„Es hat Freude gemacht, Botwinnik zu ehren“
Interview mit Wolfgang Uhlmann
Von Dagobert Kohlmeyer

Der Kreml von Suzdal (Foto: Wikipedia)
In diesen Tagen und Wochen finden in Russland einige
Gedenkturniere zu Ehren von Michail Botwinniks Geburtstag statt, der sich am 17.
August zum 100. Mal jährte. Ab dem 1. September treffen sich in Moskau die
ersten Vier der Weltrangliste Magnus Carlsen, Vishy Anand, Levon Aronjan und
Wladimir Kramnik zum Botwinnik-Memorial. Bereits vorige Woche setzten im
historischen Suzdal zehn Schachlegenden die Figuren, die früher mit dem sechsten
Weltmeister die Klingen gekreuzt haben. Zu ihnen gehörte auch der Dresdner
Großmeister Wolfgang Uhlmann. Nach dessen Rückkehr sprach Dagobert Kohlmeyer mit
ihm.

Wolfgang Uhlmann
Wolfgang, welche Eindrücke bringst du nach Hause mit?
Es war eine in vieler Hinsicht bemerkenswerte Reise. Meine Frau
Christine und ich werden sie lange in Erinnerung behalten. In der Einladung
stand, das Turnier findet in Susdal bei Moskau statt. Dieser Ort liegt aber weit
über 200 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt. Für die Russen und
ihr riesiges Land ist diese Strecke offensichtlich keine große Distanz.
Ich bin vor vielen Jahren auch in Suzdal gewesen und war
sehr beeindruckt. Ging es euch ebenfalls so?
Ja, sicher. Es ist eine historisch sehr interessante Region. In
Suzdal befand sich im Mittelalter eine Zarenresidenz. Dort sind wunderbare alte
Kirchen, Klöster und andere Bauten zu bestaunen. Die Stadt ist ein einzigartiges
Museum und ein großer Anziehungspunkt für Touristen. Man kann dort in die
Vergangenheit der russischen Geschichte eintauchen und sehen, wie die reichen
Fürsten und armen Bauern nebeneinander gelebt haben.

Erzbischofspalast im Susdaler Kreml (Foto: Wikipedia)

Boris-und-Gleb-Kirche (Foto: Wikipedia)
Was hat sich heute im Stadtbild verändert?
In den vergangenen Jahren hat man in Suzdal sehr viel investiert
und zum Beispiel ein prächtiges Hotelgelände errichtet, wo vor allem Millionäre
Urlaub machen. Wir waren in einem solchen Komplex untergebracht. Deshalb sind
unsere Wohn- und Spielbedingungen einfach phantastisch gewesen. Es war ein
idealer Schauplatz für unser Botwinnik-Gedenkturnier, alles war perfekt
organisiert.
Euer Hauptschiedsrichter ist sehr prominent gewesen.
Großmeister Juri Awerbach war der oberste Schiedsrichter, hatte
aber seine Sekundanten und deshalb nicht so viel Arbeit. Er wird ja in einigen
Monaten 90 Jahre alt, läuft inzwischen etwas gebeugt, und seine Stimme ist sehr
leise geworden. Ansonsten machte er einen mobilen Eindruck. Wie Juri mir
erzählte, will er im kommenden Jahr nach Dresden zu einer größeren Veranstaltung
kommen.
Schach wurde natürlich auch gespielt, war das für euch am
wichtigsten?
Es war vor allem sehr schön, dass man die Weggefährten von einst
wieder gesehen hat: Kortschnoi, Taimanow, Ivkov, Portisch, Wasjukow usw. Das war
die größte Freude. Im Turnier hat sich Viktor Kortschnoi dann einmal mehr als
ein wahrer Teufel erwiesen. Er scheint im Schnellschach mit 25 Minuten
Bedenkzeit fast noch stärker zu sein als im klassischen Schach. Kortschnoi sieht
alles unglaublich schnell und hat das Turnier deshalb ganz souverän gewonnen.

