"Ist es leicht, ein Genie zu sein?"

von ChessBase
23.10.2017 – Susan Polgar ist ohne Zweifel sehr erfolgreich. Die älteste der drei Polgar-Schwestern war Weltmeisterin, betreibt seit einigen Jahren ein populäres Schach-Universitätsprogramm und hat außerdem noch Familie. "Ist es leicht, ein Genie zu sein", fragte Konstantin Bazarov die Schach-Großmeisterin voller Bewunderung im Interview. (Foto: Susan Polgar)

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Zsuzsa Polgar: „Dank der Unterstützung einiger Fonds durchlebt das Schach in den USA eine historische Entwicklung“

Der Herausgeber der Webseite worldofchess.ru, Konstantin Bazarov, sprach mit der ehemaligen Frauen-Weltmeisterin und internationalen Großmeisterin Zsuzsa Polgar, die in den USA lebt. Im Interview wurde über aktuelle Projekte, Turniere, wichtige Schachevents, Politik und Lebensphilosophie diskutiert.

Mit sechs Jahren haben Sie im Stadtpark einen ukrainischen Jungen Matt gesetzt, was er mit drei Schokopralinen honoriert hat. Welcher Ihrer nachfolgenden Preise war Ihrer Meinung nach der bedeutendste Ihrer Kariere?

Das war eine Freundschaftspartie, die mir im Gedächtnis geblieben ist. Der Wendepunkt meiner Kariere war, als ich die Geschlechterbarriere überbrückte und als erste Frau in der Schachgeschichte den Großmeistertitel nach den gängigen Anforderungen (3 Normen sowie eine Elozahl von mindestens 2500) erreichte.

Welche ist die bedeutendste Partie Ihrer Kariere und warum?

Mein Sieg über Maia Chiburdanidze bei der Schacholympiade 2004 in Calvia (Spanien) ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Wenn Sie sich diese Partie ansehen, werden Sie verstehen warum. In der Eröffnung fand ich eine interessante Neuerung und am Brett komplizierte taktische Verwicklungen. Um diese Partie zu gewinnen, musste ich viele Figuren opfern.

Zsuzsa, ist der Sieg von Levon Aronian beim World Cup 2017 in Tiflis gerechtfertigt?

Levon gehört seit vielen Jahren zur Schachelite, eine große Überraschung war sein Erfolg also nicht. Er hat hart gekämpft und zeigte am Ende die besseren Nerven. Das frühe Ausscheiden des Weltmeisters Magnus Carlsen war natürlich eine Überraschung.

Wie stehen Sie zu dem Abgang von Anton Kovalyov vom World Cup in Tiflis? Hätte man diese Konfliktsituation vermeiden können?

Das war ein Unglücksfall für ihn und für das Schach im Allgemeinen. Meiner Meinung nach müssen die Regeln transparenter sein. Die entstandene Situation hätte man professioneller und diplomatischer lösen können. Es war merkwürdig, dass die angepriesene Kleiderordnung bei früheren Weltmeisterschaften sowie während der ersten zwei Runden des World Cup in Tiflis scheinbar keine Relevanz besaß. Als Veranstalter von mehr als 700 Schachevents hätte ich diese Situation wahrscheinlich ganz anders bewältigt: Zunächst hätte ich dem Spieler eine mündliche oder schriftliche Verwarnung erteilt und ihm Gelegenheit gegeben, das Problem zu lösen ...

In letzter Zeit wird die Schachwelt verstärkt mit dem Problem „Betrug im Schach“ konfrontiert. Wie sollte man dieses bekämpfen? Welche Maßnahmen gegen Betrug und unfaires Spiel müssen Turnierveranstalter ergreifen?

Ich glaube, dass sich die FIDE sehr bemüht (zumindest bei Großveranstaltungen), die Möglichkeiten des Betrugs zu minimieren. Der Einsatz von Metallscannern ist zweifelsohne eine gute Idee. Aufgrund des Kostenfaktors aber werden diese bei den meisten Turnieren nicht eingesetzt. In Verdachtsfällen sollten Schiedsrichter und Veranstalter daher die potenziellen Betrüger verstärkt überwachen.

