie scheint das Schachtalent von ihren Eltern geerbt zu haben, und scheint auf einem guten Weg zu sein, selber eine starke Spielerin zu werden – sie ist Frauen-FIDE-Master, und bei der letzten Olympiade hat sie für die schwedische Nationalmannschaft gespielt. Aber ist Schach ein guter Sport für junge Mädchen? Und hilft Schach jungen Leuten wirklich dabei, klüger zu werden?
Ich sage immer, dass Schach für jeden gut ist, das Spiel ist einfach phantastisch. Aber natürlich muss man es auch gerne spielen. Und Schach ist ein phantastischer Sport für Jugendliche, egal, ob Junge oder Mädchen. Anna war noch sehr jung, als sie gelernt hat, wie die Figuren ziehen. Schon als sie noch ein Baby war, ist sie mit uns zu fast allen Turnieren gefahren. Eines Abends, während der Mannschaftseuropameisterschaft 2005 in Göteborg, wo sie mich täglich beim Spielen beobachten konnte, zeigte mir Anna, wie man richtig rochiert. Als sie noch jung war, habe ich gegen sie immer rochiert, indem ich Ke2, Te1, Kf1-g1 gespielt habe. Jetzt meinte sie: „Nein, nein, so nicht, so geht das“, und hat rochiert.
Anna ist die Schule immer leicht gefallen und sie hat gute Noten bekommen, obwohl sie oft gefehlt hat, weil sie auf Schachturnieren war. Ich bin überzeugt, dass Schach ihr in mehr als einer Hinsicht geholfen hat. Und in jungen Jahren zu reisen und Leute aus aller Welt kennenzulernen, ist vielleicht die beste Schule, die es gibt.
Spielt Deine Tochter bei der Schacholympiade in Batumi?
Nein, sie spielt ebenfalls nicht. Anna wollte sehr gerne zur Olympiade fahren, wenn das mit der Schule zu vereinbaren gewesen wäre. Aber als klar wurde, dass ich nicht fahren würde, meinte sie, sie würde nicht ohne mich fahren.
Wenn man die Schachwelt von heute, die Art und Weise, wie man heute trainiert, mit der Schachwelt zu Beginn Deiner Karriere vergleicht – was sind die größten Unterschiede, vor allem für Spielerinnen? Wie siehst Du die Rolle des Computers im modernen Schach? Und wie oft und wie intensiv arbeitest Du mit Computern?
Die Schachwelt hat sich sehr verändert. Heutzutage gibt es so viele Turniere und Meisterschaften. Das ist schön, denn man kann immer etwas finden, das einem gefällt. Schweden fährt manchmal mit fünf oder sechs Mannschaften zur Weltmeisterschaft oder zur Europameisterschaft der Senioren. Das ist sehr gesellig.
Und es gibt sehr viel mehr Frauenturniere als in meiner Jugend. Ich habe in Frauenligen in China, Frankreich, Deutschland, Montenegro und in Rumänien gespielt, außerdem auch im Europapokal für Vereinsmannschaften – in meiner Jugend war das unvorstellbar. Die Preise sind deutlich höher und es gibt Blitz- und Schnellturniere, die nur ein paar Tage dauern, was Frauen entgegen kommt – denn wenn sie Familie hat, ist es für eine Frau schwerer, lange von Zuhause wegzubleiben. Ich weiß noch, wie die Kandidatenturniere früher ausgesehen haben, zum Beispiel in Groningen 1997. Elf Spielerinnen haben daran teilgenommen und das Turnier ging über drei Wochen. Die Siegerin, Alisa Galliamova, hatte das Recht, gegen die amtierende Weltmeisterin um den Titel zu spielen, aber der Preisfonds war insgesamt zu klein und das Turnier dauerte zu lange.
Ich liebe die Frauen-Weltmeisterschaft im K.o.-Format, das ist eins meiner Lieblingsturniere. Ich liebe Knock-out Wettkämpfe. Sie sind voller Spannung und Aufregung – für Spieler und Zuschauer. Und wenn es nicht läuft, dann muss ich nicht bis zum Ende des Turniers dableiben.
Offene Turniere sind heutzutage ebenfalls attraktiver für Frauen. Das Open in Gibraltar, wo es immer gute Preise für Frauen gibt, hat es vorgemacht, und auch andere offene Turniere unterstützen die Spielerinnen. Mir gefällt die Idee, Frauen zu ermutigen, in den gleichen Turnieren wie Männer anzutreten.
In manchen Ländern gibt es die Regel, dass bei Mannschaftswettbewerben auf nationaler Ebene mindestens ein Brett von einer Frau besetzt sein muss. Ich halte das für eine sehr gute Regel, die dafür sorgt, dass die Leistung der Spielerinnen wichtig ist.
