18.07.2020 – Im schweizerischen Biel hat das 53. Internationale Schachfestival (ISF) begonnen. Als Warm-up vor dem "Großmeister Triathlon" an den kommenden zehn Tagen spielten die acht eingeladenen Spieler zunächst ein Chess960-Rundenturnier. Den Sieg holte sich mit 5,5/7 der Inder Pentala Harikrishna vor Vincent Keymer mit 5,0/7. Dritter wurde Radoslaw Wojtaszek (4,5/7). Alexander Donchenko, neben Keymer der zweite deutsche Starter, kam auf Platz 5 punktgleich mit dem Viertplatzierten Michael Adams ins Ziel. Gegen das Coronavirus sollen unter anderem über dem Brett aufgestellte Plexiglastrennscheiben helfen. | Fotos: Turnierseite
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53. Internationales Schachfestival Biel
"Start unter erschwerten Bedingungen"
Diese Überschrift haben die Organisatoren des "ISF" für ihre unmittelbar vor Turnierbeginn veröffentlichte "News" gewählt. Bemerkenswert ist ja schon, dass es zu diesem "Start" überhaupt gekommen ist. Der bequeme Weg wäre gewesen, sich dem hinsichtlich abgesagter Großereignisse mittlerweile ziemlich fest etablierten Narrativ anzuschließen, dass 2021 alles wieder in Ordnung sein wird. So ist man zum Beispiel mit den Olympischen Spielen in Tokio verfahren, doch welche Rahmenbedingungen im Sommer 2021 besser sein werden als im Sommer 2020, das weiß heute keiner zu sagen. Ein bekannter deutscher Virologe hat vor einigen Tagen wieder die Einschätzung vertreten, dass dieses neuartige Coronavirus vielleicht für immer bleiben könnte und wir folglich fortan mit ihm würden leben müssen - Wunsch und Wirklichkeit!
Wenn es keine Belege dafür gibt, dass in einem Jahr irgendetwas besser sein wird, dann kann man dieses "Leben mit dem Virus" auch gleich erproben. Jedenfalls dürften sich die Organisatoren des ISF dies gesagt haben, wobei sie natürlich, wie alle anderen auch, von der behördlichen Erlaubnis abhängig waren. Intensive Reisetätigkeit und Großveranstaltungen (zumal solche in geschlossenen Räumen) sind der Ausbreitung des Virus förderlich - unterbindet man beides, dann hat das Virus es schwer. Das ISF ist zweifellos eine Großveranstaltung, zu der Teilnehmer aus vielen verschiedenen Ländern anreisen. Prompt gab es einige Probleme mit dem Thema "Reisen", bevor überhaupt ein einziger Zug gespielt war. So konnte Großmeister Salem Saleh nicht aus seiner Heimat, den Vereinigten Arabischen Emiraten, ausreisen und musste seine Teilnahme deswegen absagen. Ersetzt wurde er durch Arkadij Naiditsch, dessen kurzfristige Ankunft in der Schweiz die Veranstalter vorsichtshalber im Konjunktiv angekündigt haben. Für das Chess960-Turnier am heutigen Tag ist jedenfalls zunächst einmal Alexander Donchenko aus Deutschland als Saleh-Ersatz eingesprungen - und der ist in der Schweiz auch tatsächlich angekommen.
Es ist vielleicht kein Wunder, dass der Neustart des schachlichen Lebens in Europa sich im Osten des Kontinents vollzogen hat - mit "Abschottung" kennt man sich dort ja historisch bedingt bestens aus. Ganz anders die Schweiz: In der Mitte Europas gelegen war das reiche, hochentwickelte Land schon immer Anziehungspunkt für alle möglichen Leute aus der ganzen Welt. Auch zum ISF lässt man die Teilnehmer also einreisen, doch sie müssen sich einem strengen Regelwerk beugen, um am Turnier teilnehmen zu können. Zudem ist die Schweiz sicher ein Land, dem man zutrauen kann, dass es auch für die Einhaltung der Regeln sorgt. Plexiglasscheiben zwischen den Spielern, keine Zuschauer, Aufstehen-Müssen zwecks Drückens der Uhr, Abstand, Handdesinfektion - wer sich das aus vier Seiten bestehende "Schutzkonzept" genau durchlesen möchte, der klicke bitte hier. Fest steht: Das "Leben mit dem Virus" ist spannend, aber gewiss nicht leicht. Andere Veranstalter werden das ISF sicher interessiert auch unter diesem Aspekt beobachten.
Den Abschluss der Begrüßungs-News bildet eine Warnung, die für die nähere Zukunft (nicht nur in Biel!) mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten dürfte: "Letztendlich entscheidet aber jeder Teilnehmer selbst, ob er bereit ist, das Restrisiko einer Ansteckung in Kauf zu nehmen."
Das ist der Ort, an dem sich tatsächlich wieder Schachspieler aus Fleisch und Blut zum gemeinsamen Spiel versammeln: das "Congress Center Biel"
ACCENTUS Chess960
Zum Auftakt des ISF gab es heute zunächst ein Rundenturnier der acht zum "Großmeister Triathlon" (damit ist eine Kombination aus klassischem Schach, Rapid und Blitz gemeint) eingeladenen Spieler in der Disziplin "Chess960". Dabei besteht der erhöhte Schwierigkeitsgrad bekanntlich darin, dass die Anordnung der Figuren auf der Grundreihe gegenüber der "normalen" Aufstellung verändert wird - wie genau, darüber entscheidet eine von 960 Zufallszahlen, die vor Partiebeginn gezogen wird.
In der 7. Runde kam es zu einem dramatischen Finish. Im Fernduell musste sich zwischen Radoslaw Wojtaszek und Pentala Harikrishna entscheiden, wer von beiden das Turnier gewinnen würde: Der Pole und der Inder lagen mit jeweils 4,5 Punkten gemeinsam an der Tabellenspitze. Harikrishna musste mit Weiß gegen den Spanier David Anton Guijarro antreten, während Wojtaszek gegen Noel Studer Schwarz hatte. Wojtaszek hatte die vermeintlich leichtere Aufgabe, stand doch für seinen Gegner, den Lokalmatador Noel Studer, zu diesem Zeitpunkt eine Horrorbilanz von 0/6 zu Buche. Harikrishna erledigte seine Aufgabe absolut souverän: Mit einem brillanten Mattangriff gegen Antons König holte er sich den vollen Punkt. Am anderen Brett kam es dann ganz anders als erwartet: Ausgerechnet gegen den hohen Favoriten Wojtaszek holte Studer seinen ersten Punkt, auch dies mit einem Mattangriff.
Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte: Mit einem Sieg gegen Romain Edouard schob sich Vincent Keymer noch zwischen Harikrishna und Wojtaszek auf Platz 2! 5,0/7 sind ein starkes Ergebnis für den jungen deutschen Großmeister, der die Corona-Pause gut genutzt zu haben scheint.
Von links nach rechts: Wojtaszek, Harikrishna, Keymer
Dieser "Endspurt" ist im Videostream der Veranstalter dokumentiert; den Kommentaren des australischen Großmeisters Ian Rogers kann man auch mit "Schulenglisch" gut folgen:
Klaus BesenthalKlaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.
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