LASKER? NIE GEHÖRT, WIR WOHNEN ERST SEIT DREI JAHREN
HIER!
Auf Spurensuche von Emanuel
Lasker in Thyrow
Von
Peter Münder
Es sollte ein Kulturtrip der besonderen Art in die Umgebung
von Potsdam werden: Zuerst eine Lesung mit dem „Ossi“-Autoren Ingo Schulze im
Peter Huchel-Zentrum in Wilhelmshorst,
dann die Besichtigung des geplanten, offenbar noch im Renovierungsstadium
befindlichen Lasker-Zentrums in Thyrow. So hatte es Günter Pasternak, oberster
Caissa-Kulturträger, geplant und da wir beide sonnendurchflutete goldene
Oktobertage erwarteten, starteten wir begeistert und erwartungsfroh gen Osten.
In Potsdam und um Potsdam herum dann das geballte Baustellen-Chaos mit etlichen
Irrfahrten, die dann endlich doch im beschaulichen Wilhelmshorst endeten. Da
unsere Wirtin, die in ihrer Pension auch einen Weinhandel betreibt, nicht vor
Ort sondern wohl auf einer „Rotkäppchen“-Verkostung war, bauten wir unser
Schachbrett in einer leeren Kneipe mit dröhnendem Fernseher auf und spielten
einige Runden, bis die Dame endlich auftauchte- auch sie war im Stau
steckengeblieben. Abends dann die Lesung mit Ingo Schulze im Huchel-Zentrum,
einer kleinen Villa mit schmuckem Vorgarten und einer Büste des Dichters, das
wir nachts im strömenden Regen nicht gleich fanden. Schulze entpuppte sich als
lockerer, humorvoller Typ.
Ingo Schulze
Mit seinem Wende-Roman „Adam und Evelyn“ liefert er eine
gelungene, amüsante Bestandsaufnahme der turbulenten Umbruchphase während der
letzten DDR-Jahre: Fluchtszenen am ungarischen Plattensee, Verführungs-Szenarios
im Photo-Atelier, eine Schildkröte ist auch dabei, ein Uralt-Wartburg wird noch
bis zur ungarischen Grenze geprügelt- alles sehr realistisch und stimmungsvoll.
Einige grotesk-komische Szenen mit dem Photographen und Modeschöpfer Adam, dem
sich die Frauen schnell und gern an den Hals werfen, wirken zwar so idyllisch
und heimelig wie bei weiland Gottfried Keller oder in Wilhelm Meisters Lehr-und
Wanderjahren. Aber den Vorwurf der Verharmlosung der DDR könne er keinesfalls
akzeptieren, gab Schulze zu bedenken.
So weit, so gut, erster Teil des Kulturtrips erfolgreich
absolviert. Doch dann die Lasker-Pleite! Die Fahrt durch eine Landschaft mit
herrlichen Alleen, Kiefernwäldern und weiten sandig-samtig wirkenden Feldern
versetzte den Fontane-Fan Günter in Begeisterung: „Hier war der kleine Bahnhof,
an dem Stechlins Sohn vor seiner Hochzeitsreise anhielt“, rief er etwa
entzückt. Trotz all der neu gebauten Straßen, der renovierten Häuser, der
blitzblanken neuen Tankstellen und der Neubau- Siedlungen war der Charme der in
den „Wanderungen“ beschriebenen Mark Brandenburg jedenfalls immer noch
unverkennbar.
In Thyrow (schon 1346 gegründet!) begann dann die
frustrierende Irrfahrt. Hier, zwischen Ludwigsfelde und Trebbin, hatte der
damals in Berlin lebende Schachweltmeister (von 1894-1921) Emanuel Lasker
(1868-1941) sein Sommerhaus, das er sich 1921 gebaut hatte.
Da die Berliner Wohnung im Krieg ausgebombt war ist das
verfallene, stark renovierungsbedürftige Sommerhaus das einzige Domizil in
Deutschland, das an den großartigen, so vielseitigen Mann erinnert.
Emanuel und Berthold Lasker
Lasker war ja Mathematiker, Philosoph, Autor und
Schachspieler, der nebenher auch ein Drama („Vom Menschen die Geschichte“)
verfasst hatte und sich bei Spaziergängen mit Albert Einstein in Berlin auch
kritisch mit der Relativitätstheorie auseinandersetzte. Er hatte den Nazi-Terror
vorhergesehen und emigrierte schon 1933 als einer der ersten deutschen jüdischen
Intellektuellen über Holland, England, die Schweiz und die Sowjetunion in die
USA, wo er 1941 starb. Für Viktor Kortschnoi, den alten, immer noch so
dynamischen Kämpfer, war Lasker „von allen wirklichen Weltmeistern der
überzeugendste“. Auch deswegen, weil dieser „homo ludens“ kein Fachidiot war,
sondern als pragmatischer Bridge-Go-und Damespieler immer auf dem Teppich blieb
und über das Brett mit den 64 Feldern hinausblicken konnte. Bezeichnend hierfür
ist sein Buch „Der gesunde Menschenverstand im Schach“. Und dann erst seine
genialen Partien! Diese fabelhaften Duelle mit Capablanca und all den jüngeren
Gladiatoren, die meinten, den alten Herrn nach so langer Amtszeit als
Weltmeister endlich mit einer eleganten Kombination entthronen zu können- was
dann erst Capablanca nach Laskers 27jähriger WM-Zeit im Jahre 1921 gelang.
