José Raúl Capablanca - vom Idol zum Vorbild

von ChessBase
17.05.2016 – Von den besten Spielern der Welt fühlen sich viele Hobby- und Vereinsspieler so weit entfernt, dass sie sich allzu rasch in die Rolle des bloßen Bewunderers fügen. Der DVD-Reihe "Master Class" attestiert Sebastian Vigl hier eine besondere Leistung: "Sie verwandelt unvergessliche Idole der Schachwelt in Vorbilder", denen der Zuschauer aktiv nachzustreben versucht. Und das gelingt nicht zuletzt dank des interaktiven Trainingsformates. Mehr...

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Stairway to heaven – Auf einen der 8000er des Schachsports

Sebastian Vigl stellt die DVD Master Class Band 4: José Raúl Capablanca vor.

Wissen Sie was der Unterschied zwischen Idol und Vorbild ist? Ein Idol wird angehimmelt und bewundert, wobei dem Anhimmelnden und Bewundernden eine passive Rolle zuteil ist: Das Idol ist für ihn unerreichbar, es schwebt unvorstellbar hoch über ihm. Der Gedanke, seinem Idol nacheifern zu können, erscheint dem Bewunderer als Frevel. Ganz anders verhält es sich beim Vorbild: Wer sich ein Vorbild erwählt hat, der versucht, sich aktiv an ihm zu messen und von seinem Wirken zu lernen, um einen Teil seiner Meisterschaft zu erreichen.

Nun, ich finde, dass die Serie Master Class aus dem Hause ChessBase genau dieses vermag: Sie verwandelt unvergessliche Idole der Schachwelt in Vorbilder. Dies gelingt, indem zwischen Schachgröße und Rezipienten Großmeister und Internationale Meister treten, die je einen Aspekt des Spieles eines Schachweltmeisters beleuchten. Und nicht nur das: Nicht selten wird man dabei aufgefordert, in Capablancas Fußspuren zu treten, selbst die Figuren in die Hand zu nehmen und entscheidende Züge – dank dem interaktiven ChessBase-Format - gleich auf dem Brett einzugeben.

In Master Class Vol.4 bringt einem

• GM Niklas Huschenbeth das Eröffnungsrepertoire,
• IM Oliver Reeh taktischen Finessen,
• GM Mihail Marin strategische Lektionen und
• GM Karsten Müller (sie erraten es!) Endspieltechnik

von José Raúl Capablanca in sechs Stunden Videospielzeit auf Deutsch oder auf Englisch näher.

Oliver Reeh füttert uns hungrige Taktikfüchse mit Kombinationshäppchen und charmantem Feedback.
Hier ist übrigens Weiß (Capablanca) am Zug. Wie reagiert er auf den Angriff der schwarzen Dame auf den weißen Läufer?

Raúls comfort zone

Großmeister Huschenbeth nimmt Capablancas Repertoire unter die Lupe. Spitzenspieler heutigen Datum, wären wohl froh, mit so einem schlanken Repertoire ganz oben mitmischen zu können. Der kubanische Ausnahmespieler wählte stets eher unambitionierte, dafür aber solide Eröffnungen, die seinem Spielstil lagen. Was wir aus diesem Abschnitt lernen können? Vor allem Verfechter des Damengambits und der Spanischen Partie werden ihm einige konkrete Hinweise entnehmen können. Ansonsten kann die Eröffnungswahl Capablancas als Muster dienen, wie ein den eigenen Vorlieben maßgeschneidertes Repertoire aussieht. Capablancas Repertoire mutet nicht immer weltmeisterlich an: Gerade für einen dynamischen Spieler wie Huschenbeth sind Capablancas Entscheidungen als Führer der schwarzen Steine, gerade gegen starke Spieler objektiv etwas schlechtere Positionen anzustreben und diese geduldig zu verteidigen, schwer nachzuvollziehen.

“Pfff...“ Huschenbeth ist sich nicht ganz sicher, warum Capablanca sich mit diesem Abspiel zufrieden gab,
das ihm gegen Spieler wie Aljechin stets eine passive Position bescherte.

Technische Hochschule

Wie heißt es doch so schön: Technik ist die Anstrengung, sich Anstrengungen zu ersparen. Wer sich Anstrengungen am Schachbrett ersparen will, dem kommt das Studium von Capablancas Technik sicherlich zu Gute.

Mihail Marins Lektionen präsentieren ein sehr lehrreiches Kapitel über die positionellen Aspekte in Capablancas Spiel. Der rumänische Großmeister zeigt hierbei erstaunlich moderne Elemente im Spiel des kubanischen Ausnahmekönners auf: So seine Fähigkeit, stets den besten Zug zu spielen, auch wenn dabei Pläne verworfen oder unkonventionelle Wege eingeschlagen werden müssen.

