Auszüge aus dem Beitrag beim Guardian in deutscher Übersetzung:
Von Judit Polgar
Ich bin es gewohnt, als lebender Beweis dafür angeführt zu werden, dass Frauen im Schach auf dem gleichen Niveau spielen können wie Männer. Mit 15 Jahren wurde ich "jüngster Großmeister der Welt" und brach damit den drei Jahrzehnte alten Rekord von Bobby Fischer. Ich schaffte es nicht, absoluter Weltmeister zu werden, aber ich habe dieses Ziel stets verfolgt. In meiner besten Zeit war ich die Nummer acht in der absoluten Weltrangliste.
Auch wenn Frauen anders denken und sich im Wettbewerb anders verhalten, können wir die gleichen Leistungen erbringen wie Männer: sei es in Wissenschaft, Kunst oder Schach.
Ich hätte dieses Niveau nie erreichen können, wenn ich nur um Frauentitel gespielt hätte. Tatsächlich war ich ein Teenager, als ich das letzte Mal an einem Frauenturnier teilnahm - als Vertreter Ungarns, zusammen mit meinen älteren Schwestern Zsúzsa und Zsófia, bei der Schacholympiade der Frauen 1990. Es machte großen Spaß, aber es war in schachlicher Sicht keine Herausforderung.
Mir war klar, dass ich gegen die besten Spieler spielen musste, um selbst eine der besten zu werden. Nur gegen Frauen zu spielen, hätte meiner Entwicklung nicht geholfen, ich war ja schon mit 13 Jahren mit Abstand die beste Frau der Welt im Schach. Mir war klar: Ich musste mit den anderen führenden (männlichen) Großmeistern meiner Zeit konkurrieren: Garry Kasparov, Vladimir Kramnik und Viswanathan Anand, und sich konnte sie alle schlagen.
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Im Laufe der Zeit hat sich die Leistungslücke zwischen Männern und Frauen allmählich verringert. Es gibt inzwischen mehr Trainingsangebote für Frauen und das führte auch zu einer Verbesserung der Elozahlen und viele Frauen erreichten Großmeisterniveau. Aber Ende der 2000er Jahre scheint sich dieser Aufholprozess bereits vollzogen zu haben.
Als mein Kollege Nigel Short 2015 argumentierte, dass das Gehirn von Männern "anders verdrahtet" sei, weshalb sie im Schach besser seien als Frauen, gab es einen großen Protest. Ich denke auch, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind - aber die Schlussfolgerung von Short hält der Prüfung nicht stand. Auch wenn Frauen auf andere Weise denken und konkurrieren, können wir die gleichen Leistungen erbringen wie Männer: sei es in der Wissenschaft, Kunst oder im Schach.
Die viel geringere Beteiligung von Mädchen und Frauen am Turnierschach ist immer noch ein Problem. Vor allem werden Mädchen im Schach nicht so behandelt wie Jungen. Trainer und Funktionäre werden davon geblendet, dass die Erfolge im Frauenschach vergleichsweise einfacher zu erzielen sind. Talentierte Mädchen sollten aber besser an allen Wettbewerben teilnehmen, genau wie Jungen.
Seitdem ich mich vom Leistungsschach zurückgezogen habe, kümmere ich mich um die Organisation von Kinderturnieren: Ich lege Wert darauf, Mädchen und Jungen nie zu trennen und auch keine Sonderpreise für Mädchen zu vergeben.
Je höher deine Ziele, desto höher die Leistung. Stellen Sie sich vor, die chinesische Großmeisterin Hou Yifan - die 2010 im Alter von 16 Jahren Weltmeisterin wurde und heute die best Spielerin der Welt ist - hätte in ihrer Jugend mehr an gemischten Turnieren teilgenommen...
Sie hat angekündigt, dass sie sich jetzt nicht mehr für Frauen-Turniere interessiert, und man wird sehen, wie wie sehr sich dadurch ihre Elozahl verbessert.
Als der Weltschachverband FIDE die Titel der Internationalen Meisterin (WIM) und der Internationalen Großmeisterin (WGM) einführte, auf der Basis von viel niedrigeren Leistungsbedingungen, hat er die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen mit verursacht. Heute betrachten einige Frauen diese Titel als bevormundend. Es ist höchste Zeit, sich mit den Folgen dieser Segregation auseinanderzusetzen - denn letztendlich muss unser Ziel sein, dass Frauen und Männer gleichberechtigt miteinander konkurrieren.
Übersetzung: André Schulz
Original-Beitrag beim Guardian...
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