ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
"Wir sind eine Organisation in einer Organisation."
Interview mit Jörg Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Schachjugend,
anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums am 1. August 2015
Jörg, Du feierst in diesem Jahr dein 25-jähriges Dienstjubiläum als Geschäftsführer der Deutschen Schachjugend...
Ob ich das feiere, weiß ich nicht, aber ich bin seit 25 Jahren dabei.
Die erste Frage, die man sich als Außenstehender stellt, ist: Schachjugend und Schachbund - wieso ist das überhaupt getrennt. Wieso ist die Schachjugend eine eigene Organisation?
Das ist eine gute Frage. Das fragt sich der Deutsche Schachbund auch ständig und überlegt, ob man das nicht ändern kann. Der ganze organisierte Jugendbereich in Deutschland ist eigentlich ein Unikat. Das gibt es sonst nirgendwo in der Welt. Das merkt man schnell, wenn man im Jugendbereich tätig ist. Man hat nie ein Pendant im Ausland, weil es eine solche Jugendorganisation wie bei uns anderswo nicht gibt. Jugendwarte gibt es, aber eben keine organisierte Schachjugend. In Deutschland ist diese Art der Jugendorganisation politischer Wille, der auf die Besatzungszeit zurückgeht. Hauptsächlich die Amerikaner haben das seinerzeit vorangetrieben. Damit sollte verhindert werden, dass es in Deutschland jemals wieder eine fremdbestimmte deutsche Jugend gibt, die irgendjemandem hinterher läuft, wie im 3. Reich.
Deswegen ist es eines der Ziele der Bundesregierung, des Jugendministeriums, dass es eine demokratische, eigenständige, sich selbst bestimmende deutsche Jugendorganisation gibt, die dann durch den Kinder -und Jugendplan gefördert wird. Das ist der Hauptgrund dafür, dass es in allen Organisationen die eigenständige Jugend gibt, nicht nur in den Sportverbänden, sondern in allen Organisationen. Die Landessportjugenden oder die Fachverbandsjugenden haben allerdings immer damit zu kämpfen, dass die Erwachsenenverbände diese große Eigenständigkeit eigentlich nicht mögen.
Die Deutsche Schachjugend erhält also von der Bundesregierung finanzielle Unterstützung?
Ja, aber wir bekommen unsere Förderung nicht für unsere sportlichen Aktivitäten, sondern weil wir Jugendarbeit machen. Im Kinder - und Jugendplan wird jede Form von Jugendarbeit gefördert, in der Feuerwehr, bei den Pfadfindern und eben auch die der Schachjugend. Dabei wird aber vom Staat gefordert, dass die Jugendorganisationen unabhängig sind, also einen eigenen Vorstand haben, über ihre Etatmittel selbst verfügen, etc.
Die finanzielle Unterstützung erhaltet ihr also unabhängig vom Schachbund?
Ja, das ist auch unsere Haupteinnahmequelle. Der größte Geldgeber ist das Jugendministerium.
Wie viel Zuschuss bekommt die Schachjugend?
Wir bekommen im Moment knapp 100.000 Euro jährlich für unsere Jugendarbeit. Die normale Förderung liegt bei 46.000 Euro. Da sind auch Personalmitte für meine Stelle mit drin. Wir haben aber seit zwei Jahren noch ein Extraprogramm, für das wir zusätzlich etwas weniger als 60.000 Euro erhalten. Dort geht es um Mädchenförderung im Schach und Ehrenamtsförderung. Wir bekommen kein Geld vom Jugendministerium für unsere sportlichen Aktivitäten, zum Bespiel die deutschen Jugendmeisterschaften. Diese finanzieren wir mit den Mittel, die wir vom Schachbund bekommen,
Wie hoch ist der Zuschuss vom Deutschen Schachbund?
Zur Zeit beträgt dieser 67.500 Euro im Jahr. Der Zuschuss wurde kürzlich auf diesen Betrag aufgestockt.
Die Schachjugend ist aber auch Mitglied in der Sportjugend...?
Ja. Wir sind in der Deutschen Sportjugend sehr anerkannt und gelten sogar als einer der Vorzeigeverbände.
Und seit wann gibt es die Deutsche Schachjugend. Wann wurde sie gegründet?
Sie gibt es seit 1970.
Das ist aber doch ein Stück weit weg vom Ende des Zweiten Weltkrieg ...?
Richtig. Das hat beim Schachbund lange gedauert, bis er diesen Schritt gemacht hat.
Und die Initiative ging dann vom Deutschen Schachbund aus?
Die Initiative ging von Christian Zickelbein und Ernst-Robert Kadesreuther aus. Kadesreuther war Jugendwart im Schachbund und Zickelbein war für Schulschach zuständig. Die beiden haben gesagt: "Wir wollen mehr machen im Jugendschach, als es derzeit im Schachbund gibt!" Damals gab es nur eine Jugendmeisterschaft und Schulschachmeisterschaften gab es auch nicht. Zickelbein hat damals versucht das Schulschach von Hamburg aus ins Bundesgebiet voranzutreiben. Hamburg ist ja sozusagen die Keimzelle des Schulschachs in Deutschland. Die beiden haben nach langen heißen Diskussionen den DSB-Kongress dazu gebracht, dass die Schachjugend gegründet wurde.
Als Moderator der Jubiläumsveranstaltung 25 Jahre DSJ in Halle
Jürgen Jacob, sportlicher Leiter, Dr. A. Filipowicz, Polen Hauptschiedsrichter, und ich bei der WM U20 in Halle, anlässlich des Jubiläums 25 Jahre DSJ
Und dann wurde auch die Stelle eines Geschäftsführers eingerichtet...?
Oh nein. Dieses Thema ist mit einer der bitteren Stunden des Deutschen Schachbundes verbunden. In den 1970er Jahren wurde nämlich von der Bundesregierung im Rahmend des Kinder- und Jugendplans massenhaft Stellen im Kinder- und Jugendbereich eingerichtet und angeboten, so genannte Jugendbildungsreferenten. Die Stellen wurden in allen Bundesländern und im Bund eingerichtet und fast wie Sauerbier angeboten. Der Schachbund hat aber - das habe ich in alten Protokollen gelesen - das abgelehnt und gesagt: "Das brauchen wir nicht. Das kostet nur Geld." In der Bundesförderung bekommt man immer nur eine 80%-Förderung. 20% muss man selber aufbringen. Damals gab es schon die Geschäftsstelle und man hätte dann mit dieser 80%-Förderung einen Jugendsekretär einrichten können, aber man wollte eben die restlichen 20% nicht dafür bezahlen und hat es abgelehnt.
Und wer hat stattdessen die Schachjugend am Anfang geführt?
