Der russische Großmeister Sergey Karjakin, der im November letzten Jahres gegen Magnus Carlsen um den Weltmeistertitel im Schach kämpfte und im Dezember Weltmeister im Blitzschach wurde, erzählte in der Redaktion von gazeta.ru u.a. über seine Finanzen und die Rivalität mit Carlsen.
Sergey, zurzeit sind Sie sehr beliebt – selbst Menschen, die sich nicht für Schach interessieren, wissen, wer Karjakin ist. Ist dies alles dem WM-Kampf gegen Magnus Carlsen zu verdanken?
Der WM-Kampf gegen den Norweger ist nur die Spitze des Eisbergs. Dem vorausgegangen war eine Menge Arbeit, sowohl in schachlicher Hinsicht, als auch in Bezug auf die PR-Aktivitäten. Meine Manager und ich taten unser Bestes, um das Schach zu popularisieren. In erster Linie ist es aber die Schachleistung – die Siege in verschiedenen Turnieren: Die Weltmeisterschaften im Schnell- und Blitzschach sowie die Siege beim Weltpokal und dem Kandidaten-Turnier. Es kam eins zum anderen, man kann nicht behaupten, dass ich ganz zufällig Carlsens Gegner wurde, gut spielte und plötzlich Berühmtheit erlangte. Nein, der Weg dorthin war lang, es ist das logische Ende dieser Etappe.
In letzter Zeit haben Sie eine Reihe Werbeverträge unterzeichnet. Kann man behaupten, dass Sie eine Art Maria Sharapova im Schach sind und mehr durch Werbung, als durch Ihren Spieleinsatz verdienen?
In der Tat habe ich viele Verträge, doch das Ausmaß ist nicht so überwältigend. Ich könnte zwar anfangen, Geld zu sparen und die Investitionen in mein Training zu streichen, danach aber werden sich meine Ergebnisse verschlechtern und die Sponsoren werden sich fragen: „Wozu geben wir ihm das Geld?“ Wahrscheinlich werde ich dann die Verträge verlieren. Fast das ganze Geld investiere ich in meine Entwicklung und für Trainer. Das große Einkommen ist mit großen Ausgaben verbunden. Meine jetzige Situation ist natürlich ziemlich gut – es wäre töricht, dies zu verleugnen. Gleichzeitig aber steht mir eine Menge Arbeit bevor, um nicht zu verlieren, was mit viel Schweiß erreicht wurde.
Und dennoch – nach der WM mit Carlsen ging es mit dem Geldverdienen stark aufwärts?
In der Tat verdiente ich durch den Wettkampf selbst mehr, als vorher und danach. Bis dato hatte ich noch nie auch nur annährend 450 Tausend Euro an einem Turnier verdient. Bei dieser WM war es der Fall. Man sollte aber alles in Relation sehen. Auf der einen Seite ist das viel Geld, andererseits war der Preisfond für ein Ereignis dieser Größenordnung, das zig Millionen Menschen weltweit verfolgten, nicht sonderlich groß. Die Veranstalter hätten für einen höheren Preisfond sorgen können, taten es leider nicht.
Werden Schachspieler grundsätzlich gut versorgt?
Von meiner eigenen Erfahrung ausgehend, kann ich sagen: So lange ich noch nicht unter die ersten 20, und danach unter die besten 10 der FIDE-Eloliste kam, konnte von finanzieller Sicherheit nicht die Rede sein. Klar verdiente ich etwas Geld, das meiste davon ging aber für Rechnungen, Trainer und die Familie drauf. Es war schwierig. Für die Top Spieler dagegen ist die Sache wesentlich leichter. Die Sponsoren sind stark an ihnen interessiert.
Im Klartext: Eltern, die von einem guten Einkommen ihrer Kinder träumen, sollten lieber einen Bogen um die Schachvereine machen?
