Ruslan Ponomarjow ist Dortmunds neuer Schachkönig
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Der Sieger
Die internationalen Schachtage 2010 sind Geschichte. Spieler, Schiedsrichter,
Journalisten und Schachfans haben am Montag wieder die Heimreise angetreten.
Im Gedächtnis bleibt ein besonderer Jahrgang, weil diesmal neben den Dauergästen
Kramnik, Leko und Naiditsch drei Großmeister eingeladen wurden, die dem Turnier
ihren Stempel aufdrückten. Die Organisatoren haben damit ein glückliches Händchen
bewiesen und sollten diesen Weg künftig weiter gehen. Besonders zwei Speiler
setzten bei diesen Schachtagen die Akzente. Einer kam aus dem Schachland Ukraine,
der andere aus dem fernen Vietnam.
Der neue Schachkönig von Dortmund heißt Ruslan Ponomarjow. Ein Remis in der
Schlussrunde gegen Le Quang Liem reichte dem Ukrainer, um das Sparkassen Chess-Meeting
mit 6,5 Punkten souverän zu gewinnen. Es war der erste Start des 26-jährigen
Exweltmeisters im Revier. Ponomarjow, der bereits mit 18 Jahren FIDE-Champion
war, erzielte im Turnierverlauf die meisten Siege, darunter auch einen gegen
den Favoriten Wladimir Kramnik (Russland). "Ich bin sehr glücklich über meinen
Erfolg. Ein Rundenturnier dieser Güte habe ich in meiner Karriere noch nicht
gewonnen", sagte der strahlende Sieger nach dem letzten Zug (siehe Interview).
Zweiter wurde, ebenfalls überraschend, Le Quang Liem. Der 19-jährige Großmeister
erreichte 5,5 Punkte und verwies prominente Gegnerschaft auf die nächsten Plätze.
Im letzten Spiel gegen Ponomarjow konnte der Aeroflot-Sieger mit Schwarz, zwischenzeitlich
besser stehend, vielleicht sogar gewinnen.
Dann hätte er den Ukrainer abgefangen und die bessere Feinwertung gehabt. Aber
der sympathische Großmeister aus Ho-Chi-Minh-Stadt hat ganz sicher die Zukunft
für sich.
Le Quang Liem mit seiner Mutter
Wladimir Kramnik beendete das Turnier diesmal auf dem 3. Platz. Und das auch
nur dank besserer Feinwertung, ganz knapp vor Mamedjarow. Der erfolgsverwöhnte
Russe konnte in seinem Revier diesmal nicht in den Kampf um den Gesamtsieg eingreifen.
Zwar gewann er zuletzt gegen Mamedjarow, hatte aber tags zuvor als Schwarzer
gegen Arkadij Naiditsch mit einem Figurenopfer zu viel riskiert und alles verloren.
Die letzte Runde: Kramnik gegen Mamedyarov
Kramnik und Open-Sieger Tigran Nalbandian
Der Dortmunder Großmeister wurde am Ende Fünfter, er verwies den außer Form
spielenden Ungarn Peter Leko, der ihn in der Schlussrunde nach sechs Stunden
niedergerungen hatte, auf den letzten Platz.
Zur Siegerehrung waren dann aber alle Strapazen und jeglicher Ärger vergessen.
Veranstaltungsleiter Gerd Kolbe wertete das Turnier als Erfolg, Dortmund habe
seinen Ruf als Treffpunkt der Schachelite bestätigt. Hilfreich für die gestiegen
Attraktivität des Chess-Meetings war ganz sicher die Einführung der Sofia-Regel,
die an jedem Spieltag zu kämpferischen Partien führte.
Die Besucherzahlen des Vorjahres im Schauspielhaus sind nicht ganz erreicht
wurden. "Petrus hatte wohl vergessen, dass auch Schachfans bei so hohen Temperaturen
über erfrischende Alternativen nachdenken", hieß es bei den Veranstaltern. Eine
Steigerung hingegen gab es bei der Übertragung im Internet. Allein auf der Veranstalter-Homepage
verfolgten täglich 15 000 Interessenten auf allen Kontinenten die Partien der
Großmeister.
Die internationalen Schachtage gibt es seit 1973. Das jetzige Turnier war einem
der Gründerväter, Siegfried Zill, gewidmet. Der heute 73-jährige Dortmunder
arbeitet seit langem die Geschichte des Schachs in der Stadt für die Nachwelt
auf.
Schachhistoriker Siegfried Zill
1875 wurde in Dortmund der erste Schachverein gegründet. 1887 gab es hier die
erste Westfälische Meisterschaft. Das erste Schachturnier von internationalem
Rang fand 1928 im Hotel Kölnischer Hof statt. Es siegte der Deutsche Fritz Sämisch.
1980 wurde Garri Kasparow in Dortmund Jugendweltmeister. Zwölf Jahre später
kehrte er als großer Schachkönig zurück und gewann das legendäre 20. Chess-Meeting
in der Westfalenhalle.
Die Schätze des fleißigen Schachsammlers Zill haben einen Ehrenplatz im Stadtarchiv.
Plakate, Turnierbulletins, seltene Fotos oder Schachzeitungen aus früheren Epochen,
alles wird sorgfältig katalogisiert und für spätere Generationen aufgehoben.
