Jan Werle: Saemischvariante - eine Rezension

von ChessBase
23.10.2021 – Die Saemischvariante ist eine sehr stabile Antwort auf die Königsindische Verteidigung. Nach gleichem Muster kann aber auch Benoni beantwortet werden. Jan Werle stellt den weißen Aufbau auf seiner DVD gründlich vor. Philipp Hillebrand hat sich die DVD ebenso gründlich angesehen.

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Eine Rezension von Philipp Hillebrand

Die Sämischvariante von GM Jan Werle

Wer als Anziehender seine Partie mit 1.d4 anfängt, der ist in aller Regel darauf aus, die Partie möglichst gut kontrollieren zu können. Die geschieht meist mit Hilfe eines Raumvorteiles. Dem Nachziehenden stehen viele gute Antworten gegen 1.d4 zur Verfügung, allerdings besitzt die Königsindische Verteidigung meiner Erfahrung nach einen beliebten Status unter Vereinsspielern, denn das Angriffsschema in geschlossenen Strukturen ist meist klar umrissen und oft auch sehr tödlich für einen weißen König auf g1. Darüber hinaus spielt ein Königsinder seine ersten Züge gerne im Autopiloten. Der Nachziehende spielt meist kompromisslos seine Bauern am Königsflügel nach vorne und wenn ein schwarzer Bauer auf g3 erscheint, wird es meist heikel bis unmöglich den weißen König zu retten. Den Damenflügel vernachlässigt der Nachziehende dafür meist freiwillig, denn der Mattangriff ist die Priorität für beide Seiten. Dies sind meiner Erfahrung nach die Gründe für die Beliebtheit der Königsindischen Eröffnung.

The Saemisch Variation against the King's Indian and Benoni

Beat the King's Indian and Benoni structures with the impenetrable pawn phalanx g2-f3-e4-d5. Encounter your opponent with sound and fresh ideas in this classical rebooted line of the Saemisch!

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Die Sämischvariante richtet sich genau gegen solche Szenarien, denn zum einen spielt der Anziehende nicht selten mit einer langen Rochade oder lässt seinen Monarchen gar im Zentrum! Die starke Bauernkette aus g2-f3-e4-d5-c4 bestehend rechtfertigt diese zugegebenermaßen risikoträchtige Strategie. Die Ausgangsstellung der DVD entsteht nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3. Dieser Bauernzug, benannt nach dem erfolgreichen deutschen Schachspieler Friedrich Sämisch, kennzeichnet die Thematik des Raumvorteils mit einem weißen Bauern auf d5. Nach 5…0-0 bevorzugt es der niederländische Autor mit dem Springerzug 6.Sge2 fortzusetzen, denn es ist nicht ganz klar, ob der weiße Damenläufer auf e3 oder g5 am wirkungsvollsten steht. Wie stark die Sämischvariante ist, belegt die Tatsache, dass auch Robert James Fischer damit seine liebe Mühe hatte und gegen dieses Abspiel insgesamt fünf Niederlagen einstecken musste. In den mitgelieferten Musterpartien befinden sich davon zwei.

Die DVD ist unterteilt in die für den Nachziehenden zur Verfügung stehenden Aufbauten:

1.         Die Variante, benannt nach Oscar Panno: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6

5.f3 0-0 6.Sge2 Sc6

2.         Die Variante, benannt nach Robert Byrne: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6

5.f3 0-0 6.Sge2 a6

3.         Abspiele um …Sbd7 nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6

5.f3 0-0 6. Sge2 Sbd7

4.         Klassische Abspiele um …e5 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6

5.f3 0-0 6.Sge2 e5

5.         Ben Oni Strukturen nach 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6

5.f3 0-0 6.Sge2 c5 7.d5

Generelles:

