"Die
Schacholympiade hat absoluten Vorrang"
Interview mit DSB-Trainer Uwe Bönsch
Von Dagobert Kohlmeyer
Großmeister Uwe Bönsch ist
seit zehn Jahren Schach-Bundestrainer. Unter seiner Leitung erzielte die
Herrenmannschaft beachtliche Erfolge. Dagobert Kohlmeyer sprach mit dem
48-jährigen Hallenser über die bevorstehende EM in Dresden, das Programm des DSB
zur Schacholympiade 2008 und sein Engagement für das Frauenschach.
Wie fällt deine Bilanz
nach einem Jahrzehnt als Bundestrainer aus?
Die deutsche
Nationalmannschaft hat unter meiner Führung nicht wenige Erfolge errungen. An
erster Stelle steht die Silbermedaille bei der Schacholympiade 2000 in Istanbul.
Bei der Mannschafts-EM holten wir zweimal Bronze. Wir gewannen Länderkämpfe
gegen starke Schachnationen wie Holland und Ungarn, es gibt viele gute
Einzelergebnisse von Mitgliedern der Nationalmannschaft.
Was macht ein
Schach-Bundestrainer, wo liegen die Schwerpunkte seiner Arbeit?
Es sind vielfältige
Aufgaben. Vor allem kommt es darauf an, Trainingsprogramme und Wettkampfbetrieb
der A-, B- und teilweise C-Kaderspieler so gut es geht zu koordinieren. In
jüngster Zeit konzentriere ich mich voll auf das Programm der
Nationalmannschaft. Aber auch in der Aus- und Weiterbildung der A-Trainer bin
ich permanent tätig.
Wie werden deine
Schützlinge auf die Schacholympiade im eigenen Land vorbereitet?
Es gibt ein langfristiges
Programm des Deutschen Schachbundes zur Förderung der DSB-Auswahl und der
Jugend-Nationalmannschaft, alles mit Blick auf Dresden 2008. Das steht momentan
im Mittelpunkt meiner Arbeit. Die Schacholympiade hat absolute Priorität.
Ist die
Sportfördergruppe der Bundeswehr für Schachspieler hilfreich?
Auf jeden Fall. Diese
betreue ich auch. Derzeit sind Elisabeth Pähtz und Maximilian Meinert aus Baden
Württemberg drin. In den letzten Jahren waren immer zwei bis vier Spieler in
dieser Fördergruppe, und ich hoffe, das auch fortzusetzen. Im Herbst wird
Juniorenweltmeister Arik Braun noch dazu kommen.
Du leitest auch die
FIDE-Akademie in Berlin. Was gibt es dort für Ergebnisse?
Ich bin Direktor unserer
FIDE-Akademie in der Hauptstadt. Das ist die Ausbildungsstätte des
Weltschachbundes für Trainer. Dort haben wir in den vergangenen drei Jahren
schon sechs internationale Lehrgänge durchgeführt und Übungsleiter aus etwa 20
Ländern ausgebildet. Wir sind weltweit anerkannt, die Resonanz ist sehr
erfreulich und wird immer größer.
Olympia in Dresden ist
das große Ziel. Wie sieht das Vorbereitungsprogramm des DSB konkret aus?
Als Gastgeber hat
Deutschland die Möglichkeit, eine zweite Mannschaft zu stellen. Wir haben uns
entschieden, keine B-Mannschaft der Erwachsenen zu präsentieren, sondern ein
Jugend-Olympiateam und schon vor zwei Jahren mit der Auswahl der Spieler für sie
begonnen. Die talentiertesten Jugendlichen trainieren dort unter Leitung von
Bernd Vökler, der sie auch bei ihren Wettkämpfen betreut.
Wer gehört dazu?
Sehr gut entwickelt haben
sich zum Beispiel Falko Bindrich aus Sachsen, der eine erfolgreiche Saison in
der Schach-Bundesliga spielt, Arik Braun, der U-18-Weltmeister, und Georg Meier
(SC Eppingen), der auch eine Großmeisternorm in der Bundesliga erreichen wird.
Das sind drei junge Männer, denen unser Vertrauen und die Zukunft gehört.
Wie ist die Situation
bei den Spitzenspielern?
Das Programm zur Förderung
der A- Nationalmannschaften sieht vor, die stärksten fünf Männer und Frauen noch
intensiver zu betreuen. Das heißt, der Deutsche Schachbund finanziert für sie
Training und Wettkämpfe bis 2008, wodurch sie in die Lage versetzt werden, sich
optimal auf die Schacholympiade in Dresden vorzubereiten. Das umfasst Turniere
wie die bevorstehende EM, wo der DSB die Kosten für die Spieler übernimmt. Dort
starten auch alle zehn Spieler, die nominiert worden sind, das heißt, die
kompletten Nationalteams der Männer und Frauen sind dabei. Aber auch die
deutschen Einzelmeisterschaften werden unterstützt und viele andere Sachen auch,
vor allem im Trainingsprogramm.