Unsere Sportart hat ein sehr hohes Potenzial. Erinnern wir uns nur daran, wie viele Menschen weltweit meinen Wettkampf gegen Carlsen verfolgten. Bis heute erhalte ich Briefe aus Russland, Norwegen und den USA. Ich hoffe sehr auf einen Entwicklungssprung im Schach, ähnlich wie Bobby Fischer ihn seinerzeit bewirkte. Bevor er kam, betrugen die Preisfonds für die Schach Weltmeisterschaften 10-20 Tausend Dollar. Fischer kam und sagte: Eine Million oder es findet kein Kampf statt. Alle waren einverstanden. Carlsen stellt derartige Forderungen nicht. Er stimmt einer vorgeschlagenen Summe einfach zu. Hätte er mit der Faust auf den Tisch gehauen und gesagt: Drei Millionen und keinen Cent weniger, wären die Sponsoren ihm höchstwahrscheinlich entgegengekommen. Sollte ich Weltmeister werden, komme ich gern auf dieses Thema zurück. Momentan habe ich für so etwas keine Befugnisse.
Wie stehen Sie zum Tiebreak-Format? Hätte man die klassische Variante „Spielen bis einer siegt“ wählen sollen, so wie einst bei Kasparov gegen Karpov?
Sie haben recht, das Tiebreak ist unlogisch. Sehen Sie: Wir spielen um den Weltmeistertitel im klassischen Schach. Dann schließen wir damit ab und klären die Sache mit Schnellschach auf. Letzteres ist ein vollkommen anderes Format, für dessen Umstellung uns nur ein freier Tag zur Verfügung stand. Es ist nicht richtig, den Weltmeister so zu ermitteln! Ich möchte mich nicht mit dem Tiebreak für die Niederlage rechtfertigen. Reglement bleibt Reglement und es war im Vorfeld jedem bekannt. Ich wiederhole: Aus meiner Sicht ist es völlig zwecklos, die unterschiedlichen Disziplinen zu vermischen. Aber auch ein No-Limit Wettkampf im Stil von Karpov-Kasparov riskiert in der heutigen Zeit, in einen Wahnsinn auszuufern.
Was wäre also richtig?
Mein Vorschlag: Ein Wettkampf mit ungerader Anzahl Partien, sagen wir 15. Einer der Spieler hat einmal mehr Weiß und muss den Kampf in der vorgesehenen Zeit gewinnen. Bei Unentschieden verliert er den Kampf.
Was ist das Tolle an Ihrem Format?
Es wird gekämpft! Als Beispiel: in der letzten 12. Partie der WM hat Carlson seine weiße Farbe praktisch aufgegeben und in 40 Minuten das Unentschieden erstrebt. Bei meinem System wäre das eine Fallgrube, der Kampf zudem interessanter.
Hätte Ihre Initiative eine Zukunft?
Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ein sehr bekannter Schiedsrichter ein entsprechendes Schreiben an die FIDE geschickt hat. Dort wird es auf jeden Fall geprüft.
Mit 12 Jahren wurden Sie der jüngste Großmeister in der Geschichte und als Taktiktrainer ins Team von Ruslan Ponomarjov aufgenommen. Wie kam es dazu, dass sich ein etablierter Schachspieler einem Kind anvertraute?
Damals hatte ich eine gute Beziehung zu Ruslan. Wir haben beide den Kramatorsk Schachclub besucht, tauschten uns ständig aus, blitzten miteinander. Als Ponomarjov das Finale der Weltmeisterschaft erreichte, brauchte er für eine gezielte Vorbereitung ein Team. Ich wurde eingeladen, ein Trainings-Match gegen einen seiner Trainer – Dmitry Komarov - zu spielen. Wir setzten uns an den Tisch und ich gewann mit 11:3. Danach nahm Ruslan die Angelegenheit selbst in die Hand. Das Ergebnis weiß ich nicht mehr, nur so viel, dass ich eine Partie gewinnen konnte. Anschließend bekam ich das Angebot, sein Sekundant zu sein. Wir fuhren zum Trainingslager, danach zum Wettkampf, der in Moskau stattfand. Das waren meine ersten Eindrücke von der Hauptstadt. Sie gefiel mir sehr!
Wie sahen Ihre Verpflichtungen aus?
Ich schaute mir die Eröffnungen an, in denen Ponomarjov Probleme hatte. Er fragte mich, ob ich mir sein Französisch anschauen kann. Ich möchte meinen Verdienst nicht überbewerten, aber wie der Zufall es wollte, gewann Ruslan die erste Partie ausgerechnet mit Französisch. Das freute mich doppelt. Ponomarjov ernannte mich zum “Taktikmeister“. Mit 12 Jahren hatte ich noch kein so gutes Verständnis für das positionelle Spiel, doch taktische Nuancen sah ich. Natürlich war ich nicht sein Hauptberater, leistete aber meinen Beitrag zum großen Erfolg dazu.