Diese DVD wartet mit einer für mich relativ neuen Struktur auf, welche aber einen sehr guten Eindruck auf mich macht. Im ersten Abschnitt werden anhand kurzer Videos alle betrachteten Abspiele vorgestellt, damit man ein erstes Gefühl für die später besprochenen Varianten bekommt. Die weiteren Unterkapitel bieten im Kopf die Hyperlinks zu den Analysen und Musterpartien. Dann werden die theoretischen Untersuchungen vorgestellt. Daran schließen kurze Videos an mit dem Namen „Memory Marker“, in denen es darum geht, die vorgestellten Varianten zu wiederholen. Dann werden zwei bis drei Musterpartien vorgestellt zu der Thematik und das ganze endet mit interaktiven Videolektionen. Dies ist also der Part, welcher bei vielen anderen DVDs zum Ende unter „Bonus“ angeboten wurde. Ich halte diese Art der Strukturierung für sehr gut, ist man als Zuhörer doch früher gefordert, aktiv zu werden, wodurch sich das Gelernte besser einprägen dürfte! Ganz zum Schluss werden die Trainingsmöglichkeiten via Apps angeboten, wodurch man das Studienmaterial umfangreich und praktisch nutzen kann.

Zu 1:

Bereits an dieser gefällt das Repertoire, welches der Autor präsentiert, denn es werden meist mehrere Aufbauten und Züge präsentiert, wie es analog um die Frage einer Läuferentwicklung um e3 oder g5 der Fall ist. Die Panno Variante ist dadurch gekennzeichnet, dass der Nachziehende mit …a6, …Tb8 den Zug …b5 durchsetzen möchte:

 


Diese Stellung entsteht nach den Zügen .d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Sge2 Sc6 7.Le3 a6 8.Dd2 Tb8

Nunmehr bietet der niederländische GM zwei gut spielbare Fortsetzungen an mit 9.Tc1 und 9.Sc1. Der Turmzug ist aber subtiler und die eigentliche Empfehlung, denn hier wird man auch mit dem Thema Prophylaxe konfrontiert. Setzt der Nachziehende nun mit 9…b5 konsequent fort, kostet ihn das nach 10.cxb5 axb5 11.Sxb5 einen Bauern wegen der Röntgenwirkung des Tc1 gegen den Sc6. Also muss der Nachziehende erst besagten Sc6 decken, z.B. mittels 9…Ld7. Nun geht es wieder scharfsinnig weiter mit 10.Sd1!?. Dieser Rösselsprung richtet sich erneut gegen den schwarzen Zug des b-Bauern, denn nun kann man c5 spielen, wonach der Anziehende eine vorteilhafte Bauernstruktur besitzt. Darüber hinaus kann der weiße Springer nach f2 ziehen, wo er sehr gute Dienste leistet. Zum einen Stützt er den zentralen Punkt e4 nochmals und auch ein aggressives Vorgehen um g2-g4 wird unterstützt. Gerade das Vorgehen am Königsflügel mit den Bauernzügen g2-g4 und dann h2-h4 etc. ist eines der möglichen Hauptideen im Sämischaufbau, welche aber nicht immer realisiert werden müssen, für eine vorteilhafte Stellung, denn auch ein Vorgehen im Zentrum kann sehr vielversprechend sein. Das Ende des Hauptabspiels sieht in dieser Empfehlung wie folgt aus:

 

Der Anziehende ist sehr gut entwickelt und seine Leichtfiguren haben gesicherte Stützpunkte hinter der Bauernphalanx.

Wer zuletzt den World Cup verfolgt hat, konnte zwischen GM Shankland und GM Svidler folgende Stellung verfolgen:

 

Die vorausgegangenen Züge waren 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.h4!? Lg7 4.Sc4 d6 5.e4 Sc6 6.Sge2 0-0 7.f3 e5 8.d5 Sd4 9.Le3 c5 10.dxc6 bxc6 11.Sxd4 exd4 12.Lxd4 Tb8.

GM Shankland gewann eine mutig und gut geführte Partie. Werle untersucht einen ganz ähnlichen Aufbau mit 9.Sc1 anstelle von 9.Tc1:

1rbq1rk1/5pbp/p1pp1np1/8/2PBP3/2N2P2/PP1Q2PP/R3KB1R b KQ - 0 14

Eine der Unterschiede liegt in der Position der weißen Dame auf d2 und dem Aufzug des weißen h- Bauern, denn GM Werle untersucht das Abspiel wie folgt nach: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Sge2 Sc6 7.Le3 a6 8.Dd2 Tb8 9.Sc1 e5 10.d5 Sd4 11.Sge2 c5 12.dxc6 bxc6 13.Sxd4 exd4 14.Lxd4.