Wir alle, also Ehrenamtliche. Das heißt, es gab einen ehrenamtlichen Vorstand. Erster Vorsitzender war Ernst-Robert Kadesreuther. Ab und zu durfte man auch auf die Geschäftsstelle des Schachbundes zugreifen. Kadesreuther war auch noch Vorsitzender, als ich 1977 oder 1978 in die Jugendarbeit hier in Hamburg eingestiegen bin.
1978 hast du hier in Hamburg die Deutschen Jugend-Vereinsmeisterschaften mitorganisiert. War das der Beginn deiner Jugendarbeit?
Das war damals in der Jugendherberge ein Langenhorn, am Flughafen. Meine Schachgruppe im Matthias-Claudius-Gymnasium feierte damals ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Sie ist genauso alt wie ich. Deshalb haben wir das ausgerichtet. Das war im so genannten Jahrhundert-Winter. Von einem Tag auf den anderen, in der Nacht, am letzten Tag, lag dann plötzlich überall meterhoher Schnee, so dass man gar nicht mehr weg kam. Der Schnee lag wirklich zwei Meter hoch. Aus den Fenstern der Jugendherberge im Erdgeschoss sah man nur noch Schneewände. Wir waren den ganzen Vormittag beschäftigt, mit der Kaffeemaschine Wasser zu kochen, um damit die Autos aufzutauen, die alle zugefroren waren. Da lagen Zentimeter dicke Eisschichten drauf. Am Abend zuvor hatte es noch reichlich geregnet. Das war der Wahnsinn. Die meisten Züge sind ja auch ausgefallen. Und alle Teilnehmer kamen nur auf zum Teil sehr abenteuerliche Weise wieder nach Hause.
In die Jugendarbeit bin noch früher eingestiegen, mit 14 Jahren. 1979 bin ich dann Vorsitzender des Hamburger Schachjugendbundes geworden. Dann fährt man zu Bundeskongressen und Jahreshauptversammlungen und ist praktisch auf Bundesebene aktiv. Ich war dann immer überrascht, dass ich dort unter immer lauten "Greisen" saß. "Das ist jetzt Jugendarbeit, oder was," dachte ich. Damals war es noch üblich, dass die Jugendwarte der Länder alles Rentner waren. Außer Hamburg hatte noch Schleswig-Holstein und Niedersachsen junge Leute. Rolf Hundack aus Bremen war auch noch jung - also der Norden hatte junge Vertreter. Die "jungen Rebellen" aus dem Norden haben dann versucht, den Laden etwas aufzumischen. Besonders Schleswig-Holstein war da sehr aktiv. Da wurden witzige Debatten geführt und Anträge gestellt. Bei einer Deutschen Jugendmeisterschaft wurde zum Beispiel die Bundeswehr besucht. Schleswig-Holstein hat dann auf dem Jugendkongress den Antrag gestellt, dass so etwas grundsätzlich zu verbieten sei. Oh, da ging es hoch her. Die alten Leute wollten sich das aber nicht verbieten lasse, denn da gab es doch umsonst Mittagessen bei der Bundeswehr. Meine erste Funktion auf Bundesebene in der DSJ war die Mitgliedschaft im Arbeitskreis Breitensport. 1987 bin ich dann in den Ausschuss für Spitzensport gewählt worden. 1988 bin ich dann Vorsitzender des Deutschen Schachjugend, der DSJ, geworden. Die Hauptversammlung der DSJ war damals in Hamburg-Neugraben im März 1988.
Als Sportler
Dann warst du also Vorsitzender der DSJ, als Ehrenamtlicher. Wann wurdest du denn dann Geschäftsführer der DSJ?
Das Besondere ist, dass ich meinen eigenen Posten selbst geschaffen habe. Es gab ja die Geschäftsstelle des Schachbundes...
Seit wann...?
Die wurde Mitte der 1970er Jahre eingerichtet. Von Alfred Kinzel als Präsident des DSB. Er war 1975 gewählt worden und hat dann Horst Metzing als Geschäftsführer eingestellt. Die beiden haben damals die Geschäftsstelle in Berlin gegründet, mit privaten Möbeln, Schreibmaschine etc.
Aber es gab keinen Sekretär für Jugendfragen. Es wurde dann Ende der Achtziger vom Schachbund aber eine ABM-Stelle eingerichtet. Diese wurden durch den Bund massiv gefördert. Das war in den 1980er Jahren ein großes Programm zur Arbeitsplatz-Beschaffung. Die Stelle wurde von Doris Kramer besetzt mit Zuständigkeit für den Breitensport. Sie hatte auch eine berühmte Deutschland-Karte angefertigt. mit allen Schachvereinen, deren Mitgliedern und so weiter. Wir hatten in der DSJ schon 1987/88, als es immer mehr Jugendmeisterschaften gab mit der Aufteilung nach Altersgruppen, die Forderung gestellt, dass es eine Stelle für die Schachjugend geben solle. Die ABM-Stellen wurden dann vom Bund auf ein zweites Jahr verlängert, wenn man damit die Perspektive für eine richtigen Arbeitsstelle verband. Im Mai 1988 habe ich mich auf dem Bundeskongress mit einer Rede an die Delegierten gewandt und mich für die Schaffung dieser vollen Stelle eingesetzt und konnte dadurch die Versammlung dazu überreden, für eine Beitragserhöhung zu stimmen, aus der die Mittel dafür kommen sollten. Die ABM-Stelle konnte in eine feste Stelle umgewandelt werden und 1989 wurde Doris Kramer dann die erste Geschäftsführerin der DSJ.
Du bist aber ja nicht Doris Kramer...?
Haha, ja richtig. Ich habe die Beitragserhöhung durchgesetzt. Damit konnte die Stelle finanziert werden und ich habe dann als Vorsitzender der DSJ mit Doris Kramer gut zusammen gearbeitet. 1989 kam dann aber die Wendezeit und es gab in Berlin eine Schülerschwemme. Der Berliner Senat suche händeringend nach Lehrern und Doris Kramer war ausgebildete Lehrerin und hat dann von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ist Lehrerin geworden, ich glaube in Charlottenburg. Frau Kramer hat also gekündigt, noch im zweiten ABM-Jahr. Es gab dann für ein halbes Jahr noch einen Nachfolger. Dann wurde die Stelle öffentlich ausgeschrieben und da habe ich mich beworben.
Du hattest zu der Zeit noch keinen anderen Beruf?