Aber obwohl es viele Veränderungen gegeben hat, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Frauen, die vom Schach leben wollen, haben es nicht leicht. Man muss zu den Besten der Welt gehören oder von Verband oder Verein ausreichend unterstützt werden.
Natürlich haben die Computer und das Internet die Schachwelt enorm verändert, aber die meisten Spieler arbeiten jetzt sehr viel lieber an ihrem Schach. Ganz zu schweigen von den jungen Spielern, die mit Computern groß geworden sind. Als es noch keine Datenbanken gab, haben wir immer eine Menge Bücher und Notizen zu Turnieren mitgenommen. Ein schwedischer Großmeister hatte sogar immer einen Koffer voller Informatoren dabei. Was beim Reisen nicht sehr praktisch ist.
Ich musste mich ebenfalls umstellen und benutze den Computer jetzt bei meiner täglichen Schacharbeit. Aber es ist besser für mich, wenn ich ein reales Schachbrett neben dem Computer habe, und nicht immer nur mit dem Brett auf dem Bildschirm arbeiten muss.
Dein Mann kommt aus Spanien und ihr habt lange in Spanien gelebt. Vor kurzem seit ihr jedoch nach Schweden gezogen. Warum?
Ich wusste immer, dass ich eines Tages nach Schweden zurückkommen wollte. Nun ist es früher dazu gekommen als erwartet. Ich hatte Heimweh und Spanien litt gerade unter einer Wirtschaftskrise. Die sich auch auf das Schach ausgewirkt hat: Turniere wurden abgesagt, Vereine aufgelöst. Wir hatten kurz zuvor unsere Wohnung verkauft, und der Zeitpunkt für einen Umzug war gut. Ich habe meine Familie gefragt und sie waren einverstanden.
Und wie gefällt Deinem spanischen Mann das Wetter in Schweden?
Nicht besonders (aber da ist er nicht allein!) Er ist gerne zuhause, da ist es immer warm und gemütlich, auch bei Außentemperaturen von Minus 15 Grad. Er vermisst die Sonne, das gute Essen, den Wein und natürlich auch die Freunde, die er in Spanien hat. Aber Juan ist sehr anpassungsfähig und auch hier glücklich.
Wir wussten natürlich, dass es für Anna am schwersten wäre, aus Spanien wegzuziehen, denn dort ist sie geboren. Aber ich glaube, mittlerweile sind wir alle mit unserer veränderten Situation zufrieden.
Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Willst Du Schachprofi bleiben und viele Turniere spielen oder wirst Du eines Tages eine Schachschule gründen und/oder als Schachlehrerin arbeiten?
Pia Cramling, Autogramm | Foto: Pinterest
Schach ist eine große Leidenschaft von mir und ich verbringe viel Zeit damit. Solange es mir Spaß macht und ich die Energie dazu habe, werde ich weiter spielen.
Juan unterrichtet, und man spürt, dass ihm das gefällt. Ich gebe auch manchmal Unterricht, aber ich bin weder eine leidenschaftliche Lehrerin noch eine leidenschaftliche Kommentatorin. Wenn ich nicht selber spiele, fehlt etwas.
Bei der Schnellschach-Fraueneuropameisterschaft im März habe ich gegen Nona Gaprindashvili gespielt. Das letzte Mal haben wir vor zwanzig Jahren gegeneinander gespielt. Sie ist zwanzig Jahre älter als ich und zur Abwechslung habe ich mich einmal jung gefühlt. Nona ist eine lebende Legende. Ich würde mich freuen, wenn sie weiter aktiv spielt. Es gibt nur sehr wenige Frauen, die in den 60ern oder noch früher geboren sind, die nicht aufgehört haben. Nona hat immer noch ihren Kampfgeist und ihre Liebe zum Spiel. Unsere Partie war die letzte Partie der Runde. Hinterher analysierten wir das Turmendspiel, zu dem es in der Partie gekommen war. Nona wollte nicht aufhören und beendete die Analyse erst, als die nächste Runde angekündigt wurde. Ich hoffe, ich kann ihrem Beispiel folgen und noch viele Jahre spielen.
Verfolgst Du die Fußball-WM? Schweden ist in der gleichen Vorgruppe wie Deutschland. Was glaubst Du, wie es ausgeht?
Ich schaue mir die Spiele gerne mit Freunden oder meiner Familie an, aber wenn ich allein bin, mache ich lieber etwas anderes. Bei der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2012 lag Schweden gegen Deutschland zur Halbzeit mit 0-4 hinten, aber am Ende gelang den Schweden noch ein 4-4 Unentschieden. Alles kann passieren. Ich drücke den Schweden die Daumen, aber ich glaube, Mexiko und Deutschland sind Favoriten, eine Runde weiter zu kommen.
Vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellten André Schulz und Johannes Fischer.