Interview mit Rustam Kasimdzhanov

von André Schulz
07.12.2018 – Im Hintergrund der Spieler, die um die Weltmeisterschaft spielen, stehen deren Helfer, die Sekundanten. Ihre Arbeit bleibt meist unsichtbar. Rustam Kasimdzhanov war Sekundant von Fabiano Caruana und schildert im Interview seine Eindrücke. | Fotos: Nikolai Dunaevsky (Agon)

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Wie lief der Wettkampf aus deiner Sicht?

Ich bin enttäuscht. Wir hatten gute Chancen, ihn in der Mitte zu gewinnen, in der sechsten oder in der achten Partie. Wir hätten ihn allerdings auch am Anfang oder am Schluss verlieren können. 

In der 8. Partie geht es vor allem um die Stelle, wo Caruana h3 zog statt Dh5? 

 

Ja genau. Fabiano stand sehr gut, aber während der Partie hat er nicht gemerkt, wie gut er wirklich steht. Die schwarze Stellung mit den vorgeschobenen Bauern ist total löchrig und Schwarz hat nichts dafür. Dann spielte Fabiano an der entscheidenden Stelle 24. h3, ohne langes Nachdenken. Allerdings gab es kurz vorher eine Störung, man konnte das im Video der Liveübertragung sehen. Da war irgendein Geräusch, eine Radiostimme oder so etwas. Beide Spieler schauen plötzlich hoch. Vielleicht hat ihn das abgelenkt. Statt über seine Möglichkeiten nachzudenken und zu rechnen, zieht er dann plötzlich h3. Das ist so ein Zug, wie man ihn macht, wenn man auf Toilette muss. Man ist nicht voll konzentriert und zieht dann einfach schnell einen nahe liegenden Zug.

In der 6. Partie gab es auch einen verpassten Gewinn, aber der Zug war im Endspiel schwer zu sehen...

 

Mit 68...Lh4 (statt 68...Sf3) konnte Schwarz gewinnen.

Ja, stimmt. Vielleicht war der Zug schwer zu sehen. Aber es war nicht unmöglich. Man muss allerdings auch daran glauben, dass man dieses Endspiel gewinnen kann. Auch wenn es objektiv remis ist, kann man ja ein paar Tricks versuchen. Auch Carlsen ist ja nicht unfehlbar. Er hat ja zuvor schon einen Fehler gemacht, sonst hätte sich ja die Gewinnmöglichkeit nicht ergeben. Während der Partie dachte ich mir schon, dass es remis ist. Aber Fabiano hatte genug Zeit, man hätte noch weiterspielen können. Nachdem er mit dem König in die Mitte gezogen hatte, was nichts brachte, hätte er ja vielleicht wieder zurückgehen können, um einen neuen Gewinnversuch zu starten. Er hatte aber offenbar schon die Hoffnung aufgegeben, die Partie noch gewinnen zu können.

Mit Weiß hat Caruana erst Rossolimo probiert und ist dann zum offenen Sizilianer gewechselt. Wie kam es zu dieser Idee?

Chirila, Kasimdzhanov, Caruana

Fabiano spielt eigentlich immer Rossolimo, aber das hat hier gar nicht funktioniert. In der 1. Partie hatten wir wirklich Glück. Die anderen Partien brachten auch keinen echten Vorteil. Magnus Carlsen war hier sehr gut vorbereitet. Wir sind dann auf die Variante mit 7. Sd5 gekommen. Das hat in der Weltspitze ja bisher kaum noch jemand wirklich probiert, es gab da mal den Kandidatenkampf Yudasin gegen Kramnik, aber das ist lange her, da wurde in den Partien noch viel mehr Fehler gemacht. Fabiano musste dann aber für das Match die ganzen Varianten neu lernen. Man denkt vielleicht, dass ist für so einen starken Spieler einfach, aber so einfach ist es dann auch nicht. Hinzu kommt, dass er mit der ganzen Struktur keine Erfahrung hat. Dann spielt sich das nicht wie von selbst. Trotzdem: Carlsen wandelte einige Male am Abgrund und Fabiano bekam aussichtsreiche, wenn auch zweischneidige Stellungen. Vielleicht wäre es noch besser gelaufen, wenn Fabiano in der zehnten Partie nicht die Vorbereitung vergessen hätte.

Hat er...?

Fabiano Caruana

Ja, das kann natürlich auch mal passieren. Man bereitet viel vor, es gibt viel zu lernen. Und dann werden in einer Variante die Züge vertauscht, verwechselt oder auch mal schlichtweg vergessen. Das ist schon jedem passiert.

Habt ihr mit der Sveshnikov-Variante gerechnet?

Ja sicher, auch. Aber es konnte ja so viel kommen, auf das wir uns vorbereiten mussten.

Kannst du dir erklären, warum Carlsen mit Weiß so schlecht vorbereitet schien?

Er war nicht schlecht vorbereitet. Er war so vorbereitet, wie Carlsen immer vorbereitet ist. Eröffnungen sind bei ihm nicht so wichtig. Vielleicht hat etwas nicht funktioniert. Er hat 1.d4 probiert, dann gab es eine Überraschung im Damengambit und dann noch eine, dann hat er es gelassen.

In der ersten Damengambit-Partie war eine Variante im Gespräch, in der Schwarz auf b4 eine Figur opfert und es dann sehr scharf und gefährlich wird. War das real?

