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Der französische Großmeister Maxime Vachier-Lagrave, zusammen mit Ian Nepomniachtchi Spitzenreiter beim abgebrochenen Kandidatenturnier, ist wieder in Paris. Die ereignisreichen zwei Wochen beinhalten eine überraschende Einladung, dem Kampf um ein Last-Minute-Visum, die beeindruckende Leistung im Turnier und einer Rückkehr durch menschenleere Flughäfen.
In einem Exklusiv-Interview mit Dhananjay Khadilkar spricht "MVL", wie er kurz genannt wird, über sein surreales Erlebnis:
Sie müssen mit Ihrer Leistung zufrieden sein, insbesondere mit dem Sieg gegen Ian Nepomniachtchi in der siebten Runde...?
Es war meine beste Leistung in einem Turnier seit Anfang 2019. Ich war sehr zufrieden mit meinem Spiel im Allgemeinen und auch wie die Partien verliefen. Das spiegelte sich auch in den Zügen auf dem Brett und den Eröffnungsideen wider. Das führte schließlich zum guten Ergebnis zur Halbzeit. Über das ganze Turnier habe ich, wann immer es möglich war, meinen Gegnern ernsthafte Probleme bereitet.
Vor der siebten Runde führte Nepomniachtchi mit einem vollen Punkt. Die Partie war also immens wichtig. Ich habe in der Eröffnung die Initiative ergriffen und meinen Vorteil in einen Sieg verwandelt. Ich war mit der Idee, die ich am Brett gefunden hatte, erfolgreich.
Wie war die Atmosphäre während des Turniers, das vielleicht die einzige große Sportveranstaltung war, die nicht von vorneherein abgesagt wurde?
Die Atmosphäre war angespannt. Aber als das Turnier begann, war ich ganz auf die Partien konzentriert. Die Behörden führten regelmäßig medizinische Untersuchungen durch. Es gab auch soziale Distanz und die Hände wurden regelmäßig mit Desinfektionsmitteln gewaschen. Das alles kannten wir bisher nicht, aber wir müssen uns nun daran gewöhnen, wie ich nach meiner Rückkehr nach Frankreich festgestellt habe. In gewisser Hinsicht waren diese Maßnahmen eine Vorbereitung auf das, was uns zu Hause erwartete. Ich habe die Auswirkungen zuerst auf dem Amsterdamer Flughafen gesehen. Er war menschenleer.
Wie beunruhigend war es, bei dem Schachturnier zu spielen, wenn man bedenkt, was in der Welt vor sich ging?
Die Stimmung war sicher nicht gerade toll. Ich war immer auf dem Laufenden mit Nachrichten aus aller Welt und insbesondere aus Frankreich. Ich habe versucht, mit meiner Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. Aber da es ein sehr wichtiges Turnier war, versuchte ich trotzdem, meine Vorbereitung auf dem höchsten Niveau zu halten. Natürlich kann man die Gedanken an die Situation in der Welt nicht ganz ausblenden, aber ich habe versucht, mich bei meiner Arbeit am Schach, so gut es ging, nicht stören zu lassen.
War es nicht seltsam, dass dieses Turnier immer noch lief, als die Welt des Sports anderswo überall zum Stillstand gekommen war?
Ja, aber zu der Zeit, als die anderen Sportveranstaltungen nach und nach abgesagt wurden, waren einige von uns entweder schon in Jekaterinburg angekommen oder auf dem Weg dorthin. Außerdem ist es etwas anders, wenn man nur acht Spieler, ein paar Sekundanten, Schiedsrichter und Journalisten bei einer Veranstaltung hat. Dieses Umfeld ist viel leichter zu kontrollieren. Außerdem gab es zum Zeitpunkt des Turnierbeginns nur sehr wenige Covid-19-Fälle in Jekaterinburg. Es war kein Hotspot. Die Organisatoren haben sich sehr bemüht, dass das Turnier in dieser Hinsicht reibungslos abläuft, abgesehen von der bizarren Eröffnungszeremonie vielleicht.
