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Viele Fragezeichen vor dem Turnier der
Nationen
Von Dagobert Kohlmeyer
Stellen Sie sich vor, es ist Schacholympiade, und nicht die besten Spieler fahren hin. Das ist kein Scherz, sondern in diesem Herbst bittere Realität. Beim Turnier der Nationen, das am Dienstag im sibirischen Chanty-Mansysk beginnt, fehlt unsere erste Garnitur. Deutschland, in der Vergangenheit selbst Ausrichter von fünf Schacholympiaden und erst vor zwei Jahren in Dresden Gastgeber der Schachwelt, schickt bei den Männern kein A-Team, sondern eine Jugend-Mannschaft. „Es fehlen die notwendigen Mittel“, so die offizielle Lesart des Deutschen Schachbundes. In den vergangenen Wochen und Monaten wurde in diversen Schachmagazinen und auf vielen Webseiten heftig über die Frage diskutiert und gestritten, warum ein Verband mit über 90 000 Mitgliedern nicht in der Lage ist, seine stärksten Großmeister zur Olympiade zu entsenden. Die Sache scheiterte an der überschaubaren Summe von insgesamt 10. 000 Euro, die unsere führenden Großmeister zusätzlich als Honorar bzw. Aufwandsentschädigung verlangt haben. Sicher eine berechtigte Forderung, die Schachprofis leben ja von diesen Einkünften. Indes konnte das Geld nicht aufgebracht werden.
Im Jahre 2008 hatte Deutschland mit dem WM-Finale Anand gegen Kramnik in Bonn und der Schacholympiade in Dresden zwei Top-Ereignisse im eigenen Land. „Mehr geht nicht“, sagte seinerzeit der neue DSB-Präsident Robert von Weizsäcker. Von der damaligen Euphorie ist nicht mehr viel übrig. Der erwartete Schachboom blieb aus, die Mitgliederzahlen im DSB gingen sogar zurück. Daraufhin hat sich in der Verbandsspitze offensichtlich der Trend weg vom Spitzen- hin zum Breitenschach verfestigt. In Dresden holte kein deutsches Team eine Medaille, der Leistungssportetat wurde seither stufenweise heruntergefahren.
Die vier besten Großmeister reagierten daraufhin und schrieben im Frühsommer einen offenen Brief, in dem sie ihre Vorstellungen über die Förderung des Leistungssports sowie ein notwendiges Schachsponsoring erläuterten. Das Schreiben wurde vom DSB zur Kenntnis genommen, aber es erfolgten keine konkreten Schritte, die etwas an der Situation änderten. Präsident Robert von Weizsäcker zeigte zwar viel Verständnis, hatte aber keine Zeit zu einem Treffen mit den Nationalspielern und konnte auch keine Geldgeber auftun. Sportdirektor Horst Metzing verwies darauf, dass laut DSB-Satzung keine Honorare für Schachprofis aus Mitgliedsbeiträgen genommen werden dürfen. Diese seien durch die Wirtschaftsdienst-GmbH zu akquirieren, die dem Schachbund angeschlossen ist. Aber auch dort passierte bzw. glückte nichts.
Mitte Juli war Meldeschluss bei der FIDE, und so nominierte Bundestrainer Uwe Bönsch in seiner Not eine junge Olympia-Mannschaft, mit der Deutschland – bei allem Respekt – als Nr. 43 der Setzlinste in Sibirien keinen Blumentopf gewinnen wird. Die Großmeister Rainer Buhmann, Sebastian Bogner, Falko Bindrich sowie die beiden Internationalen Meister Martin Krämer und Niclas Huschenbeth sollen es nun richten. Wir können ihnen nur alles Gute wünschen. Bei den Frauen starten Elisabeth Pähtz, Sarah Hoolt, Elena Lewuschkina, Melanie Ohme und Judit Fuchs mit etwas größeren Aussichten.
Soweit die nüchternen Fakten. Wir sprachen mit dem Bundestrainer Uwe Bönsch kurz vor der Abreise nach Chanty-Mansysk.
Uwe, wann geht das Abenteuer los?
Wir fliegen am Sonntag (19. September) ab München und kommen am 4. Oktober zurück. Allerdings so spät, dass wir dann nochmal in München übernachten müssen.
Mit welchen Gefühlen führst du zur Schacholympiade 2010?
Natürlich ist es schade, dass nicht unsere stärksten Spieler dabei sein werden. Aber ich denke, wir müssen jetzt den jungen Leuten eine Chance geben. Es geht darum, das Beste aus der Situation zu machen und vielleicht die Lücke möglichst schnell zu schließen.
Verstehst du die Position der Spitzenspieler?
Ich verstehe durchaus ihren Wunsch, mehr Honorar zu bekommen. Das ist völlig legitim, ganz klar. Aber wie es gelaufen ist, das war nicht so toll. Es ging dann so weit, dass persönliche Angriffe, nicht nur auf mich, nicht mehr die Sache betrafen, sondern auf verschiedene Personen zielten. Das war nicht akzeptabel.
Zum Beispiel...?