Kortschnoj
Viktors Ehrgeiz ist, wie es aussieht, immer noch
ungebrochen. Euch anderen ging es wohl nicht so sehr um Punkte und
Tabellenplätze?
Du sagst es. Es kam uns nicht in erster Linie auf das Ergebnis
an. Wir wollten Botwinnik ehren, das war unser Hauptanliegen. Die Gedenkfeier
während des Turniers war sehr eindrucksvoll und ein absoluter Höhepunkt. Per
Video wurden dort die Grüße der Weltmeister Anatoli Karpow, Garri Kasparow und
Wladimir Kramnik eingespielt, die ja früher alle Botwinnik-Schüler waren.
Habt ihr selbst auch etwas vorgetragen?
Ja. Wir Spieler wurden ans Mikrofon gebeten und erzählten dem
Publikum in jeweils fünf bis zehn Minuten einige amüsante Episoden, die wir mit
Botwinnik erlebt hatten. Das war außerordentlich interessant. Du kannst dir
vorstellen, dass sich jeder etwas Besonderes ausgedacht hat. Das fand natürlich
großen Beifall.

Jewgeni Wasjukow
Nur Boris Spasski hat gefehlt.
Er konnte aus Krankheitsgründen leider nicht anreisen, hat aber
auch seine Glückwünsche übermittelt. Sicher fehlte er in unserer illustren
Runde. Dafür war es ein schönes Erlebnis, Mark Taimanow wieder zu treffen. Er
ist inzwischen schon 85 Jahre alt und war mit der ganzen Familie da, mit seiner
Frau sowie den siebenjährigen Zwillingen. Das war rührend.
Was hast du dort vor dem Publikum über Botwinnik zum Besten
gegeben?
Ich erzählte unter anderem von der Schacholympiade 1962 in Warna,
wo ich Botwinnik geschlagen habe. Er musste in dieser Partie häufig zu seinem
Schlips greifen, weil er schlecht stand. Immer wieder zerrte er an seinem Knoten
- ein Zeichen dafür, dass die Situation auf dem Brett sehr kompliziert war. Das
konnte man immer beobachten, wenn er in schwierigen Positionen war. So wollte er
sich mehr Luft verschaffen.

Lajos Portisch
Botwinnik war früher dein großes Idol. Was hast du am
meisten an ihm bewundert?
Vor allem seine große Disziplin und sein Kämpferherz. Er bestach
durch logisches Denken und feine Endspielkunst. Botwinnik war auch mein Vorbild,
weil er Französisch spielte. Kortschnoi ging es ja ähnlich. Diese Eröffnung war
wichtig für meine Schachkarriere. Botwinniks phantastische Turnier- und
Match-Ergebnisse haben mich stets beeindruckt. Meine Bilanz gegen ihn ist mit 50
Prozent aber sehr gut.
Du warst den anderen Schachgrößen in der DDR lange Zeit
ähnlich überlegen wie früher Botwinnik seinen Kontrahenten in der Sowjetunion.
Worauf führst du das zurück?
Ich würde drei wichtige Aspekte nennen: Natürlich gehört Talent
dazu, wenn man im Schach größere Erfolge haben will. Des Weiteren muss man
immensen Fleiß aufbringen. Meine Eröffnungen musste ich mir alle selbst
erarbeiten. Es gab vor einem halben Jahrhundert ja kaum Schachbücher, wenig
Trainer und überhaupt keine Computer. Alle Probleme musste ich fast im
Alleingang lösen.
Und der dritte Aspekt?
Ich habe mir im Laufe der Zeit die notwendige Fähigkeit
erarbeitet, meine eigenen Partien gründlich und objektiv zu analysieren. Wenn
ich in der Eröffnung schlecht stand oder eine Niederlage kassiert hatte, mussten
die Varianten verbessert werden. Das war nur durch Fleiß und Analysieren
möglich. Dies führte natürlich auch dazu, dass ich lernte, Stellungen besser und
objektiver zu beurteilen. Das war meine große Stärke.
Du bist inzwischen 76 Jahre alt, wie geht dein Schachleben
weiter?
Wie du weißt, sind wir mit dem USV TU Dresden wieder in die 1.
Bundesliga aufgestiegen. In unserem Team haben wir jetzt sieben Großmeister, so
dass ich an einem hinteren Brett spielen kann. Die erste Runde findet in Mülheim
statt. Dort werde ich mit von der Partie sein.
Viel Erfolg, Wolfgang und danke für das Gespräch!