Wie viele Stunden täglich widmeten Sie in Ihrer Kindheit dem Schach?
Mit sieben Jahren beschäftigte ich mich sechs bis acht Stunden mit Schach. Ich war so weit, diese Last auf mich zu nehmen. Ich stand morgens auf und arbeitete von neun bis drei Uhr mit meinem Vater, danach ging ich mit Freunden spielen. Abends beschäftigte ich mich noch eine oder zwei Stunden. Heute habe ich leider nicht so viel Freizeit.
Was überwog – die Praxis oder die Theorie?
Das Zweite. Wobei ich an fast allen guten Turnieren teilnahm.
Sie haben wenig Zeit. Wie finden Sie die Balance zwischen Schach, Marketing, sozialen Verpflichtungen?
Ich versuche genauer zu planen. Vom 17. bis zum 27. Mai gehe ich zum Trainingslager. Ich hoffe dort die Ruhe zu finden, in das Schach einzutauchen. Hier in Moskau bekomme ich viele Einladungen. Ich versuche, mich mit Leuten zu treffen und auch Zeit mit der Familie zu verbringen.
Investieren Sie viel Zeit in Fitness?
Zweifelsohne ist es für einen Schachspieler sehr wichtig, aktiv Sport zu treiben. Ohne Ausdauer ist es unmöglich, ständig am Brett zu sitzen und zu überlegen. Vor dem WM-Kampf mit Carlsen habe ich sehr intensiv trainiert und sogar acht Kilogramm abgenommen. Für mich ist das schon eine große Leistung.
Wie viel haben Sie gewogen?
Ich wog 88 kg – vielleicht etwas zu viel. Danach 80.
Nach dem Wettkampf haben Sie vermutlich auch ein paar Kilogramm vermisst?
Nein, allmählich kommt mein altes Gewicht zurück. Dafür nahm ich während des Wettkampfes stets ab. Trotz gutem Essen machte sich der Stress bemerkbar.
Es wird behauptet, dass man während einer Partie ein paar Kilogramm loswerden kann. Ist das ein Mythos?
Es kommt auf die Partie an. Bei einem gewöhnlichen Turnier kann ich noch so nervös und aufgeregt sein. Zu diesem Extrem wird es selbst dann nicht kommen, wenn die Partie über den Turniersieg entscheidet. Bei einem WM-Tiebreak hingegen steht enorm viel auf dem Spiel. Der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ist riesig.
Welche sind die wichtigsten Kriterien bei der Wahl der Ortschaft für das Trainingslager?
Es muss ein ruhiger Ort sein. Vorzugsweise in einem Waldgebiet in der Nähe von Moskau. Man muss die Gelegenheit haben, Sport zu treiben und die Ernährung abzustimmen. Während eines Trainingsprozesses sind Ausflüge zwecks Restaurantbesuch fehl am Platz. Ideal für Trainingszwecke ist die Basis des Sportministeriums und ich bin dankbar, dass ich mich dort vorbereiten darf.
Wie ist Ihre Beziehung zu Carlsen?
Wir waren noch nie beste Freunde. Eher Kollegen, eine Art Gleichgesinnte. Wir haben immer miteinander kommuniziert. Nach einer Partie haben wir gemeinsam analysiert. Schon bald nach der WM trafen wir in Wijk aan Zee wieder aufeinander. Alles war gut, nach der Partie haben wir draußen analysiert. Unsere Beziehung kann ich als diplomatisch bezeichnen und ich bin froh, dass die WM keinerlei Einfluss darauf nahm. Ich denke, wir beide werden noch viele Jahre an den gleichen Turnieren teilnehmen. Warum sollten wir unsere Beziehung verderben?
Eure Rivalität begann schon in der Kindheit …
Ja, immer wieder mit wechselndem Erfolg. Zum Beispiel: Als ich mit 12 Jahren und 7 Monaten Großmeister wurde, war Carlsen noch nicht in der Schachszene. Zu dieser Zeit spielte ich zwei Klassen besser. Bis zu meinem 17. Lebensjahr blieb dieser Vorsprung erhalten. Ich war ihm voraus, doch schaffte er es mit sehr großen Schritten, diesen Rückstand aufzuholen und auf Platz 1 der Weltrangliste zu kommen, wovon ich damals nicht einmal zu träumen wagte. Meiner Meinung nach waren wir letztes Jahr auf ungefähr einer Leistungsebene.