Nein, ich saß 1989 noch im Rahmen meines Geschichts-Studiums an meiner Doktorarbeit, Thema war die Geschichte der Hamburger Behinderten-Werkstätten. Das Thema hatte ich schon als Magisterarbeit. Gegründet wurden die Werkstätten in der Weimarer Republik. Irgendwie haben sie auch die Nazizeit überlebt. Die Werkstätten gibt es immer noch, der Hauptsitz ist in Farmsen. Unter den vielen Bewerbern hat der Schachbund dann mich genommen, inzwischen war es 1990 und dann bin ich nach Berlin gezogen. Meine Doktorarbeit konnte ich nicht beenden, da das eine reine Archivarbeit war. Und es ist mir nicht ganz leicht gefallen, meine geliebte Hansestadt Hamburg zu verlassen.
Wer war zu dieser Zeit Präsident des Schachbundes?
Das war inzwischen Heinz Hohlfeld, als Nachfolger von Alfred Kinzel. Er kam aus Hannover und war lange Präsident des Niedersächsischen Schachbundes, dann Vize-Präsident des DSB unter Kinzel. Hohlfeld musste aber 1989 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Sein Nachfolger wurde dann Egon Ditt, der zuvor Vizepräsident gewesen war. Als meiner Bewerbung entsprochen wurde, war Ditt schon Präsident.
Als du Geschäftsführer der DSJ wurdest, gab es da schon diese sehr organisierte Durchführung der Jugendmeisterschaften?
Im Prinzip ja. Am Anfang gab es nur eine Altersklasse, dann wurden die Meisterschaften nach Altersgruppen aufgeteilt. Peu a peu ist immer eine neue Altersklasse hinzugekommen. Es gibt da eine schönes Buch, "25 Jahre Deutsche Schachjugend", von 1996, da steht das alles drin.
Kann man das noch kaufen?
Ja, ein paar Restexemplare haben wir noch. Bei der Einführung der Altersklassen war dann bei der U13 lange Schluss. Erst nach langen, langen Kämpfen wurde eine U11-Meisterschaft eingeführt. Manche fragten sich, warum man schon in so jungen Jahren leistungsmäßig Schach spielen soll. Die Anträge wurden lange blockiert. Ende der 1980er Jahre wurde dann die U11-Meisterschaft eingeführt. Im Schulschach war die Entwicklung genauso. Erst gab es nur eine Altersklasse, dann wurden immer mehr Klassen eingeführt, schließlich auch hier eine Mädchenmeisterschaft.
Und seit wann werden die Deutschen Jugendmeisterschaften so durchgeführt, wie das heute ist, als eine große Veranstaltung?
Das gab es damals noch nicht, die erste Meisterschaft in dieser Form wurde Mitte der 1990er Jahre durchgeführt. Die erste war in Pinneberg, auf dem Gelände einer großen wunderschönen Kaserne. Das war 1996. Das wurde so schon auf meine Initiative hin auf diese Art organisiert. Als ich 1988 zum DSJ-Vorsitzenden gewählt wurde, hatte ich aber auch schon im Wahlprogramm angekündigt, dass die DSJ nach meiner Vorstellung ein größeres Angebot abdecken sollte. Zu der Zeit war die DSJ sehr spielbetriebslastig. Dann ging es mehr in Richtung Breitensport. Die 1990er Jahre waren eine sehr spannende Phase. Zum einen weil mit der Wiedervereinigung ein komplett anderes Spielsystem aus der DDR mitgebracht wurde - die beiden Systeme mussten zur beiderseitigen Zufriedenheit zusammengeführt werden. Und dann haben wir in den 1990er Jahren die DSJ komplett umstrukturiert. Wir haben den Vorstand verändert und auch die Aufgaben ganz neu definiert, eben nicht nur Durchführung des Spielbetriebs, sondern viel mehr in Richtung Jugendarbeit. Zu der Zeit wurde zum Beispiel auch der internationale Jugendaustausch aufgebaut.
Wenn es dann um Internationale Jugendmeisterschaften, Welt- und Europameisterschaften geht, seid ihr nicht mehr zuständig, wieso das?
Das war damals noch unser Thema. Das gehörte zum Aufgabenbereich vom Ausschuss für Spitzenschachs. Das haben wir Herrn Brunthaler und Herrn Dr. Störing aus Münster zu verdanken, dass der Bereich uns weggenommen wurde. Es gab eine katastrophale Jugendversammlung der DSJ, 1998, bei der der komplette Vorstand ausgetauscht wurde. Dr. Störing war der Vater eines recht guten Spielers, der sich dann auf klassische Weise als Spielervater in der Sportart seines Sohnes engagiert hatte. Er war zuvor in NRW aktiv gewesen, hatte dort schon für viel Streit gesorgt und wurde dann auf Bundesebene in gleicher Weise aktiv. Zu der Zeit gab es viel Streit und viele Machtkämpfe im Vorstand der DSJ. Dr. Störing hat in seiner Art alles aufgemischt und unglaublich viel kaputt gemacht. Brunthaler war für Leistungssport zuständig, Dr. Störing war zweiter Vorsitzender. Die beiden hatten Michael Juhnke als Vorsitzenden installiert. Da gab es massive Machtkämpfe in der DSJ. Manche Landesverbände des DSB sind dann noch auf den Zug von Brunthaler und Störing aufgesprungen und haben sich am Versuch beteiligt, die DSJ kaputt zu machen. Das war eine ziemlich kritische Phase, die allerdings nach zwei Jahren vorüber war. Danach ist Störing aus dem Schach verschwunden, hat nie wieder ein Amt übernommen. Die DSJ ist aus den Streitereien sogar gestärkt herausgekommen, weil es dann eine Verjüngung gegeben hat.
Außerdem gab es noch Ärger bei Brunthaler mit der Finanzierung im Zusammenhang mit dubiosen Spenden. Brunthaler ist dann bei einer Versammlung auch nicht entlastet worden, wollte dann den Schachbund auf Entlastung verklagen. Da hat dann der Deutsche Schachbund die Chance ergriffen und der DSJ den ganzen Leistungssport weggenommen. Der ist dann zum DSB gewandert, mit der Maßgabe, dass das dann alles besser wird. In der Praxis hat der DSB es dann aber nicht bewiesen, dass er es besser kann.
Die DSJ hat Glück gehabt, dass Egon Ditt damals Präsident war. Der hat der DSJ ziemlich den Rücken gestärkt.
Der DSJ Vorstand nach der Krise mit Brunthaler und Störing, hinten Christian Warneke, damals Referent für Öffentlichkeitsarbeit, Michael Juhnke Vorsitzender vorne in der Mitte.
Egon Ditt war ein toller Präsident, oder?
Ja ein sehr guter. Ich bin froh, dass ich ihn in den 1990er Jahren miterlebt habe. Er war auch ein starker Befürworter der Schachjugend. Für Kinzel galt das auch. Ditt stand hinter der Schachjugend und hat die Jugendlichen aufgemuntert, den Schachbund aufzurütteln und neue Ideen einzubringen.