Carmen Voicu, Helmut Kohls
Gäste in Dortmund: Der deutsche Großmeister Jan Gustafsson (links)
und Mathematikprofessor und Schachautor Dr. Christian Hesse
"Noch nie habe ich so ein starkes Turnier gewonnen"
Interview mit Ruslan Ponomarjow
Gleich bei seiner Premiere in Dortmund hat Ruslan Ponomarjow das Sparkassen
Chess-Meeting gewonnen. Der 26-jährige Ukrainer dominierte das Geschehen vom
Beginn bis zum Ende. Dagobert Kohlmeyer sprach nach dem letzten Zug mit dem
Sieger.
Herzlichen Glückwunsch, Ruslan! Wie fühlen Sie sich?
Ponomarjow: Ich bin jetzt ziemlich müde, aber sehr glücklich. Noch nie habe
ich ein Rundenturnier dieser Stärke allein gewonnen. Der Wettbewerb war sehr
schwer, ich musste wirklich alles geben.
Wann hatten Sie zuletzt einen ähnlichen Erfolg?
Das liegt recht lange zurück. Im Jahre 2006 beim Tal Memorial in Moskau, es
war auch ein Kategorie-20-Turnier, teilte ich den 1.-3. Platz mit Peter Leko
und Levon Aronjan. Hier in Dortmund aber war ich alleiniger Sieger mit deutlichem
Abstand.
Hatten Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Nein, auf keinen Fall. Dafür war die Konkurrenz zu stark. Kramnik, Leko, Mamedjarow,
alle besitzen sie eine Riesenerfahrung. Zudem hatte ich nur etwa zehn Tage Zeit
zur Vorbereitung, weil ich vorher noch ein Turnier in Rumänien spielte. Das
ist sehr wenig.
Wo und wie haben Sie sich präpariert?
Mit meinem Sekundanten Zahar Efimenko war ich an einem schönen Ort in Spanien.
Er liegt in der Nähe von Bilbao. Dort lässt es sich gut arbeiten. Es wehte immer
ein frischer Wind, so dass uns die Hitze nicht so viel ausmachte wie später
in Dortmund. Zur Abwechslung haben wir in Bilbao auch ein Konzert der deutschen
Rockgruppe Rammstein besucht. Die Musik hat uns sehr gefallen.
Wie wichtig ist ein Trainer bei so einem Super-Schachturnier?
Er hat enorme Bedeutung. Zahar ist ein starker Großmeister, wie arbeiten schon
länger zusammen. Er hat mich in Dortmund maximal unterstützt. Wenn er im August
in der Ukraine ein Match gegen Arkadij Naiditsch spielt, werde ich mich revanchieren
und sein Trainer sein.
Welches war Ihre schönste und welches Ihre schwerste Partie in Dortmund?
Am besten hat mir mein Sieg gegen Wladimir Kramnik gefallen. Zwischen uns steht
es jetzt 3:3 im klassischen Schach. Schwer fielen mir alle Schwarz-Partien.
Das schwierigste Spiel war wohl das Remis mit Schwarz gegen Peter Leko.
Im Herbst findet die Schacholympiade in Sibirien statt.
Nehmen Sie teil?
Ja, klar. Die Ukraine ist eine starke Schachnation. Wir haben viele gute Spieler
und wollen dort um eine Medaille kämpfen. 2004 waren schon einmal Olympiasieger.
Bei uns hat jetzt die Verbandsführung gewechselt. Der neue Präsident Viktor
Kapustin ist sehr engagiert. Er hat alle Schulden der ukrainischen Schachföderation
an die FIDE bezahlt. Sicher wird er auch ein offenes Ohr für die finanziellen
Vorstellungen unseres Teams haben.
Am Rande des Turniers der Nationen gibt es die Wahl zum FIDE-Präsidenten.
Wen favorisieren Sie?
Meine Unterstützung hat Anatoli Karpow. Ich schätze den russischen Exweltmeister
als Schachspieler sehr und habe auch schon mit ihm trainiert. Von ihm konnte
ich eine Menge lernen. Was die Schachpolitik angeht, so ist es meiner Meinung
nach Zeit, dass die alte Führung des Weltverbandes FIDE nach 15 Jahren endlich
abgelöst wird.
Bei seinem Besuch in Dortmund lobte Karpow Ihr Spiel und sprach von einer
zweiten Geburt Ponomarjows.
Tatsächlich? Das macht mich ganz verlegen.
Haben Sie noch mehr schachliche Vorbilder als ihn?
Von allen bisherigen Weltmeistern kann man etwas lernen, ob sie nun Lasker,
Aljechin oder Fischer heißen. Die Kasparow-Reihe "Meine großen Vorgänger" habe
ich natürlich aufmerksam studiert.
Welches ist Ihre Lieblingsfigur?
Eine spezielle habe ich nicht. Ich möchte keine Figur auf dem Brett herausheben.
Oder meinen Sie die Figur einer Frau?
(lacht). Es gibt nichts Schöneres
als eine gut gewachsene Frau.
Ist Musik eine gute Einstimmung auf Schach?
Ich denke schon. Im Dortmunder Schauspielhaus erklang vor jeder Runde "Also
sprach Zarathustra" von Richard Strauß. Das hat mich in die richtige Kampfeslust
versetzt.
Ein Talisman soll ihnen in Dortmund auch geholfen haben…
Ja, ja. Beim Frühstück im Hotel hat mir eine Serviererin immer grünen Tee eingegossen.
Das brachte mir Glück. Als sie ihren freien Tag hatte, verlor ich meine einzige
Partie. Es war aber letztlich nicht entscheidend für den Ausgang des Turniers.
Was tun Sie heute Abend?
Mit meinem Sekundanten Zahar Efimenko ordentlich feiern.
Kommen Sie nächstes Jahr wieder zum Chess-Meeting?
Sehr gern. Ich möchte doch meinen Titel verteidigen.