Es gibt genug Kritiker für die Ranglisten der FIFA, IIHF, Boxen. Ist die FIDE Rangliste objektiv?
Im Prinzip schon. Es gibt einige Fragen bezüglich der Elo-Inflation. Als ich gerade mit Schach anfing, betrug die Mindest-Elozahl, die einem zugewiesen werden konnte 2200. Danach begann man diese Latte stark zu senken: 1700, 1300 ... Ich habe gehört, dass es schon eine Elozahl von 1000 gibt! Früher wäre so etwas unerhört! Ich glaube, dass die Mindestgrenze zurück auf 2000-2200 korrigiert werden muss.
Haben Sie Schachidole aus der Vergangenheit?
Ich habe schon immer die Partien von Alexander Aljechin geliebt und einige seiner Bücher studiert. Sie haben mir sehr geholfen. Von den Großmeistern der neueren Zeit habe ich Karpov studiert. Ich bin glücklich, dass Anatoli Jewgenjewitsch und ich früher viel gegeneinander gespielt haben und es noch heute tun. Hin und wieder besuche ich ihn. Wir trinken Tee und reden über dies das.
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Es gibt einen ganz jungen Schachspieler, Mischa Osipov, der schon gegen Sie und Karpov gespielt hat. Er tritt regelmäßig in TV-Sendungen auf. Wird diese Aufmerksamkeit dem begabten aber noch sehr jungen Kind schaden?
Mit seinen vier Jahren denkt er vielleicht, dass alles so ist, wie es sein soll. Mischa ist zweifelsohne ein Schachtalent. Noch versteht er aber nicht wirklich, was in seinem Leben passiert. Er ist bewundernswert. Mit ihm zu kommunizieren ist das reinste Vergnügen. Wo er in zwei, drei Jahren stehen wird, hängt von seinen Eltern und deren Erziehung ab. Momentan bekommt Mischa eine Menge Lob, alle reden über ihn. Irgendwann wird er sich am Schachbrett beweisen müssen.
Ist Osipov ein ganz besonderer Fall?
Absolut. Noch nie hat man so früh mit Schach angefangen. Zudem spielt Mischa mit Bedacht, ich sehe sein Konzept und wie er denkt. Für sein Alter besitzt er eine fantastische Spielstärke. Natürlich muss man ständig Fortschritte machen. Mischa steht eine Menge Arbeit bevor.
Den Kennern von „Was? Wo? Wann?“ fällt es leicht, ihr Potenzial in anderen intellektuellen Spielen zu entwickeln, während Schachspieler in Checkers (Dame), Poker und Go gewinnen?
Allen oben genannten Spielarten kann ich einen sehr starken Großmeister zuweisen. Poker - Alexander Grischtschuk, Checkers - Wassyl Iwantschuk, Go - Alexander Morosewitsch. Es gibt auch noch das Räuberschach. Die Bezeichnung klingt witzig, man muss ja alles verschenken. In Wirklichkeit aber ist das Spiel sehr kompliziert. Bei keinem anderen wiegt ein Fehler so schwer wie hier. Übrigens, am 1. April letzten Jahres, nach meinem Sieg im Kandidatenturnier, gewann ich ein Räuberschach-Turnier, worauf ich sehr stolz bin.
Haben Sie von dem Skandal bei dem Eurovision Song Contest gehört – ein Zuschauer hat sich auf der Bühne entblößt?
Ich habe davon gehört, möchte aber keinen Kommentar abgeben.
Was würden Sie tun, sollte so etwas während eines Schach Wettkampfes passieren?
Wissen Sie, die Großmeister sind so konzentriert auf ihr Spiel, dass sie wahrscheinlich nichts mitbekommen würden.
Foto und Video: Gazeta.ru
Auszugweiser Nachdruck mit freudlicher Genehmigung.
Quellen:
https://www.gazeta.ru/
https://www.gazeta.ru/sport/2017/05/17/a_10677257.shtml