Arkadij Naiditsch hat viele Funktionäre in schärfster Form angegriffen, auch Georg Meier hat Rücktrittsforderungen erhoben. Zum Teil wurden dort Ansichten über Leute geäußert, die sie überhaupt nicht kennen. Das war nicht annehmbar, weil Unwahrheiten erzählt und schwere Beleidigungen geäußert wurden.
Bei vielen Beobachtern entsteht der Eindruck, dass jetzt im Deutschen Schachbund der Leistungssport gegenüber dem Breitensport zurückstecken muss. Gefällt dir das?
Natürlich möchte ich den Leistungssport voranbringen und arbeite daran. Aber was soll ich tun, wenn mir die Spieler durch ihre Aktion Knüppel in den Weg geworfen haben? Die Fronten haben sich dadurch nur verhärtet.
Der DSB hat offensichtlich auch nicht alles richtig gemacht. Wo liegen die Versäumnisse der Verbandsführung?
Ich glaube, es hat Probleme in der Kommunikation gegeben. Es wäre durchaus sinnvoll und richtig gewesen, sich zu einem frühen Zeitpunkt mit den Spielern zusammenzusetzen. In einem Gespräch hätte die Angelegenheit einfach diskutiert werden müssen. Um auszuloten, ob es irgendwelche Alternativen und Kompromisslösungen gibt. Dies ist leider versäumt worden, das gebe ich durchaus zu.
Unser DSB-Präsident ist beruflich sehr beschäftigt. Wo befindet er sich derzeit?
Das müsstest du ihn selbst fragen, ich weiß es nicht.
Ich würde vor der Olympiade gern auch noch einmal mit ihm sprechen. Wann hattest du den letzten Kontakt mit Robert von Weizsäcker?
Ich weiß nicht. In letzter Zeit gab es keinen Kontakt mit ihm.
Wie beurteilst du nach Lage der Dinge seine Chancen bei der Wahl als ECU-Präsident?
Frag ihn selbst dazu. Herr von Weizsäcker hat die Sache auf dem Tisch, ich kann dazu nichts sagen.
Ich meine, vor allem nach der erfolglosen Suche von Sponsoren für unser A-Team.
Er hat es nicht geschafft, das ist richtig. Aber frag besser ihn. Ich finde es natürlich sehr schade, dass wir keinen Sponsor gefunden haben.
Warum kam keiner vom DSB, also Horst Metzing oder sonst wer, auf die Idee, die Schachmäzene Hilgert (Porz) und Grenke (Baden-Baden) anzusprechen. Die beiden wären angeblich bereit gewesen zu helfen?
Das kann ich dir sagen, weil es im Fall von Herrn Hilgert völlig abwegig ist. Er hat doch den Schachbund in den letzten dreißig Jahren bekämpft. Würdest du vermuten, dass jemand dem DSB Geld gibt, der ihn nur abgelehnt hat? Und wer sagt denn, dass nicht mit Herrn Grenke gesprochen wurde? Ich weiß nur, dass Robert von Weizsäcker ihn in diesem Jahr bei verschiedenen Anlässen getroffen hat. Es ist durchaus denkbar, dass sie auch darüber geredet haben.
Nochmal zur Olympiade zurück. Wie beurteilst du die sportlichen Chancen unserer Teams?
Die Männermannschaft ist an Nr. 43 gesetzt. Das ist zunächst mal die zu erwartende Platzierung. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Spieler über sich hinauswachsen. Es sind alles junge Leute, die durch diese Aufgabe in der Nationalmannschaft reifen können. Vielleicht schaffen sie am Ende einen besseren Rang als ihr Setzplatz zu Beginn aussagt.
Das Frauenteam hat in Chanty-Mansysk sicher bessere Aussichten. Wegen der Mischung aus Erfahrung und Jugend?
Neben Elisabeth Pähtz haben wir alles junge Spielerinnen, die sich im Aufwind befinden. Im Team sind noch Sarah Hoolt, Elena Lewuschkina und Melanie Ohme, die seit langem stabil über 2300 spielt sowie Judith Fuchs. Bei der Studenten-WM in Zürich ist Judith gerade geteilte Zweite bis Vierte geworden. Sie hat dort nur knapp die Frauen-GM-Norm verfehlt. Marta Michna und Ketino Kachiani-Gersinska fehlen aus familiären Gründen (Problem der Kinderbetreuung über zweieinhalb Wochen).
Wer ist Elena Lewuschkina?
Eine neue Spielerin aus München, die wir hinzugewonnen haben. Sie lebt schon acht Jahre in Deutschland und macht derzeit ihren Doktor in Computerwissenschaften. Eine interessante und erfolgversprechende Spielerin. Sie alle geben mir schon Anlass zur Hoffnung.
Die Hotelkapazitäten am Olympiade-Ort reichen bekanntlich nicht aus. Wo werdet ihr wohnen?
Es gibt tatsächlich große Schwierigkeiten, aber die Organisatoren äußern sich darüber nicht. Wir wohnen nicht in dem neuen, in allerletzter Minute fertig gestellten Hotel, sondern in einem älteren. Allerdings ist dieses Hotel ein ganzes Stück von der Spielstätte entfernt, so dass wir jeden Tag mit dem Bus zum Turnier fahren müssen.