Von außen gesehen, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt, wundert man sich ja etwas, dass die DSJ, wenn es zum internationalen Leistungsvergleich kommt, plötzlich nicht mehr zuständig ist....?
Ja, das geht auch vielen Eltern der Spieler so. Wenn im Leistungsbereich mal etwas nicht richtig läuft, wird immer die DSJ angesprochen und wir müssen dann immer mühselig erklären, dass wir dafür gar nicht zuständig sind, was die Eltern immer gar nicht verstehen. Von der Logik ganz klar: Wir kümmern uns um die Jugendlichen und in dem Bereich sind wir dann nicht zuständig. Es gab früher da auch mal eine intensivere Zusammenarbeit, ganz besonders als Michael Bezold Nachwuchstrainer war.
Das war ein sehr guter Trainer...
Ja, das war ein ausgezeichneter Trainer. Das ist auch eines der großen dunklen Kapitel im deutschen Schach, dass der raus gemobbt wurde aus seinem Amt.
Mit Michael Bezold bei einer Jugend-WM in Griechenland
Was war da vorgefallen?
Es gab einen Konflikt mit der Familie Stock, mit Lara Stocks Vater Michael Stock. Der fand Unterstützung von Baden und dessen Präsidenten Eberhard Beikert. Ich war auch involviert, da die Organisation der Meldungen für Jugendweltmeisterschaften noch über die DSJ lief. Michael Bezold hatte zum Beispiel mit dem noch ganz jungen Arik Braun trainiert, war hoch respektiert, von den Jugendlichen, aber auch von den Eltern. Bezold hatte Sport studiert, hatte bei seinen Kaderlehrgängen viel Ausgleichssport gemacht. Alles war gut. Aber im Zuge des Streits hat er dann gesagt: Ich habe genug, das muss ich mir nicht antun, und den Posten abgegeben. Für ihn war das im Nachhinein alles gut. Er hat Familie, einen Job und Schach ist jetzt nur noch ein Hobby. Da hat mancher eine unrühmliche Rolle gespielt und es wurden viele überflüssige E-Mails verschickt. Und Michael Bezold hat von seinem Arbeitgeber, dem Deutschen Schachbund, nicht die Unterstützung bekommen, die notwendig gewesen wäre. Michael Stock ist übrigens der einzige, der mich sogar körperlich angegriffen hat, bei der Jugend-WM in Spanien, im Foyer des Hotels.
Warum das?
Lara Stock sollte nach dem Streit im Schachbund nun für Kroatien spielen. Ihre Mutter ist Kroatin. Ich hatte aber darauf hingewiesen, dass sie aber nach FIDE-Regeln zum Zeitpunkt der WM nicht startberechtigt war. Ihr Vater Michael Stock hat mir gedroht, für den Fall, dass wir den Start von Lara Stock verhindern würden. Wir haben aber im Schachbund beschlossen, dass wir dem Veranstalter zumindest Mitteilung über den Status von Lara Stock machen, egal wie er dann entscheidet. Daraufhin ist mir Stock an die Wäsche gegangen. Danach wurde von unserer Delegation sogar eine Art Personenschutz für mich abgestellt, damit Stock und ich uns nicht zu sehr in die Quere kommen.
Man lebt also bisweilen gefährlich als Geschäftsführer der Schachjugend...?!
Ja, das fand ich nicht besonders witzig damals. Das war aber auch das einzige Mal, dass so etwas passiert ist.
Du hast angedeutet, dass es bisweilen in der Zusammenarbeit von Schachjugend und Schachbund zu Reibereien kam...?
Ich bin auch in der Deutschen Sportjugend aktiv und dort in mehrere Gremien gewählt. Und aus meiner Erfahrung dort kann ich sagen, solche Reibereien sind keine Spezialität des Schachbundes. Das kommt in allen Verbänden wellenartig immer mal wieder vor. Die Erwachsenenverbände möchten die Eigenständigkeit der Jugendverbände nicht immer anerkennen.
Das hängt vermutlich von den Leuten ab, die zusammenarbeiten sollen?
Ganz genau! Das hängt erheblich von den Leuten ab und ob die die Eigenständigkeit akzeptieren wollen.
Bezogen auf den Schachbund: Welcher Präsident war aus deiner Sicht am besten für die Zusammenarbeit mit der Schachjugend?
Aus meiner Sicht war Egon Ditt in dieser Hinsicht am besten, da er sich ohne Wenn und Aber hinter die Schachjugend gestellt hat. Er hatte Vertrauen in die Arbeit der DSJ und hat das auch gezeigt. Die Phase mit Robert von Weizsäcker war leider zu kurz, aber auch von ihm haben wir Unterstützung erfahren und bekommen sie noch heute. Die Zusammenarbeit in der Amtszeit von Alfred Schlya war auch gut, sie musste sich aber erst entwickeln, denn eigentlich wollte er die DSJ aus dem Präsidium des DSB herauskicken.
In seine Zeit fiel die Diskussion um eine Satzungsreform, bei der man den Vorstand verkleinern wollte, so wie er es jetzt inzwischen ist. Dabei sollte die Jugend aber auch aus dem Präsidium genommen werden. Die Schachjugend gehörte bis dahin immer über den Jugendwart, dann über den DSJ-Vorsitzenden zum Präsidium. Dagegen haben wir uns gewehrt und argumentiert, dass der Jugendbereich für einen Sportverband so wichtig ist, dass ein Jugendvertreter ins oberste Gremium gehört. Egon Ditt als Ehrenpräsident war auch dafür, aber der Satzungsausschuss, da waren auch Alfred Schlya, Horst Metzing und Heinz-Jürgen Gieseke drin, waren dagegen und wollten ein verschlanktes Präsidium ohne Vertretung der Jugend. Die Idee war, stattdessen einen Vizepräsident Jugend einzurichten. So etwas gibt es in einigen anderen Sportverbänden, aber die sind alle nicht glücklich damit und Reibereien sind vorprogrammiert, weil bei dieser Konstruktion immer eine Person zwischengeschaltet ist, zwischen Jugend- und Erwachsenenverband.
Gut, dann haben wir gesagt, wir sind dagegen und werden die neue Satzung bekämpfen und dagegen stimmen. Viele Vertreter aus den Landesjugendverbänden haben sich von ihren Erwachsenenverbänden zu Delegierten für den Kongress wählen lassen und dort wurde die neue Satzung in dieser Frage blockiert. Wir brauchten ja nicht die Mehrheit, unsere Aufgabe war es, die Mehrheit für die neue Satzung zu verhindern. Dazu brauchte man mehr als ein Drittel der Stimmen, weil eine Satzungsänderung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden muss.