Man sieht also, wie aktuell das Material von GM Werle an diese Stelle ist!

Zu 2:

In diesem Kapitel werden zwei Abspiele untersucht, diesmal ist es jedoch der Nachziehende, welche entscheidet zwischen zwei gut spielbaren Untervarianten. Vor allem ein von GM Alexander Grischuk vorgeschlagenes Bauernopfer ist dabei sehr beachtlich und es ist hilfreich, etwas darüber zu wissen:

 

Diese Stellung entsteht nach den Zügen 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Sge2 a6 7.Le3 b5!? Vergleichbar eines Benkö Gambits kann die Kompensation auf den offenen a- und b-Linien sehr unangenehmen werden. Der von GM Werle vorgeschlagene Weg setzt auf eine sehr kompakte Stellung, welche am Ende so ausschaut, wo der Nachziehende seine Kompensation erst noch mal beweisen muss:

 

Im Vergleich zu einem Benkö Gambit, hat der Anziehende noch den weißfeldrigen Läufer, und somit Kontrolle über die Felder d3 und c4, was für ihn von Vorteil ist, haben es schwarze Figuren so schwerer sich auf diesen Feldern einzunisten.

In der Hauptvariante um .d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.f3 0-0 6.Sge2 a6 7.Le3 c6 setzt der Autor auf den interessanten Zug 8.c5!?, mit der Absicht das geschwächte Feld b6 nachzuweisen, was nach …b5 dxb6 e.P. der Fall sein kann. Hier findet man wieder Partienmaterial von GM Shankland, es ist also gut möglich, dass er sich intensiv mit diesen Abspiele beschäftigt hat und es lohnenswert ist, sich mit seinen Partien zu beschäftigen!

Die besprochene Musterpartie zwischen GM Dmitry Bocharov und GM Dmitry Kryakvin, 1-0 (44) Nizhnij Nagil 2014 zeigt auf beachtliche Weise, dass auch ein Königsangriff des Anziehenden nicht selten der Fall ist.

Zu 3:

Dieser Abschnitt ist dadurch gekennzeichnet, dass sich hier zwei recht unterschiedliche Szenarien ergeben. Zum einen eine geöffnete Zentrumsstruktur wenn der Nachziehende mit …e5 und exd4 fortsetzt und zum anderen, wenn es nach …e5 d5 zu den oben angesprochenen Situationen um einen weißen Raumvorteil geht.

Nach dem Nehmen auf d4 bekommt der Nachziehende es in der Regel mit der Maroczy Struktur zu tun. Wenn er dann auch noch den c-Bauern nach c6 stellt um dynamisches Potential um den Durchbruch mit …d5 zu generieren, dann geht er das Risiko ein, dass der rückständige oder am Ende der Operationen isolierte schwarze d-Bauer zu langfristigen Verpflichtungen werden. Insgesamt werden die offenen Strukturen also komplexer und es gilt für beide Seiten einiges zu Berechnen:

 

Der letzte schwarze Zug war …d5 und es scheint zunächst so, als sind die anschließenden Verwicklungen für den Nachziehenden okay. Aber der weiße Entwicklungsvorsprung und vor allem der eingeklemmte Ta8 sprechen aber dafür, dass es eher der Anziehende ist, welcher von der Stellungsöffnung profitieren wird, dank seiner aktiven Figuren.

Ein Beispiel dafür, wie sicher sich der weiße König hinter einer stabilen Kette im Zentrum fühlen kann, zeigt die folgende Stellung:

 

Auf c2 stehend hat der weiße König sehr wenig zu befürchten, zumal er das Feld b5 öfters kontrolliert als sein Gegenspieler. Auf dem Königsflügel hingegen sieht die Spannung anders aus, und es ist die Sicherheit des schwarzen Königs, welche eher gefährdet erscheint.