Was war abenteuerlicher: die Reise zum Turnier oder die Rückkehr nach Hause, da beides mit einer Last-Minute-Reiseplanung und bürokratischen Formalitäten verbunden war?
Das Hauptproblem bei meiner Teilnahme in Jekaterinburg, bestand darin, dass keiner meiner Sekundanten mich begleiten konnte. Es ließ sich nicht mehr einrichten, weil die Zeit zu kurz war. Ich wollte, dass einige meiner Teammitglieder zu einem späteren Zeitpunkt nachkommen: Aber das war dann unmöglich, da es in Frankreich kurz danach den Shutdown gab. Also musste alleine anreisen. Ich vermied es, über Moskau zu reisen, da die dortigen Behörden für jeden, der in die Stadt von außen kam, eine Quarantäne angekündigt hatten. Ich war mir nicht sicher, ob das auch für Menschen auf der Durchreise galt. Ich wollte keine Risiko eingehen und reiste deshalb über Istanbul nach Jekaterinburg.
Die Rückreise war vergleichsweise viel einfacher. Als wir erfuhren, dass Russland die Grenzen schließen würde, packten wir und begannen, die Flüge zu arrangieren. Einige Spieler schafften es, reguläre Flüge zu bekommen, während Fabi, ich und einige Medienvertreter mit einem Charterflug nach Rotterdam kamen. Es gab einige bürokratische Verzögerungen. Aber ich habe es bis zu meinem Haus in Paris geschafft, und wie ich hörte, sind inzwischen auch alle anderen Spieler zu Hause angekommen.
Waren Sie ein wenig enttäuscht, dass das Turnier zu einem Zeitpunkt abgebrochen wurde, als Sie deutlich an Fahrt gewonnen hatten?
Nicht wirklich. Denn meine generelle Erwartung im Turnier war, dass es jeden Moment abgebrochen werden könnte. Also habe ich nur von Partie zu Partie gedacht. Vielleicht wäre es angesichts meiner guten Form besser gewesen, wenn es weitergegangen wäre, aber ich beklage mich nicht. Die allgemeine Situation in der Welt ist wichtiger, als ein Schachturnier nicht beenden zu können. Es ist eine offene Frage, ob das Turnier nicht gleich hätte abgesagt werden müssen. Aber die Organisatoren haben versucht, unter den Bedingungen einen ordentlichen Ablauf zu gewährleisten. Und das ist auch soweit gut gelungen.
Natürlich wussten wir, dass das Turnier abgebrochen werden würde, wenn die russischen Behörden oder eines der anderen Länder ein Flugverbot verhängte oder wenn einer der Spieler positiv getestet würde. Immerhin ist niemand während des Turniers krank geworden. Es war definitiv seltsam, zu dieser Zeit ein Schachturnier zu spielen. Aber ich habe es geschafft, mich auf das Schachspiel zu konzentrieren und alle negativen Gedanken zu blockieren.
Hätten Sie sich vorstellen können, dass Ihr erstes Kandidatenturnier so abenteuerlich sein würde?
Meine ganze Geschichte mit der Qualifikationen zum Kandidatenturnier ist abenteuerlich. Die erste echte Chance, mich zu qualifizieren, hatte ich bereits 2013. Es wäre eine untertrieben zu sagen, dass ich viel Pech hatte. Ich denke, meine Qualifikation musste letztendlich auf eine ungewöhnliche Art und Weise geschehen.
Wie wollen Sie die Zeit während des Shutdowns verbringen?
Ich hatte gerade ein virtuelles Wiedersehen mit meinen Schulfreunden. Ich muss mir jetzt überlegen, was ich tun muss, um meine Form und mein tägliches Training aufrecht zu erhalten. Sport zu treiben ist jetzt etwas kompliziert. Aber erst muss ich mal ein paar Tage entspannen.
Übersetzt von André Schulz