Schlya hat vierzehn Tage vor dem Bundeskongress, das war 2003 in Cottbus, noch versucht uns zu überzeugen, dass das alles sinnlos ist, was wir da tun. Aber wir haben dann auf dem Kongress viele Delegierten aus den Landesverbänden hinter uns gehabt und die angestrebte Zweidrittelmehrheit für die Satzungsreform wurde nicht erreicht. Das Präsidium des DSB war dadurch so verstört, dass sie gleich die ganze Satzungsänderung zurückgezogen haben, statt einfach nur einen DSJ-Vertreter ins Präsidium aufzunehmen. Damit hätten sie ja die übrige Satzungsreform gerettet.
Nachdem dies geklärt war zwischen Schlya und der DSJ, ergab sich eine gute Zusammenarbeit, wir fanden im Präsidium Gehör. Das ist in den letzten Jahren nicht mehr der Fall. Das Vertrauen in die qualitative gute Arbeit der DSJ ist geringer geworden. Das generelle Problem des selbst geführten Jugendverbandes ist: Wir sind eine Organisation in einer Organisation. Wir sind in allem, auch in unseren Finanzen, Teil des Deutschen Schachbundes, das ist in anderen Verbänden genauso. Und je nachdem, wer gerade am Ruder ist, kann es Reibereien geben bei der Akzeptanz dieser Struktur.
Das ist ja dann eigentlich auch so politisch gewollt, Eigenständigkeit heißt ja eigener Wille.
Es ist nicht gewollt, dass es Reibereien gibt. Der Gesamtverband profitiert ja auch sehr stark vom selbst geführten Jugendverband. Am Ende reduziert sich aber leider alles auf die Frage ums Geld. Wenn der Erwachsenenverband die Förderung will - das muss er ja nicht, er kann das ja ablehnen und auf den Jugendverband verzichten - dann nimmt er die Organisation in der Organisation in Kauf und sollte die Vorteile nutzen. Die öffentliche Förderung ist an die Eigenständigkeit gekoppelt. Das vergessen viele im Zuge der Diskussion gerne mal. Und das ist manchmal leider das letzte Argument: Wenn ihr die Eigenständigkeit nicht wollt, dann müsst ihr eben auf die öffentliche Förderung verzichten. Derzeit 100.000 Euro sind ja nicht wenig. Der Leistungsbereich hat ja auch nur noch 80.000 Euro nach der letzten Kürzung.
Kommen wir noch einmal zur Jugendweltmeisterschaft oder Jugendeuropameisterschaft. Nach meinem Verständnis sind diese Turniere Reiseveranstaltungen, bei den Jugendliche, die Schach spielen können, in Hotels zumeist in Südeuropa gebracht werden, die im Winter sonst leer stehen. Der Umsatz bei solchen Turnieren geht in den Millionenbereich und es bleibt für den Veranstalter reichlich Geld hängen ...
Das wird von allen immer bestritten. Die Turniere seien allenfalls kostendeckend - heißt es.
Aber man kann das ja leicht nachrechen. Aus deutscher Sicht ist es zudem ja so, dass die jungen deutschen Spieler meist in ihren Elozahlen überbewertet sind, weil sie viele Turniere spielen können, während die Spieler aus dem Osten unterbewertet sind: Sie spielen kaum internationale Turniere, haben schlechtere Elozahlen, spielen aber besser. Das sind die Erwartungen oft nicht erfüllt und die Enttäuschung ist groß.
Das hängt immer davon ab, wer was erwartet. Meine Erwartung wurde nie enttäuscht. Wenn man aber nur auf die Elozahlen guckt und dann die kommenden deutschen Weltmeister hochrechnet, kann das natürlich schnell passieren.
Macht es denn überhaupt Sinn, deutsche Kinder und Jugendliche für viel Geld im Winter ans Mittelmeer zu schicken, damit sie dort dann vielleicht irgendwo im Mittelfeld enden. Macht das Sinn, oder macht das keinen Sinn? Was ist die Idee?
Ich kann dir dazu meine Privatmeinung sagen, die vielleicht nicht die offizielle Meinung der DSJ ist. Meiner Meinung nach sind diese Veranstaltungen völlig sinnlos. Sie wurden nach und nach aufgebläht, ich habe das hautnah mitbekommen, ich bin jahrelang als Delegationsleiter vor Ort gewesen. Es geht wirklich nur um Masse. Deswegen wird ja auch jeder zugelassen. Und wer nicht in seinem Heimatverband nominiert wird, spielt einfach für irgendeinen anderen Verband, der ihn oder sie nimmt. Man startet unter andere Flagge, da hatten wir auch schon ein paar Fälle.
Man will ja Gäste haben...
Genau. Manchmal hat man auch fast hundert Russen oder Vertreter anderer Länder in einer Altersklasse. Das ist absurd. Da geht es nur darum: Wer hat Geld und wer kann es sich leisten. Und es geht darum, dass einige Leute gut verdienen, das ist klar. Auch wenn es bestritten wird. Man kann es tatsächlich leicht nachrechnen: Man geht einfach ins Reisebüro und bucht die Reise dort, zum Schnäppchenpreis, denn es ist Nebensaison, oder eben - und das war dann immer teurer - beim Veranstalter. Dafür wurden wir dann häufig angegriffen, aber wir haben die nur Preise des Veranstalters weitergereicht. Dann kostete eine Woche im Hotel bei der Jugend-WM oder EM plötzlich an die 1000 Euro. Aber das war nicht unsere Schuld.
Deswegen hat das aus meiner Sicht auch nichts mit einer WM zu tun, eine WM ist eine Leistungssportveranstaltung, und das hier ist eine Breitensportveranstaltung. Wir haben den Weg leider mitgemacht als Deutscher Schachbund. Wir haben früher nur die offiziellen Plätze nominiert und dann sind wir auch dazu übergegangen, das als eine Art touristische Veranstaltung zu betrachten und jeden hinzuschicken, der wollte, auf eigene Kosten halt. Erst nur die Ersten, dann auch die Zweiten einer Altersgruppe und so weiter. Manche Eltern jagen ihre Kinder vorher noch über einige Turniere, damit sie einen bestimmten Elowert erzielen, um zugelassen zu werden. Für mich verliert die WM oder EM dadurch auch völlig an sportlichem Wert. Manche Eltern haben das aber auch bewusst nicht mitgemacht. Andere wollten ihre Kinder aber unbedingt dabei haben, haben aber gar nicht das Geld und schreiben dann uns an oder den Förderverein, den wir haben, und bitten uns um das Geld. Die Teilnahme an einer WM, so wird dann argumentiert, auch im Deutschen Schachbund, hätte ja einen hohen Motivationsfaktor. Wenn man sich aber anguckt, wer da in den letzten Jahren gewesen ist, und was aus denen geworden ist, dann würde ich den hohen Motivationsfaktor aber in Frage stellen.