 

Das war real.

Und warum hat es für Carlsen in den anderen Weiß-Partien nicht funktioniert?

Ich weiß es nicht. Vielleicht war Magnus auch generell einem Stichkampf nicht abgeneigt, wollte sicher und ohne Risiko spielen, weil er auf seine Schnellschachfähigkeiten vetraute. Gegen Karjakin hat er es ja irgendwann auch auf den Stichkampf angelegt und ihn dann ja auch souverän gewonnen.

Während des Wettkampfes wurde - wohl versehentlich - ein Video von eurer Vorbereitung veröffentlicht, in dem man auf einem Bildschirm Varianten sehen konnte, mit denen sich Fabiano Caruana beschäftigt hat. Hat das sehr gestört?

Nicht besonders.

Wie lange hat die Vorbereitung gedauert?

Seit dem Kandidatenturnier sind wir sind ständig gereist, waren auf Turnieren oder in Trainingscamps. Manchmal trainierten wir an abgeschiedenen Orten. Wir haben in Hampton in der Nähe von New York zusammen gearbeitet und dann waren wir eine Zeit lang auf der Farm von Rex Sinquefied. Das ist mitten im Wald. Ich war seit dem Kandidatenturnier vielleicht sieben Tage zu Hause.

Weiß man, wer bei Carlsen noch Sekundant war, außer Peter Heine Nielsen?

Laurent Fressinet, soweit ich weiß, und ich habe gehört, Daniil Dubov. Mehr weiß ich nicht.

Eure Sekundanten waren alle bekannt...

Ja, außer mir noch Ioan-Cristian Chirila, der mit in London war. Alejandro Ramirez und Leinier Dominguez waren in den USA.

Die regulären Partien liefen auf Augenhöhe, doch im Stichkampf ist Fabiano Caruana untergegangen. Was war da los?

Er hatte einfach einen schlechten Tag. Ich hatte während des Wettkampfes nicht den Eindruck, dass wir den Stichkampf auf jeden Fall verlieren werden. Die Bilanz von Fabiano gegen Magnus im Schnellschach war ja vorher auch ausgeglichen. Aber an dem Tag lief es einfach nicht. 

Magnus Carlsen

Es gab Gerüchte und Andeutungen, dass Carlsen bei einer Niederlage vielleicht zurücktreten würde. Weißt du etwas darüber?

Ich habe das auch gehört. Seine Familie weiß das besser. Seine Schwester Ellen hat solche Andeutungen gemacht. Vielleicht hat Carlsen über solche Dinge nachgedacht, für den Fall, dass er verliert.

Er ist ja noch viel zu jung für einen Rücktritt...

Ja, das stimmt. Aber ich ich glaube, er verliert nicht gerne.

Ist die Enttäuschung bei dir jetzt immer noch groß?

Ja. Einige kamen zu mir und haben gratuliert für die gute Arbeit. Ich weiß nicht, warum. Unsere Arbeit als Sekundanten bleibt ja unsichtbar. Ich war ja schon einige Male Sekundant, auch bei WM-Kämpfen. Es klingt jetzt vielleicht etwas angeberisch, aber bisher habe ich als Sekundant bei WM-Matches immer gewonnen. Das Gefühl der Niederlage ist neu für mich.

Wie ist es bei Caruana?

Wir hatten nach dem Stichkampf gar keine richtige Gelegenheit zu sprechen. Wir sind dann nach der Siegerehrung zum Abendessen gegangen, die Eltern waren da. Dann wurde schon bald über die Rückreisemodalitäten gesprochen, die Familie Caruana nach New York, ich nach Hause. Es gab irgendwie keinen richtigen Abschluss. Natürlich müssen wir noch einmal reden.

Geht die Zusammenarbeit weiter?

Ja, ich bin jetzt auf dem Sprung, wieder nach London. Dort beginnt in ein paar Tagen das Finale der Grand Chess Tour.

Und wird es noch einmal einen Herausforderer Caruana gaben?

Warum nicht? Er ist jung, er ist in guter Form, kann sich auch noch weiter verbessern. Aber eine Garantie gibt es natürlich nicht: Man weiß ja nie, was alles bei einem Kandidatenturnier passieren kann. Plötzlich hat irgendeiner der anderen Spieler einen Lauf, gewinnt eine Partie nach der anderen, und dann wird er der Herausforderer. Es gibt viele Spieler in der Weltspitze, die dazu in der Lage sind.

Viele Dank für das Gespräch!

Gerne.

Chirila, Kasimdzhanov, Caruana 

Das Interview führte André Schulz

 

Rustam Kasimdzhanov, 39, ist in Usbekistan geboren und lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau und seinen Kindern in Deutschland, in der Nähe von Bonn. In der Bundesliga spielt er für die Mannschaft der OSG Baden-Baden.

2004 wurde Kazimdzhanov bei der K.o.-Weltmeisterschaft in Tripolis FIDE-Weltmeister.

2008, 2010 und 2012 gehörte er zum Team von Viswanathan Anand bei dessen WM-Kämpfen.

2011 war er der Eröffnungstrainer der Deutschen Nationalmannschaft bei deren Überraschungserfolg bei der Europameisterschaft.

Rustam Kazimdhanov gilt weltweit als einer der führenden Eröffnungsexperten und hat zahlreiche viel gelobte DVDs aufgenommen.

Rustam Kasimdzhanov bei ChessBase...

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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