Ich weiß, dass Sie sich sehr engagieren, um das Schach in den USA zu popularisieren. Welche Fortschritte macht das Institut für Schach Exzellenz Susan Polgar? (Susan Polgar Institute for Chess Excellence - SPICE). Wie ist das Auswahlverfahren für die Teilnehmer? Welchen Ihrer Schüler halten Sie für besonders vielversprechend?

Nachdem ich Mitte der 1990er Jahre in die USA gezogen war, gründete ich in New York mein erstes Schachzentrum. Dieses war 13 Jahre lang tätig, danach zog ich nach Texas um. 2002 gründete ich die Susan Polgar Foundation, um junge Talente, vor allem Mädchen, zu unterstützen. 2007 wurde dann SPICE gegründet. Ich bin sehr stolz auf die Erfolge unserer Schüler. Darunter befinden sich Sieger von sieben nationalen Meisterschaften. Ebenso stolz sind wir auf die Erfolge anderer Schachspieler, zum Beispiel auf Wesley So, der mehr als zwei Jahre in SPICE trainiert wurde und es unter die Top 10 der Welt schaffte. Seit 2012 haben unsere Schüler zwei Weltmeistertitel, das Olympiagold und vier World Open gewonnen, zudem 47 nationale Titel im Rahmen des amerikanischen Kollegialprogramms geholt.

Zsuzsa, haben Sie in den USA nach dem letzten WM-Kampf zwischen Magnus Carlsen und Sergej Karjakin verstärktes Interesse an Schach beobachtet?

Ich glaube, dass der WM-Kampf in New York klare Impulse in Richtung Popularität und Bedeutung des Schachs gesetzt hat. Auf nationaler Ebene hatte dieses Ereignis allerdings keine nennenswerten Auswirkungen.

Welche Grundüberlegungen haben Sie in Ihrem Buch „Reich wie ein König: wie die Schachweisheit Sie zum Investoren-Großmeister machen kann“ dargelegt? Können Sie Firmen oder Organisationen nennen, die aktiv in Schach investieren?

„Reich wie ein König“ ist ein Buch über die Grundregeln persönlicher Finanzen, in Verbindung mit dem Einsatz logischen Schachspieler-Denkens. In Anerkennung ihrer großartigen analytischen Fähigkeiten, die für den Schacherfolg notwendig sind, haben einige Finanzunternehmen, darunter Goldman Sachs, Schachspieler eingestellt. Was das Sponsoring in Schach in den USA angeht – das ist eine komplizierte Angelegenheit. Historisch betrachtet hat sich das amerikanische Schach leider überwiegend durch die Unterstützung einiger Fonds (so wie die Susan Polgar Foundation) entwickelt. Einzelne Schachmäzene, wie etwa Rex Sinkfield, sponsern große Schachevents.

Wer wird Ihrer Meinung nach das Kandidatenturnier im März 2018 in Berlin gewinnen?

Ich bin keine Wahrsagerin. Wir wissen noch nicht einmal, wer an diesem Turnier teilnehmen wird. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen nur Karjakin, Aronjan und Ding fest. Es gibt noch fünf weitere Plätze, doch bei einem so harten Wettbewerb auf höchster Ebene werden schlussendlich das Glück und die Fähigkeit entscheiden, mit der Nervosität zurechtzukommen.

Zsuzsa, lassen Sie uns über die wichtigsten Entwicklungen im Frauenschach reden. Welcher WM-Modus wäre Ihrer Meinung nach der Beste? Warum schaffen es russische Schachspielerinnen seit Jahren nicht mehr, die Weltmeisterkrone zu erobern?