Ist Carlsen eigentlich mal Jugendweltmeister gewesen?
Ich bin nicht sicher. Ich meine, als Elisabeth Pähtz Weltmeisterin geworden ist, da hätte ich seinen Vater Henrik bei der Meisterfeier auch gesehen. Aber wenn, ist er es höchstens einmal gewesen. Er war aber oft dabei. Eines der Probleme, die ich im deutschen Nachwuchsbereich sehe, ist, dass die Ausbildung völlig falsch ist. Da liefen die Väter oft erfreut herum und glaubten, ihre Söhne stünden nach der Eröffnung auf Gewinn - dann haben sie trotzdem verloren. In Deutschland wird fast nur Eröffnung trainiert. Bei der Deutschen Jugendmeisterschaft haben wir ein sehr interessantes Radiointerview mit Artur Jussupov gemacht, und er hat das auch bestätigt. Eröffnungen kann man am einfachsten trainieren. Da setzt man das Kind an die Eröffnungs-DVDs und sagt: hier lern' das mal, das kann man schön auswendig lernen. Ich habe das jahrelang mitgemacht.
Nach der Eröffnungsphase wären nur Deutsche Weltmeister gewesen, nach der Eröffnung standen wir überall immer auf Gewinn. Die Trainer haben sich auf die Schulter geklopft: "Wie toll!" Am Ende haben unsere Kinder aber komischerweise immer verloren. Das lag einfach daran, dass die anderen besser Schach spielen können und die Grundkenntnisse im Schach besser gelernt haben. Oder man sieht wie die Kinder stolz sind, dass sie bis zum 20. Zug die Eröffnung gespielt haben wie Anand. Und der 21. Zug ist der erste eigene und der hat dann nichts mehr mit den Stellungsanforderungen zu tun, weil die Kinder überhaupt nicht wissen, worum es da geht, bei dem was sie auswendig gelernt haben. Man sieht dann: Da wurde ohne Sinn und Verstand einfach nur auswendig gelernt. da wird nur mit dem Laptop gearbeitet, alles nur Vorbereitung und dann sind sie stolz, wenn es mal gereicht hat, weil der andere tatsächlich mal nicht vorbereitet war und dann am Brett keinen Ausweg fand oder in eine Falle gelaufen ist. Für die schachliche Ausbildung nützt das nur alles nichts.
Mein Eindruck ist, dass die Trainerausbildung bei uns nicht gut ist. Das ganze Trainerwesen ist nicht gut organisiert. Wie sieht du das?
Ja, genau. Wir haben das als Deutsche Schachjugend immer wieder thematisiert, doch ohne Erfolg. Wir haben den Leistungssport angesprochen und haben nur verschlossene Türen vorgefunden. "Die A-Trainerausbildung ist toll," hieß es.
Ich bin nicht sicher, ob die A-Trainerausbildung so toll ist.
Kann sein, kann ich nicht beurteilen, das ist nicht mein Gebiet. Uns geht es aber erst einmal darum, für die Kinder gute C-Trainer zu haben. Die Trainer vor Ort im Verein, die den Kindern Schach beibringen, die müssen gut ausgebildet sein. Da liegt aber einiges im Argen. Das hat aber den Leistungssport nie interessiert. Da hieß es, das Ausbildungsreferat ist zuständig. Das habe ich nie verstanden. In Osteuropa ist das ganz anders. Da haben die Kinder viel bessere Grundkenntnisse, da gibt es eine ordentliche Grundausbildung, da wird viel Endspiel gemacht. Auf den Turnieren sieht man. Die Kinder kommen irgendwie aus der Eröffnung und dann wird Schach gespielt.
Wenn man Eröffnungen lernt, dann kann man Eröffnungen, aber dann hat man kein Schach gelernt.
Genau, das Interview mit Artur Jussupov war unglaublich spannend, dauerte eine Stunde, aber wir hätten noch lange weiterreden können. Artur sah das im Prinzip genauso. Er war da voll auf unserer Seite und meinte auch, da läuft vieles falsch.
Müsste dann in diesem Bereich nicht etwas getan werden?
Mir geht es um die C-Trainer-Ausbildung. Ich setze da auf den neuen Ausbildungsreferenten, den Thomas Strobl. Er scheint da etwas offener für Veränderungen zu sein.
Gibt es denn da konkrete Vorschläge oder Konzepte?
Mein Haupt-Kritikpunkt bei der C-Trainer-Ausbildung ist, dass dort Schach gelehrt wird, dass den C-Trainern Schach beigebracht wird. Ich habe das selber mitgemacht: da wurde ein Demobrett aufgebaut und wir haben Eröffnungszüge nachgespielt oder wir haben einen Bogen mit Kombinationsaufgaben bekommen und die haben wir dann brav gelöst. Das ist ja totaler Schwachsinn. Da verbringe ich meine 120 Ausbildungsstunden mit Schach und werde vielleicht besser. Aber darum geht es doch gar nicht. Die Aufgabe des C-Trainerlehrgangs ist es doch nicht, die Teilnehmer im Schach zu verbessern. Der Schwerpunkt muss stattdessen sein: Methodik und Didaktik, rauf und runter. Also: Warum machen wir Eröffnungstraining? Was will ich damit erreichen? Wie muss ich es richtig machen? In welcher Phase müssen Eröffnungen gemacht werden?
Man hat bei der Trainerausbildung den Eindruck: Jeder macht, was er will. Es gibt anscheinend keinen Lehrplan. Das war mein Eindruck von den Lehrgängen, die ich als Referent seinerzeit mitgemacht habe.
Ja, genau. Es gibt schon Vorgaben vom Deutschen Olympischen Sportbund und es gibt auch einen DSB-Rahmenplan: Aber das steht grob gesagt nur drin: Es müssen zehn Stunden Eröffnungen gemacht werden. Es steht aber nicht drin, wie das Thema Eröffnungen behandelt werden muss. Außerdem scheut der DSB hier den Konflikt mit den Landesverbänden. Er könnte eigentlich im Ausbildungsbereich von oben nach unten das Thema durchregieren. Der Ausbildungsbereich ist zentralisiert. Der Schachbund könnte den Landesverbänden genau angeben, wie diese zum Beispiel das Thema Eröffnungen behandeln sollen.
Es gibt also einen Lehrplan, aber der taugt nichts?