Nach seiner Niederlage gegen Lasker hatte übrigens auch
Capablanca 1914 in St. Petersburg zugegeben, „aus dem Reich der Träume auf die
Erde zurückgebracht“ worden zu sein. Günter hatte eine Broschüre der
Lasker-Gesellschaft besorgt, in der die Pläne für den Wiederaufbau des
Lasker-Hauses beschrieben waren. Ich hatte vor unserer Fahrt das wunderbare
Lasker-Sonderheft des Schachmagazins „Karl“ mit schönen Berichten und Analysen
gelesen und mit dem Sohn des Vorsitzenden der Lasker-Gesellschaft gesprochen.
Seine Hinweise zum Wiederaufbau hatte ich so verstanden, dass die Bauarbeiten
zwar noch nicht abgeschlossen seien, aber man schon einiges sehen könnte. Bei
unserer Durchfahrt durch Thyrow entlang der Bahnhofstraße fällt uns dann sofort
die in einem Neubaugebiet mit schmucken Einfamilienhäusern gelegene
Emanuel-Lasker-Straße auf. Das Straßenschild verweist mit einem Hinweis auf
den ehemaligen Schachweltmeister- sehr schön und mustergültig. Wir machen
schnell ein Photo, dann beginnt die zermürbende Suche nach dem Haus-
vergeblich. Nachbarn, die gerade im Garten arbeiten oder aus dem Auto steigen,
reagieren ratlos: „Lasker- wer soll das denn sein?“ fragt eine ältere Frau beim
Laubharken, „den haben wir noch nicht kennengelernt- wir sind erst vor drei
Jahren hierher gezogen“. Endlich treffen wir einen jüngeren, patenten Mann, der
nicht nur weiß, dass Lasker den WM-Titel 27 Jahre lang verteidigen konnte. Er
gibt uns auch den Tip, die Bürgermeisterin zu befragen, weil Laskers Sommerhaus
in einem anderen Viertel von Thyrow liegt, sie sich selbst sehr engagiert für
den Wiederaufbau einsetze und alle möglichen ungeklärten Fragen im Raume
stünden.
Im ansprechend renovierten Gemeindezentrum, das ein großes
steinernes Schachbrett im Innenhof ziert, treffen wir die sympathische,
dynamische Bürgermeisterin Gertrud Klatt.
Sie ist nicht nur bestens über Lasker und das Sommerhaus
informiert, sondern war lange Zeit selbst bei den Bemühungen um Renovierung
und Wiederaufbau des Lasker-Hauses beteiligt. In der Lasker- Broschüre war ein
schönes Photo abgebildet, das Frau Klatt neben dem Architekten Wohlfarth und dem
Brandenburger Ministerpräsidenten Platzeck 2003 vor dem Lasker-Haus mit einem
kleinen Holzmodell des geplanten Neubaus zeigte.
Modell des neuen Lasker-Hauses
Nun stellt sich heraus, dass die Pläne für den Bau, die
anvisierten Finanzierungsmodelle und das geplante Spendenaufkommen offenbar alle
gescheitert sind. Alle Vorhaben scheinen sich zerschlagen zu haben, diverse
Investoren würden wohl gern das Lasker-Grundstück übernehmen, offenbar gab es
auch Pläne, auf dem Gelände ein Hotel zu bauen.
Wir bekommen genaue Direktiven, fahren die Hauptstraße
zurück, an der Emanuel-Lasker-Straße vorbei
und entdecken in der Wilhelmstr. 10 das auf einem
hochliegenden Hang hinter Büschen versteckte Haus. Erkennbar ist eine kahle
Außenwand, die Front und andere Bereiche des Hauses sind hinter den hohen wild
wuchernden Büschen nur zu erahnen- alles wirkt vollkommen trist und
verwahrlost.
Schwer vorstellbar, dass sich diese Beinah-Ruine einmal in
ein Lasker-Gedächtnis-Zentrum verwandeln soll!
Enttäuscht fahren wir zurück ins Büro der Bürgermeisterin.
Woran liegt es, dass sich diese schönen Pläne der Lasker-Gesellschaft alle
zerschlagen haben? Es gab doch großzügige Zusagen und Modalitäten (symbolischer
Kaufpreis), die den Umbau ermöglichen sollten? Hatten sich nicht etliche Mäzene
und Förderer mit ihren Spendengeldern aktiv beteiligt, um dieses Vorhaben
voranzutreiben? Und nun soll alles im Sande verlaufen? „Ja, das ist alles sehr
schade“, bedauert Frau Klatt, „mir ist das auch ein Rätsel- dabei war das
Projekt so vielversprechend, ein renoviertes Lasker-Haus als
Veranstaltungszentrum wäre eine echte Bereicherung für Thyrow und ein markantes
Symbol für die deutsche Schachkultur. Aber wenn Sie finanzstarke Sponsoren
kennen, die das Projekt retten wollen, dann werden wir dafür sorgen, dass die
Pläne zum Verkauf des Grundstücks gestoppt werden“.
Hat sich die Berliner Lasker-Gesellschaft, die ja Symposia,
Ausstelungen und Vorträge über Emanuel Lasker und allgemeine Schachthemen in
Berlin organisiert, mit dem Sommerhaus-Wiederaufbau vielleicht verzettelt? Will
man sich vielleicht nur auf Berlin konzentrieren, weil das kleine, abgelegene
Thyrow zu weit von der Metropole entfernt liegt?
Jedenfalls sollte man das attraktive Sommerhaus-Projekt
nicht einfach so ad acta legen. Daher fragen wir: Wer kennt liquide
Schach-Mäzene, die das Lasker-Haus noch retten könnten? Und an den großartigen
Gelehrten und Schachkünstler erinnern wollen?
Peter Münder an der Emanuel-Lasker-Straße