Ich glaube, dass sich der WM-Modus der Frauen nicht von dem der Männer unterscheiden sollte. Doch aufgrund fehlender Finanzierung und Sponsoring tut er das. Was die zweite Frage angeht – dafür gibt es einige Gründe: Zum einen führte der Zusammenbruch der Sowjetunion zur erheblichen Image-Senkung und verringerten Unterstützung des Schachs. Auf der anderen Seite hat sich das Schachniveau auf der ganzen Welt, vor allem in Asien, stark erhöht. Dazu kommt, dass sich das Schach in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert hat. Beispielsweise wurde die Hängepartie abgeschafft, die Bedenkzeit gekürzt, Datenbanken und Schachsoftware wurden entwickelt und so weiter. All das beeinflusst die Vorbereitung und das Spielvorgehen selbst. Wie es scheint, haben sich asiatische sowie einige westeuropäische Schachspielerinnen und ihre Trainer diesen Veränderungen sehr gut angepasst …

Zsuzsa, lassen Sie uns über Politik reden. Wie beurteilen Sie die ersten Schritte von Donald Trump als US-Präsident? Muss er in naher Zukunft irgendwelche Klagen befürchten?

Ich bevorzuge unpolitische Diskussionen. Wer zum Präsidenten gewählt wird, ist nicht wirklich das Problem, fast 50% des Landes wird gegen diese Person sein. Ein Problem ist, dass die Mehrheit der Menschen durch ihr leidenschaftliches Handeln und ihre Überzeugungen die Objektivität verlieren. Die Menschen wollen keine gegensätzlichen Ansichten hören oder ausdiskutieren. Beispielsweise haben Menschen, die aus einer Großstadt kommen, andere Bedürfnisse im Vergleich zu den Bewohnern einer Kleinstadt. Sie glauben aber, dass ihre Ansichten die Richtigen sind. Auch in den sozialen Medien „twittern“ zu viele Menschen und posten irgendwelche Nachrichten, ohne über die Probleme nachzudenken. Es gibt heute zu viele Faktoren, die die Trennkultur in den USA und weltweit beeinflussen.

In den Vereinigten Staaten sind Hockey, Basketball und Tennis sehr beliebt. Verfolgen Sie irgendwelche Sportarten? Sind Sie Anhänger bestimmter Mannschaften oder Fan bestimmter Sportler?

Am liebsten mag ich Basketball und Tennis. Ich sympathisiere mit den „Houston Rockets“ (Der General Manager der Rockets ist ein Freund von mir). Des Weiteren bin ich ein Fan von Novak Djokovic. Ich halte ihn für einen ausgezeichneten Tennisspieler und eine herausragende Persönlichkeit. Leider gibt es nicht allzu viele großartige Persönlichkeiten im Schach.

Zsuzsa, könnten Sie in Russland ein ausgefülltes Leben führen oder sagen Ihnen die Bedingungen in den USA mehr zu?

Ich bin keine Russin und habe nie in Russland gelebt ... Deshalb ist es schwer zu sagen. Wer in einem kulturreichen Land mit ausgezeichneter Küche und im Kreise seiner Familie und Freunde aufwächst, wird vermutlich auch in Russland ein komfortables Leben führen können. Mir gefällt es natürlich, in den USA zu leben.

Was wünschen Sie als Mutter und berühmte Schachspielerin ihren Söhnen? Haben sie sich schon für ihre Berufe und Hobbys entschieden?

Ich wünsche ihnen, dass Sie glücklich sind und sich eine Karriere aufbauen. Mein jüngerer Sohn Liam möchte Ingenieur werden. Er liebt es, Dinge zu bauen, mag auch Fitness. Mein älterer Sohn Tom hat gerade sein Studium angefangen, er interessiert sich für Wirtschaft. Was seine Hobbys angeht – er spielt Schach auf Meister-Ebene und liebt viele Sportarten: Tennis, Basketball, Fußball und so weiter.

Wenn ich mir Ihre Biographie und Lebenserfolge anschaue: Weltmeisterin, Großmeister im Schach, Polyglott, glückliche zweite Ehe und so fort … Sie sind wohl ein genialer Mensch. Sagen Sie mir in diesem Zusammenhang bitte – ist es leicht, ein Genie zu sein?

Ich halte mich nicht für ein Genie. Ich hatte günstige Lebensumstände, liebevolle und selbstlose Eltern. Ich bin bereit, hart zu arbeiten und das ist eine wichtige Voraussetzung, um erfolgreich zu sein.

Quelle: http://www.worldofchess.ru...

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. Übersetzung aus dem Russischen: Vera Jürgens  


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