Es ist schon erstaunlich, dass 1955 innerhalb von zwei Tagen zwei der besten englischen Schachspieler in diesem Jahrhundert geboren wurden, am 23. April Tony Miles und zwei Tage später, heute vor 70 Jahren, John Nunn.
Mit 12 Jahren gewann der in London geborene John Nunn schon die britische U14-Meisterschaft. Mit 14 Jahren war er britischer U18-Meister.
Mit 20 Jahren gewann er 1975 die Junioren-Europameisterschaft. Drei Jahre später, 1978, ernannte die FIDE ihn zum Großmeister. 1980 gewann John Nunn die britische Landesmeisterschaft.

Foto: British Chess News
John Nunn war nicht nur im Schach ein "Wunderkind". Als 15-Jähriger schrieb er sich im Oriel College in Oxford ein und besuchte als jüngster Student seit 500 Jahren Mathematik-Vorlesungen. 1973, mit 18 Jahren, schloss er sein Studium ab und promovierte fünf Jahre später in über algebraische Topologie. Nunn unterrichtete danach ein Jahr lang Mathematik an der Maidstone Grammar School und ging dann als Dozent für Mathematik nach Oxford. 1981 gab er seinen Beruf auf und wurde Schachprofi.
Schon 1976 wurde John Nunn erstmals für die Schacholympiade in die englische Nationalmannschaft berufen. Zwischen 1976 und 1994 spielte er bei insgesamt 12 Schacholympiaden mit. Mit der Mannschaft gewann er 1976 und 1990 Bronze, 1984, 1986 und 1988 Silber. Bei der Schacholympiade 1984 gewann er an seinem Brett mit der besten Eloleistung aller Teilnehmer die individuelle Goldmedaille und 1988 die individuelle Silbermedaille.

Das englische Team, Dubai 1986 | Foto: Gerhard Hund
Nunn spielte zudem mit der englischen Nationalmannschaft erfolgreich zahlreiche Europameisterschaften und Weltmeisterschaften mit. 1984 gehörte Nunn beim Match UdSSR gegen die Welt zur Weltauswahl. Im Januar 1985 war John Nunn Nummer neun in der Weltrangliste mit 2615 Elo. Im Januar 1989 erreichte er mit 2620 erneut den neunten Platz.
Als Spieler der erweiterten Weltspitze wurde John Nunn zu vielen Topturnieren eingeladen. Er gewann 1981 Turniere in Helsinki und Wiesbaden. 1982 war Nunn Sieger in Wijk aan Zee vor einer Reihe von Weltklassespielern, wie Timman, Tal, Hort und Hübner. Im gleichen Jahr gewann er auch das Großmeisterturnier in Biel. Im nächsten Jahr folgten Turniersiege in Gjovik, Brighton und beim stark besetzten Zürich Open. 2000 gewann Nunn das Golombek Memorial.

Wijk aan Zee, 1985 | Foto: Dutch National Archive
John Nunn spielte in der britischen Four Nations League um die Britische Mannschaftsmeisterschaft mit und bestritt auch in der Bundesliga Mannschaftskämpfe für eine ganzee reihe von Vereinen, den Hamburger SK, die SG Solingen, München 1836, PSV Duisburg und den Lübecker SV, mit dem er dreimal Deutscher Mannschaftsmeister wurde.

Kavalek, Nunn | Foto: British Chess News
Schon während seiner aktiven Zeit als Profi profilierte John Nunn sich als Autor von hervorragenden Schachbüchern zu sämtlichen Themen im Schach, besonders Eröffnungstheorie und Endspiele, und verlegte seine Bücher schließlich im eigenen Gambit-Verlag. Nunns Interesse galt auch schon früh der Entwicklung der Schachcomputer und Schachprogramme, die er interessiert verfolgte und durch Veröffentlichungen begleitete. Nunn war einer der ersten Autoren des ChessBase Magazins, von Nummer eins an, und gab viele Ratschläge für die Weiterentwicklung der ChessBase-Programme.
Eine weitere Liebe von John Nunn neben dem Turnierschach und der Schachtheorie gilt dem Bereich der Schachprobleme und Studien. Im Jahr 2004 gewann John Nunn in Chalkidiki die 28. Weltmeisterschaft im Lösen von Schachproblemen und Studien und wurde mit seiner dritten GM-Norm in dieser Disziplin zum Großmeister im Problemlösen ernannt. Bei der Weltmeisterschaft 2007 auf Rhodos und bei der Löseweltmeisterschaft 2010 auf Kreta gewann John Nunn erneut den Weltmeistertitel. Als dritter Mensch nach Jonathan Mestel und Ram Soffer führt John Nunn damit zwei Großmeistertitel, im Turnierschach und im Problemlösen.
Zuletzt hat John Nunn seine Turnieraktivitäten auf die Senioren-Wettbewerbe verlegt. 2022 gewann er die Seniorenweltmeisterschaft Ü65, erneut im Jahr 2023. Im gleichen Jahr gewann er zudem Senioreneuropameisterschaft Ü65. Mit der englischen Ü65-Mannschaft gewann John Nunn zudem zweimal den Titel bei den Senioren-Mannschaftseuropameisterschaften und den Senioren-Mannschaftsweltmeisterschaften.

Das englische Senioren Team
Seit 1995 ist John Nunn mit der deutschen FIDE-Meisterin Petra Fink verheiratet, die bei Seniorenteammeisterschaften mit dem englischen Frauenteam ebenfalls schon einige Europa- und Weltmeisterschaften gewinnen konnte. Der Trophäenschrank im Hause Nunn muss gut gefüllt sein.
Heute feiert John Nunn seinen 70sten Geburtstag und aich in diesem Alter ist er immer noch die Nummer sechs in der nationalen englischen Elorangliste.
Trotz seiner Erfolge war John Nunn jedoch nie ein ernsthafter Kandidat für die Weltmeisterschaft. Warum nicht? Magnus Carlsen hat dafür die Erklärung:
“I am convinced that the reason that John Nunn never became world champion is that he is too clever for that. He has so incredibly much in his head. Simply too much. His enormous powers of understanding & his constant thirst for knowledge distracted him from chess”
("Ich bin überzeugt, dass der Grund, warum John Nunn nie Weltmeister geworden ist, darin liegt, dass er dafür zu clever ist. Er hat so unglaublich viel in seinem Kopf. Einfach zu viel. Sein enormes Auffassungsvermögen und sein ständiger Wissensdurst haben ihn vom Schach abgelenkt.")