Am beeindruckendsten fand ich Capablancas Gewinnpartie 1927 gegen Aljechin in New York, in der das kubanische Ausnahmetalent aufzeigt, die Prinzipien der jungen hypermodernen Schule nach seiner Niederlage 1924 gegen Reti in New York in sein Spiel integriert zu haben. Erstaunlich, mit welcher Sicherheit und mit welchem Ideenreichtum er die damals auch für ihn ungewohnte Benoni-Verteidigung meistert.

Mit GM Karsten Müller einen Blick auf Capablancas präzise Behandlung der Endspiele werfen.
Der dritte Weltmeister ist hier übrigens mit Schwarz am Zug. Was tun gegen die weißfeldrige Blockade?

Wenn einer der weltweit führenden Endspielexperten sich mit einem der stärksten Endspieltechniker aller Zeiten beschäftigt, können wir einiges erwarten. Karsten Müller besticht meines Erachtens nicht nur mit seinem theoretischen Wissen und der Gabe, komplexe Sachverhalte einfach zu schildern. Dies mögen auch andere können. Seine Begeisterung für die mathematische Präzision der Endspiele macht aus trockenen Endspielstellungen faszinierende mechanische Gebilde, aus dem ratlos grübelnden Schachfreund wird unter seiner Anleitung ein entdeckungshungriger Tüftler. Die einprägsame Namen für gängige Motive (Springerschachschatten, Bodycheck, Zugzwang [engl: Zugzwäng ;) ], oder Regenschirm) helfen dabei, sich wesentliche Aspekte des Endspielarsenals zu verinnerlichen.

Rahmenprogramm

Neben den Lehrvideos bietet der Fritztrainer noch viel anderes zum Schmökern. So werden mit diesem Artikel

• eine Datenbank mit Capablancas Partien (viele davon mit Kommentar)
• eine ausführliche Biographie
• eine Abhandlung Marins über diverse Endspiele Capablancas (sehr empfehlenswert!) und
• 103 Partien, die mit Trainingsfragen versehen sind

geliefert.

Was Capablanca-Biographien betrifft bin ich seit der Lektüre von Sanchez Biographie, die im McFarland-Verlag erschienen ist, sehr verwöhnt. Doch muss ich sagen, gefällt mir die in der Master Class Enthaltene sehr gut. Durch die vielen Anekdoten wirkt sie sehr lebendig, die Verweise zu Datenbankpartien erleichtern den Zugriff zu den jeweiligen Partien. Die Biographie dürfte schon etwas älteren Datums sein, denn von der darin angesprochene Remislastigkeit im Spitzenschach (als Beispiel wird Dortmund 2004 erwähnt) kann im Moment keine Rede sein, gerade jetzt, wo selbst der Weltmeister die ein oder andere Niederlage einstecken muss.

Fazit

Wer wie ich in den Bergen aufgewachsen ist, der weiß, wie schön die Aussicht von den Gipfeln ist. Doch muss man sich diese stets hart erarbeiten. Die Gipfel der Schachwelt zu besteigen, gelingt nicht ohne Hilfe. In der Master Class Capablanca führen 4 Experten uns zielsicher an einen der 8000er des Schachsports heran, wobei man die entscheidenden Schritte selbst tun muss. Der Umfang des Fritztrainers hat mich positiv überrascht. Ich denke, Spieler aller Klassen können von ihm profitieren, die Aufgaben dürften vor allem für den ambitionierten Vereins- und Turnierspieler fordernd sein. Da dies der erste Artikel aus der Master-Class-Serie ist, den ich gesehen habe, bin ich auf weitere gespannt. Und natürlich darauf, ob GM Karsten Müller einmal eine Endspiel-DVD über Capablancas Endspiele produziert – freilich im interaktiven Format.

Master Class Band 4: José Raúl Capablanca
 

• 6 Std. 12 min (Deutsch)
• Interaktiver Taktiktest mit Videofeedback
• Alle Capablanca-Partien, Tabellen, Hintergrundwissen, Kurzbiographie
• Capablanca-Powerbook: Das Eröffnungsrepertoire des dritten Weltmeisters als Variantenbaum
• Taktik-Training mit 103 Capablanca- Partien; 14 Capablanca-Endspiele, detailliert kommentiert von Mihail Marin

 

€ 29,90

Lieferbar per Download oder auf DVD-ROM (Post). Kostenlose Lieferung innerhalb Deutschlands.

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Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.