Zu 4:

In aller Regel hat man in diesem Kapitel mit einer geschlossenen Struktur zu tun, wo der Nachziehende mittels Aufzug seines f- Bauern aufwarten möchte. Allerdings ist dieser wie schon einmal angedeutet weniger gefährlich für den weißen König, wenn dieser nicht am Königsflügel residiert:

 

Der letzte Zug des Nachziehenden war 13…Sh7 und eine Öffnung der f- Linie kann der Anziehende auch nicht vermeiden, aber er braucht daran auch kein allzu großes Desinteresse zeigen, denn so wird auch der schwarze König anfälliger. Wieder ist es an dieser Stelle ein weißer Springerzug, welchen sich der Anziehende „erlauben“ kann, dank der stabilen Lage im Zentrum um die Speerspitze auf d5. Mittels 14.Sd1!? kann der Anziehende seine Truppen effektiv umgruppieren und trotz der geöffneten c-Linie ist eine lange Rochade nicht ausgeschlossen, denn ein weiteres übliches Motiv lautet es sich auf b1 oder a1 gemütlich zu machen, um dann mittels Tc1 in der c-Linie spielen zu können, denn der eigentliche Knackpunkt im schwarzen Lager sind die Schwächen auf c7 und d6!

Zu 5:

Wie zu vermuten, kommt das „Beste“ zum Schluss. In diesem Falle geht es aber eher darum, die Aspekte um Dynamik und konkretes Rechnen bzw. Bewerten in den Blick zu nehmen. Nicht selten hängt der Ausgang in Ben Oni Strukturen davon ab, welche Strategie sich effektvoller umsetzen lässt. Die Aktivität der schwarzen Figuren soll die chronische Schwäche des schwarzen Bauern d6 aufwiegen. Oft steht der weiße Springer auf e2 nicht gut, weswegen er auf andere Felder überführt werden soll. Gerade in diesen Strukturen ist auf c4 das optimale Feld für die weiße Kavallerie. Eine weitere immer wiederkehrende Idee ist es den weißen Sg3 mittels …h5-h4-h3 zu stören:

 

Der letzte schwarze Zug war offensichtlich …h4 und der weiße Sg3 fühlt sich genötigt erneut zu ziehen. Allerdings ist dies alles andere als unangenehm, denn via f1-d2 winkt das schöne Feld c4.

Eine andere „geschichtsträchtige Route“ präsentiert das folgende Diagramm:

 

Der weiße Springer auf g3 steht aktuell wenig sinnvoll. Daher macht er sich auf den Weg zu anderen Gefilden mittels 14.Sh1! Dann geht es mit Sf2 weiter und vielleicht sogar nach d1-e3 um das wichtige Feld c4 zu bestreichen.

Fazit

Meines Erachtens ist dies eine sehr starke DVD von GM Jan Werle und sicher eine optimale Ergänzung zu dem Werk von GM Marco Baldauf, welcher 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3(!) untersucht, mit der Absicht es einem Grünfeldindisch Spieler schwer zu machen. So hat man also zwei sehr beliebte Eröffnungen „im Griff“. Auf dieser DVD erklärt der niederländische GM die typischen Bauernstrukturen, Umgruppierungen, Hebel und andere wichtige strategische Elemente in klarer und nachvollziehbarer Weise. Insbesondere wenn man es verstanden hat, dass es wichtig ist, den Se2 sinnvoll zu nutzen, sprich auf effektivere Positionen zu bringen, das hat man schon einiges aus dieser DVD mitgenommen. Das Besprechen von Musterpartien in interaktiver Form macht dabei einen besonders guten Eindruck!

Ich spreche eine klare Kaufempfehlung aus und denke, dass Spieler ab einer DWZ von 1600 an aufwärts mit diesem Produkt nichts falsch machen können und ich gebe bedenkenlos 5/5.

The Saemisch Variation against the King's Indian and Benoni

Beat the King's Indian and Benoni structures with the impenetrable pawn phalanx g2-f3-e4-d5. Encounter your opponent with sound and fresh ideas in this classical rebooted line of the Saemisch!

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