Der taugt schon was, als Orientierung. Nur er lässt viel, zu viel Freiraum. Die Meinung im DSB war: Bloß nicht daran rühren. Wir sind ja schon froh, wenn überhaupt etwas stattfindet. Manche Landesverbände bekommen vielleicht einmal in fünf Jahren einen C-Trainerlehrgang mit 20 Teilnehmern voll. Also: Bloß nicht dran rühren. Dann gab es noch Landesverbände, die sich Sonderrechte erstritten haben, zum Beispiel 20 oder 30 Stunden in Form von Hausarbeiten. Und alle diese Sonderwege werden dann erlaubt und geduldet.
Bietet die DSJ denn ergänzend Lehrgänge zur Didaktik an?
Ja, das machen wir, im Rahmen unserer DSJ-Akademie zum Beispiel, oder unsere so genannten Patentseminare zu verschiedenen Themen, Kinderschachpatent oder Mädchenschachpatent, da geht es immer um Didaktik und Methodik. Patrick Wiebe, unser Kinderschachbeauftragte ist in diesem Bereich einfach spitze. Auch der Methodenkoffer, den wir entwickelt haben, geht eindeutig in diese Richtung. Das sind unsere Angebote. Allerdings werden wir in unseren Angeboten von den Landesverbänden und dem DSB teilweise auch bekämpft.
Warum?
Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht, weil unsere Module als Konkurrenz begriffen werden. Vielleicht stehen auch finanzielle Interessen im Hintergrund. Kein einziger Ausbildungsreferent der Landesverbände, glaube ich, hat zum Beispiel unseren Methodenkoffer gekauft. Man könnte doch denken, 60 Methoden Schach zu vermitteln, das sei für Ausbildungsreferenten interessant. Das könnte doch Bestandteil einer C-Trainerausbildung sein. Aber den hat keiner gekauft. Das interessiert nicht. Sie müssen den ja nicht privat bezahlen, der Verband wird die 169 Euro schon noch haben. Das ist eben bezeichnend. Einige Landessschachjugenden hingegen haben ihn erworben, sie sind da wohl offener. Dafür viele Vereine haben den Methodenkoffer gekauft. Wir dachten erst, der sei für das Schulschach. Doch für Vereine ist er genauso interessant, auch in Österreich und der Schweiz stößt er auf großes Interesse.
Kommen wir noch einmal zum Anfang deiner Dienstzeit zurück, 1990. Das war zur Zeit der Wiedervereinigung. Die ist im Schach, so hört man, sehr harmonisch vonstattengegangen. Kannst du das bestätigen?
Richtig. Der Schachbund war einer der ersten Sportverbände, der die Verbände vereinigt hat. Das wurde mit den zwei Schachverbänden sehr reibungslos und kameradschaftlich durchgeführt. Das wird auch so von den Schachfreunden in den neuen Ländern immer wieder bestätigt. Im Jugendbereich waren es zwei ganz unterschiedliche Systeme. Wir hatten ja lange gekämpft, um Meisterschaften U11 durchführen zu können, aber in der DDR spielten sie schon mit Siebenjährigen oder Achtjährigen Meisterschaften. In der DDR hatten sie auch wahnsinnig hohe Mitgliederzahlen und beim Schachbund dachte man, toll, wir können unsere Mitgliederzahlen deutlich steigern. Bis man dann feststellte, die Mitglieder sind gar nicht gekommen, die sind plötzlich alle verschwunden. Die gab es gar nicht wirklich.
Um welche Zahlen geht es da?
In der DDR wurden ca. 50.000 Mitglieder gezählt, so sagte man uns. Nach der Wiedervereinigung sind dann ca. 15.000 in den Schachbund eingetreten. Da wurden zuvor eben alle Betriebssportgruppen etc. mitgezählt. Das kostete dort auch keinen Beitrag, oder wenn dann waren es Pfenninge. Wir waren dann zwischenzeitlich trotzdem bei über 100.000 Mitgliedern im DSB. Seitdem geht es kontinuierlich runter, auf derzeit 93.000. Im Detail mussten natürlich viele Dinge angepasst werden. In dem Wiedervereinigungsausschuss saßen wir mit drei Vertretern von jeder Seite, bei uns waren das Klaus Deventer, Rainer Dambach und ich. Dort haben wir das dann besprochen. Die DDR hatte ja ein irres Meisterschafts- und Ligasystem. Die Schachfreunde in der DDR konnten nicht international spielen. Also hat man zum Ausgleich viele Spielmöglichkeiten geschaffen, Pioniermeisterschaften, etc. Das konnten wir ja nicht alles übernehmen. Natürlich wollten sie möglichst viel retten.
Ein weiteres interessantes Thema ist das Mädchenschach, oder Frauenschach. Mädchen spielen ja auch erstmal gerne Schach. Es gibt viele Mädchen, die auch im Wettbewerb gerne spielen. Aber irgendwann hören sie auf, und es bleiben nur die Jungs übrig. Woran liegt das? Was kann man tun, um mehr Mädchen im Schach zu halten und damit später mehr Frauen zu haben, die Schach spielen? Dabei haben wir doch gerade im Frauen - und Mädchenschach so tolle Werbeträgerinnen, Elisabeth Pähtz als Jugend-Weltmeisterin, Hanna Marie-Klek als Vizeweltmeisterin, Filiz Osmanodja, Melanie Ohme, die sich im Schach so engagiert, und einige mehr.
Tja, wenn man das so genau wüsste. Wahrscheinlich kann man das nur über Masse erreichen. Du musst ihnen erst einmal den geschützten Raum bieten, wo Mädchen alleine gegen Mädchen spielen können. Außerdem wollen Mädchen gerne von weiblichen Personen trainiert werden. Es gibt aber so gut wie keine weiblichen Trainer. Deshalb haben wir ein Seminar zur Ausbildung von Betreuerinnen ins Leben gerufen. Dort gibt es dann neben dem theoretischen Teil einen praktischen Teil, der sehr gut ankommt. Dort mussten die Betreuerinnen dann selber ein Mädchencamp organisieren, Turniere durchführen, usw. An jedem Abend auf dem Camp haben wir dann eine Nachbetrachtung gemacht. Und es gibt auch den uralten Streit, ob man Mädchen besser alleine oder in gemischten Gruppen trainieren soll. Darüber hat schon Regina Grünberg aus Hamburg ihre Examensarbeit geschrieben, aber da ist man sich bis heute nicht einig geworden. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn man beides anbietet: Gemischtes Training und geschützten Raum. Wenn die Mädchen später dabei bleiben sollen, musst du das Erlebnis, eben Schach, so positiv anbieten, dass die Mädchen nicht abspringen. Der Bruch kommt sowohl bei Jungs wie bei Mädchen mit der Pubertät. Der Bruch ist bei Mädchen stärker ausgeprägt als bei Jungs, außerdem gibt es einfach mehr Jungs, die Schach spielen, so dass der Pubertätseinbruch nicht so ins Gewicht fällt.
