Jugendweltmeisterschaften 2005
Istanbul, 9.-22.November 2005
Bericht von Nigel Short
Fotos: Fatma
Yildiz
Es war keine scharfe Zurechtweisung, mehr eine milde Schelte von Jonathan
Berry, der sich mit meinem Hinweis auseinander setzte, dass es große Kontingente
aus Amerika gäbe: "Quoi? Ich zähle Argentinien (1 Junge, 1 Mädchen), Brasilien,
Kolumbien, Equador (je 1), zusammen 5 Spieler aus Amerika. Niemand aus
Nordamerika, USA, Kanada, Kuba etc."
Schluck. Es sind in Wirklichkeit zwei Kolumbianer, aber das ist ein zu
unwesentlicher Irrtum, um mich zu entlasten. Ich plädiere auf schuldig, Herr
Richter. Tatsächlich, ich war geistig abwesend. Als kleine Entschuldigung könnte
ich vorbringen, dass ich zu sehr unter dem Eindruck der wunderbaren Ankündigung
stand, dass Bessel Kok, mit Hilfe von Ali Nihat Yacici, sich zur Wahl als
FIDE-Präsident im nächsten Jahr in Turin stellen will. Die Schachwelt benötigt
in der Tat dringend ein neues Führungsgremium mit wirtschaftlichen Fähigkeiten,
um seriöse Partner als Sponsoren zu gewinnen.
Nun, das meine Berichte über die Jugendweltmeisterschaft aller statistischen
Genauigkeit verlustig gegangen sind, will ich dieses Gebiet von nun an außer
Acht lassen und mich auf lohnendere Dinge konzentrieren. Was Sie wirklich lesen
wollen, ist doch Klatsch, stimmt's?
Was machen junge Schachspieler, wenn sie nicht spielen und sich nicht
vorbereiten? Dann surfen sie vor allem im Internet, wie es scheint.
Diejenigen, deren Laptops mit Wireless Ausstattung gesegnet sind, das sind
die meisten, hängen unten in der Bar herum, wo das Signal am stärksten ist.
Das Greenhorn Anya Corke aus Hongkong kann zum Beispiel jeden Morgen dort
zusammen mit ihrem Laptop beobachtet werden - andauernd grinsend. Darauf von mir
angesprochen, bemühte sie sich zu betonen, dass mit ihren Freunden zu Hause
chattete und zusammen lachte und nicht mit ihrem Notebook. Ach so.
Der Playchess-Server und der ICC sind sehr beliebte Ziele für die
Cyberspace-Generation.
Gelegentlich wird sogar auch noch mit richtigen Figuren, Brett und Uhr
geblitzt.
Am Vorabend wurde musste ich eine Niederlage gegen einen Studenten aus
Waterkloof High in Pretoria, Süd Afrika hinnehmen, als ich albernerweise
versuchte, ihn in Remisstellung über die Zeit zu heben. Natürlich waren die paar
Sekunden mehr auf meiner Uhr dafür nicht ein Jota geeignet, gegen jemanden, der
halb so alt wie ich ist, und so verlor ich mit Leichtigkeit auf Zeit.
Shakhriyar Mamedyarov aus Azerbeidschan, klarer Tabellenführer im Turnier,
war begierig es besser zu machen und seine Überlegenheit zu zeigen, setzte sich
an meine Stelle und erlitt dort prompt das gleiche Schicksal.
Der Billardtisch ist eine weitere Attraktion
hier im Lion Hotel, angeblich ein Viersterne-Hotel, nahe dem Taksim Platz.
Da im Erdgeschoß ständig so viele Leute
herum laufen, fragt man sich, warum das Management sich nicht beeilt, etwas
Service anbietet. Gestern fragte ich am Empfang, warum denn die Bar geschlossen
sei und bekam zu Antwort: "Die Bar ist geöffnet. Es ist nur niemand da, um dort
zu bedienen." Das bleib auch so bis in die Nacht. Wenn es eine Ausnahme wäre,
könnte man darüber hinwegsehen, doch dies ist die Regel, hier.
"Love is in the Air!" Türkei und Rumänie,
Dänemark und Georgien - eine Paarungen sind weniger nahe liegend als die
anderen. Bei einigen Delegationen gibt es gar kein Hanky-Panky. China, z.B.
erwartet von seinen Spielern Disziplin, ebenso der Iran, besonders von den
weiblichen. Eine Wache des theokratischen Staates passt auf, das bei den
gesellschaftlichen Begegnungen keine Unziemlichkeiten vorkommen - so was wie
Händchen halten zwischen Jungen und Mädchen, zum Beispiel.
Man darf aber vermuten, dass beim
bedeutendsten Gesellschaftsereignis des Turniers, der Party vor dem Ruhetag, die
oben genannten Unanständigkeiten geschehen werden und Schlimmeres.
Ich sollte wohl noch etwas zum Schach sagen. Ich vermute dass trotz allem doch
die Meisten sich deswegen hier eingefunden haben. In der sechsten Runden hat die
Führende, Gu Xiaobing, gegen Lizzy Pähtz ihr erstes Remis abgegeben. Ihre
Eloleistung ist derzeit beachtliche 2672. Trotzdem folgen ihr ziemlich dicht
Beata Kadziolka aus Polen und etwas überraschend Turkan Mamedyarova, die kleine
Schwester von Shakhriyar.
Turkan Mamedyarova
Der große Bruder hat schon nach halber Distanz zwischen sich und den Rest eine
klaffende Lücke von einem ganzen Punkt gelegt. Für seine Performance (2873)
würde er selbst von Veteranen wie Veselin Topalov beneidet. Aber es ein weiter
Weg bis zum Ziel und genug Zeit, alles zu verderben.
Leider bin ich nicht bis zum Schluss dabei. Ihr bemühter Reporter muss heute
Nacht nach Bangkok fliegen, um dort an der Börse ein paar Simultans zu geben.
Dann geht es für eine etwas längere Tour nach Neuseeland. Nein, ich werde nicht
Khanty Mansysk beim World Cup spielen, wie Sie vielleicht mutmaßen. Es wäre sehr
unhöflich, schon vor langem geschlossene Vereinbarungen zu brechen, wegen
irgendwelcher verspäteter (und dann noch geänderter) FIDE-Ankündigungen.
Ich bin ganz sicher, dass mein Nachfolger, wer immer es ist, sie genauso gut
über die Ereignisse in Istanbul informieren wird.
Schiedsrichter
Sarah Hoolt
Vera Nebolsina, Sandra Djukic
Amina Mezioud
Bianca Muhren
Deep Sengupta
Barbara Coddens
Ferenc Berkes
Evgeny Alekseev
Mehdi Ouakhir, Erhan Tanrikulu