Welche Kosten übernimmt
der DSB?
Für den Start gibt es kein
Honorar, aber Unterkunft und Verpflegung als größter Posten werden vom
Schachbund getragen.
Arkadij Naiditsch
Wie beurteilst du die
Chancen unserer Spitzenleute bei der EM?
Aussichtsreichste
Kandidaten sind Arkadij Naiditsch bei den Herren und Elisabeth Pähtz bei den
Damen. Sie gehen mit unterschiedlichen Voraussetzungen an den Start. Arkadij ist
als Vierter der letzten EM schon für die Schachweltmeisterschaft qualifiziert.
Elisabeth wird alles daransetzen, dies auch zu schaffen. Sie muss dafür unter
die ersten 15 kommen.
Elisabeth Pähtz
David Baramidze aus
Dortmund ist ja als Achter der letzten EM auch schon für die WM qualifiziert.
Für ihn kommt es darauf an,
in Dresden ein gutes Turnier zu spielen. Was Arkadi angeht, so kann er ganz
locker herangehen. Er ist vorberechtigt, Zehnter der Setzliste, hinzu kommt der
Heimvorteil. Ihm traue ich zu, eine Medaille zu holen. Elisabeth könnte es auch
schaffen, aber das Wichtigste ist, dass sie zur WM fährt. Deshalb kann es
passieren, dass sie am Ende auf Sicherheit spielen muss, um das Ziel nicht zu
gefährden.
David Baramidze
Was zeichnet Elisabeth
Pähtz als Schachspielerin aus?
Elli hat viele Stärken.
Eine davon ist ihre große Kampfkraft. Hinzu kommt ein großes Eröffnungswissen.
Sie kennt viele Strukturen von Stellungen. Das kann sie auch gut ausnutzen und
auf dem Schachbrett sehr viel Druck aufbauen.
Gerühmt wird auch ihr
gutes Gedächtnis. So rezitiert sie mühelos ellenlange Gedichte.
Sie kann sich ziemlich
viele Eröffnungen merken. Natürlich passiert es ihr wie anderen Schachspielern
auch, dass sie mal eine Variante vergisst oder verwechselt. Aber die
Partieanfänge sind ganz klar eine ihrer Stärken.
Im Vorjahr gab es bei
der EM zwei Außenseitersiege. Wer gewinnt diesmal?
Einzel-Europameisterschaften sind Open-Turniere. Da spielen so viele Faktoren
eine Rolle, dass es fast unmöglich ist, einen Sieger vorherzusagen. Man könnte
natürlich einen Kreis von Spielern benennen. Im Herrenturnier zählt Wassili
Iwantschuk aus der Ukraine ganz sicher dazu. Aber vielleicht machen in beiden
Wettbewerben wieder Outsider das Rennen wie im vorigen Jahr.
Wo liegen die Ursachen,
dass Männer in der Regel stärker Schach spielen als Frauen?
Es gibt eine ganze Anzahl
von Gründen. Den wichtigsten sehe ich darin, dass es viel mehr männliche als
weibliche Schachspieler gibt. Das macht die Sichtung der Talente, ihre Auslese
und Förderung viel einfacher. Ein Junge hat durch den regen Spielbetrieb und die
härteren Wettkämpfe einfach mehr Chancen, sich später durchzusetzen.
Und die anderen Gründe?
Sind nicht ganz so
dominierend, weil sie in der Praxis immer wieder mal durch Einzelbeispiele
widerlegt wurden. Zum Beispiel, dass Frauen nicht so hart kämpfen können wie
Männer, sich leichter ablenken lassen usw. All das mag zutreffen, aber wenn man
sich die Polgar-Schwestern anschaut, wird das sofort widerlegt. In der Summe
besitzen Männer günstigere Voraussetzungen, weil sie bessere Startchancen haben
und weil Frauen sich sehr viel häufiger für die Familie entscheiden und den
Schritt zum Schachprofi nicht riskieren wollen.
Es gibt auch viel
weniger Schachturniere für Frauen, so wie die Gala im Herbst in Berlin.
Ja, das war ein
lobenswertes Beispiel. Ich bin absolut für das Frauenschach und möchte es
unterstützen. Weil ich glaube, dass Deutschland gute Chancen hat, auch im Schach
der Damen eine führende Nation zu werden.
Wen betreust du
besonders in Dresden?
Allein kann ich mich nicht
um alle kümmern. Ich lege den Schwerpunkt auf die Unterstützung der Frauen. Auch
dort ist es so, dass die Männer es eher gewöhnt sind, sich mit ihrem Notebook
selbst auf die Partien vorzubereiten, während die Frauen den Trainer etwas
nötiger haben.