Eine praktische Ausbildung gibt es bei den C-Trainerlehrgängen gar nicht, oder?
Nein, überhaupt nicht.
Ein anderes interessantes Thema ist die Verzahnung von Schulschach und Vereinsschach. In den Schulen wird häufig Schach angeboten, aber viele Vereine finden keinen Weg, die Schüler anzusprechen und aufzunehmen. Das geht doch aber an die Substanz des Schachbundes, denn der DSB finanziert sich letztlich über die Vereine, nicht über vereinslose Schulschachgruppen. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist, dass viele Kinder durch die heute immer länger werdenden Schulzeiten gar keine Zeit mehr für ein Hobby haben, das man im Verein ausübt.
Ich glaube schon, dass es noch genügend Zeit gibt, um nach der Schule einen Sport auszuüben. Vielleicht ist es auch eine Umstellungsphase. In anderen Ländern, Frankreich zum Beispiel, dauert die Schule auch lange, und es gibt genug Zeit für Sport. Aber es ist schon richtig, dass dieses Phänomen im DSB und den Landesverbänden kritisch beäugt wird. Viele sagen: Es kommen zu Wenige aus dem Schulschach in den Vereinen an. Das liegt vielleicht auch daran, dass es im Schulschach folgende Entwicklung gab. Früher haben sich entweder Vereinsmitglieder in der Schule engagiert oder Lehrer, die im Verein waren, haben ihr Hobby in Schach AGs betreut. Unterdessen gibt es viel Eigeninitiative der Schulen Schulschach anzubieten, unabhängig vom Verein. Da hat die viel zitierte Trierer Studie einiges bewirkt und Türen aufgestoßen. Im Schachbund und den Landesverbänden wird häufig auch nur der Sportaspekt gesehen. Der Bildungsaspekt geht da völlig unter. Schach ist aber auch Kultur und Bildung. Oder einfach auch nur ein schönes Spiel. Das sollte man als Chance sehen. Das fällt uns etwas schwer, da wir zu sehr den sportlichen Aspekt sehen. Die Vereine haben die Aufgabe, den Kontakt zu den Schulen zu suchen und adäquate Angebote zu machen. Daran scheitern manche Vereine. Weil sie nur an den Sport denken und den Bildungsauftrag der Schulen übersehen. In jedem Fall muss der Schachverein aktiv werden und an die Schulen herangehen, Probetraining anbieten, oder Simultan. Darauf warten, dass was von alleine passiert, reicht nicht. Es gibt auch Schulen, die an den Verein herangehen möchten und finden keinen Verein oder Ansprechpartner. Es gibt auch Vereine, die Jugendarbeit ablehnen.
Spielst du noch selber Schach?
Manchmal. Früher habe ich gespielt. Damals in Hamburg noch, auch in der Mannschaft.
Und du bist auch Vereinsvorsitzender...?
Richtig, in Berlin, bei den Schachfreunden Berlin, ehemals Neukölln.
Mit dem Bezirk Neukölln hatte ihr doch seinerzeit Streit ...?
Ja, wir haben uns mit dem berühmten Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky bekriegt. Das ging bis vors Gericht. Als Stadtrat für Sport hat er uns noch massiv gefördert, als wir in die Bundesliga aufgestiegen sind. Wir habe unsere Bundesligakämpfe dann auch im Rathaus spielen dürfen. Das war erst umsonst, dann kam die erste Mietzahlung, dann war es so teuer, dass wir uns das nicht mehr leisten konnten. Wir haben in einem Seniorenheim gespielt, hatten dort unsere Spielabende. Dann fing er auf einmal an und sagte: Ab sofort gibt es Leistungen nur noch gegen Geld. Es gibt aber in Berlin ein Gesetz, dass der Senat den Vereinen kostenlose Sportstätten zur Verfügung stellen muss. Da wir Sport sind, auch in Berlin, gilt das Gesetz auch für uns. Das funktioniert auch in allen Bezirken. Wenn wir im Schöneberger Rathaus spielen, zahlen wir nichts. Nur bei Ihm war das anders. Sein Bezirk braucht wohl Geld. Und dann haben wir uns mit ihm in die Wolle gekriegt. Wir haben auf das Gesetzt hingewiesen und vor dem Verwaltungsgericht gegen den Bezirk geklagt. Da hatten wir eine "traumhafte" Richterin. So eine Rechtsprechung habe ich auch nicht noch einmal erlebt. Der Anwalt des Bezirks argumentierte, der Bezirk hätte ein Angebot gemacht, sei also seinen Verpflichtungen nachgekommen, und zwar mit einer Sporthalle in Neukölln. Die könnte der Verein nutzen. Das Angebot hatten wir aus guten Gründen abgelehnt. Aber die Richterin wies dann die Klage ab, mit der Begründung, wir könnten doch das Angebot nutzen. Hinterher bin ich zur Richterin gegangen und habe sie gefragt. Haben Sie eigentlich irgendeine Ahnung, wie man Schach spielt und was man dafür braucht? Ihr Urteil heißt für uns: Wir müssen jetzt in einer Sporthalle spielen, ohne Mobiliar. Jeder Spieler bringt also zum Vereinsabend seinen Gartentisch und eine Stuhl mit. Ob sie das für realistisch hielte? Da meinte sie: Nein, das hätte sie gar nicht bedacht.
Welche Spielstärke hast du denn ungefähr?
Damals in Hamburg hatte ich glaube ich Ingo...
Ingo ist gut. Das ist wohl schon etwas her?
... Ingo 140. Nach der Umrechnung waren das dann DWZ 1800 ungefähr. Als ich das letzte Mal in Berlin gespielt habe, in der Mannschaft, vor zwei Jahren bin ich mit 2,5 aus 3 trotzdem unter 1700 gerutscht.
Und was spielst du so an Eröffnungen?
d4
d4, und dann? Hauptvarianten?
Nein, eher was mir so einfällt, möglichst keine Theorie, weil ich keine kenne.
Und mit Schwarz?
b6
Immer?
Ja immer, da kann man schön vor sich hin mauern. Warum ich nicht mehr spiele? Das Problem in Berlin ist, dass am Sonntag um 9 Uhr gespielt wird. Ich bin aber an drei von vier Wochenende im Monat unterwegs.
Gibt es denn in Berlin keine Mannschaftskämpfe in der Woche?
Nein. Die spielen in allen Klassen nur sonntags um 9 Uhr. Alle Versuche, das zu ändern, sind gescheitert. Wenn ich dann mal ein freies Wochenende habe, stelle ich mir aber nicht um 7 Uhr den Wecker, damit ich um 9 Uhr am Schachbrett sitze.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellten André Schulz und Rainer Woisin