Jeremy Silman (1954-2023)

von Stefan Löffler
26.09.2023 – Jeremy Silman (1954-2023) blieb nach dem Bobby Fischer-Boom beim Schach hängen, entdeckte sein Schreibtalent und ließ sich für Schachstunden fürstlich bezahlen. Vorigen Donnerstag ist der kalifornische Bestsellerautor nach langer Krankheit gestorben. Stefan Löffler erinnert sich. | Fotos: Jeremysilman.com

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Amerikas Lehrmeister

„Nie langweilig.“ Diese zwei Worte genügen John Donaldson, um Jeremy Silman zu charakterisieren. Sie kannten sich seit 1981. Silman war mit 19 aus einem texanischen Provinzkaff nach San Francisco gezogen. Es waren die frühen Siebziger und die Zeit der Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, der Drogen, der freien Liebe und Bobby Fischers. Der führte in Reykjavik die Sowjets vor, und Amerika entdeckte das Schach. Silman zeigte Talent, wurde in kurzer Zeit „National Master“, gewann erste Geldpreise, gab Schachstunden, schloss Freundschaften. 

Ein wichtiger Treffpunkt waren Ende der Siebzigerjahre die Opens in Lone Pine, sieben Autostunden östlich von San Francisco. Dort hat Jon Tisdall Silman kennengelernt. „Ich habe seine Gesellschaft immer genossen, aber ich hatte längst nicht oft genug das Vergnügen.“ Tisdall zog nach Norwegen, Silman nach Los Angeles. Zwei Jahrzehnte später schrieben beide Lehrbücher, die verändert haben, wie Schach vermittelt wird: persönlich, ehrlich, mit einer Prise Ironie. Während Tisdalls „Improve Your Chess Now“ von Kritikern gelobt wurde und sich redlich verkaufte, waren Silmans „How to Reassess Your Chess“ und „The Amateur´s Mind“ Augenöffner. 

Silman mit Judit Polgar und Yasser Seirawan

Er orientierte sich nicht an den Partien der Großmeister sondern an denen seiner Schachschüler. Warum hatte eigentlich vorher niemand darüber geschrieben, warum wir patzen, wie wir es vermeiden und wie man eine Position anhand der Ungleichgewichte versteht? Später haben Alex Yermolinsky und Jonathan Rowson das Genre verfeinert, aber das richtete sich schon an gehobene Spieler. 

Seine Frau, Gwen Feldman, hatte 1990 in Los Angeles mit einem Partner namens James Fox den Verlag „Silman-James Press“ gegründet. Hauptsächlich brachte er Filmbücher heraus. Nun kam unter dem Imprint „Siles“ Schach dazu. Mit “Silman´s Complete Endgame Course” und “The Complete Book of Chess Strategy“ folgten weitere Bestseller. Allein die vier genannten Titel verkauften sich weit über eine halbe Million Mal und wurden vielfach übersetzt. 

Jeremy Silman mit den Polgar-Schwestern

Mit Ende vierzig hörte Silman auf, Turniere zu spielen, und konnte sich aussuchen, wem er noch Unterricht gab. Eine der Anfragen kam vom Persischen Golf. Ein Scheich ließ ihn nach Abu Dhabi einfliegen. Rechnete man nur die gemeinsame Zeit am Schachbrett, kam er auf einen Stundensatz über tausend Dollar, erzählte er mir, als ich ihn 2006 besuchte. Es war ein äußerst unterhaltsamer Nachmittag, aber kein Interview und ich machte mir auch keine Notizen. Mit Gwen bewohnte er eine Villa östlich von Hollywood. Die Einrichtung war nicht durch Film-Memorabilia geprägt, wie ich erwartet hatte, sondern durch Asiatika. Ihr gemeinsames Interesse kulminierte bei asiatischen Filmen und bei Japan, wo sie später einige Zeit lebten. 

Außer seinen gelobten Lehrbüchern verfasste Silman einige klassische Eröffnungswerke und half Pal Benkö bei seinen Memoiren.

Silman (m.), Benkö, (li.) und Gross

Silman wurde als Berater beigezogen für den Film "Harry Potter und der Stein der Weisen". Wer die Schachszene gesehen hat und nicht stimmig fand, kann in seinem In einem Beitrag für "The Leaky Cauldron.org" nachlesen, wie er es geplant hatte und was daraus gemacht wurde. 

In „Silman´s Chess Odyssey“, 2022 erschienen, hinterließ er selbst persönliche Erinnerungen, gemischt mit Porträts von Spielern, denen er begegnete oder die er bewunderte. Daneben verfasste er Hunderte Kolumnen für Chess.com. Als er vor drei Jahren damit aufhörte, um sich anderen Dinge im Leben zu widmen, ahnten Freunde, dass er ihm nicht gut ging. Am 21. September starb er nach langer Krankheit, gab der US-Schachverband auf Twitter bekannt: „Er war wahrlich Amerikas Schachlehrer“ 


Stefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.